Deutschlandmuseum in Mitte - Geschichte zum Anfassen und Riechen

So 26.11.23 | 11:14 Uhr | Von Marvin Wenzel
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Deutschlandmuseum in Mitte (Quelle: rbb/Marvin Wenzel)
Video: rbb24 Abendschau | 26.11.2023 | Marvin Wenzel | Bild: rbb/Marvin Wenzel

Im Deutschlandmuseum sind 2000 Jahre deutsche Geschichte erlebbar – in einem historischen Freizeitpark, der nun den "Museums-Oscar" gewonnen hat. Aber ist es nicht unangemessen, deutsche Geschichte spielerisch zu vermitteln? Von Marvin Wenzel

In der "König Salomo"-Apotheke stehen Kokain, Heroin und Morphium zum Angebot. Hinter einem kleinen Schaufenster mit goldener Aufschrift sind die kleinen braunen Fläschchen sorgfältig aufgereiht. Wenige Meter neben der Apotheke stellen ein Grammophon-Laden und ein Pelzgeschäft ihre Ware in aufwändig dekorierten Schaufenstern aus.

"Wir befinden uns in den Goldenen Zwanzigern, also: der Weimarer Republik", sagt Robert Rückel, Direktor des Deutschlandmuseums. Rückel steht vor einer unaufgeräumten Bar. Hinter dem Tresen sind Hologramme von zwei Tanzpaaren zu sehen. Sie bewegen sich in feiner Garderobe zu schneller Swing-Musik im Lindy-Hop-Stil.

Die Bar und Geschäfte sind Teil einer Einkaufsstraße, die es so ähnlich zur Zeit der Weimarer Republik gegeben haben könnte. Robert Rückel und sein Team, bestehend aus Historikern, Raumausstattern und Freizeitpark-Designern, haben sie auf Basis von historischen Quellen nachgebaut.

Von der Schlacht im Teutoburger Wald bis zur Fußball-WM 2006

Das Deutschlandmuseum am Leipziger Platz ist eine immersive Erlebnisausstellung, also: eine Mischung aus Geschichtsmuseum und Freizeitpark, bei der man über Gerüche, Geräusche und Exponate in 2000 Jahre deutsche Geschichte "regelrecht eintauchen kann", wie es der Museumsdirektor im Interview mehrfach betont. Ausgestellt sind zwölf Abschnitte der deutschen Geschichte: von der Schlacht im Teutoburger Wald, bei der sich germanische Stämme gegen einen römischen Angriff verteidigen konnten, über die Deutsche Revolution 1848/49 bis hin zur Fußball-WM 2006.

Die Ausstellungsräume erinnern an Filmkulissen, die Exponate dürfen angefasst werden. "Wir sind kein Instagram-Museum", sagt Rückel. "Wir wollen Grundkenntnisse in deutscher Geschichte vermitteln." Und das innerhalb von einer Stunde. So lange dauert der Rundgang durch die zwölf Räume. Der 39 Jahre alte Museumsdirektor, grauer Anzug, 7-Tage-Bart, iWatch am Handgelenk, zeigt auf ein Prothesen-Geschäft in der Einkaufsstraße, in dem Bein- und Brust-Prothesen ausgestellt sind und sagt: "Das Geschäft steht für die Folgen des Ersten Weltkriegs." Die Zwanzigerjahre seien "nicht nur golden" gewesen.

Gewinner des "Museums-Oscars"

Der Bereich zum Mittelalter ist eingerichtet wie eine Ritterburg. In den Gängen riecht es wie in einem Pferdestall. Durch die Fenster der Burg kann man auf einer Projektion zwei Ritter beim Lanzenstechen beobachten. Begleitet von einem Glockenspiel und dem Jubel einer Menschenmasse. Geschichte zum Anfassen, Hören und Riechen.

Für diese spielerische Vermittlung von Geschichte hat das Deutschlandmuseum nun den THEA-Award gewonnen, einen Preis, den die Non-Profit-Organisation "Themed Entertainment Association" (THEA) mit Sitz in Kalifornien seit 1994 an Freizeitparks, Museen und Casinos verleiht.

Die Auszeichnung gilt als "Oscar der Unterhaltungsindustrie" und ist renommiert. Gewinner der vergangenen Jahre: unter anderem die Universal Studios Peking und das Earthquake Centre in Lissabon. "Wir fühlen uns extrem geehrt", sagt Rückel, der das Museum erst im Juni eröffnet hat. Es ist das erste Museum in Deutschland, das mit dem Preis ausgezeichnet wurde.

Deutschlandmuseum in Mitte (Quelle: rbb/Marvin Wenzel)

Kritik: Unangemessenen Darstellung von deutscher Geschichte

Dabei bekam das Museum in seiner Entstehungszeit auch Kritik von Tageszeitungen ab: Es sei unangemessen, deutsche Geschichte in Form eines Freizeitparks zu vermitteln. Vor allem bei dunklen Kapiteln wie dem Ersten Weltkrieg sei das falsch. Genau dieser Zeitabschnitt ist direkt neben dem Raum zur Weimarer Republik. Bevor man ihn betritt, hört man schon das laute Wummern von Bombeneinschlägen und Kampfflugzeugen.

