Viele Fälle in Berlin - Hunderte Betroffene klagen über Abzocke auf Wohnungsplattform

Sa 19.11.22 | 08:07 Uhr | Von Sophia Wetzke
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Zettel, Wohnungssuche (Quelle: imago images)
Audio: rbb24 Radioeins | 18.11.2022 | S. Wetzke | Bild: imago images

Auf einer beliebten Wohnungsplattform soll ein Vermieter hohe Kautionen für möblierte Apartments verlangt haben, die gar nicht frei waren. Dann sei er mit dem Geld untergetaucht, berichten Hunderte Betroffene. Von Sophia Wetzke

Sie heißen Jandira, Raúl oder Anastazja, kommen aus Ungarn, Spanien oder der Türkei - und alle hatten sich auf ein neues Leben in Berlin gefreut: auf den Job in einem Start-up oder auf den Studienbeginn an einer der Universitäten, auf die Clubs und das Nachtleben.

Laura, 27 Jahre alt, ist eine von ihnen. Sie arbeitet für ein internationales Berliner Unternehmen. Monatelang hatte sie auf deutschsprachigen Wohnungsplattformen erfolglos nach einer Bleibe gesucht. Beim Onlinedienst "Housing Anywhere", beliebt vor allem bei ausländischen Wohnungssuchenden, wird sie dagegen sofort fündig. Die europaweit operierende Plattform bringt Anbieter und Wohnungssuchende zusammen. Gegen eine Service-Gebühr übernimmt "Housing Anywhere" auch die - für ausländische Neu-Berliner oft komplizierten - bürokratischen Hürden und wirbt, dass ein plattformeigenes Bezahlsystem ein Extra an Sicherheit bringe.

Vermieter soll versucht haben, Bezahlsystem zu umgehen

Als Laura über "Housing Anywhere" eine Chatnachricht ihres Wohnungsanbieters bekommt, wird sie aber zunächst skeptisch: Ein Profil mit dem Foto einer jungen, blonden Frau bittet sie stellvertretend für ihren neuen Vermieter darum, die gesamte Kaution - 2.500 Euro sind es in Lauras Fall - vorab direkt auf das Konto der externen Vermietung zu überweisen und nicht das System der Plattform zu nutzen.

In einem Social-Media-Post schreibt sie später: "Ich habe Housing Anywhere dann kontaktiert und gefragt: Seid ihr euch sicher, dass das ein seriöses Angebot ist? Ich war letztes Jahr schon mal sechs Monate wohnungslos und wollte das nicht noch einmal erleben. Die meinten nur: Ja, das ist ein exzellenter Anbieter, der wird sein Wort halten, kannst du machen. Das habe ich dann auch."

Laura zahlt - inklusive der ersten Monatsmiete und der Servicegebühr - noch vor Einzug 3.700 Euro. Ohne die Wohnung live gesehen zu haben, ohne einen Schlüssel bekommen zu haben. Und den wird sie auch nie bekommen, denn wenige Tage vor der Übergabe storniert die Vermietung ihre Wohnung plötzlich per Chat-Nachricht - und ist kurz danach nicht mehr erreichbar: Geht nicht ans Telefon, beantwortet keine Mails. Die eigene Website des Vermieters ist plötzlich offline. Das Geld scheint weg.

Auf Social-Media finden Betroffene zusammen

In einer Social-Media-Gruppe für ausländische Fachkräfte in Berlin stellt Laura fest, dass sie mit dieser Erfahrung nicht allein ist: Hunderte Betroffene tauschen sich hier aus, in einem eigens dazu gegründeten Chat. Sie alle berichten fast deckungsgleich dieselbe Geschichte wie Laura: von derselben Vermietung, die mit dem immer gleichen Profil der jungen blonden Frau auf der Plattform kommunizierte, teilweise im selben Wortlaut. Im Schnitt, so ist zu lesen, habe jeder von ihnen 2.000 bis 2.500 Euro vorab an die Vermietung überwiesen. Kurz vor Einzug sei die Wohnung aber gecancelt worden - und der Vermieter wie vom Erdboden verschluckt.

