Konzertkritik | Howling Wolves & Reactory im Stream - Moshpit im Sitzen

Mo 20.04.20 | 10:21 Uhr | Von Magdalena Bienert
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Ein Fan im Publikum macht am 19.06.2015 in Hockenheim (Baden-Württemberg) auf dem Konzert ein Bild mit einem Handy. (Quelle: dpa/Daniel Naupold)
Audio: Inforadio | 20.04.2020 | Magdalena Bienert | Bild: dpa/Daniel Naupold

Seit Corona den Kulturbetrieb lahmlegt, verlagern sich Konzerte ins Netz. Bei Popmusik und Singer-Songwritern funktioniert das problemlos - aber auch mit Heavy Metal? Magdalena Bienert hat den Moshpit vor dem heimischen Laptop ausprobiert.

50 Prozent der Berliner Hardrocker "Howling Wolves" sitzt im gähnend leeren Foyer vom Astra in den gemütlichen Sesseln, die dort herumstehen. Die gold-weiße Bar hinter Drummer Rick und Sänger Felix: einsam und verlassen. Radiomoderatorin Kate Kaputto (Flux FM) führt durch den Abend und vor den Gigs auch Interviews mit den Künstlern.

Von ihr erfährt man auch, dass es im Club alles andere als schwitzig ist. "Das Astra ist wie ein Kühlschrank, auch wenn es draußen warm ist", so Kate Kaputto. Gemeinsam mit den beiden Musikern überlegt sie, ob es denn in dieser Zeit wohl schon live gestreamte Metalkonzerte gegeben hätte: unisono Kopfschütteln. Für den Sänger der Hardcore-Punk-Band ist so ein Streamingkonzert aber auch eine spannende Angelegenheit, sat er. Schließlich gebe es einige "Freunde und Kollegen, die sich zwar für unsere Musik interessieren, jetzt aber nicht unbedingt zu einer Show von uns kommen würden, und so hat man die Möglichkeit Leute an die Musik heranzuführen, die man sonst nicht haben würde."

Haare und Becher fliegen nur in der Fantasie

Aber kann das funktionieren? Musik, bei der das Publikum eine entscheidende Energie weitergibt, wo Haare und Bierbecher fliegen, und wo Moshpits, also wilder Tanz und das genaue Gegenteil vom Distancing, ein essentieller Bestandteil des Ganzen sind?

Als die Band am Sonntag um 20 Uhr auf die Bühne des Astra geht und Sänger Felix, in Skinny-Jeans mit Hosenträgern, Unterhemd und einem amtlichen Schnauzer im Gesicht, loslegt, merkt man ziemlich schnell: Ja, das funktioniert. Aber eben anders. Der Sound ist klar und richtig gut. Man versteht sogar die Texte. Felix tigert über die Bühne, seine langen Haaren schüttelt er allerdings alleine.

Es ist spannend zu beobachten, wieviel Energie-Arbeit hinter so einem Auftritt steckt, der vor vollem Haus so leicht wirkt, wo Riff-Patzer und Text-Nuschler einfach nicht auffallen. Jetzt, so ganz pur dem Internet ausgesetzt zu sein, ohne Euphorie, ohne den Applaus, der sonst die Endorphine frei setzt, ohne die ganze Interaktion, die die Band trägt, ist das einfach eine völlig andere Nummer. So muss sich Joggen in T-Shirt und kurzen Hosen bei Minusgraden anfühlen.

Den Reaktionen zufolge - bei Facebook oder Youtube zu verfolgen - kommt der Auftritt gut an; ein Fan schreibt: "Mein Nachbar weiß nicht, wer Howling Wolves sind, aber er hasst sie bestimmt jetzt schon. Da er mich den Nachmittag mit Partyschlager beschallt hat, lasse ich ihn hier mithören, ob er will oder nicht."

Wie Geburtstag ohne Gäste – Reactory "feiern" trotzdem Record-Release

Nach rund 40 Minuten schaltet die Regie wieder ins Foyer. Jetzt sitzt Kate mit Gitarrist Jerry und Sänger Hans von Reactory zusammen. Eigentlich wollte die Band an diesem Abend die Veröffentlichung ihres dritten Albums feiern. Dass sie von ihrem dystopischen Albumtitel "Collapse to Come" eingeholt wurden, hätten sie nicht gedacht. Jerry hält mit seinem Frust über abgesagte Konzerte und seine Zwangsentschleunigung dank Kurzarbeit nicht hinter den Berg. Immerhin, das Record-Release-Konzert muss nicht ausfallen, es wird nur einfach wesentlich friedlicher. Und trockener. "Vielleicht kann mich jemand mit Bier bespritzen?", witzelt der Sänger.

Reactory spielen die deutlich härtere Gangart Thrash-Metal und plötzlich springt doch sowas wie ein Funke über, vom Laptop ins eigene Zuhause. Der oder die Lichttechniker scheinen nun warmgelaufen, die roten und weißen Blitze zucken über die Bühne, und der Schnitt im Stream ist abwechslungsreich und fast so schnell, wie die Gitarrenriffs. Plötzlich fällt gar nicht mehr auf, dass da kein Publikum ist. Die Band schafft es, die Energie aus sich heraus zu kreieren und hat richtig Spaß, das merkt man. Die kurzen Breaks der Moderatorin, die Kommentare aus dem Chat einwirft, braucht es gar nicht.

Statt Resignation: Aktion mit dem Berlin Culture Cast

Übertragungen aus dem Astra organisiert das unabhängige Kollektiv "Berlin Culture Cast" (BCC) regelmäßig während der Lockdown-Zeit. Dieser Abend ist schon Ausgabe Nummer 10 und viele weitere sollen folgen. Die freiberuflichen Technikerinnen und Techniker, Booker und Moderatorinnen, die hinter BCC stecken, wollen in dieser Zeit "nicht den Kopf in den Sand zu stecken" - daher der neu ins Leben gerufene Streaming-Kanal, der eine tolle Möglichkeit für kleinere Berliner Bands und Künstler ist, noch Konzerte zu geben. Außerdem können die Zuschauer, wie bei vielen Streamingangeboten, auch immer Soli-Tickets ab einem Euro kaufen. Ein Drittel der Spenden geht an die Bands, ein Drittel an BCC und ein Drittel wird immer an verschiedene Organisationen gespendet.

Und wie ist das jetzt mit Metalkonzerten im Sitzen zuhause? Die Howling Wolves und Reactory haben gezeigt: Das geht klar. Nur der Moshpit, der muss warten.

Anstehende Streams des BCC: Am 22. April ab 19.30 Uhr Konzert mit Smith&Smart und The Razzones. Am 24. April um 19 Uhr Lesung "Korbinian Live" mit Paulina Czienskowski, Marius Goldhorn und Charlotte Krafft

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Beitrag von Magdalena Bienert

1 Kommentar

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  1. 1.

    Eine Story über Metal?
    Vertragen das die ganzen sterilen Rapper und Schlagerfans hier denn?
    Fürchtet Euch nicht \../

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