Ausstellung | "Collapsed Time" von Christina Quarles - Körper als Dreh-und Angelpunkt

Do 23.03.23 | 11:53 Uhr | Von Silke Hennig
Das Werk "Now We're There (And We' Only Just Begun)" der US-amerikanischen Künstlerin Christina Quarles ist im Museum Hamburger Bahnhof zu sehen.(Quelle:dpa/G.Roth)
Audio: rbb24 Inforadio Kultur | 23.03.2023 | Silke Henning | Bild: dpa/G.Roth

"Collapsed Time" heißt die Ausstellung von Christina Quarles im Hamburger Bahnhof. Die US-amerikanische Malerin setzt sich in ihren Bildern mit der Erfahrung auseinander, in einem queeren Körper zu leben. Von Silke Hennig

Beine, Brüste, Hände, Füße und Frisur: Die Zutaten für eine menschliche Figur sind gegeben, aber deren Proportionen und Formen auf den Bildern von Christina Quarles sind wie aus dem Leim gegangen, zerteilt durch gemusterte Flächen oder Aussparungen und Kaugummi-artig gedehnt: Ein bisschen Surrealismus, ein bisschen Pop, ein bisschen Comic - nichts "passt" so richtig: Wer Eindeutigkeit erwartet, klar 'lesbare' Bilder oder Figurationen, wird von der Malerin planvoll enttäuscht. Die Absicht dahinter? Christina Quarles verweist darauf, dass vieles – auch in der Lesart von Bildern – unhinterfragt bleibt und vom Publikum einfach als gegeben hingenommen wird.

Die Leinwand zum Beispiel, üblicherweise unter Grundierung und Malschicht verschwunden, lässt sie oft partiell frei - was wiederum die Frage aufwirft: Ist das Gemälde wirklich fertig? Auch das ist schlicht eine Entscheidung, ebenso wie die Konvention, dass Ausstellungsräume weiß und rechteckig zu sein haben. Auch darauf verweist die Malerin, indem sie im Hamburger Bahnhof diagonale Abtrennungen eingezogen hat: Eine riesige 'Bilderwand' etwa, mit zwei Durchgängen – halb Architektur, halb Patchwork aus Malerei und Streifenmuster-"Tapete" - teilt die Ausstellung. Transparente, mit weißem Stoff bespannte Rahmen wiederum schirmen einige der Exponate ab. Indem sie den Blick auf die Kunst dahinter verschleiern, lenken sie die Aufmerksamkeit erst recht dorthin. Je nach Standpunkt wird sichtbar, was gerade noch unsichtbar war und umgekehrt. Erst die eigene physische Bewegung schafft damit die Voraussetzung für das Erleben der Ausstellung.

Mehr ist mehr

Der Körper ist Dreh- und Angelpunkt von Christina Quarles Arbeiten - nicht nur als Motiv, als nach außen gekehrte innere "Landschaft", sondern auch, was den Malprozess selbst angeht. Denn auch der ist ein körperlicher Vorgang: Die Spanne ihrer Arme gibt das Maß der malerischen Gesten auf der Leinwand vor. Aber auch hier unterbricht die Künstlerin den herkömmlichen Gang der Dinge. Sie entwickelt ihr begonnenes Bild am Computer weiter, entwirft Schablonen, die sie dann wiederum auf die Leinwand bringt.

So entsteht ein wilder Mix aus figürlichen und abstrakten Formen, aus Mustern, Überschneidungen, Auslassungen: Eine Art "Maximalismus", getreu dem Motto 'mehr ist mehr'. Um sich auch in dieser Hinsicht herauszufordern, hat Quarles als "Gäste" in ihre Ausstellung nicht nur verwandte Positionen eingeladen, Werke anderer Künstler*innen, die sich ebenfalls mit Eingrenzung oder der Störung von Seh-Gewohnheiten beschäftigen, sondern als minimalistisches Gegenstück auch eine Arbeit aus den späten 1960er Jahren von Charlotte Posenenske ausgewählt: Verzinkte Stahlblech-Elemente einer Abzugsanlage, die abgeknickt an der Wand lehnen. Neben einem der Bilder verschlungener Körper von Christina Quarles wirken diese industriellen Objekte fast figürlich.

Die Stärke der Kunst

Die Erweiterung ihrer Ausstellung um Kunstwerke anderer begreift Quarles als Dialog. So sehr sie die aktuellen Debatten um Identität, Geschlecht und Sexualität begrüßt, sie will ihre Arbeit nicht allein darauf begrenzt sehen. Tatsächlich ist die Festlegung auf ihre Identität als queere Tochter eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter– eine Herkunft, die man der 38-Jährigen nicht ansieht und die darum aber offenbar in keinem Text über sie fehlen darf – auch einengend.

Manchmal werde ein Werk durch derartiges "Framing" (wie es auch der Hamburger Bahnhof hier vornimmt) auf eine Art festgelegt, sagt Christina Quarles, die es weniger inklusiv macht. Dabei liege die Stärke der Kunst ja gerade darin, auch Menschen ansprechen zu können, die einem solchen Diskurs eigentlich fern stehen.

Sendung: rbb24 Inforadio Kultur, 23.3.2023, 6 Uhr

Beitrag von Silke Hennig

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