Paritätischer Gesamtverband - Berlin weist bundesweit zweithöchste Armutsquote auf

Fr 10.03.23 | 12:26 Uhr
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Symbolbild:Ein Kind hält bei der Kundgebung der Initiative #ichbinarmutsbetroffen am Bundeskanzleramt ein Plakat mit der Aufschrift "Wir brauchen gesundes Essen! Armut abschaffen!".(Quelle:dpa/P.Zinken)
Bild: dpa/P.Zinken

Die Armut in Deutschland ist höher als vom Paritätischen Gesamtverband zunächst angenommen, er korrigierte die von ihm erfassten Zahlen seines Armutsberichts nach oben. Berlin ist weit vorne, Brandenburg hinten.

In Deutschland sind nach Angaben des Paritätischen Gesamtverbands noch mehr Menschen von Armut betroffen als zuvor angenommen. Die Quote habe im Jahr 2021 bei 16,9 Prozent gelegen, teilte der Verband am Freitag mit. Er korrigierte seine Daten damit nach oben [der-paritaetische.de]. Auch die zuvor berechnete Armutsquote von 16,6 Prozent war bereits ein Rekord. Statt 13,8 Millionen waren 2021 demnach 14,1 Millionen Menschen armutsbetroffen.

Berlin hat dabei im Bundesländervergleich eine der höchsten Armutsquoten - Brandenburg eine der niedrigsten. Die niedrigsten Armutsquoten gibt es dem Verband zufolge in Bayern (12,8 Prozent), Baden-Württemberg (14,1 Prozent) und Brandenburg (14,8 Prozent). Am anderen Ende des Spektrums finden sich Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen (jeweils 19,2 Prozent), Berlin (20,1 Prozent) und Bremen (28,2 Prozent).

Kinder überdurchschnittlich von Armut betroffen

"In unseren schlechtesten Träumen hätten wir nicht daran gedacht, dass es nun noch einmal nach oben geht", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, zu den neuen Berechnungen. Das Ergebnis sei "ein bitteres Armutszeugnis für die Politik der großen Koalition. Sie hat die Armut einfach billigend in Kauf genommen."

Deutlich überdurchschnittlich von Armut betroffen seien Kinder und Jugendliche, erklärte der Verband weiter. "Mit 21,3 Prozent steigt ihre Armutsquote auf einen noch nie gemessenen traurigen Rekordwert." Zugleich sei die Altersarmutsquote von 2020 auf 2021 "geradezu sprunghaft" angestiegen von 16,3 auf 17,6 Prozent - ebenfalls ein Rekord.

Armut ist in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und auch in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich weit verbreitet. Dem Bericht des Paritätischen zufolge sind 17,8 Prozent der Frauen in Deutschland arm, bei den Männern sind es lediglich 16 Prozent. "Besonders gravierend ist die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern bei älteren Personen ab 65 Jahren."

Deutliche Zunahme der Armut unter Erwerbstätigen

"Auffällig ist die deutliche Zunahme der Armut unter Erwerbstätigen, die als eine direkte Folge der Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt angesehen werden kann", führte der Paritätische aus. Diese Quote habe 2021 bei 8,9 Prozent gelegen.

Schneider erklärte, es sei nun "keine Zeit zu verlieren, um die wachsende Not zu lindern. Die Armut wird nicht nur immer größer, sondern mit den explodierenden Preisen auch immer tiefer." Schneider forderte insbesondere eine "spürbare Anhebung" der Regelsätze beim Bürgergeld und der Altersgrundsicherung, "eine existenzsichernde Anhebung des Bafög und die zügige Einführung der Kindergrundsicherung".

Kritik an Definition von Armut

Um die Verbreitung von Armut zu messen, nutzt der Paritätische die sogenannte relative Einkommensarmut als Indikator. Dieser in einer EU-Konvention festgelegten Größe zufolge ist ein Mensch arm, wenn sein Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland ausmacht. Mitgezählt werden dabei alle Nettoeinkünfte, also etwa Lohn, Rente, Wohngeld, Kindergeld oder Hartz IV. Um Haushalte unterschiedlicher Größe vergleichbar zu machen, wird ein Pro-Kopf-Wert ermittelt. Grundlage aller Berechnungen sind Daten des Statistischen Bundesamts.

Im Jahr 2021 lag dieser Schwellenwert nach Angaben des Statistischen Bundesamtes für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 15.009 Euro netto im Jahr (1.251 Euro im Monat), für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 31.520 Euro netto im Jahr (2.627 Euro im Monat).

Experten verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute kritisierten in der Vergangenheit mehrmals den vom Paritätischen herangezogenen Indikator für Armut. Man müsse auch Vermögen berücksichtigen, sagte etwa Markus Grabka vom Wirtschaftsforschungsinstitut DIW der "Süddeutschen Zeitung" im Sommer vergangenen Jahres. Zudem wurde die Methodik der Erhebung des Armutsberichts kritisiert. Der Paritätische wies die Kritik zurück und sprach von validen Daten, die in Abstimmung mit dem Statistischen Bundesamt ausgewertet worden seien.

