Bericht im Sorbenrat vorgestellt - Veraltete Pädagogik? Diskussion um Evaluation von Witaj-Hort in Burg

Mi 29.05.24 | 14:32 Uhr
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Die Leiterin des Witaj-Horts Iva Schultchen steht vor dem Gemälde an einer Wand, das einen Märchen-Szene aus "Der Wolf und die sieben Geißlein" zeigt (Foto: rbb)
Audio: Antenne Brandenburg | 29.05.2024 | Daniel Mastow | Bild: rbb

Eine Untersuchung im Auftrag des Bildungsministeriums sorgt für Aufregung. Angeblich würden in einem Lausitzer Hort fragwürdige erzieherische Ansätze gelebt. Dazu gehöre auch Grimms Märchenwelt. Nun hat sich der Sorbenrat damit beschäftigt. Von Aspasia Opitz und Daniel Mastow

Der böse Wolf - das Gemälde des Lausitzer Malers Dieter Zimmermann hängt im Flur des Lipa-Hortes in Burg (Spree-Neiße) und soll gewaltverherrlichend sein. So wurde es den Mitarbeitern des Hortes vermittelt, nachdem ein Team der "pädquis Stiftung" im Auftrag des Landesministeriums für Bildung, Jugend und Sport (MBJS)zu Gast war, das den Hort bewerten sollte.

"Ich war sehr geschockt von den Aussagen", sagt Einrichtungsleiterin Iva Schultchen dem rbb. "Ich habe mir ein paar Tipps erhofft, wo wir besser werden können und keine solchen niederschmetternden Aussagen erwartet."

Nachdem bereits im Herbst vergangenen Jahres ein Zwischenbericht vorgestellt wurde, war er am Dienstag erstmals Thema im Sorbenrat. Mit dabei waren auch Vertreter der pädquis Stiftung sowie des Bildungsministeriums.

Ministerium: "Anerkannte Beobachtungsverfahren"

Der Hort in Burg arbeitet nach dem sogenannten Witaj-Projekt, bei dem Kinder von Anfang an neben der deutschen auch die sorbisch-wendische Sprache lernen sollen. Bezahlt wird das vom Brandenburger Bildungsministerium. Um die Arbeit in der Einrichtung und den Erfolg des Förderprojektes zu überprüfen, wurde der Hort zusammen mit 14 weiteren Einrichtungen in Cottbus und dem Spree-Neiße-Kreis bewertet.

Die Untersuchung soll unter anderem Erkenntnisse über die Interaktion mit der sorbisch-wendischen Sprache liefern. So soll zum Beispiel geprüft werden, ob es dafür genügend Anregungen in der Einrichtung gibt und welche Maßnahmen besonders gut dabei helfen, die Sprache zu erlernen, erklärte das Ministerium im vergangenen Jahr. Es wies damals auf rbb-Anfrage darauf hin, dass im Rahmen der Erhebung auch die pädagogische Qualität des Hortes im Allgemeinen bewertet wurde. Dazu wären international anerkannte Beobachtungsverfahren zum Einsatz gekommen.

Bücher im Witaj-Hort Lipa in Burg (Foto: rbb)Blick auf die Bücherwand im Lipa-Hort

Kritik an Pädagogik

"Im Gegensatz zu unseren Vorstellungen, dass die Arbeit der sorbischen Erzieher im Fokus steht, stand eigentlich alles andere im Fokus - also unsere Ausstattung, unsere Angebote, unsere pädagogische Arbeit im gesamten Haus und nicht nur Fokus auf die Witaj-Arbeit", sagt die Leiterin Iva Schultchen."

In der Evaluation wird eine angeblich veraltete Pädagogik kritisiert. Kinder würden durch Fabeln und Märchen verstört, hätten eine viel zu enge Bindung zu Erziehern und bekämen ihr Essen zu festen Tageszeiten serviert, statt als Ganztages-Buffett.

