Schlesinger-Affäre - ARD entzieht rbb-Spitze das Vertrauen

So 21.08.22 | 14:57 Uhr
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Archivbild: Tom Buhrow, ARD-Vorsitzender am 12.02.2020 in Berlin (Quelle: dpa/O.Berg)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.08.2022 | Jo Goll | Bild: dpa/O.Berg

Die Intendanten der ARD trauen der geschäftsführenden Spitze des Rundfunks Berlin-Brandenburg nicht zu, die Vorfälle rund um Ex-Senderchefin Schlesinger schnell genug aufzuarbeiten. Der DJV-Chef fordert eine Neuausrichtung des rbb.

Die Intendantinnen und Intendanten der ARD haben der amtierenden rbb-Spitze das Vertrauen entzogen. Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow erklärte, nach wie vor erführen seine Kolleginnen und Kollegen immer neue Vorwürfe ausschließlich aus der Presse. "Wir, die Intendantinnen und Intendanten der ARD, haben kein Vertrauen mehr, dass der geschäftsführenden Leitung des Senders die Aufarbeitung der diversen Vorfälle zügig genug gelingt."

Buhrow: laufen Informationen hinterher

Für die ARD-Familie sei es jetzt wichtig zu wissen, dass man alle Informationen bekomme, um Rede und Antwort stehen und Schlussfolgerungen ziehen zu können, sagte Buhrow der ARD. "Wir wissen, dass die jetzige Geschäftsführung sich wirklich bemüht, die Dinge da aufzuräumen und aufzuklären, aber wir können einfach nur feststellen, dass wir immer noch Informationen hinterherlaufen und Dinge aus der Presse erfahren." Das heiße nicht, dass der rbb aus der ARD ausgeschlossen sei, aber, betonte Buhrow, dass man feststellen müsse, dass das Vertrauen in die Informationen, die geliefert werden, nicht mehr da sei.

Buhrow zollte der zurückgetretenen Rundfunkratsvorsitzenden Friederike von Kirchbach seinen Respekt. Ihr Schritt setze ein Signal für einen tiefgreifenden Neuanfang beim rbb. "Dieser wird auch die amtierende Geschäftsführung des Senders betreffen müssen", denn es sei fraglich, dass der rbb mit dieser Aufstellung stabilisiert werden könne. "Das ist aber im elementaren Interesse der ARD, der leidgeprüften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch der Menschen im rbb-Sendegebiet", so Buhrow.

Ähnlich äußerten sich NDR-Intendant Joachim Knuth, HR-Senderchef Florian Hager und SWR-Intendant Kai Gniffke, der im kommenden Jahr wohl neuer ARD-Vorsitzender werden dürfte. "Es braucht jetzt vollständige Transparenz und Aufklärung über die Vorgänge im rbb und einen Neubeginn unter neuer Führung", forderte Hager am Sonntag. "Ich habe nicht den Eindruck, dass die rbb-Geschäftsführung willens oder in der Lage ist, die Vorgänge hinreichend aufzuklären, um den Sender wieder zu stabilisieren", ergänzte Gniffke. "Dies scheint mir aber im Interesse der Kolleginnen und Kollegen im rbb, die jeden Tag weiterhin gutes Programm unter schwierigsten Bedingungen machen, dringend geboten zu sein", so der SWR-Chef weiter.

Redmann: Vertrauen in Rundfunk- und Verwaltungsrat erschüttert

Nach Ansicht des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Brandenburger Landtag, Jan Redmann, will die ARD mit ihrem Misstrauensvotum gegenüber der rbb-Geschäftsführung deutlich machen, dass sie an der Seite der Aufklärung steht und sich nicht für deren Versäumnisse mitverhaften lassen. Redmann äußerte sich in einem rbb24 spezial am Abend im rbb Fernsehen. Zudem, so Redmann, sei das Vertrauen in den Rundfunkrat und den Verwaltungsrat erschüttert. Er fordere, dass nach dem Bericht der externen Anwaltskanzlei über die mutmaßlichen Verfehlungen der Intendantin sehr schnell der Rundfunkrat neu besetzt werden solle. Anschließend müsse die Geschäftsleitung und die Intendanz neu besetzt werden.

