Infotag für Zuzügler - Die Prignitz auf Probe

Sa 25.11.23 | 08:10 Uhr | Von Björn Haase-Wendt
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Probe-Wittenbergerin Dana Hoffmann im Gespräch mit Elblandwerker Christian Soult. (Foto: rbb/Haase-Wendt)
Video: rbb24 Brandenburg aktuell | 24.11.2023 | Franziska Tenner | Bild: rbb/Björn Haase-Wendt

Immer mehr Großstädter zieht es auf das Land. Doch wie lebt und arbeitet es sich in einer Kleinstadt wie Wittenberge? Im Rahmen der Brandenburger Zuzugswochen konnten Interessierte einen Tag lang die Stadt entdecken. Von Björn Haase-Wendt

Freitagmorgen kurz nach 9 Uhr, die Glocken der St. Heinrich-Kirche läuten und die Wittenberger sind auf dem Wochenmarkt unterwegs, um frisches Gemüse, Wurst oder Honig zu kaufen. Mittendrin kommt Christian Soult angeradelt und spannt seinen orangenen Schirm auf. "Das Erkennungszeichen heute", sagt er.

Soult ist Sprecher der Elblandwerker, einer Kooperative für Arbeiten, Leben und Wandel in Wittenberge (Prignitz). Die Initiative hat zum Probetag in die Elbestadt eingeladen, damit Großstädter erfahren können, wie es sich in der 17.000-Einwohner-Stadt lebt und arbeitet.

Raus aus Berlin – rein in die Kleinstadt

Dem Ruf gefolgt ist unter anderem Dana Hoffmann aus Berlin. Die 41 Jahre alte freiberufliche Übersetzerin legt in Wittenberge eine ganze Probewoche ein. Seit Montag lebt sie in einer Testwohnung, die die Elblandwerker gemeinsam mit der kommunalen Wohnungsgesellschaft zur Verfügung stellen. "Das ist eine Dreiraumwohnung und ich zahle um die 170 Euro für die ganze Woche. Das ist traumhaft und das habe ich gerne in Anspruch genommen", sagt die Berlinerin.

Seitdem entdeckt sie die Stadt und Leute. Heute steht noch ein Besuch im Stadtmuseum auf dem Programm, um mehr zur Geschichte von Wittenberge zu erfahren. Ihr erster Eindruck: "Positiv. Es ist zwar kalt – dafür kann die Stadt aber nichts – und die Einwohner machen auch einen guten Eindruck." Die Berlinerin will mittelfristig weg aus Berlin, raus aus Gropiusstadt. "Mit drei Kindern, das ist da nicht so dufte. Wir merken, dass uns das langfristig nicht gut tut." Die Familie will deshalb rein in die Kleinstadt. Wittenberge scheint wie geschaffen dafür: eine gute Bahnanbindung mit Regional- und Fernverkehrszügen, außerdem wirbt die Stadt mit schnellem Internet und viel Natur – als Tor zur Elbtalaue.

"Bezahlbarer Wohnraum, das ist ein Witz des Tages"

Hinzu kommt die Herausforderung, in Berlin eine bezahlbare große Wohnung zu finden, in der Elbestadt sei das einfacher, so die Hoffnung. Sieglinde Deul, 73 Jahre alt und wie sie selbst sagt "die größte Schnauze von Wittenberge" verfolgt das Gespräch auf dem Wochenmarkt und mischt sich ein: "Bezahlbarer Wohnraum, das ist ein Witz des Tages. Ich suche für meine Tochter seit vielen Jahren hier eine bezahlbare Wohnung. Das ist nicht einfach", sagt die Wittenbergerin. Dass es Großstädter gibt, die sich für ihren Heimatort interessieren, findet sie trotzdem gut: "Jeder soll kommen, wie er will."

Für die Teilnehmer des Probetages geht es unterdessen weiter ins Coworking-Space im Gewerbegebiet an der Elbe. In der historischen Industriehalle gibt es 15 Arbeitsplätze für sogenannte Digitalarbeitende und Kreative – also für alle, denen ein Computer für den Job reicht. Dazu gibt es Konferenzräume, WLAN, Drucker und Kaffee. Der Coworking Space steht kostenlos rund um die Uhr zur Verfügung und ist auch Treffpunkt der Elblandwerker.

Die Elblandwerker als "Willkommensagentur"

Die Initiative ist aus dem "Summer of Pioneers" hervorgegangen. 20 Digitalarbeitende unter anderem aus Berlin, Hamburg und Zürich wurden 2019 eingeladen und konnten ein Jahr mit einem Rundum-Sorglos-Paket in Wittenberge leben und arbeiten. Gut die Hälfte ist geblieben und hat sich zu den Elblandwerkern zusammengeschlossen. "Wir haben gesagt, wir wollen diese Community dauerhaft sichern und Menschen, die sich ansiedeln wollen, auch weiterhin Angebote machen wie das Probewohnen, das Coworking und die Begegnung ermöglichen", sagt Elblandwerker Christian Soult. Mittlerweile gehören der Community um die 350 Mitglieder an - quer durch alle Altersschichten und Berufe, von Web-Entwicklern über Landschaftsarchitektinnen bis zu Künstlerinnen.

