Studie der Uni Leipzig - Hunderttausende Kinder haben in DDR-Heimen Vernachlässigung und Missbrauch erlebt

Di 21.03.23 | 12:06 Uhr
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Blick auf eine Originalinschrift auf einer Liege des ehemaligen Jugendwerkhofes im sächsischen Torgau (Quelle: DPA/Peter Endig)
Bild: DPA/Peter Endig

Viele ehemalige Bewohner von DDR-Kinderheimen leiden bis heute unter den Folgen von Gewalt und Vernachlässigung. Das ist das Ergebnis einer am Montag veröffentlichten Studie des Forschungsverbunds "Testimony", der unter Federführung der Universität Leipzig die Erfahrungen Betroffener untersucht hat.

Demnach geht aus einer Fragebogenstudie hervor, dass 87 Prozent der Befragten im Heim emotional vernachlässigt wurden und 82 Prozent körperlich vernachlässigt wurden. 48 Prozent sprachen demnach von körperlicher Misshandlung, 41 Prozent sogar von sexuellem Missbrauch in Heimen.

Im Rahmen der Verbundstudie "Erfahrungen in DDR-Kinderheimen - Bewältigung und Aufarbeitung" wurden von der Universität Leipzig zwischen 2019 und 2022 unter anderem 273 ehemalige Bewohner im Alter von 36 bis 84 Jahren befragt.

Die Betroffenen berichteten demnach vielfach von Erfahrungen physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt, Vernachlässigung und Missbrauch. Viele Betroffene erlebten den heutigen Umgang mit DDR-Heimerfahrungen oft als belastend. Die erlebte Gewalt und Vernachlässigung wirkten sich bei einem Teil der ehemaligen Heimbewohner bis heute aus.

500.000 Kinder in DDR-Kinderheimen

Forscher der Universität Leipzig, der Medical School Berlin, der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und der Heinrich-Heine-Universität forderten aufgrund der Ergebnisse der Studie in einer "Leipziger Erklärung" weitere Bemühungen um Aufarbeitung. Der Zugang zu Hilfsangeboten müsse niedrigschwelliger gestaltet und ein sensibler Umgang der Behörden mit Trauma-Erfahrungen gewährleistet werden.

Zwischen 1949 und 1990 waren den Angaben zufolge in der DDR etwa eine halbe Million Kinder und Jugendliche in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen untergebracht. Aus der Teilstudie der Universität Leipzig geht demnach hervor, dass der Aufenthalt in den Heimen zwischen zwei Monaten und 18 Jahren dauerte.

Sendung: Tagesschau, 20.03.2023, 20.00 Uhr

64 Kommentare

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  1. 63.

    Ich srieb doch am Anfang der 70. Jahren genau 1972, und da war es nichts neues, sondern ein jahrzehtelang bewährtes Konzept.Ihre Behauptungent stimmen nicht, meine Wahl hätte durchaus auch wo anders sein können, ohne Bedenken, da war ich sehr gut informiert..
    Das mit der Ächtung der Gewalt gegen Kinder in Jahr 2000,betraf die elterliche Gewalt, und nicht die institutionelle, da gab es sie schon Jahrzehte zuvor.
    Übrigens, das Thema sind Kinder und Jugendliche in institutionellen Einrichtungen.

    Übrigens in Franfurt am Main konnte man zur dieser Zeit mehrmals in der Woche die Auslebung der demokratischen Rechte erleben, sehr starke links außen, zu der ich Kontakte hatte.

  2. 62.

    Einsperr- und Ruhigstellpsychiatrie kam in Westdeutschland erst da unter Druck, als in Italien in den 1970ern eine Bewegung zur Befreiung der Psychiatrie zu kämpfen begann. Alles was wir heute für einen modernen, offenen Ansatz halten, hat da seinen kämpferischen Ursprung. Durch und mit den Betroffenen selbst. Aber das wissen Sie sicherlich.

    Insofern war ich missverständlich: Wie falsch, wie autoritär, wie disziplinarisch, wie sehr unter Medikamentenmissbrauch im speziellen Kinderpsychiatrien noch Anfang der 70er im Schnitt waren, kann ich nicht sagen. Frankfurt/M, Heidelberg war ja vergleichsweise fortschrittlich.

    Wer in Kinderkuren war, wer durch Heime musste, traf 50er, 60er, 70er auf eine autoritäre, disziplinierende und übergriffige Machtstruktur. Nicht vergessen, wie spät wir uns das Gesetz geben wollten, Kinder dürften nicht systematisch geschlagen werden. "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung" Das war erst neulich im Jahr 2000.

  3. 61.

    Werte Frau Kleinschmidt, bitte beachten Sie den korrekten Kontext, Zitat: "Der Rechtsbegriff "Kindesmissbrauch", eine Peinlichkeit aus dem deutschen Strafgesetzbuch." Hier geht es zunächst nur um die Tatbestände im Bereich des Sexualstrafrechts. Was Sie benennen, ist ein Sammelsurium anderer Themen. Ich hoffe, Sie finden Hilfe. Soz.-Päd. B. Winter

  4. 60.

