Jubiläumsgala im Chamäleon - Inklusiver Circus Sonnenstich wird 25 Jahre

Di 24.01.23 | 11:22 Uhr | Von Frauke Thiele
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Circus Sonnenstich (Quelle: Jörg Metzner)
Bild: Jörg Metzner

Der Circus Sonnenstich macht zeitgenössischen Zirkus mit Menschen, die mit Trisomie 21 geboren wurden. Seit 25 Jahren bildet er sie aus, entwickelt Stücke und bringt sie auf die Bühne. Nun gibt es zwei Jubiläumsvorstellungen am Chamäleon-Theater. Von Frauke Thiele

Wenige Tage vor der ersten Vorstellung im Berliner Chamäleon-Theater treffen sich die Artist:innen vom Circus Sonnenstich zu den finalen Proben in der Schulaula der Evangelischen Schule Berlin-Mitte. Zwei Tage lang trainieren sie noch einmal alle Auftritte und gehen die Abläufe akribisch durch: Wer steht wo? In welcher Nummer tragen sie welche Kostüme? Wann müssen sie die goldenen Schläppchen ausziehen? Was machen sie, wenn etwas schiefläuft?

Leichtigkeit spüren, Ruhe finden

Zwei Artisten und eine Artistin proben gerade eine Nummer mit langen Holzstangen. Sie gehen mit den Stäben aufeinander zu, als wollten sie miteinander kämpfen. Dann stupsen sie sich freundschaftlich, schließlich heben sie die Stangen über ihre Köpfe, bis sich die Spitzen berühren und sie im Kreis umeinander laufen.

Mit dabei ist auch Sol. Sie ist 25 Jahre alt, trainiert schon seit 11 Jahren beim Circus Sonnenstich und mach dort aktuell auch ihre Ausbildung zur Assistenztrainerin. Sie arbeite beim Zentrum für bewegte Kunst, erzählt sie ziemlich stolz, und es mache ihr Spaß anderen etwas Gutes zu tun. Aufgeregt sei sie nicht, so kurz vor den Aufführungen: "Aber ich freu mich sehr extrem und an dem Abend kommt dann die Nervosität und wenn ich auf der Bühne bin, dann fühle ich mich frei", so erzählt sie. Ein paar Tipps gegen das Lampenfieber hat sie auch für die anderen Künstler:innen im Team: "Ruhig ein- und ausatmen, Leichtigkeit spüren, Ruhe finden und dann funktioniert’s sehr gut."

Hochschnellende Diabolos und stolzes Lächeln

Jetzt wirbelt Sol mit zwei anderen Artisten Diabolos durch die Luft. Sie bewegen das Seil zwischen zwei Stäben immer schneller hin und her. Dann lassen sie die Diabolo-Spule in die Luft schnellen. Anschließend winden sie das Seil zu verzwickten Figuren, ohne sich zu verheddern und ohne, dass das Diabolo aufhört sich auf dem Seil zu drehen. Die Gesichter sind hoch konzentriert; immer wieder schauen sie stolz lächelnd zu den Zusehenden. Wenn eine Figur nicht funktioniert oder das Diabolo herunterfällt, gibt es aber auch einen verärgerten Blick. Die Reaktionen sind ganz unmittelbar und fast ungefiltert, aber nur fast. Denn schließlich sind sie alle Bühnenprofis.

Tandem Mika Anna-Sophie, Circus Sonnenstich. (Quelle: Tom Müller-Heuser )
Bild: Tom Müller-Heuser

Physiotherapeut und Artist leitet die Proben

Die Proben leitet Felix Häckel. Er ist selbst ausgebildeter Physiotherapeut und Artist. Er überblickt alle Abläufe und bleibt dabei ganz ruhig, macht sich Notizen und schaut, dass jeder im richtigen Moment am richtigen Platz ist. Für ihn gibt es nicht die Profis und die Menschen mit Down-Syndrom, die lernen. Sie seien alle Artisten, die voneinander lernen. Er hat als Trainer angefangen beim Circus Sonnenstich und leitet inzwischen das Projekt - zusammen mit dem Gründungsvater Michael Pigl. Der scheint überall im Raum präsent zu sein - er redet mal hier ein paar beruhigende Wort, schiebt dort eine Matte zurecht oder rollt einen Ball an den richtigen Platz. Er nimmt auch einfach mal jemanden lange in den Arm, wenn etwas nicht klappen will oder die Anspannung zu groß ist.

Circus Sonnenstich startete vor 25 Jahren

Vor 25 Jahren hat Michael Pigl mit dem Circus Sonnenstich angefangen und er ist immer noch überzeugt, dass die Bewegungsarbeit genau das Richtige für Menschen mit Trisomie 21 ist. Seine Künstler:innen könnten sich mit der Situation und den Menschen zutiefst verbinden - über eine körperliche Verbundenheit, die direkt zu einer seelischen Verbundenheit führe, sagt Prigl. Das sei eine unglaubliche Kompetenz, von der Menschen ohne Beeinträchtigung sehr profitieren könnten. Davon ist der Schauspieler und Sozialpädagoge nach seiner 25-jährigen Erfahrung mit dem Circus Sonnenstich zutiefst überzeugt.

Circus Sonnenstich (Quelle: Tom Müller-Heuser)
Bild: Tom Müller-Heuser

Ausbilden auf ganz ungewohnte Weise

Michael Pigl findet es darum auch so wichtig, dass seine Künstler:innen mit Down-Syndrom auch selber ausbilden und ihre Fähigkeiten an andere Menschen weitergeben: "Unser Diabolo-Spieler Oskar Schenk hat in Lübeck einer blinden Jugendlichen das Diabolospielen beigebracht. Das war seine eigene Idee: Partnerübungen, weil eine blinde Frau das Diabolo ja nicht sehen kann. Über den Körperkontakt sind sie aber eine Verbindung eingegangen. Das war zutiefst berührend."

Wenn die Artist:innen mit Trisomie 21 selber ausbilden, wenn sie in ganz Deutschland und im Ausland Workshops geben, dann ist der Circus Sonnenstich nicht nur eine Familie für sie, er ist auch ein Arbeitgeber. Das stärkt das Selbstbewusstsein: Sie sind stolz auf der Bühne zu stehen, sie haben eine Arbeit und eine künstlerischen Familie und Heimat – das alles ist der Circus Sonnenstich für sie.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.01.2023, 9:00 Uhr

Beitrag von Frauke Thiele

2 Kommentare

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  1. 2.

    Schön!

  2. 1.

    Danke für diesen tollen Artikel! Ich freue mich, dass wir Karten für die morgige Aufführung haben :-)

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