Die Elblandwerker seien ein Gewinn für die Stadt, sagt Bürgermeister Oliver Hermann: "Sie setzen sich wirklich nachhaltig mit dem Thema auseinander, das ist wie eine Willkommensagentur. Wir sind sehr dankbar, dass es dort so viele engagierte Leute gibt, die für unsere Region so powern." Außerdem bringen sich die Elblandwerker mit ihren Ideen in die Stadt ein, organisieren Kunst- und Kulturveranstaltungen oder gründen eigene Unternehmen.

Christian Soult von den Elblandwerkern (Mitte) informiert über die Unterstützungsangebote für Zuzügler. (Foto: rbb/Haase-Wendt)Die möglichen Neu-Wittenberger sitzen mit den Elblandwerkern zusammen

Initiativen für Zuzügler und Rückkehrer auch in anderen Gemeinden

Möglicherweise könnte auch Jochen Fischer bald dazu gehören. Der 59-Jährige lebt in Hamburg, arbeitet für einen Stromnetzbetreiber und könnte sich ein Leben in Wittenberge oder der Prignitz vorstellen. Als Fahrradfahrer ist er in der Vergangenheit immer wieder zu Kurzurlauben an die Prignitzer Elbe gekommen – weil es der schönste Abschnitt Deutschlands sei – und auch die Architektur Wittenberges reizt ihn. In den nächsten Jahren will der Hamburger gemeinschaftlich auf dem Land leben. "Morgens die Tür aufmachen und den Blick auf die Elbe haben, das wäre der Traum für mich", sagt der 59-Jährige.

Um Menschen wie Jochen Fischer werben die Brandenburger Zuzugswochen, die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattgefunden haben. 22 Initiativen zwischen Schwedt und Spremberg bemühen sich um Rückkehrer und Zuzügler.

Denn bei immer mehr Großstädtern gibt es so etwas wie eine Landlust. Das zeigen zum einen Zahlen des Landes für Statistik. So sind allein im vergangenen Jahr über 33.000 Berlinerinnen und Berliner ins Umland gezogen. Und auch Christian Soult von den Elblandwerkern merkt eine verstärkte Nachfrage, besonders nach der Corona-Pandemie. Viele Firmen haben das Homeoffice und mobile Arbeiten ermöglicht, das sei bis heute spürbar. "Das macht es vielen Menschen, die vielleicht schön länger über den Wegzug aus der Großstadt nachdenken, sehr viel einfacher", sagt Soult.

Medizinische Versorung und politisches Klima wichtige Kriterien

Entscheidend dafür seien aber auch die Netzwerke vor Ort, damit die Zuzügler Anknüpfungspunkte und Unterstützung bekommen - findet jedenfalls Dana Hoffmann aus Berlin-Gropiusstadt: "Ich kann mir tatsächlich vorstellen nach Wittenberge zu ziehen. Toll ist, dass dich hier jemand an die Hand nimmt und dir auch konkrete Fragen beantworten kann, die du ansonsten selbst zusammenfummeln müsstest."

Aber das allein reicht nicht für den Umzug. Auch die medizinische Versorgung mit ausreichend Ärzten sei wichtig und das politische Klima. "Wenn jetzt bei den nächsten Wahlen die AfD Wahlsieger wird, dann will ich dort eigentlich nicht wohnen, dann muss ich vielleicht doch wieder in den Westen", so die Berlinerin. Die Probe-Wittenberger machen sich darüber aber erst einmal keine weiteren Gedanken und ziehen los zum Stadtsalon Safari, auf einen Drink mit Wittenbergern und Zugezogenen, um mehr über das Leben fernab von Berlin oder Hamburg zu erfahren.

Sendung: Antenne Brandenburg, 24.11.2023, 16:30 Uhr

Beitrag von Björn Haase-Wendt

2 Kommentare

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  1. 2.

    Nee ... lassen sie mal. Die schöne Prignitz ist viel zu weit weg. Da isses auch viel zu ruhig für Hauptstädter. Aber im Ernst, auf Zuzügler die schon mit den Gedanken spielen "... dann muss ich vielleicht doch wieder in den Westen." weil was nicht passt, kann man gern verzichten. Die AfD ist ohne Frage lästig, aber man muss sie ja nicht knutschen. Dann noch "in den Westen" ... also von der Prignitz in die Heide wäre Westen. Berlin liegt im Osten (ok, Südost) - aber sowas von.

  2. 1.

    Der rote Teppich ist ausgerollt. Sie werden kommen (müssen). Aus Platzgründen. Und einen Kiezgedanken gibt es auch. Besser als Berlins Höfe zu verdichten allemal.

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