Theaterkritik | "Bühnenbeschimpfung" im Gorki - Gib, Christian! Gibgibgibgib!

So 18.12.22 | 10:36 Uhr | Von Fabian Wallmeier
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Ensemble während der Fotoprobe für das Stück "Bühnenbeschimpfung Liebe ich es nicht mehr oder Liebe ich es zu sehr" im Maxim Gorki Theater Berlin. (Quelle: imago images/Martin Müller)
Audio: rbb24 Inforadio | 19.12.2022 | Barbara Behrendt | Bild: imago images/Martin Müller

Mit der Uraufführung von Sivan Ben Yishais "Bühnenbeschimpfung" gelingt Sebastian Nübling eine seiner besten Arbeiten am Berliner Maxim-Gorki-Theater. Ein furioser, kluger, manchmal unangenehmer und enorm witziger Theaterabend über das Theater. Von Fabian Wallmeier

Am Anfang steht der Schlussapplaus. Tosender Jubel dröhnt an diesem Samstagabend aus den Boxen des Maxim-Gorki-Theaters, übertönt nur von Eric Carmens "All By Myself". Die Schauspieler:innen, gekleidet in alberne pinke Tüllkostüme, treten in den unterschiedlichsten Variationen auf und wieder ab, gehen vor an die Rampe, verbeugen sich mal überschwänglich, mal verschämt. Der Souffleur wirft einen Blumenstrauß, die Schauspielerin klatscht ihn, achtlos die Arme ausbreitend, ihrem Kollegen ins Gesicht. All die seltsamen Rituale, Posten, Peinlich- und Merkwürdigkeiten am Ende eines Theaterabends werden vorgeführt und ausgekostet.

Der Ton des furiosen Abends ist damit gesetzt: schnell, laut, schrill, witzig und abgründig. Und auch ein Kernthema des Textes, der hier uraufgeführt wird, ist gesetzt, bevor überhaupt das erste Wort gesprochen ist: Es geht in Sivan Ben Yishais "Bühnenbeschimpfung" nicht zuletzt um die Rolle der Schauspieler:innen im Theatergefüge und darüber hinaus.

Was ist eigentlich politisches Theater?

In drei Teile zerfällt der Abend, deren Titel jeweils auf den eisernen Vorhang projiziert werden. Im ersten geht es um den "Körper als Institution". Das Kern-Ensemble aus Aysima Ergün, Lindy Larsson, Vidina Popov und Mehmet Yilmaz spricht über das Sprechen von Theatertexten, die ihnen als Schauspieler:innen aufgetragen wurden. Ihre Körper sprechen die Worte, auch wenn sie vielleicht gar nicht mit den Inhalten einverstanden sind.

Es geht aber auch um die Frage nach dem politischen Wesen des Theaters - gerade am Gorki, unter den großen Berliner Bühnen eindeutig die offen politischste, eine zentrale Frage. Richtig beantwortet wird sie dabei nicht. Eher wird der Anspruch, wichtiges, gesellschaftlich und politisch relevantes Theater für das geneigte Publikum zu konfektionieren, lustvoll persifliert.

Das Stück ist auf dem Papier noch um einiges dichter, an manchen Stellen tiefergehend als die Inszenierung - dafür aber auch nicht durchgängig so außergewöhnlich komisch. Regisseur Sebastian Nübling lässt das Ensemble zwar größere Strecken des Textes so originalgetreu sprechen, wie sich das für eine Uraufführung eigentlich geziemt, aber er und die Spieler:innen weiten ihn auch kräftig aus. Es wird hinzugefügt, extrem gekürzt, improvisiert und dabei direkt mit dem Publikum interagiert.

Ensemble während der Fotoprobe für das Stück "Bühnenbeschimpfung Liebe ich es nicht mehr oder Liebe ich es zu sehr" im Maxim Gorki Theater Berlin. (Quelle: imago images/Martin Müller)
Bild: imago images/Martin Müller

Viermal täglich ins Legoland in Günzburg

Ein besonders furioses Beispiel für das Hinzufügen von Text ist der Monolog, den sich Mehmet Yilmaz auf einem Sitz im Zuschauerraum aus der Seele brüllt. Da geht es, sehr schnell und wahnsinnig witzig, um die Zumutungen des Lebens als freischaffender Schauspieler. "Du wartest, dass das Telefon klingelt", ruft er immer wieder, redet von vier Auftritten täglich im Legoland in Günzburg, von Engagements als "der nette Türke von nebenan". Und auch all die Routinen, Zumutungen, Unsicherheiten, die eine Festanstellung an einem Theater mit sich bringt, schreit er höchst amüsant in den Saal.

