Käthe-Kollwitz-Preis - Einmal falten und wachsen bitte!
Die chilenische Künstlerin Sandra Vásquez de la Horra wird mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 2023 ausgezeichnet. In der Akademie der Künste wird sie mit einer Ausstellung geehrt, in der sich eine spirituelle, politische, aber auch poetische Welt entfaltet. Von Marie Kaiser
Zur Begrüßung steckt die Künstlerin erst einmal die Zunge raus. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto direkt am Eingang der Ausstellung steht Sandra Vásquez de la Horras Gesicht auf dem Kopf und ist über und über mit einem hellen Staub bedeckt, die Augen weit aufgerissen, eine Befreiung im Blick. Es ist ein Foto aus einer Performance mit dem Titel "Heilung". Doch was geht da auf diesem Bild vor sich?
Aura reinigen mit Zimt, Eiern oder Blumen
"Das, was ich da im Gesicht habe, ist Zimt und Polenta", verrät die Künstlerin im Gespräch mit rbb|24. "Es ist eine Form sich zu heilen, die Aura zu reinigen, die von indigenen Völkern in Chile lange praktiziert wurde. Eine Tradition, die immer mehr in Vergessenheit geraten ist. Es gibt ganz viele unterschiedliche Arten: Die Blumenreinigung oder die Reinigung mit Eiern.
Diese Elemente sind eine Art Opfergabe an die Götter und diese Rituale sollen dabei helfen, Krankheiten zu heilen oder negative Gedanken loszuwerden. Ich mache das etwa zwei Mal im Monat und fühle mich danach friedlich und positiv. Es hat etwas Befreiendes."
Die heilende Wirkung des Zeichnens
Das Spirituelle zieht sich wie ein roter Faden durch diese Ausstellung mit dem mythischen Titel "Das Rauschen des Kosmos". In der größten Arbeit, einer über drei Meter langen Zeichnung, begegnet uns die Göttin Pachamama, die von den indigenen Völkern in Chile als eine Art "Mutter Erde" verehrt wird. Zu sehen ist eine auf dem Rücken liegende nackte Frau im Profil mit angewinkelten Beinen. Sie scheint in den Himmel zu blicken scheint. Die Künstlerin hat die Umrisse der Frau sorgfältig mit der Schere ausgeschnitten
"Es ist eine verletzte Mutter Erde", erklärt Sandra Vásquez de la Horra, denn in der Arbeit geht es um die Umweltzerstörung in der chilenischen Atacama Wüste. Dort wird eine riesige Kupfermine namens Chuquicamata betrieben, die die Landschaft dort unwiederbringlich zerstört hat. "Ich habe diese verletzte Landschaft als kleines Kind gesehen, meine Großmutter stammte von dort. Die Erinnerung daran hat mich auch als Erwachsene noch lange gequält. Das Zeichnen ist für mich eine Form der Meditation. Es ist eine Heilung für mich."
Im Wachsbad verwandelt sich die Zeichnung
Doch einfache Zeichnungen sind es nicht, für die Sandra Vásquez de la Horra den Käthe-Kollwitz-Preis 2023 bekommt. Es sind fast schon papierne Skulpturen, die sich in 3D im Raum entfalten. Bevor die Künstlerin mit dem Zeichnen mit Graphit oder Bleistift beginnt, faltet sie das Papier wie ein Leporello, so dass die Zeichnung stehen kann. Am Ende des Entstehungsprozesses wird die Zeichnung dann in flüssiges Wachs getaucht. Durchs Wachsbad wird das Papier zum stabilen Objekt mit Standfestigkeit.
Bei einer drei Meter langen Zeichnung ist das keine leichte Übung, verrät Sandra Vásquez de la Horra. "Ich habe in meiner Küche eine große Wanne aufgebaut und das Wachs mit Gas und Feuer erwärmt. Es war eine echte Performance! Es ist für mich immer aufregend, zu beobachten, was passiert, wenn ich die Zeichnung in Wachs tauche. Der Graphit beginnt zu schmelzen durch die Wärme und bekommt etwas Malerisches. Ich brauche das Wachs, um die Kontrolle als Künstlerin ein Stück weit abzugeben und mich selbst vom Ergebnis überraschen zu lassen." Durch das Wachsbad wird das Papier nicht nur fester, sondern auch leicht transparent. Die bunten Aquarellfarben auf der Rückseite, die die Künstlerin auf die Rückseite der Leporellos aufträgt, schimmern so ganz zart durch das Papier durch und verleihen der schwarz-weiß Zeichnung ein besonderes Leuchten.
Geheimnisvoll, verwinkelt und intim
Diese Leporello-Wachszeichnungen verlangen danach, von beiden Seiten betrachtet zu werden. Die Ausstellung findet dafür eine raffinierte Lösung. Das Gefaltete der Zeichnungen wird von gefalteten Holzwände in der Mitte des Raumes aufgegriffen, die an an Paravents erinnern. Der ganze Raum bekommt dadurch etwas geheimnisvoll Verwinkeltes und Intimes, das ausgezeichnet zur Kunst von Sandra Vásquez de la Horra passt. In den Holzwänden finden sich kleine Gucklöchern in die Vitrinen eingelassen sind, die es erlauben die Zeichnungen von allen Seiten zu bewundern.
Ein Mahnmal aus Tellern
Was in der gesamten Ausstellung auffällt: Obwohl Sandra Vásquez de la Horra schon sehr lange in Deutschland lebt, sind ihre chilenischen Wurzeln, die chilenische Geschichte und Mythologie in allen Arbeiten sehr präsent. Die Künstlerin wagt sich an existentielle Themen und spricht auch ganz konkret und mutig politische Ereignisse in Chile an wie die große Protestwelle, die Chile 2019 erschüttert hat. Hunderttausende gingen auf die Straße, um gegen die große soziale Ungleichheit zu protestieren.
Für die Installation "El Manto de Obatalá" hat die Künstlerin eine große Wand fast vollständig mit einander überlappenden Tellern bedeckt. Einige wurden von Sandra Vásquez de la Horra bemalt und erinnern an an Augen, aus denen die Wand uns anschaut. Aus manchen dieser Augen laufen rote Tränen wie Blutstropfen. Die Installation ist ein Mahnmal für die vielen Menschen, die während Proteste ihr Augenlicht verloren haben, weil die Polizei damals gezielt mit Gummigeschossen auf die Augen der Demonstrierenden schoß.
Gewalt spielt immer wieder eine wichtige Rolle in der Kunst von Sandra Vásquez de la Horra, die als Kind miterleben musste, was es bedeutet in einer Diktatur unter Pinochet in Chile zu leben. Trotzdem bleiben ihre Arbeiten immer poetisch, haben etwas Surreales und Träumerisches und strahlen eine unbändige Lebensfreude aus, die es sich unbedingt zu entdecken lohnt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.06.2024, 18:55 Uhr