Caritas Berlin - Mehr als 50 Jahre Drogenberatung - "die Abstinenz war der Königsweg"

Fr 07.07.23 | 07:04 Uhr
Symbolbild. (Foto: dpa)
Video: rbb24 Abendschau | 07.07.2023 | Marcel Trocoli Castro | Bild: dpa

Chemische Drogen kosteten etliche Menschen im Berlin der 1970er Jahre das Leben. Die erste integrative Drogenberatungsstelle sollte Abhängigen helfen. Seit ihrer Eröffnung hat sich einiges verändert.

Eine der wohl bekannteste Klientinnen der Drogenberatungsstelle in der Königsberger Straße 11 war Christiane F. - jene Frau, die der Westberliner Drogenszene der 1970er Jahre mit dem Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ein Gesicht gab. So zumindest berichtet es die heutige Leiterin der von der Caritas geführten Einrichtung, Heike Nagel. Etliche Jahre später feiert das Haus mit einem Fest sein 50-jähriges Bestehen. Mit der Eröffnung im Jahr 1972 stand das Jubiläum eigentlich bereits vergangenes Jahr an, wurde aber wegen der Corona-Pandemie verschoben.

Erstes integratives Beratungsangebot in Westberlin

Die Suchtberatungsstelle in Berlin-Lichterfelde ist eigenen Angaben zufolge die erste in Westberlin, die ein integratives Beratungsangebot schuf. Das heißt: Nicht nur alkoholabhängige Menschen, sondern auch Menschen, die illegale Drogen wie Kokain oder Heroin konsumieren, werden hier beraten. Die Beratung ist sowohl online als auch persönlich möglich und kann anonym stattfinden. Mehr als 1.000 Ratsuchende holen sich der Caritas zufolge jährlich bei den Beraterinnen und Beratern Hilfe. "Steglitz-Zehlendorf ist ein typisch bürgerlicher Bezirk", sagte Nagel. "Man denkt immer, hier ist alles schick. Aber wir sind voll ausgelastet."

Initiative von Studierenden führte zur Beratungsstelle

Gegründet wurde die Beratungsstelle von Studierenden und nahm ihren Anfang im bekannten Berliner Club "Sound". Konsumiert wurde damals unter anderem "Berliner Tinke" - ein Opiumgemisch und Vorgänger von Heroin. "Heute gibt es viel mehr unterschiedliche Drogen und der Wirkungsgrad ist deutlich höher, gerade bei den chemischen Drogen", stellte Nagel im Vergleich zu den Anfangsjahren fest. Drogenkonsum sei in der bürgerlichen Mitte angekommen. Die Hälfte der nach Hilfe suchenden Menschen in der Königsberger Straße 11 hätte einen Job.

Drogensucht keine "Charakterschwäche"

Auch der Umgang mit dem Drogenkonsum hat sich der Einrichtungsleiterin zufolge deutlich verändert: "Früher hat man gesagt, dass die Abstinenz der Königsweg ist. Heute hat man akzeptiert, dass es Menschen gibt, die nicht aufhören werden." Man habe erkannt, dass Drogensucht keine "Charakterschwäche", sondern eine lebenslange chronische Erkrankung sei. Bei der Beratung gehe es heute demnach nicht mehr nur darum, clean zu werden, sondern auch um Aufklärung und sicheren Konsum. Viele Menschen, gerade auch Jugendliche, würden oft mehrere Drogen konsumieren. Dabei würden die Suchtmittel heute schneller abhängig machen und seien mit gefährlichen Streckmitteln gemischt.

rbb24 Inforadio sagte Beratungsstellenleiterin Nagel: "Aufklärung, Beratung, Prävention mit Veranstaltungen und Infomation - da geht Geld rein. Aber ich glaube, dass das manchmal nicht gut genug aufbereitet ist, oder im falschen Setting präsentiert wird, so dass die Jugendlichen sich da oft gar nicht öffnen können." Die Erfahrung der Beratungsstelle zeige, dass es besser sei da hin zu gehen, wo sich die Jugendlichen aufhalten, also etwa im Jugendzentrum: "Also nicht dahin gehen, wo jetzt auch die Lehrer da sind." Wichtig sei es, "locker ins Gespräch zu kommen, weniger bewertend".

Der Senatsverwaltung für Gesundheit zufolge gibt es in Berlin 28 Suchtberatungsstellen. Sie sind häufig die ersten Anlaufstellen für Menschen, die ihren Konsum hinterfragen. Auch Angehörige könnten die Beratung in Anspruch nehmen. Leider komme nur ein relativ kleiner Anteil suchtkranker Menschen im Hilfesystem an. Das kann den Angaben zufolge unter anderem an Schamgefühl oder Stigmatisierung liegen.

Anhaltende Sorge um Kürzungen und Streichungen

Der Kampf gegen Drogenabhängigkeit sei ein ungleicher, weil der Handel eben sehr gut und hochprofessionell organisiert sei. Hinzu komme, dass auch die Zukunft der Beratung immer unklar sei: "Wir brauchen eine Sicherheit, dass Beratung auch in Zukunft stattfinden kann." Denn der Bedarf an Beratung steige und diesem steigenden Bedarf könnten die Beratungsstellen kaum nachkommen, weil die Ressourcen und darum auch das Personal knapp seien. "Wir gehören nicht zur Pflichtversorgung, sondern sind eine Art Zusatzleistung und wenn irgendwann die Gelder noch knapper werden, hat man natürlich Angst, dass auch uns dann das Geld zusammengestrichen wird."

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.07.2023, 10:25 Uhr

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