Bei dem Raum handelt es sich um einen nachgebauten Schützengraben. Er soll die Gefechte zwischen Deutschland und Frankreich an der Westfront im Jahr 1917 veranschaulichen. Eine Touristengruppe läuft durch den dunklen Graben und zückt Kameras und Smartphones. Fotos werden gemacht. Knips, knips. Ob das in Ordnung ist? Rückel sagt: "Ich glaube, Museen sind erfolgreicher, wenn sie Geschichte unterhaltsam erzählen." Über die passende Form der Geschichtsvermittlung habe er lange mit seinem Team beraten – und sich dazu entschieden, den Ersten Weltkrieg immersiv darzustellen. "In dem Schützengraben soll man das Gefühl vermittelt bekommen, wie schlimm Krieg sein kann."

Nicht nur über, sondern auch aus Geschichte lernen

Im nächsten Raum sei eine immersive Darstellung nicht möglich gewesen: Es geht um die NS-Zeit. Dort müssen die Besucher durch einen engen und düsteren Gang laufen. An den Seiten stehen abstrakte schwarze Figuren. Von den Figuren sind nur Umrisse zu erkennen: Sie recken ihre rechten Arme zum Hitlergruß und sollen die Mitläufer der Nazis symbolisieren. In dem Raum sind Originalaufnahmen von Siegheil-Rufen der Nationalsozialisten zu hören. Am Ende des Ganges ist eine Leinwand, die Schwarzweiß-Aufnahmen zeigt: Nazi-Aufmärsche, Kriegsflugzeuge während des Zweiten Weltkriegs. Das zerbombte Berlin. Komplett unkommentiert.

In dem gesamten Abschnitt gibt es nur eine Texttafel mit wenigen Absätzen zu Eckdaten der NS-Zeit und einen Bildschirm mit den Opferzahlen des Zweiten Weltkriegs. Zur Shoa, der systematischen Auslöschung von über sechs Millionen Juden durch die Nazis, sind nur vier kurze Sätze zu lesen. Weitere Fakten werden nicht genannt. "Der Raum ist ein Wagnis, das funktioniert", sagt Rückel. Die Besucher - zum Großteil Touristen, Schulklassen und Berliner Familien - würden gerade diesen Raum loben. Das Museum habe mit dieser abstrakten Darstellung versucht, das "Massenphänomen Nationalsozialismus" zu simulieren. "Der Gang ist extrem unangenehm", sagt er. Mit seinem Museum wolle er nicht nur erreichen, dass Menschen über Geschichte lernen, sondern auch: dass sie aus Geschichte lernen.

Deutschlandmuseum in Mitte (Quelle: rbb/Marvin Wenzel)
Bild: rbb/Marvin Wenzel

Etwas mehr Einordnung ist wünschenswert

Für Kinder und Menschen, die sich bisher nicht viel mit deutscher Geschichte beschäftigt haben, könnte das Museum ein guter Einstieg in diesen Bereich sein und neugierig machen. Geschichte-affine Besucher sind aber vermutlich etwas enttäuscht: Auf den wenigen Texttafeln wird nur eine Auswahl an historischen Eckdaten präsentiert. Etwas mehr Einordnung ist wünschenswert. Die aufwändig dekorierten Räume und das Erlebnis, sich in ihnen zu befinden, stehen im Mittelpunkt.

Zudem kann es ein mulmiges Gefühl hinterlassen, wenn man Touristen-Gruppen beobachtet, die sich in nachgestellten Schützengraben ablichten lassen. Die Jury vom THEA-Award hat dieses Konzept jedenfalls überzeugt. Den Preis wird Robert Rückel im März 2024 bei einer Verleihung empfangen, in Hollywood.

Sendung: rbb24 Abendschau, 26.11.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Marvin Wenzel

6 Kommentare

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  1. 6.

    Manchmal fasse ich es nicht, wie naiv hier manche sogenannte „Friedensaktivisten“ sind. Wer angegriffen wird und sich wehren will, wird als Kriegstreiber diffamiert. Die wahren Kriegstreiber werden aber über den Klee als Friedensstifter gelobt oder man solidarisiert sich gar mit ihnen. Einfach unglaublich niederschmetternd …

  2. 5.

    Ich frage mich immer wieder, wie naiv man eigentlich sein muss, um das zu glauben, was Sie schreiben. Meine Kinder werden NIEMALS Soldaten für dieses oder ein anderes Land werden, mit oder ohne Pflicht. Wer plärrt, darf gern vortreten, auch zur "Verteidigung".

  3. 4.

    Sie antworten leider am Thema vorbei,.
    da mein Beitrag #2, in voller Absicht, nur einen Bezug auf den Beitrag #1 nehmen sollte.

  4. 3.

    Leider nicht. "Friedenspolitik" wird ja leider immer noch mit Rüstung und Waffenhilfe gleichgesetzt.

    Wer Waffen will , will diese auch einsetzen. Manchmal als Verteidigung getarnt aber trotzdem werden Waffen zum töten eingesetzt.

    Das hat schon Carl von Ossietzky erkannt und mit dem Leben bezahlt.

  5. 2.

    Welche deutsche Volksvertreter haben Lust auf einen Krieg?
    Die Notwendigkeit einer Verteidigung als Kriegslüsternheit zu bezeichnen, das ist lediglich eine nicht ernst zu nehmende dümmlich beleidigende Attütide!

  6. 1.

    Wir waren kürzlich dort. Das Museum ist super gemacht und für Kinder tatsächlich ein erster guter Einstieg. Eine Stunde reicht auf keinen Fall, wir waren zweieinhalb drin und niemandem war es langweilig. Schützengraben und NS-Zeit sind ziemlich beklemmend und das ist gut so. Ein Besuch wäre vor allem für unsere kriegslüsternen Volksvertreter sehr zu empfehlen.

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