Plattform sieht sich selbst als Opfer

Auf Nachfrage bestätigt "Housing Anywhere", dass es mindestens 337 solcher Fälle bundesweit gebe - der Großteil davon in Berlin, passiert zwischen Mitte und Ende Oktober. In allen Fällen handele es sich um denselben Anbieter.

"Housing Anywhere" sieht sich als Betreiber des Dienstes ebenfalls getäuscht: "Der Vorfall [...] hat uns selbst schockiert. Bis zu diesem Tag gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass [Name der Firma] seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Kunden oder Housing Anywhere plötzlich nicht mehr nachkommen würde. [...] die Prüfung zahlreicher erfolgreicher Vermietungen ergab nichts Auffälliges." Generell würde man Anbieter mehrstufig prüfen, heißt es weiter.

"Housing Anywhere" kündigt an, entsprechende Background-Checks zukünftig noch zu verstärken. Den Betroffenen werde man jetzt die Kosten erstatten, die über das System der Plattform gezahlt worden sind - bei den meisten immerhin die erste Monatsmiete und die Servicegebühr.

Da die Kautionen aber direkt an den Vermieter überwiesen worden seien, könne man als Plattform nachträglich nichts mehr tun. "Der Mietvertrag kommt [...] zwischen Vermieter und Mieter zustande. Diesen Prozess können wir unsererseits nicht überwachen. Andere Zahlungen, z. B. Mietkautionen, liegen außerhalb unserer Kontrolle."

Betroffene suchen neue Bleiben, Vermieter schweigt weiter

Die Betroffenen fühlten sich doppelt betrogen, berichten sie. Erst durch die gute Bewertung des Vermieters auf der Plattform hätten sie sich überhaupt auf Vorab-Überweisungen eingelassen, kritisieren sie. Nur die wenigsten von ihnen sprechen gut Deutsch, geschweige denn, dass sie sich im deutschen Mietrecht auskennen.

Laura und die anderen kommen nun übergangsweise auf der Couch von Kolleginnen unter, leihen sich Geld für neue Wohnungen oder müssen ihren Arbeitsbeginn in Berlin verschieben, bis sie etwas Neues gefunden haben.

Die betreffende Vermietung schweigt derweil weiterhin auf jede Anfrage. Selbst die Plattform berichtet, die Firma nicht mehr erreichen zu können. Eingetragen ist das Unternehmen in der Nähe von Hamburg. Betroffene berichten, auf eigene Faust zur Büroadresse gefahren zu sein, dort aber vor verschlossenen Türen gestanden hätten.

Bei der Polizei laufen seit Wochen Anzeigen gegen den untergetauchten Vermieter ein, auch "Housing Anywhere" selbst hat mittlerweile Anzeige erstattet.

Sendung: Radioeins, 18.11.2022, 09:00 Uhr

Beitrag von Sophia Wetzke

49 Kommentare

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  1. 48.

    "Diese bösen Spekulanten aber auch. Ohne Investoren gäbe es noch weniger Wohnraum. Niemand investiert ohne vernünftige Rendite."

    Sie haben doch im Nachbarthread gezeigt welche Sorte Vermieter sie sind.

    "2 meiner Mieter haben gerade ihre Nebenkostenabrechnung erhalten und jammern, dass sie kein Geld zum bezahlen haben. Aber mit ihren Kindern können sie an einer Weihnachtsbude essen. Habe ich gerade selbst gesehen. Also nix mit Raten"

    Solche Spekulanten braucht keine Stadt und sie sind mit ein Grund warum man alle privaten Vermieter umgehend enteignen sollte.

  2. 47.

