Forschungsprojekt - Der Klang der Lausitz

Do 30.05.24 | 17:29 Uhr | Von Phillipp Manske und Daniel Mastow
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Architekturstudentin Alina Pätzold nimmt in Dissen die Geräusche einer Schwengelpumpe auf (Foto: rbb)
Audio: Antenne Brandenburg | 29.05.2024 | Daniel Mastow | Bild: rbb/Screenshot

Wie klingt ein historisches Dorf in der Lausitz? Das wollen Cottbuser Studierende erforschen und einfangen. Die angehenden Architekten sind auf alten Höfen unterwegs und lernen: Architektur ist multisensorisch. Von Phillipp Manske und Daniel Mastow

Ein alter Vierseitenhof in Dissen (Spree-Neiße). Alles macht hier Geräusche. Mit Mikrofon, Aufnahmegerät und Kopfhörer wollen Azab Yomna und Alina Pätzold genau solche Töne aufzeichnen. Die Architektur-Studentinnen aus Cottbus wollen wissen, wie die Lausitz klingt.

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"Man hört die Materialien", sagt Alina Pätzold, "darauf hat man vorher vielleicht gar nicht so geachtet." Für Azab Yomna klingt die Region "super ruhig".

Azab und Alina gehören zu einer Gruppe von rund 30 Architekturstudenten der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU). In einem Forschungsprojekt werden alte Höfe in der gesamten Lausitz untersucht und ihre Klänge aufgezeichnet. Die Besitzer sind vorab über den Besuch informiert worden.

Studenten der BTU Cottbus-Senftenberg auf einem alten Hof in Dissen (Foto: rbb)
| Bild: rbb/Screenshot

"Jedes Haus hat eine eigene, spezifische Klangsignatur. Das ist wie ein akustischer Fingerabdruck", sagt BTU-Professor und Projektleiter Adrian Dorscher. Man könne ein Haus wie Klangkörper, wie Instrumente betrachten, sagt er. "Ein altes Haus klingt anders als ein modernes Haus, ein altes Treppenhaus aus Holz klingt anders als ein Betontreppenhaus."

Azab und Alina erkunden nach und nach den alten Hof, nehmen markante Geräusche auf. Sie entdecken eine alte, rostige Schwengelpumpe, rascheln durch Gras, konservieren Vogelgesang. "Ich komme ursprünglich aus der Stadt und die Klänge, die man hier hört, sind super ungewöhnlich für mich", so Azab, - "sei es ein Vogelzwitschern oder eine Biene, die vorbeisummt."

Kontrast zu moderner Architektur

Die Studentinnen öffnen alte, knarrende Holztüren, laufen langsam durch eine Küche mit Holzboden und Linoleum, schließen eiserne Schieberiegel.

Mehr als 120 Jahre wurde auf dem Hof gelebt, gearbeitet und immer wieder gebaut. Für Azab und Alina könnte der Kontrast zur modernen Architektur kaum größer sein. "Ich finde, dass Architektur heutzutage ein bisschen weniger einzigartig und ein bisschen weniger persönlich als das ist, was man zum Beispiel hier sieht", sagt Azab Yomna. Auf so einem Hof wie in Dissen werde sehr darauf geachtet, dass die Architektur praktisch ist und sich im Wohnungsbau wiederholt, so die Studentin.

Adrian Dorschner unterstützt die Kritik an oft seelenlosen und vor allem klanglosen Neubauten. Auch darum hofft er, dass das Projekt in der Lausitz seine Studenten beeinflussen wird, wie er sagt. Das Seelenlose komme dann, wenn Architektur nur nach einem Plan im Atelier entstehe. "Wir machen genau das Gegenteil. Wir gehen in die Region, in Dörfer und für heute ist dieser Hof unser Atelier."

Eine Studentin der BTU Cottbus Senftenberg zeichnet eine Schwengelpumpe in Dissen (Foto: rbb)
Eine Studentin der BTU zeichnet eine Schwengelpumpe | Bild: rbb/Screenshot

Die Studierenden vermessen jeden Winkel des Vierseitenhofs, fotografieren charakteristische Details und zeichnen Skizzen. Zusammen mit den Tonaufnahmen entsteht so ein Gesamtbild, das Lausitzer Architektur dokumentieren und konservieren soll.

