Kommentar | Weihnachtszeit ohne Kulturveranstaltungen - Die Seele leidet

Do 26.11.20 | 16:44 Uhr | Von Maria Ossowski
  18
Archivbild: Weniger Stühle pro Sitzreihe sind im Zuschauerraum des Berliner Ensembles wegen der Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie. (Quelle: dpa/B. Pedersen)
Audio: Inforadio | 26.11.2020 | Maria Ossowski | Bild: dpa/B. Pedersen

Mit den neuen Corona-Beschlüssen darf zwar der Weihnachtsbraten mit der Familie vertilgt werden, auf Kulturprogramm muss aber weiter verzichtet werden. Das ist zu kurz gedacht, kommentiert Maria Ossowski.

Dreimal hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungserklärung die Kultur erwähnt. Erstens, dass die Kultur mit großen wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen hätte. Zweitens, es dürfe nicht heißen "Gesundheit ODER Kultur", sondern "Gesundheit UND Kultur". Und drittens, dass Kultur und Gastronomie eine besonders große Last trügen.

All das ist völlig richtig, praktisch aber bedeutet der Beschluss: Kulturelle Veranstaltungen wird es keine geben, mindestens bis Januar. Ausgenommen sind das Radio, das Fernsehen oder Streaming im Netz. Aber Menschen, die musizieren oder Konzerte besuchen, die Theater und Tanz lieben, die sich gern an dunklen Tagen in Museen der Kunst erfreuen, dürfen trotz aller hervorragend erarbeiteter Hygienekonzepte der Einrichtungen: schlicht nichts. Und das ist keine kleine Minderheit.

Statistik spricht gegen Kulturpause

Schauen wir uns kurz die Zahlen der Vorjahre an. 18 Millionen Opern- Theater-, Konzert- oder Lesungsbesuche weist die Statistik aus. Das wären anderthalb Millionen im Monat. Rechnen wir die Sommerferien raus und den Dezember rein als besonders beliebt, wissen wir, dass in der Vorweihnachtszeit sehr viel mehr Menschen als sonst auf etwas verzichten, das hygienisch so abgesichert ist wie kaum ein anderer Bereich.

Hinzu kommen pro Monat neun Millionen Museumsbesuche. Erfahrungsgemäß - das ist nicht elitär, sondern schlicht Realität - halten sich Kulturfreunde besonders streng an Hygienevorgaben. Nach der erstaunlich groben Mahnung der nordrhein-westfälischen Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), die Kultur solle keine Extrawurst braten, traut sich fast niemand mehr, an derlei Maßnahmen Kritik zu üben. Ihr Subtext lautete: Ihr Kulturtypen, stellt Euch gefälligst nicht so an. Die Überbrückungsgelder für Kulturschaffende sollen schließlich gezahlt werden, wenn’s auch im November besonders hakte. Also: Kultur, gib Ruhe.

Kultur gegen Einsamkeit

Einspruch. Stopp. Das ist zu kurz gedacht. Dem liegt ein Kulturverständnis zugrunde, das Vergnügen und Begegnung mit anderen und damit die Ansteckungsgefahr in den Mittelpunkt stellt. Weihnachten ist aber keineswegs nur Familienglück. Die Weihnachtszeit ist für sehr viele Menschen in diesem Land eine besondere Herausforderung. Eben weil sie familiäre Verluste oder Trennungen verkraften müssen, oder auch, weil sie krank sind.

650 Menschen sterben bei uns täglich an Krebs. Jeden Tag. 650. Hinzu kommt: Für viele ist Weihnachten besonders hart, weil sie allein sind. Knapp 18 Millionen Ein-Personen-Haushalte gibt es in Deutschland. Das ist nahezu die Hälfte. Sie mögen es kitschig nennen oder peinlich-pathetisch: Aber die Seele vieler Menschen braucht in der Vorweihnachtszeit Trost. Trost mit Musik, mit Konzerten, mit Theatern, mit Musicals, mit Kunst. Kultur hilft, die seelisch herausforderndste Zeit des Jahres gut zu überstehen.