    Werte Frau Kleinschmidt, bitte beachten Sie den korrekten Kontext, Zitat: "Der Rechtsbegriff "Kindesmissbrauch", eine Peinlichkeit aus dem deutschen Strafgesetzbuch." Hier geht es zunächst nur um die Tatbestände im Bereich des Sexualstrafrechts. Was Sie benennen, ist ein Sammelsurium anderer Themen. Ich hoffe, Sie finden Hilfe. Soz.-Päd. B. Winter

  5. 59.

    Das was die kath. Kirche dazu getrieben hat Kinder zu missbrauchen steht aber hier jetzt nicht zur Debatte. Es geht um die Heimerziehung in der ehem. DDR. Und da lief so einiges aus dem Ruder. Sozialistischer Drill, strikte Umerziehung um nur zwei Machtspiele der Stasi zu benennen. Merkwürdig. Und sogleich muß ich an die aktuellen Umerziehungslager in China denken.

  6. 58.

    (Kindes)Missbrauch ist mehr als nur sexuell! Missbrauch ist körperlich und psychosomatisch , somit auch z.b. beeinflussen/stoppen der Entwicklung , ausbeuten und benutzen
    Ich empfinde es z.b. auch als Missbrauch, wenn ein Kind die Verantwortung der Eltern übernimmt/übernehmen muss, weil die Eltern dazu nicht in der Lage sind.
    Meine Mutter war/ist krank, das Jugendamt ließ mich zu Hause, weil es gut für die Gesundheit meiner Mutter war. Ich hatte keinen inneren Raum, mich auf mich selbst zu konzentrieren, zu lernen.
    Das wird auch heute leider noch verkannt, welche Tragweite das für das ganze Leben hat.

  7. 57.

    Wenn ich Ihre Zeilen lese frage ich mich wo es in Westdeutschland so zuging, mit der Einsperrpsychiatrie beispielsweise.
    Ich habe anfangs der 70.Jahre in der Kinder - und Jugendpsychiatrie in der Uni Klinik Frankfurt am Main gearbeitet, und kannte auch solche Einrichtung in Heidelberg gut, und kann geradezu das Gegenteil bestätigen.
    Diese Einrichtungen waren auf Diagnostik und Therapie ausgerichtet, es wurde wertvolle pädagogische Arbeit geleistet und die Eltern wurden einbezogen um ihre Kinder so früh wie möglich wieder in ihre Obhut zu nehmen.

    Auch Ihre andere Beobachtungen kann ich nicht bestätigen, es liest sich wie eine Horror- Geschichte, allerdings die Gefängnisse kannte ich nur von hören sagen.

  8. 56.

    Danke das sie darauf reagiert haben.

    Wer sind Sie?

    Jemand aus der Schule in Börnicke bei Bernau?

  9. 55.

    "Missbrauch im Erzbistum München und Freising - Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren ein" titelt spiegel-online.de
    Und weiter: "Der Staat hat gegen Kirchenverantwortliche des Erzbistums München und Freising wegen möglicher Beihilfe zu Sexualstraftaten ermittelt – und ist dabei nicht weit gekommen."
    Aufklärung BRD 2023. Da mauern Pfaffen.
    Und, dass gerade Sie davon fabulieren, dass wir, die von Ihnen Aufgezählten, das "relativieren" mit dem "Fingerzeig auf den Westen", ist absurd, geradezu peinlich.

  10. 54.

    Zitat: "Es wird endlich Zeit, dass sich der Westen mit sich selbst beschäftigt . . ."

    Was für ein sonderbarer Reflex, mit dem Sie, "Misanthrop" oder "Satanus" auf diesen Artikel antworten. Es gab in der BRD, wie sie bis '90 existierte, einen teilw. verachtenswerten und auch kriminellen Umgang mit Schutzbefohlenen in staatlichen oder kirchlichen Heimen; das ist doch mittlerweile weithin bekannt. Und die Aufarbeitung dazu läuft bereits seit geraumer Zeit, wenn natürlich auch erst viel zu spät eingeleitet und z. T. immer noch steinig auf dem Wege.

    Weit weniger im Fokus stand bisher der Missbrauch in entsprechenden DDR-Unterbringungen. Und dabei ist es wenig hilfreich, ja gelinde gesagt befremdlich, wenn man die nun angestoßene Aufarbeitung der dortigen Verhältnisse mit einem Fingerzeig auf "den Westen" zu relativieren versucht, Wiebke.

  11. 53.

    Der Rechtsbegriff "Kindesmissbrauch", eine Peinlichkeit aus dem deutschen Strafgesetzbuch. Der Bundestag streitet sich lieber über Diäten und Gesamtanzahl der Bundestagsmandate, als darüber, dass dieser unsägliche Begriff endlich aus dem Strafgesetzbuch verschwindet und ersetzt wird durch "sexuelle Gewalt mit Kindern". Wobei "mit" zum Ausdruck bringt, dass hiermit die indirekte (pädophil) UND direkte (pädosexuelle) Form gemeint und vereint ist. Allein der Gedanke, ein Kind als Objekt zu "gebrauchen", um es dann, politisch-gesetzgeberisch gewollt, "missbrauchen" zu können (zu dürfen), muss nicht weiter kommentiert werden. Dbzgl. Fachartikel weisen seit Jahren darauf hin. Soz.-Päd. B. Winter

  12. 52.