Sendung: rbb24 Inforadio, 10.03.2023,12:00 Uhr

97 Kommentare

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  1. 97.

    Ich frage mich bei dem Thema immer wieviel davon sozusagen hausgemacht ist. Wenn Beispielsweise Berlin überproportional Geflüchtete aufnimmt,gibt's in der Stadt auch mehr Menschen die von Transferleistungen leben,auch Kinder. Ich habe 46 Jahre gearbeitet und hatte schon etliche Diskussionen mit anderen Berenteten. Eine Vielzahl die über eine zu geringe Rente klagen,haben aber nicht bis zum regulären Rentenalter durchgezogen und haben Abzüge in Kauf genommen um früher gehen zu können. Das wollte ich nicht und jeder entscheidet das für sich selbst. Dann darf ich mich hinterher aber nicht wundern oder beschweren. Und Kinderarmut ist für mich ein Unwort, denn die Eltern sind für ihre Kinder zuständig,die als einziges Einkommen ihr Kindergeld oder eine Rente haben.Halbwaisen,Waisen.

  2. 96.

    Nein, Sie wollen diese armen Menschen doch wohl nicht aufs Land ohne Infrastruktur verbannen. Weg zur Tanke 3km, Weg zur Gaststätte 8 km, Weg zum Diskounter 2 km, Weg zum Bahnhof 4km, kaum Busse, kein Facharzt, kein Fleischer. Kultur Fehlanzeige. Kino 30km usw. Drei Dinge braucht man hier: Haus, Garten und Auto. Es würde kein armer "Berliner" kommen.

  3. 95.

    Dann fährt Ihr Lieferdienstler mit seinem Rad am besten schon mal nachts um 3 los, um Ihnen das Frühstück im Büro zu servieren. Danach husch, husch, ab in den Loserbezirk!

  4. 94.

    Hallo Martina, genau das ist Hartz 4! Um die Stadt zu verlassen, brauchen Sie eine Erlaubnis, sonst Rückzahlung der Leistungen/Verschuldung! Um wegzuziehen, brauchen Sie ein OK, sonst ggf. keine Leistungen mehr. Arbeitsstelle ("Arbeitnehmer-Überlassung", "Leih-Arbeiter") – Sie werden herumgeschoben wie ein Möbelstück.

    Menschenrechte? Würde? Freiheit? Selbstbestimmung? Was war das doch gleich?
    Willkommen in der Realität!

  5. 93.

    Also, die Rentnerin, die nach einem Leben in Berlin nun Grundrente oder Grundsicherung bekommt, hat sich das sicher nicht immer "freiwillig" ausgesucht.

    Gerade erst wieder Artikel zum Anspruch auf Kitaplatz, aber nicht genug Plätze, und die gehen großteils an Familien mit Kapital (auch: Bildungskapital und Vitamin B).

    Wir persönlich sind gar nicht "freiwillig" nach Berlin gezogen, sodern weil Akademiker aus den Geistes- u. Kulturwissenschaften in der Provinz einfach so gut wie keine Arbeitsstellen finden. Und auch, weil es für unsere Berufe so gut wie keine Anstellungen mehr gibt, alle sind nun ach so freie "Frei"-Berufler/Soloselbständige, und die treffen sich nun mal in Berlin, der Hauptstadt der "Solos". Die nur nach Bedarf gebucht und ohne Lobby unterbezahlt werden.

    Das Aufstock-Geld gibt dann die Sozialgemeinschaft dazu, damit den Wohnungseigentümern die steigenden Mieten garantiert (Mietspiegel) und den Unternehmern die Billig-Zuarbeiter gesichert werden.

  6. 91.

    Da ist jemand noch nicht in der EU, und namentlich nicht in der Bundesrepublik angekommen.

  7. 90.

    Ja, das muss geändert werden. Wir brauchen hier einen Deutschlandausgleich. Es sollte wie früher in der DDR sein Zuzug nur mit Arbeitsplatz und Wohnungsnachweis. Man kann ja auch die Wohnung vorher kaufen und dann als Eigenbedarf zum Umzug nach Berlin die Wohnung übernehmen.

  8. 89.

    Die Umzugsunterstützung könnte den Länderfinanzausgleich ersetzen. Dann wäre allen geholfen, mehr Durchmischung durch die Reduktion sozial schwächeren Haushalte klingt vernünftig.

  9. 88.

    Ja, die Idee löst wirklich einige Probleme in Berlin. Nun müsste sich die Politik nur noch mutig trauen.

  10. 87.

    Wenn Leute insgesamt weniger ausgeben wollen, sparen sie zuerst bei relativ teuren Produkten. Und das sind noch immer die "ehrlicheren" Bio-Lebensmittel, klar. Das ändert aber nichts am einfach nachprüfbaren Fakt, dass die Preise von Bio-Grundnahrungsmitteln (z.B. Milch, Brot) aktuell weniger stark gestiegen sind als die der konventionellen. Wie gesagt: Alles im Leben kostet Geld. -- Und das gilt auch für Energie. Viel zu lange ging man davon aus, dass einfach alles weitergehen kann wie gehabt: Zu wenig gedämmte Gebäude, in denen man das ganze Jahr quasi für umme im T-Shirt rumrennt. Mit Energie aus fossilen Quellen oder hochriskanter Kernkraft, deren Endlichkeit und Gefahren seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt sind. - Natürlich ist es unbequem, jetzt das Ruder rumzureissen. Aber es gibt einfach keine langfristige Alternative. Also worauf noch warten?? Wollen Sie die Verantwortung wieder eine Generation weiter verschieben, bis es für die dann _wirklich_ prekär wird?