Überhaupt: dieses Ensemble! Jede:r der vier Kernspieler:innen (der Souffleur und vier später dazu kommende Darsteller:innen komplettieren es) hat ein raumgreifendes Solo: Vidina Popov hat einen düstere Töne anschlagenden Monolog über die dysfunktionalen und schwer greifbaren Mechanismen des Theaterbetriebs.

Ohne den Soufleur ist die Diva nichts

Lindy Larsson gibt eine Schauspiel-Diva und macht mit aufgesetzter Freundlichkeit und abgrundtiefer Verachtung für alle anderen Theatergewerke den Souffleur und den Tontechniker nieder. Und Aysima Ergün herrscht mit einem hektischen "Gib, Christian! Gibgibgibgib!" immer wieder den Souffleur an, ihr Text zu geben, bis dieser nur noch sagen kann, es gebe keinen mehr, da stehe nur noch, dass Aysima nun abgehe. Ab geht dann aber nur er selbst, während Ergün immer verzweifelter Unsinn krakeelend allein zurück bleibt.

Ergüns Solo mündet in einem heiklen Thema, das so herrlich unangenehm abgeräumt wird, das es eine Freude ist. Es geht um die "Anschuldigungen, die im letzten Frühjahr gegen die Intendantin des Theaters öffentlich wurden" (übrigens kein hinzugefügter Passus, sondern ein Stück Originaltext). Da sei sie ja noch gar nicht da gewesen, dazu dürfe sie sich quasi gar keine Meinung bilden, windet Ergün sich heraus.

Ensemble während der Fotoprobe für das Stück "Bühnenbeschimpfung Liebe ich es nicht mehr oder Liebe ich es zu sehr" im Maxim Gorki Theater Berlin. (Quelle: imago images/Martin Müller)
Bild: imago images/Martin Müller

Wie viel verdienen Sie eigentlich?

Im zweiten Teil ("Der Theaterabend als Institution") rückt der Abend dem Publikum auf den Leib. Unterbrochen von den Durchsagen des Souffleurs aus der ersten Reihe ("Wir bitten Sie, nun Ihre Mobiltelefone auszuschalten"), geht das Ensemble in den Bühnenraum und lässt einzelne den Text sprechen. Ums Aus-dem-Theater-eigentlich-schon-gleich-nach-dem-Hinsetzen-wieder-raus-Wollen geht es da. Um Erwartungshaltungen, Konventionen der Zuschauer:innen, die sich den Mechanismen und Tricks der Theatermaschinerie hingeben.

Immer wieder steigen die Spieler:innen dabei durch die Reihen, halten Mikros und Kameras hin, deren Bilder auf den eisernen Vorhang projiziert werden. Erst mit der Zeit wird klar, welche Tricks auch hier gespielt werden - wer tatsächlich zufällig belangt wird und wer Teil des Spiels ist.

Dieser Teil mündet in einer erst harmlosen, dann immer unangenehmeren Befragung der Zuschauer:innen, die per Aufstehen und Hinsetzen Auskunft über sich geben sollen. Wer hier fühlt sich gerade einsam? Wer ist gerade in Therapie? Wer bräuchte eigentlich eine? Wer verdient mehr als 1.000 Euro im Monat? Mehr als 2.000? 3.000? 4.000? 5.000? 6.000? Der letzte, oben im Rang, setzt sich bei 14.000 Euro. Womit er das viele Geld verdient, bleibt offen.

Rasant, klug, im besten Sinne selbstreferenziell, dazu wahnsinnig witzig

Im kurzen dritten Teil hängt der Abend erst ein bisschen durch. Wie da vom Band vom Zersetzen des Theatergebäudes durch die Natur und dem Übergang zu etwas Neuem die Rede ist, während die Spieler:innen auf der Bühne aus bunten Klötzen ein neues Theater bauen und wieder abbauen, kommen fast Schultheater-Vibes auf.

Doch als der Abend einen dann am Ende mit seinem letzten Kniff (der hier nicht verraten werden soll) doch noch herrlich irritiert zurücklässt, ist das schnell vergessen. "Bühnenbeschimpfung" ist einer der stärksten Abende, die Hausregisseur Nübling je am Gorki gemacht hat. Höchstens die besten seiner Sibylle-Berg-Uraufführungen können da mithalten. Rasant, klug, im besten Sinne selbstreferenziell, fordernd und dazu wahnsinnig witzig: Was will man mehr?

Sendung: rbb24 Inforadio, 19.12.2022, 06:30 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

1 Kommentar

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  1. 1.

    @rbb24 wie lange steht im 1.Satz von
    Wieviel verdienen Sie eigentlich?
    rückt der Abend dem Publikum auf den L a i b?
    Sassen da Brote?

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