Konzertkritik | Jack Quartet in Berlin - Rauschen und Pochen, Rupfen und Reißen

Fr 12.05.23 | 10:41 Uhr | Von Hans Ackermann
JACK Quartet. (Quelle:Beowulf Sheehan)
Audio: rbb|24 Inforadio | 12.05.2023 | Hans Ackermann | Bild: Beowulf Sheehan

Der "Quartettsommer" im Berliner Boulez-Saal zeigt bis in den Juni hinein renommierte Streichquartett-Ensembles. Zum Auftakt gab es heftige Dissonanzen und zauberhafte Leichtigkeit aus New York. Von Hans Ackermann

Zum Auftakt des "Quartettsommers" im Berliner Pierre-Boulez-Saal spielt das Jack Quartet. Die vier Musiker aus New York eröffnen diesen Donnerstagabend mit einem musikalischen Bußgebet: "Contritus" heißt das gut 15 Minuten dauernde dreisätzige Werk aus dem Jahr 2009. Zeitgenössische Musik des amerikanischen Komponisten Caleb Burhans, der das Jack Quartet hier aber fast wie ein Gambenconsort klingen lässt - Neue Musik, die in ihrer klanglichen Reinheit an die Renaissance erinnert.

Die vier Musiker und auch der Komponist sind um das Jahr 1980 geboren und haben sich an der Eastman School of Music in Rochester im Bundesstaat New York kennengelernt, einer der renommiertesten amerikanischen Musikhochschulen. John Pickford Richards (Bratsche), Ari Streisfeld und Christopher Otto (Violinen) sowie der Cellist Kevin McFarland taten sich dort 2005 zusammen und bildeten aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen den Namen des Ensembles: JACK. Von den Gründungsmitglieder sind zwar nur noch zwei Musiker dabei, den Namen aber hat man der Einfachheit halber behalten.

Musikalischer Alchemist

Jack sind in New York zu Hause, wo John Zorn seit Jahrzehnten zu den bekanntesten Komponisten der Avantgarde zählt. Sein Streichquartett trägt den Titel "The Alchemist" und erzählt in zwölf Sätzen die Geschichte des 1527 in London geborenen Mystikers John Dee. Unter Elisabeth I. war er Hofastrologe und königlicher Berater - wieder ein Stoff aus der Renaissance, der jetzt aber in ganz und gar modernen Klängen und mit heftigen Dissonanzen erzählt wird.

Nach der Pause beschäftigt sich das Ensemble erneut mit einer Melodie aus dem Mittelalter, die der Geiger Christopher Otto aber mit moderner Polyrhythmik in die Gegenwart transformiert. Das "Angelorum Psalat" des Rodericus aus dem Jahr 1390 wandert dabei pulsierend durch die Stimmen des Quartetts - das an diesem Abend zeigt, welche wichtige Rolle die Alte Musik für die Ensembles der Neuen Musik spielt.

Reigen seliger Geister

Zum Abschuß des Abends spielt das Quartett dann den "Reigen seliger Geister", das Streichquartett Nr. 2 des 1935 in Stuttgart geborenen Komponisten Helmut Lachenmann. Ein Komponist, der wie kein zweiter die unglaubliche Vielfalt der Streicherklänge ausschöpft und die Musiker damit spieltechnisch maximal fordert.

Vor dem Konzert, erzählt Bratschist John Pickford Richards, habe man gerade wieder zwei Tage mit Lachenmann verbracht und das Werk noch einmal gemeinsam erarbeitet. Bevor das etwa 25 Minuten dauernde Streichquartett dann beginnt, gibt der Bratschist für das Publikum noch eine kurze Einführung, zeigt auf seinem Instrument die wichtigsten Spieltechniken, mit denen die vier Musiker Lachenmanns äußerst differenzierte Klangwelt realisieren: rauschende und pochende Klänge, die mit dem Bogen, aber auch mit Plektren, mit rupfenden und reißenden Finger- und Armbewegungen an tatsächlich sämtlichen Stellen der Instrumente erzeugt werden. An der Schnecke, den Stimmwirbeln, seitlich am Steg und auf dem Saitenhalter - und manchmal auch auf den Saiten.

Vorfreude auf das Kronos Quartet

Im Publikum herrscht angesichts der zauberhauften Leichtigkeit dieser oft kaum hörbaren Klänge atemlose Stille. Kein Husten, kein Rascheln, echte Stille. Leider ist der Saal nur etwa zur Hälfte gefüllt - obwohl sich an diesem gelungenen Eröffnungsabend mit dem Jack Quartet eines der besten jüngeren Ensembles für zeitgenössisches Quartett-Repertoire präsentiert.

Wenn beim "Quartettsommer" dann in der nächste Woche, am Dienstag und Samstag, mit dem Kronos Quartet aus San Francisco das bekannteste amerikanische Streichquartett der zeitgenössischen Kammermusik gleich zwei Mal auftritt - und darüberhinaus mit dem Berliner Publikum am Sonntag bei einem "Tag der Offenen Tür" sein 50. Bühnenjubiläum feiert - müsste der Pierre-Boulez-Saal aber eigentlich gut gefüllt sein.

Sendung: rbb|24 Inforadio, 12.05.2023, 09:55 Uhr

Beitrag von Hans Ackermann

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