  11. 86.

    Sie beschreiben richtig eine Entmischung arm/reich. Dieser natürliche Prozess findet nicht nur im Kiez statt, sondern auch im Großen. Wenn man die Rahmenbedingungen für „pro arm“ setzt, dann gesellen sich immer mehr dazu. Umgedreht findet das natürlich auch statt. Es ist nichts Neues, dass die Politik darauf begleitend reagieren muss, um diese normalen Prozesse durch Anreize zu steuern. Diese schwierige Arbeit ist aufwendiger als Um-und Zuteilen durch Wegnehmen. Die Wähler (wunderbar unverdächtig geschlechtsneutral) können die Kräfte wählen, wo sie meinen das diese Arbeit gemacht wird. Oder auch nicht. Der Artikel hier beschreibt einen Ist-Zustand als Ergebnis der letzten Jahre. Mal sehen wie es weitergeht... Die umliegenden Städte mit Flair rollen den roten Teppich aus...

  12. 85.

    Eine Idee: Wie wäre es, wenn man sich für das Wohnrecht in Großstädten qualifizieren müsste? Wer also zu wenig verdient, verliert sein Aufenthals- und Wohnrecht"
    Tja, warum sperrt man denn diese Loser nicht gleich in Lager und lässt sie nur, natürlich unter Bewachung, zum arbeiten raus?

  13. 84.

    "Berlin, also besser gesagt Westberlin, ging es bis in die 90iger bestens." Stichwort: Schaufenster des Westens. War mit der Zonenrandförderung ähnlich. Das hat sich der Steuerzahler aber auch jede Menge kosten lassen.

  14. 83.

    Ich finde die Idee gut, dass das Lnd Berlin nur noch das Geld ausgeben darf, das es auch einnimmt, keine Schulden machen. Wenn man dann auch noch die Höhe der Umverteilungs/Transferleistungen in die Verantwortung der Bundesländer gäbe. Man könnte hier einen festen Prozentsatz der Einnahmen vom Bund her festlegen, der in Sozialleistungen gehen darf, dann hätte man hier auch indirekte Inattraktivität erzeugt, indem es in Berlin z.B. weniger Wohngeld oder Bürgergeld gibt als z.B. in Bayern. Das würde dazu führen, dass Menschen dorthin ziehen, wo es der Wirtschaft besser geht und Arbeits-/Fachkräfte dringend benötigt werden. Eine gute Möglichkeit für einen besseren Wettbewerb der Bundesländer und gegen Verslummung wie aktuell in Berlin.

  15. 82.

    Ja, ich finde die Idee gut. In Berlin zu wohnen sollte etwas Besonderes sein. Gewisse Qualifikationshürden würden da durchaus sinnvoll sein. Anreise und Motivat
    Ion, Schluss mit der ewigen Umverteilung. Berlin sollte zu eine solider, nachhaltigen Finanzplanung mit Prioritäten verpflichtet werden, also nur das Geld verplanen dürfen und ausgeben, was auch eingenommen wird. Die fetten Jahre sind vorbei.

  16. 81.

    Warum tun Sie so, dass Sie jetzt nicht zu Ihrer Meinung stehen? Wie wäre es mal Haltung zu zeigen, ist doch nicht schlimm.

  17. 80.

    Eine Idee: Wie wäre es, wenn man sich für das Wohnrecht in Großstädten qualifizieren müsste? Wer also zu wenig verdient, verliert sein Aufenthals- und Wohnrecht in Deutschlands Großstädten. Dann würden sich die Menschen mehr anstrengen, um bleiben zu dürfen oder in dünner besiedelte in der Regel kostengünstigere Regionen umgesiedelt werden. Dann wäre auch die Nachfrage nach Wohnraum z.B. in Berlin geringer.

  18. 79.

    Vielleicht könnte man hier eine einmalige Umzugsunterstützung gewähren, damit arme Familien in andere Regionen Deutschlands umziehen. Für mehr Dur
    Chmoschung in Deutschland. Dadurch würden dann auch dringend benötigte Wohnungen frei, das Steueraufkommen in Berlin würde steigen, die Sozialausgaben sinken. Also für Berlin wäre es eine denkbare Lösung

  19. 78.

    Da werden sie aber bei SPD weiterhin auf Granit beißen. Die leben in einer Scheinwelt und glauben an ihre linke Ideologie. Faulenzer gibt es nicht, nur Arbeitssuchende, die alle gerne würden, aber mangels Schulabschluss leider keine Anstellung als Pilot oder Oberarzt finden.

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