An den sorbischen Angeboten zeigten die Prüfer wenig Interesse, heißt es von den Horterzieherinnen. "Es war eigentlich unsere Hoffnung, dass dargestellt wird, wie vielfältig wir sind", so Erzieherin Nicole Rublack. "Hängengeblieben sind leider nur unsere Märchenbücher, die gewaltverherrlichend genannt worden sind." Das umfangreiche Literaturangebot sei wenig beachtet worden. Als Rublack anfangen wollte, mit den Kindern über die verschiedenen Tiere der Vogelhochzeit zu sprechen, habe das Team den Raum wieder verlassen, sagt sie.

Stiftung weist Kritik zurück

Auch der Rat für Angelegenheiten der Sorben/Wenden zeigte sich von den Untersuchungsergebnissen irritiert. Während der Sitzung am Dienstag in Potsdam ist erörtert worden, ob das Team der pädquis Stiftung das richtige war. Die Sorbenratmitglieder ließen sich die Ergebnisse von den Forschern erläutern. Diese haben die Kritik der Betroffenen zurückgewiesen.

"Wir haben keine Wirksamkeitsstudie durchgeführt, um zu gucken inwiefern das Landesprogramm tatsächlich bei den Kindern auf die Sprache, auf die Kulturvermittlung wirkt", sagte Marisa Schneider von der Stiftung. "Wir haben uns den Status Quo in der Vermittlung und von Methoden angesehen."

Bewerter ohne Sprachkompetenz?

Scharfe Kritik kam in der Sitzung von Měto Nowak, dem Leiter des Minderheitensekretariats in Berlin. Er frage sich, was die Stiftung für so eine Untersuchung berechtige, wenn sie keine sorbisch/wendischen Kompetenzen nachweisen könnten. "Besonders die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis fühlen sich dann oft sehr schnell berührt, 'hier wird uns Kompetenz abgesprochen' oder 'woher wollen die wissen, was wir hier mit unseren Kindern machen, wenn die danebenstehen und kein Wort verstehen?' Ich formuliere es ein bisschen salopp, so Nowak.

Marisa Schneider von der pädquis Stiftung erwiderte, dass das Team nicht einzelne Angebote in einem Sprachbereich bewerte, sondern "die pädagogische Prozessqualität", also die "Interaktion zwischen den Fachkräften und den Kindern, den Kindern untereinander und auch die einbezogenen Materialien insgesamt in der Kita."

Im Juli will die Stiftung ihre endgültigen Ergebnisse der Untersuchung in den betroffenen Kitas vorstellen. Měto Nowak forderte am Dienstag in der Sitzung von der Stiftung, dass die Ergebnisse dann mit viel Feingefühl gegebüber den Erziehern vorgetragen werden.

Finanzielle Konsequenzen hat die Überprüfung laut Bildungsministerium keine. "Seit fünf Jahren existiert diese Förderung. Es ist nicht anzunehmen, dass Brandenburg jetzt sagt, [das] machen wir in der nächsten Legislatur nicht mehr", sagte die neue, zuständige Referatsleiterin Lena Irmler in der Sitzung des Sorbenrats. Sie verstehe die Förderrichtlinie so, dass alles, was möglich ist, um diese Kultur auch sprachlich zu unterstützen, personell-sächlich gefördert werden solle, so Irmler.

Die Bewertung ist laut der Referatsleiterin ein Anfang, um damit weiterzuarbeiten. Irmler sprach sich außerdem deutlich dafür aus, "Irritation als Kommunikationsanlass zu verstehen und uns zu kontaktieren."

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 28.05.2024, 19:30 Uhr

18 Kommentare

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  1. 18.

    Vielen Dank, daß Sie mich daran erinnern! Ich habe diese Buch von Bettelheim auch bei mir. Wir hatten es beim Studium, Ende 80er in Ostberlin, auch behandelt! Ein wichtiges Buch!

  2. 17.

    Ist dann den ganzen Tag ,um sich herumfuttern' gesund und wissenschaftlich als gut empfunden?
    Ich zweifele!

    Auch ist ein Schul-/Hort-/Kita-Tag ohne feste Essenzeiten nicht zu organisieren.
    Wie soll denn so ein "Ganztages-Buffett" in der Realität aussehen?
    Wer hält denn das Essen warm?
    Welche Erzieher beschäftigen sich mit den Kindern und welche beaufsichtigen beim Essen?
    Fragen über Fragen ...

