Exklusive Bilder aus Brandenburger Stall - "Schreckliche Aufnahmen": So leben Biohühner

Mo 18.09.23 | 18:29 Uhr
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Bio-Hühner im Stall. (Quelle: rbb/animal rights watch)
Bild: rbb/animal rights watch

Wer Bioeier kauft, kauft oft mit gutem Gewissen. Doch geheim aufgenommene Bilder aus einem Biobetrieb in Brandenburg zeigen, dass das Tierwohl unter dem Biosiegel offenbar nicht wirklich im Vordergrund steht. Von Jonas Pospesch

  • exklusive Bilder aus Bio-Hühnerfarm
  • Tierschützerin nicht überrascht
  • viele kranke Hühner zu sehen
  • Bio-Siegel nicht mit Tierschutz gleichzusetzen
  • Landestierschutz fordert EU-Anpassung des Bio-Siegels

Saftige grüne Wiesen, viel Platz im Stall, ausgiebige Möglichkeiten zum Scharren und Picken: Solche Bedingungen für Hühner stellen sich vermutlich viele Verbraucher vor, wenn sie Bioeier kaufen. Geheim aufgezeichnete Videos aus einem Bio-Legehennenbetrieb in Zempow bei Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) dokumentieren allerdings andere Zustände. Die Tierschutzorganisation Animal Rights Watch hat dem rbb-Verbrauchermagazin Super.Markt das Material aus dem Juli 2023 zugespielt.

"Die Aufnahmen sind furchtbar schrecklich, aber überrascht haben sie mich nicht. Man sieht auf den Bildern die Folgen der typischen Bio-Haltungsbedingungen und die sind kahlgepickte Hühner […] und kranke Tiere", kommentiert Sandra Franz, Sprecherin von Animal Rights Watch, die Bilder.

Verdacht auf Parasitenbefall und Beinschäden

Super.Markt hat die Aufnahmen Expertinnen des staatlichen Thünen-Instituts für ökologischen Landbau vorgelegt. Nach ihrer Einschätzung zeigen die Bilder unter anderem Tiere mit einem Verdacht auf Parasitenbefall und Tiere mit mutmaßlichen Beinschäden. Diese müssten eigentlich von der Herde separiert werden, um sie vor Pick-Attacken ihrer Artgenossinnen zu schützen, sagen die Expertinnen.

Ob das hier passiert, ist zumindest fraglich. In dem vorliegenden Material ist nur ein entsprechend vergitterter Käfig zu sehen, darin befinden sich zwei Ebenen, beide sind leer. Auf eine Bitte um Stellungnahme zu dieser Einschätzung hat der Betrieb nicht reagiert.

Animal Rights Watch glaubt nicht, dass der Betrieb gegen die Bio-Vorgaben verstoßen hat. Die sehen laut Sandra Franz allerdings auch nicht vor, den Tieren ein gutes Leben zu ermöglichen. "Es geht bei Bio hauptsächlich darum, dem Verbraucher ein sauberes Produkt zu liefern, etwa ohne Antibiotikarückstände in den Eiern. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass ich etwas für den Tierschutz tue, wenn ich Bioeier kaufe. Darum geht es bei Bio nicht."

Was "Bio" eigentlich bedeutet

Tatsächlich sieht die EU-Richtlinie zum Biosiegel unter anderem vor, dass auf einem Quadratmeter Stallfläche maximal sechs Legehennen leben dürfen.

Das ist großzügiger als bei der konventionellen Freiland- und Bodenhaltung, dort kommen neun Hennen auf einen Quadratmeter. Wie bei der Freilandhaltung sind für jede Henne vier Quadratmeter Auslauf vorgeschrieben. Die Hennen müssen aber nur ein Drittel ihres Lebens Zugang zum Auslauf haben. Und ob der Auslauf wirklich so gestaltet ist, dass die Hennen ihn gern nutzen, steht auch auf einem anderen Blatt.

Zusätzlich gelten in der Biohaltung Regeln über die Herkunft des Futters oder die Medikamente, mit denen die Tiere behandelt werden dürfen. Nach Auffassung der Brandenburger Landestierschutzbeauftragten, Anne Zinke, heißt das aber noch lange nicht, "dass die Tiere ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden". Ihre Berliner Amtskollegin Kathrin Herrmann geht noch einen Schritt weiter, nach ihrer Einschätzung handelt es sich bei dem Biosiegel vor dem Hintergrund von Aufnahmen wie aus Zempow um eine "absolute Konsumententäuschung".