    Ja, nicht falsch, aber wahr ist es auch nicht. Das Hauptproblem ist doch, wie man im Alter v.a. mit schmalem Portemonnaie zu einem Auto kommen soll. Abgesehen davon, dass es viele Städter auch ablehnen, da man ja in den Großstädten auch ohne Auto mobil sein kann. Höchstens Tobias wird sich dann im Alter auf recht lange Radtouren in die nächste Stadt zum Arzt begeben.
    Lieber Herr Tobias, Ihnen ist auch zuzutrauen, dass Sie den Rentnern noch tough zurufen: Fahrt doch mit dem Taxi!
    Wollten Sie das dann den Älteren spendieren?
    Was mit den Wohnungssuchenden da auf dem Portal getrieben wird, setzt sich dann von einigen Foristen in solchen Foren fort. Denn mit sog. möblierten Wohnungsangeboten kann der Vermieter ganz locker mietrechtliche Schutzvorschriften forsch umgehen und stellen dann die, die das evtl. angenommen haben, vor weitere Probleme in Bezug auf Miethöhen. Eine gefährliche Falle, selbst wenn man*s hätte...

  3. 46.

    An Respektlosigkeit, bzw. Frechheit und Dummheit, nicht zu überbieten,

  4. 45.

    Da haben Sie schon recht. Der Immer-Städter wird auch mit einer bezahlbaren Wohnung auf dem Lande ganz bestimmt nicht klarkommen. Man möchte den Foristen fragen, ob er seinen Großeltern/Eltern die sich auf Tage/Jahre in Buswartehäuschen oder auf Bahnhöfen aufsummierende Zeit ebenfalls zumuten würde. Jedenfalls muss man erleben, dass dem Neubau mit "gehobenen Wohnstandard" in dieser Stadt eindeutig der Vorrang eingeräumt wird!Da der Leerstand vieler hochpreisiger(allein im Hinblick auf die vermutete Wohnungsgröße) Wohnungen nicht mehr zu übersehen ist, wird auch getrickst. So dass, der normale wohnungssuchende(v.a. werktätige)Bürger nicht mehr ohne Weiteres den Leerstand erkennen, geschweige denn nachweisen kann. Das ist eine ganz, ganz traurige Entwicklung hier. Außerdem wird nicht berücksichtigt, dass auch kl.Wohnungen gebraucht werden! Die Quittung f. Nichtstun! Für Ältere oder in Scheidung befindliche Personen. Es ist wie mit "dem süßen Brei". Bisher nur Hülse, Stadt f. alle.

  5. 44.

    Da rackert sich wer ab und darf dann mit Armutsrenre und Minijob auf's Land mit schlechter med. Versorgung... abgesehen von ihren Vorurteilen gegen Senior:Innen... wir wollen auch leben... Kino, Café, Kunst, Demos, shoppen, Stadtbummel, Uni, Bibliothejen, Theater, Schwimmbad, Sauna, dating, .... soll ich noch mehr aufzählen? Ach aber geht ja nicht, muß ja schaffen, weil die Miete etc. steigt... das Problem liegt in uns allen - Egoismus und Schauklappen - bloß nicht das Gehirn benutzen und mal genau hinschauen im Leben...

  6. 43.

    Die Investoren welche bauen bauen am Mittelstand vorbei. Das braucht die Stadt nicht. Eigentumswohnungen und Luxiswohnungen gibt es mittlerweile genug. Raus mit den Investoren aus der Stadt. Sollen die gerne in anderen Ländern ihr Glück probieren.

  7. 42.

    Über ihre angeblichen Märchen hat auch der rbb öfter berichtet, noch zu wenig wie ich finde.

    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/04/arcadia-estates-gmbh-habersaathstrasse-berlin-mitte-obdachlose-gefluechtete-ukraine.html

    https://www.rbb-online.de/doku/s-t/schattenwelten-berlin/schattenwelten-berlin-wie-mieter-in-haeusern-eines-grossinvestors-ausgebeutet-werden.html

    Alleine nur was dieser "Herr" P. hier anrichtet straft ihre Worte Lügen.

  8. 41.

