Kommentar | Shutdown für Kultureinrichtungen - Diese Entscheidung trifft die Falschen

Do 29.10.20 | 07:23 Uhr | Von Maria Ossowski
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29.09.2020, Berlin: Zuschauer mit coronabedingtem Abstand im Zuschauerraum aufgenommen am 29.09.2020 in der Komischen Oper in Berlin Mitte. (Quelle: dpa/XAMAX)
Audio: Inforadio | 28.10.2020 | Maria Ossowski | Bild: dpa/XAMAX

Einen Monat lang müssen Kulturinstitutionen schließen. Das haben die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten am Mittwoch beschlossen. Eine falsche, zerstörerische Entscheidung, kommentiert Maria Ossowski

Es reicht. Wir sind weder Egoisten noch Hedonisten. Im Gegenteil. Wir sind jene, die alle Hygieneregeln am strengsten befolgen. Wir sind jene, die Häuser mit den besten Hygienekonzepten bespielen und besuchen. Wir sind jene, bei denen jeder Infektionsfall minutiös nachverfolgt werden kann. 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer in Salzburg, ein Fall hinter der Bühne, sofort isoliert.

Wagners "Walküre" in Berlin: Jeden Morgen haben sich alle Mitwirkenden der Deutschen Oper testen lassen. Mittags begannen die Proben, weil niemand positiv war. Wir Zuschauer trugen und tragen klaglos während der sechs Stunden im Opernhaus Masken. Viele von uns gehören - so wie ich - zu den Hochrisikogruppen. Wir schützen andere und uns selbst. In den Kultureinrichtungen herrscht eine ganz besondere Vorsicht. Aber nicht nur wir Bedrohten wissen, wie sehr wir aufpassen müssen.

Bitte, wer kuschelt und quatscht während klassischer Konzerte, wer säuft im Theater, wer singt in der Oper mit, und wer tanzt bei einer Lesung? Niemand. Wir, die Kulturmacher und die Kulturbegeisterten, büßen für jene Gruppe, die kein Politiker in den Griff bekommen hat, nämlich die Hochzeiter, die Partymacher, die Leugner. Ihretwegen soll vielen, vor allem kleineren Kulturinstitutionen, jetzt der Todesstoß versetzt werden.

"Jetzt greifen wir auch bei der Kultur durch"-Politik

Diese Entscheidung, einen Monat lang alle Kultur zu verbieten, ist dreierlei Überlegungen geschuldet.

Erstens: einer populistischen, getriebenen, keinerlei Studien entsprechenden "Jetzt greifen wir auch bei der Kultur durch"-Politik. Denn es wäre ja den Argumentations-Resistenten schwer zu erklären, warum Theater und Konzerthäuser geöffnet bleiben sollen, während sie keine Feten feiern dürfen.

Zweitens: einer absolut inakzeptablen Verzichtsethik, nach dem Motto: "Wenn wir schon Bordelle, Fitnesstudios und Bars schließen, dann sollt ihr Kulturliebhaber auch darben. Ihr Künstler traut euch eh nicht, auf den Putz zu hauen. Und wenn wir euch Sänger, Tänzer und Schauspieler wieder arbeiten lassen, euch, die ihr seit Jahrzehnten täglich übt, die ihr euer Leben der Musik, dem Schauspiel, der Literatur geweiht habt, dann taucht ihr bestimmt wieder irgendwo hinter den Supermarktregalen auf, die ihr aus Existenznot mit Klopapier und Katzenstreu aufgefüllt habt. So ist das nämlich: Künstler sind mittlerweile so pleite, dass sie eben im Supermarkt als Hilfsarbeiter anheuern.

Drittens: Es droht vielen Geschäften und Betrieben außer Amazon und dem Lebensmittelhandel die Insolvenz. Warum sollen wir Rücksicht nehmen auf die 100 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, die ihr Kulturleute im Jahr erarbeitet? Keine Ausnahmen.

Diese Entscheidung ist zerstörerisch

Es lebe die Konsequenz, auch wenn sie vollkommen sinnlos ist, weil sich in perfekt gelüfteten und alle Hygieneregeln umsetzenden Theatern, Opern oder Konzertsälen bislang nicht nachweislich Menschen angesteckt haben. Sicher, man muss in die Säle kommen und zurück, aber auch da gilt: strenge Maskenpflicht.