Daniel Keller, Vorsitzender der Brandenburger SPD-Landtagsfraktion, forderte am Sonntag auf Twitter den Rücktritt Hagen Brandstäters. Brandstäter ist seit dem Rücktritt Patricia Schlesingers geschäftsführender Indendant des rbb.

Manager kaltgestellt

Erst am Freitag war bekannt geworden, dass der Rundfunk Berlin-Brandenburg seit vier Jahren einen Medienmanager bezahlt, den die abberufene Intendantin Patricia Schlesinger freigestellt hat. Die Zahlungen verantwortete neben der Intendantin auch Susann Lange, damals Justitiarin des Senders und heute Juristische Direktorin. Der Manager war zuletzt als Geschäftsführer für eine Tochterfirma des Senders tätig.

Wegen Vorwürfen der Vetternwirtschaft, Vorteilsnahme und Verschwendung war rbb-Intendantin Patricia Schlesinger am 7. August zurückgetreten. Sie war zuvor auch ARD-Vorsitzende, diesen Posten hatte sie bereits zuvor abgegeben.

Pienkny neuer Rundfunkratsvorsitzender

Den Posten der zurückgetretenen Rundfunkratsvorsitzende von Kirchbach übernimmt kommissarisch der stellvertretende Rundfunkratsvorsitzende Dieter Pienkny vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Er bezeichnete die ARD-Ankündigung in der rbb-Abendschau als unzureichend. Es sei nicht deutlich geworden, welche Konsequenzen dies nun habe, so Pienkny. "Dieser erste Schritt von Tom Buhrow mag sehr löblich sein, aber was folgt daraus? Kommt jetzt ein Expertenteam des WDR oder woher auch immer und übernimmt die Geschäfte?" Er hätte sich ein paar mehr Informationen gewünscht, bevor man sich dazu äußert.

Allerdings schwinde auch sein Vertrauen in die Geschäftsführung. Nahezu täglich gebe es Hiobsbotschaften. Die ARD und der rbb seien kein Selbstbedienungsladen. Pienkny forderte, die Vorwürfe möglichst schnell aufzuklären, denn es müsse endlich Ruhe in den rbb einkehren.

Kapek überrascht über Ankündigung - Stohn empört

Die Berliner Grünen-Politikerin, Antje Kapek, die Mitglied im Rundfunkrat ist, äußerte sich überrascht über die Ankündigung. Es stehe den ARD-Intendanten eigentlich nicht zu, den Rücktritt zu fordern. Das sei Aufgabe des rbb-Rundfunkrats. Andererseits könne sie die Wut über den Skandal natürlich nachvollziehen. Das entspreche auch der Stimmung, die unter den Mitarbeitenden des rbb herrsche. Bei allen Reformen, die nötig seien, müsse der rbb aber in den nächsten Wochen arbeitsfähig sein.

Der brandenburgische SPD-Landespolitiker Erik Stohn, der ebenfalls Mitglied im Rundfunkrat ist, sagte rbb24-Brandenburg Aktuell, er finde das Vorgehen von Tom Buhrow und den anderen Intendanten eine ziemliche Unverfrorenheit. "Das ist eigentlich friendly fire, was da stattfindet", sagte Stohn bei Brandenburg Aktuell. "Jetzt gänzlich ohne Geschäftsführung dazustehen in so einer Situation, wo der rbb in schweres Fahrwasser gerät ist fahrlässig. Und es steht dem ARD-Intendanten ehrlicherweise auch nicht zu."

Der rbb sei eine von neun gleichberechtigten Rundfunkanstalten der ARD. Er kritisierte auch, dass es Intendanten-Schalten ohne den rbb gegeben habe. Die Geschäftsleitung müsse das Vertrauen gegenüber dem Rundfunkrat und gegenüber den Rechtsaufsichten der Länder Berlin und Brandenburg gewährleisten.

rbb-Redaktionsausschuss fordert Rücktritt der Geschäftsleitung

In einer Erklärung fordert der Redaktionsausschuss des rbb den Rücktritt der Geschäftsleitung. Die Vertretung der Journalistinnen und Journalisten des Hauses vertraue nicht mehr darauf, dass mit dieser Geschäftsführung eine lückenlose Aufklärung möglich sei, heißt es. Auch dürften jetzt nicht einfach die Stellvertreterinnen und Stellvertreter automatisch nachrücken.

Der Redaktionsausschuss fordert andere, flachere und wirklich transparente Strukturen. Dazu werde erwartet, dass die Belegschaft, in diesen Prozess mit einbezogen werde.