Bio- und Massentierhaltung schließen sich nicht aus

Zwei wichtige Faktoren für das Wohlergehen der Tiere sind laut Tierschützern die Gruppengrößen in den Ställen und die verwendeten Legehennen-Züchtungen. In freier Wildbahn leben Hühner in Herden um die 30 Tiere. Biobetriebe dürfen bis zu 3.000 Legehennen in einem Stall halten (konventionell: 6.000). "Das bedeutet einfach Stress, weil die Tiere sich auch nicht aus dem Weg gehen können", erklärt Anne Zinke.

In einem Gebäude dürfen Biobetriebe mehrere Ställe unterbringen. Große Anlagen sind in Brandenburg die Regel: 25 Bio-Legehennenbetriebe sind im Land registriert, davon halten laut amtlicher Geflügelstatistik 21 Betriebe 10.000 Tiere oder mehr. Bio und Massentierhaltung schließen sich also nicht aus.

Durchschnittlich 288 Eier pro Henne und Jahr

Im Bio-Bereich werden außerdem überwiegend dieselben speziell gezüchteten Hühnerrassen eingesetzt wie in der konventionellen Landwirtschaft. Die Züchtung ist auf maximale Effizienz ausgerichtet, die Hühner sollen also möglichst viele Eier legen. Auf 288 Stück kam eine Brandenburger Biohenne im vergangenen Jahr im Durchschnitt. Einzelne Züchtungen legen sogar mehr als 300 Eier im Jahr.

"Die Körper der Hühner sind darauf überhaupt nicht ausgelegt. Allein, dass diese Rassen am Leben sind, führt zu Leiden, Schmerzen und Krankheiten bei den Tieren", kritisiert Sandra Franz von Animal Rights Watch. Häufige Folge seien Entzündungen des Legedarms und Brustbeinbrüche, da den Tieren durch die intensive Eierproduktion Calcium aus den Knochen entzogen werde.

Die meisten Hennen halten die hohe Legeleistung maximal anderthalb Jahre durch. Weil die Tiere danach weniger Eier legen, werden sie zu diesem Zeitpunkt häufig geschlachtet.

Politik am Zug

Es gibt Ideen in der Politik, das Tierwohl in der Landwirtschaft zu verbessern. Bislang setzen die jedoch eher auf positive Anreize statt auf strengere Standards. So fördert das Landwirtschaftsministerium in Potsdam Projekte für die Hühnerhaltung in mobilen Ställen und erlaubt diese Ställe inzwischen auch ohne Baugenehmigung. Dabei leben die Tiere in einer Art Bauwagen, der immer wieder auf großen Grünflächen verschoben wird, sodass die Hennen stets eine frische Wiese vorfinden. Außerdem sollen neue Bio-Legehennenställe in Brandenburg nur noch gefördert werden, wenn in einem Gebäude maximal 3.000 Tiere leben.

Landestierschutzbeauftragte nimmt EU-Richtlinien in den Blick

Die Brandenburger Tierschutzbeauftragte Anne Zinke wünscht sich, dass der Bund neue Standards für die Haltung von Nutztieren festlegt, wie sie sagt. "Bisher haben die Kriterien nichts mit Tierschutz oder artgerechter Tierhaltung zu tun." Auch die EU-Biorichtlinie müsse verändert werden, etwa um den Hühnern mehr Platz zu garantieren. Idealerweise würde die Hühnerhaltung in kleinen Gruppen auf großen grünen Flächen erfolgen.

Die Berliner Tierschutzbeauftragte Kathrin Herrmann zeigt sich von bisherigen politischen Initiativen zur Nutztierhaltung enttäuscht und fordert einen Kurswechsel. "Die Politik ist meines Erachtens im Moment auf dem falschen Weg. Wir müssen nicht von einem Umbau der Tierhaltung zu etwas humaneren Bedingungen sprechen, sondern von einem drastischen Abbau." Dafür könne sie sich auch höhere Steuern auf tierische Produkte wie Eier vorstellen.