Die Entscheidung trifft die Falschen, sie trifft sie ins Mark, sie ist zerstörerisch, denn Kultur ist nicht systemrelevant, dieser Begriff aus der Finanzkrise nervt nur noch. Kultur ist existenzrelevant, sie ist lebensrelevant.

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Maria Ossowski

59 Kommentare

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  1. 59.

    @rbb:
    Danke mal wieder an Raiko Thals Sendung Corona-Lage!
    Der Gast zum Thema Kunst und Kultur hat doch gerade genau aufgeklärt, warum die Kultur weitergehen muss und darf.
    Insgesamt auch wieder interessante Sendung!

  2. 58.

    Eigentlich traurig das man das nach Monaten immer wieder erklären muss. Aber ich möchte SIe daran erinnern, dass...
    - die 25.000 Grippetoten nachträglich durch eine Übersterblichkeitsrechnung ermittelt wurden und daher ein Vergleich hinkt. Und viel wichtiger: es gab damals keine Maßnahmen wie in diesem Jahr.
    - das Corona-Virus neu war/ist (gegen viele Influenzaviren gibt es Impfstoffe = Teilschutz)
    - die Inkubationszeit beim Corona-Virus bei 2-14 Tagen und bei einer Grippe bei 1 bis 2 Tagen liegt, Außerdem ist die Sterblichkeitsrate bei Corona höher.

    Man kann also den Erreger bereits per Tröpfcheninfektion übertragen, ohne zu wissen, dass man schon infiziert ist. Das macht Sars-Cov2 so unterschiedlich zur Grippe, weshalb ein Vergleich unsinnig ist. Ihre angestrebte "Normalität" gibt es nicht mehr, also können wir auch nicht dahin zurückkehren. Stattdessen müssen wir versuchen mit gezielten Maßnahmen einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern bis es einen Impfschutz gibt.

  3. 57.

    Darf ich hier noch einmal daran erinnern, dass es 17/18 über 25.000 Tote durch Influenza gab. Jeder Tote ist mehr als bedauerlich. Es gab über 45.000 Krankenhauseinweisungen und ca. 334.000 nachgewiesene Infektionen (nicht durch PCR sondern labordiagnostisch). Die Intensivbetten waren an Ihrer Kapazitätsgrenze. Hier im ARD Morgenmagazin nachzusehen: https://www.youtube.com/watch?v=5HXZ3UHp8-k
    Wurden damals sämtliche Einrichtungen geschlossen? Gab es eine ähnliche Panikmache? Wo waren unsere Politiker mit Verordnungen, um uns vor dieser damaligen Grippewelle zu schützen? Ich selbst lag 2019 mit einer schweren Grippe, inkl. Krankenhaus und Tropf 4 Monate flach. Das hat niemanden interessiert. Heute würde man mir ein Kamerateam schicken, da ich nicht zur Risikogruppe gehöre. Wir sollten akzeptieren, dass Viren zu unserem Leben dazu gehören und zur Normalität zurückkehren.

  4. 56.

    @MM: Ich verstehe den Sinn schon so, wie Sie das beschreiben. Allerdings gibt es ein gesellschaftliches Problem, dem zugegebenermaßen durch politisches Handeln nicht wirksam zu begegnen ist: Wenn die Menschen dann im Dunkeln in Parks feiern oder im Hof des Bauernhofs oder im Partykeller oder oder oder... dann zeigt sich, dass die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt. Nur ein gesellschaftskultureller Wandel könnte das verändern.

  5. 55.

    Danke Frau Ossowski, kann dem nur zu 100 Prozent zustimmen. Genau so wie Sie es beschreiben verhält es sich.

  6. 54.

    Vielen Dank für den Kommentar!
    Ich teile den Eindruck, dass mit besonderer Feindseligkeit gegen die Kulturlandschaft in Berlin vorgegangen wird: der Begriff "Museum" kommt im Beschluss der Bundeskanzlerin und der MinisterpräsidentInnen nicht vor. Offenbar hat man hier regionale Entscheidungsspiel Räume gelassen. Warum schließt Berlin seine Museen?