    An alle gutgläubigen und gutmütigen Menschen in diesem Land der Hinweis für alle Lebensbereiche:
    Sehr wahrscheinlich sitzen jeden Tag Menschen zusammen und brüten mit krimineller Energie im digitalen Bereich etwas aus wie man andere Menschen betrügen und an ihr Geld kommen kann. Daher verbieten sich jegliche Arten von Vorkasse über das Internet an Firmen, Institutionen, Stellen die nicht nachweislich langjährig seriös bekannt sind. Und selbst größere bekannte langjährige Firmen wie Fluggesellschaften können in Insolvenz gehen. Gerade in der Zeit immer größerer werdender wirtschaftlicher Schwierigkeiten ist äußerste Vorsicht geboten.

  9. 40.

    Es ist nicht Aufgabe des Staates, für seine Bürger das logische Denken zu übernehmen. Das darf jeder nach seinen Möglichkeiten selbst.

    In diesem Fall sehe ich allerdings eine Möglichkeit, Housing Anywhere in Regress zu nehmen. Man hat einem polizeibekannten Betrüger die Möglichkeit zum Betrügen gegeben und dessen Seriösität auf Rückfragen noch bestätigt. Es wurde nicht mal eine Schufa-Auskunft eingeholt. Ich würde die Sache von einem Rechtsanwalt prüfen lassen.

  10. 39.

    Hallo Tobias, das sinnvollste in Ihrem Fall wäre einfach einfach Ihre Eltern wenn sie in Rente gehen / sind auf einer Weide mit einem Zelt auszusetzen.
    Dann hätten sie eine Wohnung. Bis dahin sollten sie akzeptieren das eine Gesellschaft NICHT nur aus Menschen die berufstätig sind besteht , sonst würden mehr Wohnungen frei sein.

  11. 38.

    @ Tobias, ich weiß nicht, wie alt Sie sind, aber Ihrem Kommentar nach zu urteilen, noch recht jung. Ich hoffe Sie werden mal das Rentenalter erreichen, eine schöne Wohnung haben, genügend Geld um in Ihrem sozialen Umfeld ein schönes Leben zu haben. Und ich hoffe nicht, dass Sie dann von irgendeinem Tobias wegen Ihres Alters aus Ihrer Wohnung hinauskomplimentiert werden.
    Überlegen Sie eigentlich, bevor Sie kommentieren?

  12. 37.

    Diese bösen Spekulanten aber auch. Ohne Investoren gäbe es noch weniger Wohnraum. Niemand investiert ohne vernünftige Rendite.

    Vielleicht sollte man sich daran gewöhnen, dass man mehr pendeln muss. Der Wohnraum wird in Berlin noch knapper und damit teurer werden.

    Niemand kann aufgrund sehr teurer Materialien und hoher Löhne noch preiswerten Wohnraum bauen.

    Daran sind Höhe Grundstückspreise und Materialpreise aber auch Höhe Lohnkosten für Bauarbeiter schuld.

    Ich vermiete selbst 6 Wohnungen

  13. 36.

    Diese kriminelle Masche mit Wohnungen, die es nicht gibt, ist zuvor mit Geflüchteten aufgebaut worden. Ich selbst habe 2018 eine afghanische Familie dabei unterstützt, Anzeige zu erstatten. Da waren die zusammengeliehenen 3.600€ aber bereits weg. Im letzten Jahr dann konnte ich eine Bekannte vor Schlimmerem bewahren, die aufgrund häuslicher Gewalt dringend eine Wohnung für sich und die Kinder benötigte.
    Unverständlich, dass die Plattformen die kriminellen Geschäfte nicht unterbinden.

  14. 34.

    "Tausende Wohnungen reichen aber nicht. "

    Besser als nichts und bringt mehr als alte Leute aus ihren Wohnungen zu werfen.

    "Märchen". Nein, Tatsache.

  15. 31.

    Und die alten Menschen fahren dann Kilometer weit um eine Apotheke zu finden. Was ist das für eine Idee? Ins Grüne:)

  16. 30.

    "Sie können wohl schlecht verleugnen das der Wohnungsmarkt sehr angeschlagen ist und natürlich wird die Situation mit jedem Zugereisten nicht entspannter und genau diese Not wird von kriminellen ausgenutzt."

    Falscher Ansatz. Kriminelle stoppen, Leerstand und Zweckentfremdung verbieten.

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