Stahl-Tarifverhandlungen - In Eisenhüttenstadt ist die 32-Stunden-Woche seit Jahren Realität

Fr 17.11.23 | 16:57 Uhr
Mitarbeiter Steffen Hafki und Betriebsratsvorsitzender Dirk Vogeler vor dem Stahlwerk in Eisenhüttenstadt
Steffen Hafki (links) und Dirk Vogeler vor dem Stahlwerk in Eisenhüttenstadt |Audio: Antenne Brandenburg | 17.11.2023 | David Klevenow | Bild: rbb

Die Gewerkschaften fordern eine 32-Stunden-Woche in der Stahlindustrie. Das sei organisatorisch nicht machbar, sagen die Arbeitgeber. Doch in Eisenhüttenstadt wird das Modell seit Jahren angewendet – allerdings ohne vollen Lohnausgleich.

32 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich: Das fordern die Gewerkschaften für die Mitarbeiter der Stahlindustrie. Am Montag begannen die Tarifverhandlungen in der Branche. Zudem wollen Gewerkschaften wie die IG Metall eine Lohnerhöhung von 8,5 Prozent durchsetzen. Bisher haben die Arbeitgeber 3,1 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von 15 Monaten angeboten.

Aktuell arbeiten Beschäftigte in der Stahlindustrie 35 Stunden pro Woche. Eine Verkürzung der Arbeitszeit hat der Arbeitgeberverband "kategorisch als weder organisierbar noch finanzierbar" zurückgewiesen. Doch dem ersten Punkt widerspricht die etablierte Praxis am Stahlwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree): Dort existiert seit 2010 ein freiwilliges 32-Stunden-Modell, allerdings ohne vollen Lohnausgleich.

"Freizeit ist mir wichtiger als Geld"

Steffen Hafki ist einer der Mitarbeiter, die seit Jahren das Modell benutzen. Seit 1984 arbeitet er im Werk in Eisenhüttenstadt. Wegen der Schichtarbeit hatte er zuvor wenig Zeit für die Familie und seine Hobbys. Nun arbeitet er drei Stunden weniger pro Woche und verzichtet – auf das Jahr gerechnet – ungefähr auf ein Monatsgehalt.

Doch er komme mit dem Geld klar: "Man muss gut wirtschaften, wenn man eine Familie hat, aber es funktioniert", so Hafki. "Freizeit ist mir wichtiger als Geld." Nun habe er mehr Zeit, um mit seiner Familie zu sein, Fußball zu spielen oder zu angeln.

80 Prozent der Mitarbeiter nutzen das Modell

Anfangs war das Modell zur Beschäftigungssicherung gedacht, so die Begründung des Arbeitgebers. Das Werk sollte effektiver werden, im Raum stand sogar der Abbau von Stellen. Betriebsrat und Werksleitung einigten sich über den Haustarifvertrag auf die freiwillige 32-Stunden-Woche. Dadurch gab es mehr Schichten zu verteilen, mehr Personal wurde gebraucht.

Doch trotz allem gab es 2010 heftigen Gegenwind der Mitarbeiter, sagt Betriebsratsvorsitzender Dirk Vogeler. Doch die Erfahrung habe gezeigt, wie wichtig es sei, die eigene Freizeit planen zu können "und nicht immer betteln zu müssen".

Von den rund 2.700 Mitarbeitern in Eisenhüttenstadt nutzen nach Unternehmensangaben inzwischen 80 Prozent das Modell. Sie arbeiten sieben Tage am Stück und haben dann fünf Tage frei.

Die Produktion sei trotz der reduzierten Arbeitszeit nie in Gefahr gewesen, sagt Vogeler: "Wir haben fünf Schichtmannschaften und darüber wird es abgesichert", so der Betriebsratsvorsitzende. Sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer sei das "ein funktionierendes System".

Tarifverhandlungen werden am 24. November fortgesetzt

Weniger Arbeit bei weniger Lohn: Das ging für die Beschäftigten in Eisenhüttenstadt lange gut. Doch die hohe Inflation macht nun alles teurer. Auch deswegen fordern sie in den aktuellen Tarifverhandlungen mehr Gehalt und die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.

Die nächste Tarifverhandlung für die ostdeutsche Stahlindustrie wurde für den 24. November verabredet. Die Friedenspflicht endet am 30. November.

Sendung: Antenne Brandenburg, 17.11.2023, 14:40 Uhr

Mit Material von David Klevenow

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