  7. 53.

    Nein Frau Ossowski. Sie haben den eigentlichen Sinn nicht erkannt. Je weniger Anreiz für den Menschen besteht, sich von zuhause wegzubewegen, desto mehr Kontakte entstehen. Kein Anreiz ("ist ja eh alles zu, können wir gleich zuhause bleiben") vermindert die Kontakte insgesamt. Man kann natüröich darüber streiten, ob dies verhältnismäßig ist. Aber Sie haben den Tenor der Regelung nicht verstanden.

  8. 52.

    Schweden mit Deutschland zu vergleichen ist unsinnig. Schweden sind wesentlich sozialer und disziplinierter. Denn muss man nichts verbieten, da reichen Empfehlungen und sie machen es dann eigenverantwortlich. Wenn Schweden wie Deutsche wäre, würde der schwedische Weg nicht funktionieren. Deutsche sind egoistischer.

  9. 51.

    Die Kultureinrichtungen haben die Infektionsschutzvorgaben minutiös und äußerst streng umgesetzt. Dass sie jetzt für das verantwortungslose Handeln der Partycommunity büßen müssen, scheint weder notwendig noch angemessen.

  10. 50.

    Es trifft nicht die falschen, das weiß auch jeder der klar denken kann. Zuhause treten Ansteckungen nur auf, weil sie irgendein gleichgültiges Familienmitglied von draußen einschleppt und die betroffene Familie dann auch wieder zu anderen ausschleppt. Dass Ansteckungen innerhalb privat auftreten ist die halbe Wahrheit und eine Nebenkerze, damit die Geschäfte weiter laufen können.
    Verbreitung entsteht durch Kontakt, egal ob privat oder geschäftlich.
    Künstler wie Roland Kaiser, Prinzen, Helene Fischer und wie sie alle heißen, verdienen durch Tantiemen, Funk und Fernsehkonserven und diverse Downloadplattformen noch genug und könnten ihren ach so armen Kollegen und Techniker doch mal mit einem Fond unter die Arme greifen. Schließlich fanden/finden ihre Shows nur durch deren Arbeit statt.
    Warum soll ich für Kaisers oder Fischers Techniker gerade stehen.

  11. 49.

    Warum so nebulös? Was sind denn die Grundzüge des schwedischen Gesundheitssystems und was ist der wesentliche Unterschied zu Deutschland - gerade in Bezug auf Corona?

  12. 48.

    Sie dürfen nicht ihre Moral als das einzig gültige hinstellen und jeder der diesem nicht entspricht als Unmensch.
    Schauen sie sich mal die Grundzüge der schwedischen Gesundheitssystems an. Und bitte auch wie die Akzeptanz dieses in der Gesellschaft ist.
    Es gibt nicht nur eine Sichtweise und Herangehensweisen und das bezieht sich nicht nur auf Corona.

  13. 47.

    Sie sprechen von "intelligentem Handeln" und gleichzeitig von "Maskenwahn". Erkennen Sie den Widerspruch? Wahrscheinlich nicht, wenn man Ihren Ausführungen folgt. Niemand spricht von einem Killervirus, es wird klar verständlich die Gefahr einer Infektion, Übertragung, Erkrankung und deren möglichen Folgen erläutert. Überall und seit Monaten. Wenn man dann - so wie Sie - immer noch nicht verstanden hat, dass man das Virus auch asymthomatisch an anderen Menschen weitergeben kann (welche eventuell danach schwer erkranken), dann nenne ich das asozial. Nicht Angst und Panik - so wie Sie das interpretieren - sondern Vorsicht und Vorsorge sind probate Mittel, die Pandemie durchzustehen. Ich frage mich ob Ihrer Worte wirklich, wo Ihr Realitätssinn ist?

  14. 46.

    Kunst und Kultur sind verschmerzbar, Konsum aber nicht? Dann ist ja wenigstens der Black-Friday gerettet. ...au backe.

    Vielen Dank Frau Ossowski für den Beitrag!

  15. 45.