Weihnachtskonzert statt Weihnachtsgans

Viele von uns Zuhörern und Zuhörerinnen sowie Zuschauer und Zuschauerinnen, wir, die Besucher und Besucherinnen, hätten alles getan: Masken immer getragen, Abstand immer gehalten, um der Vorweihnachtszeit eine - nochmal Kitschgefahr - innere Bedeutung zu verleihen. Jetzt konzentriert sich das Miteinander auf Konsum und Familie.

Die Politik überschätzt Geschenke und unterschätzt seelische Bedürfnisse. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, heißt es in der Bibel. Für 2020 und die Kultur gilt: auch nicht allein von der Weihnachtsgans im Familienkreis.

Was Sie jetzt wissen müssen

Beitrag von Maria Ossowski

18 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 18.

    Einfach machen! Vielleicht können Sie Ihren Pass ja bei Bauhaus am Info-Tresen abgeben.

  2. 17.

    Nee - eine absolute Zumutung. Das "Flair" fehlt einfach und nicht ist monetär dazu in der Lage sich adäquate Hardware einzubauen bzw. anzuschließen und einzurichten.

  3. 16.

    Sie haben sooo recht! Und außer Kultur ist auch sportliche Betätigung so wichtig um glücklich zu sein. Auch in diesem Bereich gibt es vertrauenswürdige Hygienekonzepte.

  4. 15.

    Offensichtlich haben Kinos und die subventionierten Theater eine weitaus bessere Lobby als Kinder. Was da alles in den Medien lanciert wird! Bringen Sie mal bitte genauso oft etwas über die Schulbus-Problematik. Im Flächenland Brandenburg ein sehr relevantes Thema.

  5. 14.

    Endlich! Endlich bricht jemand im öffentlich-rechtlichen Bereich eine Lanze für die Kultur - auch wenn es der Sportbereich genauso verdient hat.
    In einer Gesellschaft ohne Kultur sind wir Neandertaler. Und eine Bachkantate von der CD oder auf dem TV ersetzt bei weitem kein Live-Event - weder bei den Kulturschaffenden noch bei den Kulturkonsumierenden.
    Ich bin weder Corona-Leugner noch Verschwörungstheoretiker - aber es ist längst überfällig, sich sachlich kritisch und hinterfragend mit den Entscheidungen der Politik in der Öffentlichkeit auseinander zu setzen!

  6. 13.

    Liebe Frau Ossowski,
    Sie sprechen mir aus der Seele.
    Vielen Dank für diesen klugen Kommentar.
    Normalerweise gehe ich in der Vorweihnachtszeit gern mit meiner über 70jährigen, aber rüstigen Mutter sehr gern auf Konzerte, vor allem das traditionelle Konzert im Gymnasium meiner Töchter ist immer ein absoluter Höhepunkt. Hinzu kommen normalerweise weitere Konzertbesuche und regelmäßig besuchen wir gern Konzerte der Alten Musik - die sind nicht mal in normalen Zeiten ausverkauft, Hygienekonzepte daher locker einzuhalten.
    Dieser Umgang mit der Kultur tut einfach weh.
    Herzliche Grüße aus Köpenick

  7. 11.

    Hier werden Kultur und die Seele von Menschen massiv zertreten! Der Regierung ist wichtiger: Hauptsache das Bauhaus hat auf! Ich wünsche mir den Tag herbei, meinen deutschen Pass abzugeben!

  8. 10.

    @Prenzlauer.Sie haben Recht.
    Die Politik gleicht einem Blindflug im Nebel.

  9. 9.