    Alles sehr traurig und schrecklich, aber es gab auch viele Kinder - wie mein Mann - die im DDR-Kinderheim weder missbraucht noch vernachlässigt wurden.

    Es wird endlich Zeit, dass sich der Westen mit sich selbst beschäftigt und die jahrzehntelangen Missbräuche in der Kirche, in den Kurheimen an den Verschickungskinder usw. aufarbeiten. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-03/kinderverschickungen-aufarbeitung-nrw-detlef-lichtrauter-interview

  13. 51.

    Gut, jetzt sind wir total empört und vergessen dabei, dass diese Zustände auch in der BRD Gang und Gäbe waren.
    So eine moralische Scheinheiligkeit.
    Erinnert sei da an diverse katholische und evangelischen Kinderheime.
    Da kann man nur hoffen, dass das it der gleichen Intensität aufgearbeitet wird.

  14. 50.

    Gut, jetzt sind wir total empört und vergessen dabei, dass diese Zustände auch in der BRD Gang und Gäbe waren.
    So eine moralische Scheinheiligkeit.
    Erinnert sei da an diverse katholische und evangelischen Kinderheime.
    Da kann man nur hoffen, dass das it der gleichen Intensität aufgearbeitet wird.

  15. 49.

    Und ich habe schon gedacht, die SPD-geführte Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hat tiefgründige Studien über das Kentler-Projekt, welches angeblich Brandenburg nie erreicht hat, in Auftrag gegeben und zuvor die tausenden unter Verschluß liegenden Akten aus den Senats-Kellern freigegeben.
    Oder den Kinderheim-Skandal in Berlin-Pankow der Haasenburg GmbH in gleicher Weise aufarbeiten lassen.
    Soz.-Päd. B. Winter

  16. 48.

    Vielen Dank für Ihren Beitrag. Kann ich sehr gut nachvollziehen. Auch dass viele mit ihrer be...en Kindheit abgeschlossen haben und gar nicht mehr daran rühren wollen. Wir waren zwar auch recht wenig Personal, aber bei uns waren auch nur 40-50 Kinder. Das war überschaubar, da kannte man jedes Kind.

  17. 47.

    Nirgends hab ich bestritten, dass es so gewesen sein, kann! Wieso soll das ein Tritt gegen alle sein, die das erlebt haben? Ich mahne lediglich einen differenzierteren Umgang mit dem Thema an, weil es bei uns auf dem Land und auch in den Heimen, mit denen wir Kontakt hatten, nicht so war. Misshandlungen und Vernachlässigungen fanden in den Elternhäusern statt. Das ist in der Studie scheinbar überhaupt kein Thema. Die Kinder kamen traumatisiert bei uns an. Zum Glück hatten wir damals Akteneinsicht (Datenschutz war noch nicht erfunden)Unbeschreiblich, was viele Kinder schon erlebt hatten. Manche konnten wir auf einen guten Weg bringen, bei anderen sind auch wir gescheitert. Es war oft frustrierend, es war ein ständiger Kampf mit den Behörden. Ich will hier gar nichts verklären, aber Ihre Schwarzweißmalerei ist ein Schlag in die Magengrube all derer, die es ehrlich meinten.

  18. 46.

    Über die Repräsentativität dieser Studie gibt es wohl unbestreitbar große Sorge. Von 500.000 Heimkinder sind 273 angebliche Heimkinder befragt worden; das sind 0,0546 Prozent. Auffallend sind auch jene Kinder, die, wenn ich das richtig sehe, teilweise noch nicht einmal im Heim waren und tw. auch noch keine Fähigkeit zur Speicherung von Erinnerungen haben konnten. Hilfreich ist diese Studie nicht!

  19. 45.

    Der rbb wie auch alle anderen Medien haben NUR abgeschrieben und meistens ohne Quellennachweis. Der rbb hätte nicht recherchieren können, da er nicht dem gesonderten Presserecht unterliegt - es fehlt die Herausgabe eines Druckwerkes (siehe hierzu die jüngste Rechtsprechung). Zudem ist der hiesige Artikel noch nicht einmal autorisiert.
    Und hätte man die Studie tatsächlich gründlich überprüft, so wären bspw. insbesondere die Altersangaben der Studienteilnehmer infrage zu stellen gewesen.
    1) Die DDR bestand nach öffentlichen Quellen zwischen 1949 und 1990, wer mag, auch nur bis 1989.
    2) jüngster Studienteilnehmer 36-jährig: 2022 minus 36 = geboren 1986, also 3-4-jährig und angeblich mit voll ausgebildeter Cortex cerebri, das wäre eine wissenschaftliche Sensation!
    3) ältester Studienteilnehmer 84-jährig: 2022 minus 84 = geboren 1938, also 11 bis 52-jährig und dann im Heim ...

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