    “Covid 19 kann für einige zu einer lebensgefährlichen, ja tödlichen Krankheit werden, aber es ist nicht der Killervirus, der uns alle umbringt.” Und diese „einigen Menschen“ wollen Sie so einfach dafür opfern, dass Sie weiterleben können wie bisher? Das Leben dieser Menschen ist weniger wert als das Ihrige? Ich habe selten einen so menschenverachtenden Kommentar gelesen. Schämen Sie sich.

  16. 44.

    @Maria Ossowski: "Diese Entscheidung trifft die Falschen"???
    Eine einfältige, aus meiner Sicht überflüssige und insbesondere überhebliche Überschrift und Aussage von Ihnen. Als ob es auch "die Richtigen" treffen kann? Es gibt nicht "die Richtigen" und "die Falschen". Mit solchen Aussagen spalten Sie! Und Sie können auch nicht für alle Kulturschaffenden reden. Denn Partyverantaltungen bei denen Hygieneregeln nicht befolgt werden (können), sind auch Kulturbetriebe. Meine Bitte: Die Problematik bitte etwas differenzierter betrachen.

  17. 43.

    Die Schuldzuweisungen im Kommentar an die "Partymacher" sind ebenso erbärmlich wie die auf Angst und Panik ausgerichtete, aktionistische Handlungsweise der Regierenden in Bund und Ländern sowie die mediale Unterstützung. Gelassenheit, Souveränität, Zuversicht, Realitätssinn und Logik bleiben allenthalben außen vor. Und am erbärmlichsten sind die Rufe der Bürger mit dem sich selbst attestierten "gesunden Menschenverstand" nach immer noch schärferen Regelungen und härteren Strafen. Das sind die wirklich Asozialen in der Gesellschaft und nicht jene, die die Maßnahmen kritisch hinterfragen und nicht bereit sind, die noch so blödsinnigste Maßnahmen jubilierend umzusetzen. Mehr intelligentes, eigenverantwortliches Handeln, weniger Hysterie und Maskenwahn sind ein probates Mittel, die Pandemie langfristig durchzustehen. Covid 19 kann für einige zu einer lebensgefährlichen, ja tödlichen Krankheit werden, aber es ist nicht der Killervirus, der uns alle umbringt.

  18. 42.

    Offensichtlich begreifen weder die Autorin nocb die Branchen, die lamentieren, dass das Virus undichtbar und aggressiv ist und überall jeden anstecken kann. Jegliche Hygjenekonzepte bringen nichts. Das einzige, was hilft, ist Abstand halten und Kontakte zu Mitmenschen gering halten. Wann begreifen das die Leute endlich mal?

  19. 41.

    Es geht darum alles herunterzufahren, damit man nicht mehr das Haus ständig verlässt und anderen Menschen begegnet. Ohne Schließungen funktioniert das nicht, egal wie gut die Hygiene Konzepte sind. Aber leider sind Schulen und Kitas noch offen, was zur Folge hat, dass dieser Lockdown die 50 pro 100.000 wahrscheinlich nicht erreichen wird.
    Der Skandal ist eher der altmodische Zustand in den Gesundheitsämter die noch mit Papier arbeiten, digitalisiert könnten wir viel mehr verkraften und somit Insolvenzen vermeiden. Eigentlich sollte Spahn wegen diesem Zustand zurücktreten, es ist wirklich peinlich im Jahr 2020 noch so arbeiten zu müssen.

  20. 40.

    Kirchen waren mehrfach! Ausgangspunkte für Infektionen!! Nach der verqueren Logik der protestantischen Pfarrerstochter aus Templin aber natürlich kein Grund, singende und chorisch sprechende Gläubige von den Kirchen fernzuhalten!!
    Was will man aber auch anderes von einer Amtsträgerin und fast allen MP's erwarten, die ihre Eidesformel mit einem "So wahr mir Gott helfe" krönen!!
    Ich gönne wirklich jedem seinen Gottesdienst in der Kirche, so lange ich meinen seelischen Beistand in Theatern und anderen Kunsteinrichtungen erlangen darf. Bin aber leider nur ein atheistisches Mängelwesen.

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