Tanz im August endet - Eine tänzerische Reise um die Welt

Sa 27.08.22 | 16:27 Uhr | Von Frank Schmid
Trajal Harrell / Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble | The Köln Concert (Quelle: Tanz im August)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.08.22 | Frank Schmid | Bild: Tanz im August

Drei Wochen lang wurden in Berlin 27 Tanzproduktionen aus 25 Ländern präsentiert. Am Samstag geht das internationale Tanzfestival Tanz im August zuende. Diese letzte Ausgabe mit Kuratorin Virve Sutinen ist für Frank Schmid eine der besten.

Was wird in Erinnerung bleiben von dieser 34. Ausgabe von Tanz im August? Das tolldreiste Stück von Mette Ingvartsen ("The Dancing Public") zum Tanzwut-Phänomen im späten Mittelalter mit Technomusik und tanzendem Publikum? Oder die bunte varietéhafte Unterhaltungsshow von Robyn Orlin ("We wear our wheels ..."), bei der erst am Ende klar wird, dass es um die traurigen Schicksale von Rikscha-Fahrern in Johannesburg geht, von denen keiner älter als 35 Jahre wird? Oder bleiben doch eher die jungen Frauen in weißen Jungfrauenkleidern in Erinnerung, die am Ende des Stückes von La Veronal ("Sonoma") gar nicht jungfrauenhaft, sondern gefährlich tobend und wütend auf riesige Trommeln einschlagen?

In drei Wochen um die Welt gereist

Festivalkuratorin Virve Sutinen hat das Publikum in den letzten drei Wochen um die Welt geschickt, mit Tanzstücken aus Australien, Afrika, Asien, Südamerika und Nord-Skandinavien. Sie hat uns konfrontiert mit einer Vielzahl politischer Themen außerhalb unseres eurozentrischen Blickes und mit einer Vielfalt an Tanzformen und Bewegungssprachen.

Nicht immer waren die künstlerischen Formen überzeugend, wie etwa bei der australischen Company Marrugeku ("Straight Talk"). Deren Auseinandersetzung mit dem Erbe des Kolonialismus, mit Rassismus gegenüber den Nachfahren der Ureinwohner und mit der rabiaten Flüchtlingspolitik Australiens ist richtig und wichtig, ihr Stück jedoch zu nah an politischem Aktivismus.

Wie auch bei Martha Hincapié Charry ("Amazonia 2040"). Sie machte zu Recht und in schmerzhafter Weise auf die Zerstörung der Natur und die Vernichtung der indigenen Völker im Amazonas-Gebiet aufmerksam. Ihr Stück war jedoch kaum mehr als eine Lecture-Performance.

Virve Sutinen - Neun Jahre lang Tanzfest-Kuratorin

Dennoch war es richtig, auch diese Stücke einzuladen. Es ist dieser vom Tanz faszinierte Blick in die Welt, mit dem Virve Sutinen in ihren neun Jahren als Kuratorin dem Festival wieder zu Internationalität und Bedeutung verholfen hat.

Neben ihrem Gespür dafür, was ein größeres Tanzpublikum über die Tanzszene hinaus interessieren könnte. Neben ihrer Suche nach dem Widerständigen und Irritierenden in den Nischen der Tanzwelt.

Gesänge der Samen, thailändischer Tanz

Es war ein Geschenk, im Stück der Choreographin Elle Sofe Sara ("The answer is land") den traditionellen Gesängen der indigenen Samen aus Nordskandinavien zuhören zu dürfen. Und es war ein beglückendes Eintauchen in eine fremde Tanz-Tradition mit dem thailändischen Tänzer und Choreographen Pichet Klunchun ("No. 60"), der den alten traditionellen thailändischen Khon-Tanz durchdekliniert und neu bestimmt hat.

Randständig und doch am Puls unserer Zeit ist Jefta van Dinther ("Unearth") in die Tiefen der Depression hinabgestiegen und hat in Meditation und Mantra-Gesängen nach Heilung gesucht. Und in scharf schneidender Präzision hat der Berliner Choreograph Sebastian Matthias ("Urban Creatures") die Hemmungen und Stockungen unserer sozialen Kommunikation in einer völlig auf das Digitale ausgerichteten Welt bloßgelegt.

Unterhaltung, Rauschhaftes, Party und Neues

Themen und Zugänge zum Tanz, die unsere Gegenwart und unsere Existenz in den Blick nehmen, konsequente und klare Analysen unseres Lebens in all den Krisen, die wir derzeit erleben – das scheint ein Leitgedanke von Virve Sutinen für ihr letztes Festival gewesen zu sein.

Ein Festival, in dem sie auch Rauschhaftes präsentiert hat, Unterhaltung und Party und neue Entwicklungen. Wie zum Beispiel "Siguifin", das Stück des französisch-senegalesischen Choreographen Amala Dianor, der gemeinsam mit drei anderen afrikanischen Choreographen traditionelle und rituelle afrikanische Tänze neu gedeutet hat, ein Empowerment, eine Unabhängigkeitserklärung vom europäisch-amerikanisch geprägten zeitgenössischen Tanz.

Die Höhepunkte des Festivals

Die Choreographien von Bruno Beltrao, Trajal Harrell und Oona Doherty werden ganz sicher in Erinnerung bleiben. Die düstere Analyse der brasilianischen Gegenwart von Bruno Beltrao in "New Creation". Trajal Harrells stolze, würdevolle Drag-Queen-Show mit exzessiver Divenhaftigkeit zum legendären Köln-Konzert des Jazz-Pianisten Keith Jarrett 1975.

"Navy Blue", das Stück der irischen Choreographin Oona Doherty – neben La Veronal ein Höhepunkt des Festivals – mit ihrem faszinierenden Tanzstil, der aus Zwängen, Verhärtungen und Beklemmungen entsteht und in den Bewegungs-Eruptionen der Tänzerinnen und Tänzer noch hilfloser und verzweifelter wirkt.

Abschied von Virve Sutinen

Diese letzte Festivalausgabe von Virve Sutinen war hervorragend, gehört zu den besten seit vielen Jahren. Der Abschied von ihr fällt schwer, zumal die Zukunft des Tanzfestivals mit Sorge betrachtet werden kann. Ihr Nachfolger Ricardo Carmona, seit 2012 Tanzkurator am Hebbel am Ufer, hat dort gute Arbeit geleistet, muss aber erst noch zeigen, ob er dieser neuen großen Aufgabe gewachsen ist.

Zumal seine Ernennung nicht wie bei Virve Sutinen durch eine internationale Findungskommission erfolgt ist, sondern durch eine Absprache von HAU-Chefin Annemie Vanackere mit der Berliner Senatskulturverwaltung. Eine Absprache, die in der Tanzszene mit viel Skepsis aufgenommen wurde. Ob diese Skepsis berechtigt ist, wird die Zukunft zeigen, Jetzt heißt es, von Virve Sutinen Abschied zu nehmen mit einem herzlichen "Kiitos", Dankeschön.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.08.2022, 17:55 Uhr

Beitrag von Frank Schmid

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