    Sie haben recht, liebe Frau Ossowski, und zugleich auch nicht. Das bennt man ekn Dilemma. In dem wir uns ALLE befinden. Wer weiß denn wirklich, was richtig ist? Es gibt im Leben Zeiten, in denen man nur hoffen kann, so wenig wie möglich falsch zu machen. Naturkatastrophen - und um elne solche handelt es sich bei einer Pandemie - kann man nicht demokratisch verhandeln. Das Virus folgt keinen längerfristigen Parlamentsbeschlüssem und Werten wie "Recht auf...". Würde es sich statt um eine "unsichtbare" Pandemie um einen für alle sichtbaren Tsunamie handeln, würde manch einer seinen "Mut zum Einspruch" verhaltener äußern. Es geht doch um das Setzen von der Haupt-Sache, nicht den Einzelinteressen (und seien diese noch so zahlreich zu quantifizieren und eben im Einzelnen "berechtigt") angemessenen Prioritäten. Das ist politische Gestaltung in Krisenzeiten. Jetzt zeigt sich, wer und was political Leaderhip ist. Zu beneiden sind Entscheider derzeit wohl nicht.
    Trotz alledem: Bleiben Sie weiter so leidenschaftlich engagiert, liebe Frau Ossowski.

  10. 8.

    Liebe Frau Ossowski, ich gönne Ihnen Ihre Kultur von Herzen und allen, die sie vermissen. Dem Gedanken, dass Kultur nicht elitär sei, kann ich indes nicht folgen. Wenn Sie ins Berliner Ensemble gehen oder in die Deutsche Oper, wie hoch sind dort die Eintrittspreise? Und glauben Sie, dass nicht-elitäre Schichten bereit und willens sind, ambitionierten und modernen Inszenierungen zu folgen, die gerne auch mal vier Stunden dauern? Da dürfte den meisten doch die Weihnachtsgans lieber sein.

  11. 7.

    Ich habe nicht den Eindruck, dass sich Politiker in der Zeit der Pandemie auch nur ansatzweise Gedanken über den Seelenzustand der Bevölkerung gemacht haben.Eigentlich haben sie gar keine Empathie gezeigt.

  12. 6.

    Leider wird hier eine kultur- und wirtschaftspolitische Verwüstung angerichtet.
    Leider werden Regierungs-Politiker in den Medien auch völlig unkritisch befragt.
    Hier wird ein derartiger Schaden angerichtet.
    Wer segnet denn das alles ab?
    Warum stoppt der Berliner Senat diesen Irrsin nicht?
    SPD, LINKE, GRÜNE...
    Das kann doch nicht Euer Ernst sein???

  13. 5.

    Und was ist mit den Schwimmhallen, den Sporteinrichtungen usw. Auch da gibt es sehr gute Hygienekonzepte und es ist ebenfalls kein einziger Coronafall bekannt, auch in den Konzerthäusern, Museen und Gaststätten nicht.
    Aber wo kommen dann die Fälle her. Wo fängt man an, und wo hört man auf. Es ist alles sehr schwierig, darum lasst uns weiter durchhalten.
    Vielleicht kann man alles wieder öffnen, dafür aber eine Ausgangssperre für alle von 20.00 bis 6.00 einführen. Ob das was bringen würde? Keiner weiss das. Freundliche Grüsse und trotzdem eine schöne Adventszeit

  14. 4.

    Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich würde jede Weihnachtsgans gegen ein Konzert von Klaus Hoffmann eintauschen. Ich hatte schon Tickets für den 1.12. Einfach nur traurig, dass unsere Politiker so wenig kreativ bei der Verhängung von Maßnahmen sind. Bleiben Sie gesund. Herzliche Grüße Wolfgang Koch

  15. 3.

    Ein netter Bericht pro Kultur ... aber leider läßt sich das auf viele Bereiche ausdehnen.
    Selbst wenn die Veranstalter schnelltests bei allen Besuchern machen würden, würde sich nichts am Ergebnis ändern.
    Bei Restaurants wurde wochenlang über heizpilze debattiert ..... und was hat es gebracht .... nichts.
    Es geht nicht darum ob irgendwas sicher ist oder nicht.
    Es geht nur noch darum, etwas zu tun. Und da nimmt man die Bereiche die sich nicht so sehr beschweren bzw. deren Beschwerden schnell abgetan werden können.

  16. 2.

    Habt ihr eigentlich nur eine Redakteurin, die bei euch Kulturthemen kommentiert? Bisschen einseitig - schade. Die Haltung von Fr. Ossowski kennen wir ja schon aus diversen anderen Artikeln.

  17. 1.

    Bach kantate auf youtube ist keine kultur???

Das könnte Sie auch interessieren