DJV fordert Neuausrichtung

Der Forderung des rbb-Redaktionsausschusses wollte sich der Vorsitzende des Deutschen Journalisten Verbands (DJV), Frank Überall, nicht anschließen. Er sagte im rbb24 Inforadio am Sonntag, es gebe ja auch die Frage, wer es dann mache. Man müsse gemeinsam mit der Belegschaft darüber nachdenken, wie man den Sender jetzt mit wirklich gutem Personal neu aufstellt. "Ob das von von jetzt auf gleich geht, ist die große Frage."

Überall fordert in der rbb-Affäre aber eine Neuausrichtung des Senders. Alle Prozesse und Strukturen, die sich gegen Korruptionsgefahren wenden, müssten neu und richtig aufgesetzt werden. Da habe der rbb ganz offensichtlich Nachholbedarf. Darüber müsse man aber auch in der ARD und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt nachdenken, wie man das implementiere. Das betreffe auch die Gremien, so Überall: "Was kann und darf ein Verwaltungsrat und welche Personen sind da die richtigen und wie können diese möglicherweise auch geschult werden."

Der Verwaltungsrat kommt am Montag zu einer Sondersitzung zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

Sendung: rbb24 spezial, 20.08.2022, 20:15 Uhr

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78 Kommentare

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  1. 78.

    @ Erika, zum anderen Beitrag (Kommentarfunktion leider schon geschlossen): ja Sie haben recht, mein Kommentar ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Erst überlegen, dann schreiben gilt auch für mich. War einfach ein Denkfehler von mir und dazu stehe ich. Entschuldigung an alle, denen ich Unrecht angetan habe.

  2. 77.

    " denn es müsse endlich Ruhe in den rbb einkehren "

    Grabesruhe ?? darauf werden Tom Buhrow u. die anderen Intendanten hoffen, denn die Gesellschaft vergißt schnell, ständig kommen neue beunruhigende Nachrichten, die schnell den casus rbb vergessen lassen

  3. 76.

    Die ARD hat reagiert und das ist richtig. Wenn die ARD nicht reagiert hätten, wäre das Geschrei mindestens genauso groß (wahrscheinlich sogar von denen, die jetzt am mosern sind).
    Nichtsdestotrotz ist es für uns zahlende ganz wichtig die gesamte Struktur der öffentlich/rechtlichen Sendeanstalten auf den Prüfstand zu stellen.
    Aber wenn ich mir die privaten anschaue mit ihrem seichten (und ebenso reich an Wiederholungen) Programm dann bin ich der Überzeugung, wir brauchen die ö/r Sender.

  4. 75.

    Herr Buhrow hat gar nichts zu fordern. Er gehört selbst zu diesem System und ihm traue ich weder Aufklärung noch ehrliche Antworten zu. Der Spitzenverdiener der Landesrundfunkanstalten ruft nun "Haltet den Dieb". Und die ARD ist der Zusammenschluss aller Landesrundfunkanstalten. Wem will denn Herr Buhrow Rede und Antwort stehen? Zitat Buhrow: "Das bedeutet nicht, dass der RBB aus der ARD ausgeschlossen sei". Das kann er auch garnicht. Er sieht seine eigenen Pfründe davon schwimmen, nicht mehr und nicht weniger. Buhrow ist genauso wenig neutral, wie der gesamte ÖRR.

  5. 74.

    Korruption und Vetternwirtschaft in einem System, dass Übervorteilung und Ellebogendenken grundsätzlich belohnt. Überraschung Überraschung...

  6. 73.

    Macht den Laden zu und mit den Gebühren ist ruh!

  7. 72.

    Das heutige Interview in "Brandenburg aktuell" mit dem Politfunktionär Stohn (SPD) war ja wohl ein Tiefpunkt der Berichterstattung. Der Mann hat nichts begriffen, aber auch gar nichts. Leute wie Stohn sind Teil des Problems, nicht der Lösung. Parteienfilz, Cousinenwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität sind leider eine innige Verbindung eingegangen.

  8. 70.