  3. 16.

    Es ist kaum noch zu ertragen, wie dieses Land vom gut gemeinten Wokismus in den Ruin getrieben wird.

  4. 15.

    Ich glaube nicht, das kinder in Einrichtungen zum Aufessen
    gezwungen werden. Das habe ich bei meinen Kindern und Enkeln weder in den Kitas noch in Schule erlebt oder jemals von anderen Eltern gehört. Meine Generation (Kindergarten von 1958 bis 1960) wurde zum Aufessen aufgefordert aber auch nicht gezwungen und das hatte mit der Blockadeerfahrung der Eltern zu tun. Bitte schicken Sie gerne die links zu verifizierten Studien zu Mahlzeiten ( Zeten für das Mahl). Die sind mir gar nicht bekannt.
    Das interessiert bestimmt auch andere Leserinnen.

  5. 14.

    Märchen sind auch für Erwachsener gut.

    "Max und Moritz" hat mich geholfen, endlich die Unterschied zwischen bearbeitung und verarbeitung zu verstehen. Am Ende werden M+M verarbeitet!

  6. 13.

    Grundschule? Nee, die sind schon im Ausbildungsbetrieb eingetroffen und beglücken die Belegschaft mit allen Facetten ihrer perfekten Verziehung. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Meist stellen sie nach der ersten verhaltensbedingten Kollision auch Mitarbeitergespäch genannt, zur Freude des Chefs fest, dass der Beruf doch
    nichts für sie ist. Liegt natürlich am Chef, wie zuvor an Lehrern und unfähigen Kitaerziehern, die dem Filius rein gar nichts beibringen ...ähm...durften.

  7. 12.

    Was für ein Unfug! Solch Bewerter sollten selbst erst mal bewertet werden. Was ist z.B. an festen Essenzeiten zu bemängeln? Das gibt dem Tag Struktur und auch eine Bezugsperson ist nun kein Beinbruch, sondern eher förderlich. Grimms Märchen sind nunmal "Kulturerbe" und gehören zur Allgemeinbildung. Geschadet hat das auch noch keinem.
    Es scheint schon gruselig, mit welchen "Experimenten" die Kinder konfrontiert werden sollen. Die Ergebnisse solchen "Bildung" sieht man ja regelmäßig bei den Pisatests....

  8. 11.

    Sie übertreiben ja mal wieder vollkommen maßlos!
    Nirgends wurde festgestellt, dass dort ein Kontrollregime herrschen würde. Da werden keine Kinder (Zitat:) "abgerichtet" . Und auch wenn Menschen in Ihren Kreisen das nicht verstehen wollen, Kinder brauchen gewisse erziehende Autoritäten, die ihnen Sicherheit und Richtung geben, Vorbild sind und sie leiten. Kinder, die tun und lassen können, was sie wollen, sind damit überfordert und alles andere als glücklich. Die Erzieher dort scheinen von ihrem Jon jedenfalls mehr zu verstehen, als Sie von außen und auch die Eltern sind damit wohl nicht unglücklich. Im Gegenteil dürfte es für diese sogar sehr beruhigend sein, dass die Kinder eine Bindung aufgebaut haben und daher gerne dort hin gehen.

  9. 10.

    Märchen aus der Pädagogik zu verbannen, weil ihre Gewalt angeblich die Kinder verstöre, wurde in den USA und Westdeutschland schon einmal in den 1970er Jahren versucht. Bis das bahnbrechende Buch “Kinder brauchen Märchen“ von Bruno Bettelheim erschien. Er zeigte auf, wie psychoanalytisch wertvoll für Kinderseelen die Märchen sind. Danach war 50 Jahre Ruhe. Jetzt ist dieser Erkenntnisfortschritt in der Pädagogik offenbar wieder in Vergessenheit geraten. Deswegen erinnere ich daran: Liebe Kita- und Schulleiter: Stellen Sie Bettelheims Buch immer neben die Märchenbücher, falls ein Evaluationsteam vorbeikommt.

