Kommentar | Shutdown für Kultureinrichtungen - Diese Entscheidung trifft die Falschen

Einen Monat lang müssen Kulturinstitutionen schließen. Das haben die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten am Mittwoch beschlossen. Eine falsche, zerstörerische Entscheidung, kommentiert Maria Ossowski
Es reicht. Wir sind weder Egoisten noch Hedonisten. Im Gegenteil. Wir sind jene, die alle Hygieneregeln am strengsten befolgen. Wir sind jene, die Häuser mit den besten Hygienekonzepten bespielen und besuchen. Wir sind jene, bei denen jeder Infektionsfall minutiös nachverfolgt werden kann. 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer in Salzburg, ein Fall hinter der Bühne, sofort isoliert.
Wagners "Walküre" in Berlin: Jeden Morgen haben sich alle Mitwirkenden der Deutschen Oper testen lassen. Mittags begannen die Proben, weil niemand positiv war. Wir Zuschauer trugen und tragen klaglos während der sechs Stunden im Opernhaus Masken. Viele von uns gehören - so wie ich - zu den Hochrisikogruppen. Wir schützen andere und uns selbst. In den Kultureinrichtungen herrscht eine ganz besondere Vorsicht. Aber nicht nur wir Bedrohten wissen, wie sehr wir aufpassen müssen.
Bitte, wer kuschelt und quatscht während klassischer Konzerte, wer säuft im Theater, wer singt in der Oper mit, und wer tanzt bei einer Lesung? Niemand. Wir, die Kulturmacher und die Kulturbegeisterten, büßen für jene Gruppe, die kein Politiker in den Griff bekommen hat, nämlich die Hochzeiter, die Partymacher, die Leugner. Ihretwegen soll vielen, vor allem kleineren Kulturinstitutionen, jetzt der Todesstoß versetzt werden.
"Jetzt greifen wir auch bei der Kultur durch"-Politik
Diese Entscheidung, einen Monat lang alle Kultur zu verbieten, ist dreierlei Überlegungen geschuldet.
Erstens: einer populistischen, getriebenen, keinerlei Studien entsprechenden "Jetzt greifen wir auch bei der Kultur durch"-Politik. Denn es wäre ja den Argumentations-Resistenten schwer zu erklären, warum Theater und Konzerthäuser geöffnet bleiben sollen, während sie keine Feten feiern dürfen.
Zweitens: einer absolut inakzeptablen Verzichtsethik, nach dem Motto: "Wenn wir schon Bordelle, Fitnesstudios und Bars schließen, dann sollt ihr Kulturliebhaber auch darben. Ihr Künstler traut euch eh nicht, auf den Putz zu hauen. Und wenn wir euch Sänger, Tänzer und Schauspieler wieder arbeiten lassen, euch, die ihr seit Jahrzehnten täglich übt, die ihr euer Leben der Musik, dem Schauspiel, der Literatur geweiht habt, dann taucht ihr bestimmt wieder irgendwo hinter den Supermarktregalen auf, die ihr aus Existenznot mit Klopapier und Katzenstreu aufgefüllt habt. So ist das nämlich: Künstler sind mittlerweile so pleite, dass sie eben im Supermarkt als Hilfsarbeiter anheuern.
Drittens: Es droht vielen Geschäften und Betrieben außer Amazon und dem Lebensmittelhandel die Insolvenz. Warum sollen wir Rücksicht nehmen auf die 100 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, die ihr Kulturleute im Jahr erarbeitet? Keine Ausnahmen.
Diese Entscheidung ist zerstörerisch
Es lebe die Konsequenz, auch wenn sie vollkommen sinnlos ist, weil sich in perfekt gelüfteten und alle Hygieneregeln umsetzenden Theatern, Opern oder Konzertsälen bislang nicht nachweislich Menschen angesteckt haben. Sicher, man muss in die Säle kommen und zurück, aber auch da gilt: strenge Maskenpflicht.
Die Entscheidung trifft die Falschen, sie trifft sie ins Mark, sie ist zerstörerisch, denn Kultur ist nicht systemrelevant, dieser Begriff aus der Finanzkrise nervt nur noch. Kultur ist existenzrelevant, sie ist lebensrelevant.