Die Aufnahmen sollen in ein Klangarchiv kommen, eine Art Ort der Bewahrung, sagt Projektleiter Dorscher. "Wir sind in einer Transformationsregion, da passiert ganz viel, wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren." Doch auch, wenn sich viel verändern werde und es Räume vielleicht nicht mehr gebe, könnten sie im Prinzip durch die Pläne und Audioaufnahmen rekonstruiert werden, so Dorscher.

Adrian Dorschner von der BTU Cottbus Senftenberg erklärt Studentinnen etwas auf einem alten Hof in Dissen (Foto: rbb)
Adrian Dorschner (rechts) beim Erklären auf dem Hof in Dissen | Bild: rbb/Screenshot

Multisensorische Architektur

Der Professor will die Projektteilnehmer für Architektur sensibilisieren. Wenn man sich mit dem Thema beschäftige, gehe es um mehr als nur das Sehen, so Dorscher. "Das ist multisensorisch." Der Hof habe ein ganz eigenes Ökoklima. Weil die Wiesen nicht gemäht sind, gebe es Insekten, so Dorscher. "Das gehört alles dazu und das ist auch alles Architektur."

Azab Yomna sagt, sie habe nun gelernt, anders auf Architektur zu achten, sagt sie. Man erkenne beim Sehen nicht nur ein verputztes Gebäude. "Man lernt genauer hinzugucken, so ein bisschen zu analysieren."

Nach mehreren Stunden auf dem alten Vierseitenhof in Dissen packen die Studierenden ihre Mikrofone, Aufnahmegeräte und Kopfhörer wieder ein. Der Ort war nur eins ihrer Ziele. Insgesamt werden sie in fünf ausgewählten Orten in der Lausitz Höfe erforschen - auf der Suche nach dem Klang der Lausitz.

Sendung: Antenne Brandenburg, 29.05.2024, 16:40 Uhr

Beitrag von Phillipp Manske und Daniel Mastow

9 Kommentare

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  1. 9.

    Ich höre, also bin ich...

  2. 8.

    Ja, und solche Antworten sind es, wenn jemand nicht begreifen kann oder will, das am Anfang immer erstmal 'ne Idee stand. Aus Ideen entwickeln sich Versuche und ein konkretes Ergebnis steht am Schluß.

  3. 7.

    Ich kann dazu die Dokumentation von Felix Räuber "Wie klingt Heimat?" empfehlen. Und sich selbst die Frage zu stellen, welche Klänge und Geräusche die eigene Heimat wiederspiegeln oder auch in der Kindheit wichtig waren.

  4. 6.

    „Da gibt es reichlich zu entdecken und vll. kann die ein oder andere Erfahrung bei künftigen Projekten in der Stadt umgesetzt werden und diese lebenswerter machen.“
    Solche Sätze sind es... die Nutzen ohne Konkretes andeuten.

  5. 5.

    Ist sicherlich für die Filmindustrie und auch für den Dokumentarfilm von Nutzen.
    Vielleicht auch für ein Museum um dort Tätigkeiten von damals mit Geräuschen zu untermalen.

  6. 4.

    Nun, Landleben ist nunmal anders. Statt Dieselgestank Pferdestallduft, die Hummel wird nicht vom Straßenlärm übertönt, in der Nachts ist es auch anders dunkel (zappenduster), die Geräuschkulisse unterscheidet sich deutlich von der Städtischen, nachts erst recht und diese große Leuchtreklame ganz oben nennt man Milchstraße. Da gibt es reichlich zu entdecken und vll. kann die ein oder andere Erfahrung bei künftigen Projekten in der Stadt umgesetzt werden und diese lebenswerter machen.

  7. 3.

    Wozu?

  8. 2.

    Da weiß man gar nicht was man sagen soll. Bei soviel Nutzen...
    30 Architekturstudenten verändern den Klang gewaltig.

  9. 1.

    Ja nee, klar, wenn man noch nicht wusste, wie Vogelzwitschern klingt, oder ne Biene, gern auch ne alte Tür, macht man halt mal 'n Projekt draus.
    Ich für mein' Teil weiß ja auch gar nicht mehr, wie 'ne Lausitzer Schwengelpumpe klingt...
    Ich sag mal: interessant das Ganze. Kann man machen, ...
    Das bringt uns alle hoffentlich weiter.

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