  10. 9.

    Und die rechten Narrative in einer kulturell integrativen KITA befinden sich ganz bestimmt auch in sorbischen Märchen, Sagen und Zeichnungen vom bösem Wolf und Schlangenkönig. Inzwischen ist das Vermitteln von Regeln (die übrigens erst ein Miteinander - auch in einer KITA - ermöglichen), anscheinend auch schon "rechts". Das Ergebnis von "freier" Erziehung darf dann in der Grundschule besichtigt werden, wo immer mehr konfliktunfähige egoistische Kinder den Unterricht "sprengen".

  11. 8.

    Man hat bereits festgestellt, dass feste Mahlzeiten unabhängig vom Hungergefühl, schimmstenfalls mit einem "wenn du nicht aufisst gibt es drei Tage Regen" Übergewicht fördern. Aber die RBB Kommentatoren wissen es natürlich wieder besser als die Experten.

  12. 7.

    Die Bindung an min. eine feste Bezugsperson sollte im familiären Umfeld passieren. Das fördert die emotionale und soziale Entwicklung eines jungen Menschen. Erzieher*innen aber sind keine Familie. Was nicht geht, sind autoritäre Praktiken, die aus Erzieher*innen Abrichter*innen machen. Das Erlernen selbstständigen Handelns, Denkens, das Entfalten des eigenen Charakters, das Explorieren, das Wahrnehmen, dass Andere auch eigene Ideen, Wünsche haben, steht einer obrigkeitshörigen Unterwerfung im Wege. Kinder sind weder mit den Ideen Erwachsener zu befüllende Gefäße noch sind sie zu dressierende Haustiere.

    insofern passt ein solches Konzept durchaus nach Burg, wo man massive Probleme, auch in der Pädagogik, im Umgang mit rechten, autoritären Narrativen hat. Früh und dauerhaft vermittelt bilden sie den Nährboden, für antidemokratische Dominanzkulturen. Ironischerweise ist man zu den meist heteronormativ vermittelten Geschlechterrollenbildern gar nicht erst gekommen.

  13. 6.

    In 10, 20 Jahren wird man dann feststellen, dass das unkontrollierte Essen vom Ganztags-Büffet eine Ursache für Übergewicht ist, weil sie als Kinder keinen vernünftigen Umgang mit Mahlzeiten gelernt haben. Man fasst sich nur noch an den Kopf...

  14. 5.

    Die Kinder hätten eine zu feste Beziehung zu den Erziehern, wurde kritisiert... Unglaublich, aber das ist der gelebte Zeitgeist, der auch am liebsten Lehrer zu Lernbegleitern degradiert.
    Für jeden Menschen sind verlässliche Beziehungen wichtig, für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern ist es substantiell. Das sind "Wissenschaftler", denen nicht nur jegliche pädagogische Kompetenz, sondern das gesunde Bauchgefühl im Umgang mit Kindern abhanden gekommen ist. Und feste Essenzeiten, auweia!!

  15. 4.

    Mein Gott, dabei gibt es in Burg ganz andere Probleme, die sich auch auf die Entwicklung der Kinder auswirken, und zwar schädlich‘ Grimms Märchen ist dagegen lächerlich.

  16. 3.

    Diese Untersuchung macht keinen Sinn. Die Ausführenden kosten unnötiges Geld. Das Ergebnis geht total an der Realität vorbei.

  17. 2.

    Richtig. Und noch viel gefährlicher, "Kinder [...] bekämen ihr Essen zu festen Tageszeiten serviert." Schlimm, dass man schon die Menschenwürde der Kleinsten mit Füßen tritt. Wo bleibt hier der öffentliche Aufschrei?

  18. 1.

    Jetzt haben schon welche etwas gegen Grimms Märchen. Man kann aber auch hinter jeder alten Illustration oder Märchen etwas hineininterpretieren. Warum sollten Kinder nicht auch mal Märchen lesen, anstatt Handy oder Laptop zu konsumieren. Aber man ist ja hip.

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