Festival "Time to Listen" | Akademie der Künste - Die Erde ächzt - und das hört man
Die Akademie der Künste beschäftigt sich in einem Festival mit dem Klimawandel. Internationale Künstler übersetzen dort die ökologische Krise in Klänge. Mit "Time to Listen" geben sie der Natur eine Stimme. Von Corinne Orlowski
Klimawandel - das bedeutet Artensterben, schmelzende Gletscher, Extremwetter und Brände. Eigentlich muss man im Moment nur nach draußen schauen, um ihn sehen und hören zu können. Deutschland erlebt die Folgen der Erderwärmung. Schon lange weiß man davon. Trotzdem reagiert die Politik zögerlich. Deshalb hat die Akademie der Künste ein Klangfestival entwickelt, um ein Umdenken beim drängenden Thema Klima anzustoßen – es gibt Konzerte, Workshops für Kinder, ein Symposium und eine Ausstellung, bei der man sich Zeit zum Hören nehmen soll: "Time to Listen".
Mitwelt statt Umwelt
Am Eröffnungsabend unterstreichen alle Klänge, Vorträge und Reden die grundlegende Besorgnis der Beteiligten angesichts der wahrnehmbaren Veränderungen durch den Klimawandel. "Wir müssen handeln", sagt Kathrin Röggla, Schriftstellerin und Vizepräsidentin der Akademie. "Wir haben eigentlich keine Zeit mehr in ein Konzert zu gehen oder gar Kunst zu produzieren. Aber ist künstlerisches Handeln etwa kein Handeln?" Aber was wenn wir schon zu lange an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen?
"Wir haben vielleicht zu lange über Umwelt nachgedacht und nicht über Mitwelt", ergänzt Röggla. "Wir wissen ja gar nicht, was wir derzeit alles verlieren, weil wir die meisten Arten noch nicht kennen." In der Ausstellung hat man deshalb verschiedene Formen "ökologischer Trauer" entwickelt. Dabei stellen sich die Macher die Frage, ob nachhaltige Kunst überhaupt noch vorstellbar ist.
Es knistert, knackt und knarzt
Vorstellbar ja, das macht die Ausstellung deutlich. Aber kann man sie auch vermitteln? Genau dafür hat sich die Akademie eine neue Strategie ausgedacht. Es knistert, knackt und knarzt, quietscht, prasselt und blubbert auf dem ganzen Gelände und in zwei dunklen Hallen. In erster Linie wirkt das ziemlich beunruhigend. Zumal man die künstlerischen Arbeiten mit dem ganzen Körper erfahren kann. Zum Beispiel in einem Vibrationsprojekt aus rostendem Schiffsstahl, bei dem man eine Partitur erfühlen kann. Oder man hört aus den acht im Kreis angebrachten Lautsprechern dröhnende Landmaschinen oder Rhythmen aus Abfallanlangen und vom Schlachthof.
Der dumpfe Puls der Lebensmittelindustrie. Man kann aber auch in die Pedalen eines alten Hometrainers treten, mit dem man eine Aufnahme von Vogelstimmen entfacht. Unter der alten Buche im Hof zwitschern plötzlich Vögel aus Ballona, einem schrumpfenden Feuchtgebiet von Los Angeles. Je schneller man tritt, desto stärker verändern sich die Klänge. So kann man bei der spielerischen Installation eine wissenschaftliche Beobachtung machen: Sind Zeit und Tonhöhe verzerrt, so ist es auch unser Wissen. - Allerdings steht das Rad die meiste Zeit still. Die Besucher sind zu sehr in ihre Gespräche vertieft und nippen an ihren Getränken.
Es fehlt die Vermittlung
So berührend und eindringlich die Klänge auch sind, leider bleiben sie allzu oft abstrakt und verhallen schnell im Raum. Mitunter hat man das Gefühl in verschiedenen Konzerten für Neue Musik zu sitzen. Die Besucher ziehen teilweise ungerührt von einer Station zur nächsten. Es fehlt die Vermittlung, obwohl an den Wänden kleine Schilder mit QR-Codes Auskunft geben. Doch die nutzt kaum jemand. Aus Nachhaltigkeitsgründen gibt es kein ausgedrucktes Programm.
Auch wenn hier alles nach Science-Fiction klingt, der Klimawandel ist real. Die Erde ächzt. Leider fehlt der Übersetzung in Klang noch die gewünschte Übersetzung in Handlungsimpulse. Soll man doch Wege finden, mit ethischen Fragen, die die Künstler stellen, emotional und handelnd umzugehen – so heißt es im Programm. Die vielfältigen Klänge sprechen einen an, das schon, aber nicht mit einem.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.08.2023, 09:55 Uhr