Egal welchem der beiden Vorschläge man folgt, die Konsequenz wären vermutlich weniger und teurere Eier für die Verbraucher – aber auch glücklichere Hühner.

Sendung: rbb24 Super.Markt, 18.09.2023, 18 Uhr

50 Kommentare

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  1. 50.

    Das EU-Biosiegel ist der absolut kleinste gemeinsame Nenner auf diesem Gebiet. Und der ist schon sehr klein, wie man sieht. Die Siegel der verschiedenen Anbauverbände sind da wesentlich weiter.

  2. 49.

    Wo bleibt der Tierschutz?
    Als erstes 10000 Euro Strafe bei Wiederholung das 3 fache und nicht immer das zerreden.

  3. 48.

    #gotobutcher ... und zwar gleich. Heut' wird gegrillt.

  4. 47.

    Das Zweinutzungshuhn gibt es schon so lange.Als der Mensch begonnen hat Hühner zu züchten wollte er doch beides,Eier und Fleisch von einer Rasse.Und irgendwelche Mittel wurden auch nicht beigefügt und über die Haltung braucht man gar nicht zu sprechen. War aber schon damals Bio und ist keine Erfindung der Neuzeit.Und Massentierhaltung wie heute brauchte man nicht.

  5. 46.

    Also außerhalb der Stadt, wo "Löwen" Hühner reißen, gibt es schon auch freilaufende Eier ;-) ohne Bio, aber im Garten. Aber sogar in unserer LionCity laufen Gartenhühner frei rum. Das würde ich stets bevorzugen wollen. Ich denke, das ist nicht nur bei uns in Südbrandenburg der Fall. Ich versuche also seit einiger Zeit, Freilandhaltung zu bevorzugen. Auch wenn das keine Garantie für gutes Leben ist, aber Stall ist immer nur second best.

  6. 45.

    Ein Verbot und die Einhaltung des Verbots, sind zwei Paar Stiefel. Aber jeder glaubt was er will. Ich habe übrigens nicht ALLE erwähnt und war nur erstaunt, dass Bio so aussehen kann. Ich kaufe keine Eier, auch nicht am Straßenrand, denn ich sehe und höre dort meist keine Hühner. Also Augen auf beim Eierkauf.

  7. 44.

    Ich meine weder Soja noch Molke, sondern Kartoffeln nach dem Entzug der Stärke.

  8. 43.

    Herr Holm, Sie fordern mehr Respekt für die Menschen in Brandenburg. Nun, das darf man nicht mit Kritik verwechseln. Ist es falsch, dass laut Umfragen ein Drittel der Brandenburger ohne Bedenken bereit ist die Partei des Rechtsradikalen Höcke zu wählen? Muss ich zu deren moralischen Ehrenrettung davon ausgehen, dass ein großer Teil dieser Menschen nicht weiß, was sie da zu wählen beabsichtigen? Respekt zeige ich gegenüber allen Menschen, die nicht gleich jedem Populisten hinterherlaufen, weil sie wegen irgendwas unzufrieden sind. Das sollten dann ja noch ca. zwei Drittel der Brandenburger sein.

  9. 42.

    Ja, genau, klar, Demeter. Ausgerechnet die Trickbetrüger unter den Biohändlern. Gibt's da mittlerweile 'ne Glaskugel zu jedem Einkauf?

  10. 41.

    Es gab in der Vergangenheit schon Untersuchungen, wo festgestellt wurde, dass Demeter-Erzeugnisse z.T. mehr verseucht und kontaminiert waren, als die sowieso schon Verseuchten.

  11. 40.

    #govegan

  12. 39.

    "Da werden sämtliche Bio-Siegel in einen Topf geworfen." - warum nicht?
    Für mich ist jedes Bio-Siegel irgendwie "Augenwischerei ", gerade weil es so viele gibt.
    Da hol ich mir eher die Limonade mit 0% Fett (= light), auch wenn die letztlich 22 Gramm Zucker beinhaltet.

  13. 38.

    Oh man, wie schlecht recherchiert dieser Artikel doch ist. Da werden sämtliche Bio-Siegel in einen Topf geworfen. Dass das EU-Bio-Siegel Augenwischerei ist, dürfte eigentlich jedem bekannt sein. Wer BIO will, muss halt Demeter kaufen.