    " Das Problem ist größer als Schlesinger oder der rbb "

    sehe ich auch so, besonders : " ARD entzieht rbb-Spitze das Vertrauen " , bedeutet, dass rbb bisher Vertrauen hatte bzw.
    es wurde gar nicht überprüft > nur nicht dran rütteln < . jetzt gibt es sicher Befürchtungen, dass alle Sendeanstalten " durchleuchtet " werden sollen , für mich kaum vorstellbar, dass der rbb ein Einzelfall ist .

  9. 69.

    Wer hätte das gedacht: Korruption und Vetternwirtschaft in einem kapitalistischen System. Und bevor das kommt, was kommen muss: DDR und SU hatten soviel mit Kommunismus zu tun, wie Putin mit demokratischen Wahlen und Pressefreiheit...

  10. 68.

    Danke für Ihren Beitrag. Auch ich kann mir nicht vorstellen dass von den fast 2.500 rbb Mitarbeitern keiner was bemerkt haben will. Investigativ Journalismus? Bloß nicht im eigenen Haus. Sorry der Sender gehört aufgelöst und bitte nicht die gleichen Journalisten auf anderen Sendern. Bitte nicht. Verlogener geht es jetzt schon nicht mehr.

  11. 67.

    „ Was für eine Verantwortung? Für wen? Gegenüber wen? “
    Wenn nach Verantwortung bezahlt werden würde, müßten Krankenhausbeschäftigte, Polizei und Feuerwehr ja Supergehälter bekommen.
    Also wirklich Herr Buhro, wen haben Sie bitteschön gefrühstückt?

  12. 66.

    „ Herr Wiebrecht, Frau Oswald, Frau Lamprecht, Herr Zelle und alle diejenigen, die sich in der Öffentlichkeit jetzt echauffieren! Sie haben das alle nicht gewusst?
    Wer soll das denn glauben? “
    Ganz genau das habe ich mich auch schon gefragt!

  13. 65.

    Für mich wird es höchste Zeit daß die alte Geschäftsleitung endlich zurück tritt damit endlich reiner Tisch gemacht werden kann. Alles offen legen damit ein sauberer Neuanfang gestartet werden kann um auch wieder Vertrauen geschaffen wird beim Gebührenzahler/in.

  14. 64.

    Ich muss dem RBB mal echt mein Lob aussprechen. Wie offen sie in den letzten Tagen auf den eigenen Kanälen mit dem Skandal umgehen ist bemerkenswert. Andere Medien würde die Kritik am eigenen Haus nicht so dermaßen veröffentlichen.
    Anders beim RBB der sich allen Anschein nach offen gegen die eigene Führung stellt.

  15. 63.

    „Die ARD und der rbb seien kein Selbstbedienungsladen“ . Lustige Aussage, denn genauso das sind sie offensichtlich doch und viele Gebührenzahler haben sicher genau das immer vermutet und nun bestätigt bekommen. In anderen ARD-Anstalten läuft es sicher ähnlich und dort wird bestimmt
    gerade gezittert….

  16. 62.

    Die Zusammensetzung des Rundfunkrates SOLL die Gesellschaft als repräsentativen Querschnitt vertreten...über Sozialverbände, Kirchen, Gewerkschaft, Bauernverband, Unternehmerverband, Migranten, usw. Das TV-/ Radio- Programm soll ausgewogen sein. WARUM DANN aber im Rundfunkrat mehrere Posten für die Politik bereitgestellt werden?

  17. 61.

    Sie haben das nicht verstanden. Holger will Staatsfernsehen gerade abschalten. Übrig bleiben dann mehr oder weniger nicht Staatssender. Sender wie etwa Hauptstadt TV oder TV Berlin mit ausführlichen Regionalnachrichten bekämen dann auch eine Chance. Jeder kann sich dann da einen Sender suchen dem ER/SIE/ES vertraut und muss nicht zwangsweise die subventionieren, denen er nicht vertraut.
    Der Tagesspiegel titelt 21.12.21 "RBB-Fernsehen holt die rote Laterne" (6,3% Marktanteil)[Sieger MDR 10,3% / der riesen WDR 7,3%] Das sind desaströse "Zustimmungswerte", für die jährlich über 8 Mrd € ins System gebuttert werden.

    Ich lese gerade nebenbei auf dem ZDF "ARD kannte geheimes Bonus-System "... jetzt kämpfen alle um ihr Überleben und hauen andere in die Pfanne. Nach den forderungen das ZDF zu privatisieren.

  18. 60.

    Ein einziger Sumpf!

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