  14. 37.

    Das kennt man schon von Bbg.?
    Bitte informieren Sie sich! Aus welcher Ecke in D. kamen denn die großen Fleisch- bzw. Lebensmittelskandale der letzten Jahre? Aus Bbg.? Wohl kaum?
    Aber schon klar, aus Sicht eines "Berliner's" ist Bbg. eben ein "Land" das man einfach nicht versteht, bzw. verstehen will! Und weil man keine Ahnung hat, haut man halt ein Narrativ nach dem anderen raus: Rückständig, Umweltfeindlich, BIO-feindlich (und nicht zu vergessen!!!) Rechtsradikal!
    Frage: woher kommt z.B. der Strom aus Ihrer Steckdose? Aus Ihrer eigenen WKa und PVa? Und die von Ihnen verspeisten BIO-Produkte? Produzieren Sie die jetzt in Berlin-Mitte? Berlin ist ohne Bbg. überhaupt nicht lebensfähig!
    Etwas mehr Respekt bitte!

  15. 36.

    No.
    Hühnereier haben fast die höchste Biologische Wertigkeit die Protein haben kann.
    Soja und Molkenprotein wären eine Alternative, schmecken aber nicht oder sind noch teurer als DEMETER Eier.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Biologische_Wertigkeit?wprov=sfla1

  16. 35.

    Antonio und "D" aus "F" haben es schön auf den Punkt gebracht. Um die Rumeierei mal aufzuhellen, unverarbeitete Eier haben eine Kennzeichnung:
    https://utopia.de/galerien/eiercode-entschluesseln-was-steht-auf-dem-ei/ bzw.
    https://utopia.de/ratgeber/kaufberatung-ei-bio-freiland-eier/
    Laufspuren, also wenn die Eier durch die Käfige rollen, werden mit einer UV-Lampe sichtbar, ok, hat man nicht unbedingt dabei, aber manche Billigeier muffen nach Fisch. Schon gemerkt? Da wird Fischmehl zugefüttert - auch nicht so toll. Der Verbraucher hats in der Hand, ja, auch das Geld, aber auch die Möglichkeit den Markt zumindest etwas zu beeinflussen. Empören kann sich schließlich jeder - für lau.

  17. 34.

    Zitat: "Ich bin inzwischen von den angeblichen Bioeiern abgekommen - achte jetzt auf Freilandhaltung. Das Eigelb der Bioeier ist so unnatürlich hell/blass."

    Eier mit dem Siegel "Freiland" stammen von Hühnern, deren Futter mit Farbstoffen versetzt ist, um eine gleichbleibend kräftige Gelbfärbung zu garantieren. Bei Biohaltung, und hier meine ich die wirkliche und nicht die industrielle, kommt es auf die Jahreszeit an. In Monaten mit viel Grün zum picken, ist der Eidotter gelber als zu anderen Jahreszeiten. Ein blasser Dotter ist beizeiten also eher ein Qualitätsmerkmal als ein Manko. Aber das wusste ja Ihr Opa schon, Inga. ;)

  18. 33.

    "dass wenn "Bio" draufsteht, alles "Gut" ist." Nein, aber immerhin besser als bei der konventionellen Haltung. Übrigens ist es schon ein Fortschritt, wenn man Produkte kaufen kann, die nicht mit Glyphosat bespritzt worden sind.

  19. 32.

    "die Wahrheit zu kennen" Die wäre? Wenn ich einen Radfahrer sehe, der bei Rot über die Ampel fährt, fahren alle Radfahrer bei Rot über die Ampel? Animal Rights Watch müsste mal grob schätzen in wievielen Betrieben es so abläuft und ob diese Betriebe weiterhin das Bio-Siegel bekommen würden. Wenn die Gesellschaft mehr Tierwohl will, dann wird es auch kommen. Die Frage ist, will sie das. Übrigens Bio ist auch Tierschutz. Z.B. Verbot von Pflanzenschutzmitteln sorgt für mehr Insekten.

  20. 31.

    Komisch, die 100 Watt Glühbirne konnte man innerhalb von Monaten EU weit verbieten. Aber miese Tierhaltung verbieten ist absolut nicht möglich. Die EU ist ein Witz!

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