#Wiegehtesuns? | Sex und Religion - "Als ich mir meine Bisexualität eingestanden habe, hat sich ein Traum erfüllt"

So 14.05.23 | 08:12 Uhr
Wie geht es uns?: Die Berlinerin Maria (Quelle: Mathilde Babo )
Bild: Mathilde Babo

Die Berlinerin Maria wächst christlich-konservativ auf. Fünf Jahre lebt sie enthaltsam. Seit anderthalb Jahren experimentiert sie. Auf dem Weg, ihre eigene Sexualität besser kennenzulernen, ist sie im vergangenen Sommer in einem Swingerclub gelandet. Ein Gesprächsprotokoll

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Die 30-jährige Maria hat fünf Jahre enthaltsam gelebt. Auf dem Weg, sich selbst und ihre Sexualität besser zu akzeptieren, hat sie sich entschlossen, vorurteilsfrei zu experimentieren. Sie hat sich mit ihrer Bisexualität auseinandergesetzt und Gruppenkonstellationen ausprobiert. Im vergangenen Sommer ist sie zum ersten Mal in einen Swingerclub gegangen.

Ich hatte viele Jahre lang eine On-/Off-Beziehung, in der ich mehrfach betrogen worden bin. Das waren sehr schmerzhafte Erfahrungen, die mich irgendwann dazu gebracht haben, das Thema Sexualität für mich ganz anders zu regeln.

Ich habe das sehr radikal gelöst. Aus meiner christlich-konservativen Vergangenheit kannte ich nur das Model der monogamen Ehe. Ich hatte gehofft, nicht mehr enttäuscht zu werden, wenn ich selbst keinen Sex außerhalb der Ehe habe. Letztendlich habe ich meine Sexualität gar nicht mehr ausgelebt und fünf Jahre enthaltsam gelebt.

Nachdem ich schließlich das erste Mal wieder Sex hatte, habe ich mich sehr dafür verurteilt. Es war ein Sonntagmorgen und ich bin heulend in den Gottesdienst gegangen.

Wie viele Fragen ich hatte: Was kann ich mit meinem christlichen Glauben vereinbaren? Was will Gott von mir? Ich hatte davor das Gefühl, dass ich einfach super viele Dinge unterdrückt habe. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich mich nicht mehr verstecken wollte. Und ich dachte mir auch ganz ehrlich: "Oh Gott, wenn du wirklich so groß und super liebevoll und tolerant bist, hast du mich vielleicht auch so gemacht? Mit diesen Neigungen?"

Eine meiner Fantasien war es, einen Dreier zu haben. Und ich bin dann auch recht ehrgeizig auf dem Gebiet. Innerhalb von zwei Wochen hatte ich also zehn Dates, um diese Dreier zu erleben. Das war allerdings sehr anstrengend und es ist auch absolut nicht das Konzept, was ich so grundsätzlich in meinem Leben leben möchte. Damals war es aber total wichtig für mich, dass ich mich ganz mutig auf den Weg mache und dass ich es einfach tue.

Ich habe Paare erlebt, die sich auf eine sehr authentische Reise gemacht haben. Die haben sich selbst gegenüber ihre Gelüste eingestanden. Das hat mich beeindruckt. In meiner christlichen Bubble hatte ich bis dahin immer eher den Eindruck, dass es um etwas ganz anderes ging - darum, an sich zu arbeiten, um diese Gelüste eben nicht zu haben, sie zu unterdrücken und nicht darüber zu sprechen.

Ich werde nie vergessen, wie es war, als ich mein Datingprofil eines Tages auf bisexuell gestellt habe. Auf einmal wurden mir Frauen angezeigt. Das fühlte sich an, als wenn ich mir einen vergrabenen und großen Lebenstraum erfüllen würde.

Die vielen sexpositiven Partys in Berlin haben mich optisch nicht unbedingt angesprochen. Dort gibt es eine vorherrschende Ästhetik, die nicht meinem Stil entspricht: ein Dresscode von nackt, über Lack und Leder, hauptsächlich schwarz mit Ketten und Nieten. Ich vermisse meine Form der Eleganz. Eigentlich war ich immer eher der Typ für Dessous und Federn.

Deswegen bin ich zur "Erotischen Schlossnacht" in einen Swingerclub gegangen. Das ist etwas ganz anderes abseits von Berlin. Ich dachte, es wird hilfreich sein, mich voll und ganz darauf einzulassen. Ich war total gespannt, hatte aber auch Angst, dass ich jemanden kennen könnte.

Ich habe dann erstmal mit meiner Begleitung angefangen, ein bisschen was zu machen. Das war sehr sanft und der Einstieg war sehr schön. Dann sind wir auf ein großes Bett mit drei anderen Paaren gegangen. Der Abend war sehr sinnlich. Das hat mir gutgetan und war ein guter Einstieg.

Aber es gab eine Frau, die immer wieder gekommen ist und mitmachen wollte. Nachdem sie von uns das dritte Zeichen bekommen hatte, dass sie nicht erwünscht war, hat sie mein Bein gestreichelt, bis hinunter zu meinen Füßen. Ich fand das sehr unangebracht und absolut grenzüberschreitend. Eigentlich ist die goldene Regel, dass man nach einer Absage sofort, ohne schlechte Stimmung zu verbreiten, weiterzieht. Hätte ein Mann sich mir gegenüber so verhalten, wären meine Gedanken vermutlich sofort in Wut umgeschlagen.

Ich bin immer noch auf dem Weg zu lernen, mich selbst anzunehmen. Der Weg bis hierher war eigentlich von der Konsequenz her so, dass ich anfangen musste, andere weniger zu verurteilen und sie ihr eigenes Leben leben zu lassen.

Es gibt viele Menschen, die sich als Christen bezeichnen und sich bemühen neugierig und offen zu sein. Das finde ich grundsätzlich wichtig egal in welchem Beziehungsmodell man lebt. Einige von ihnen leben vielleicht auch in nicht exklusiven und sexpositiven Partnerschaften. Alles ist möglich. Ich selbst hätte aber niemals gedacht, dass ich mit so einem fantastischen Gefühl all das, was ich jetzt tue, tun kann.

Gesprächsprotokoll: Marie Villetelle

Sendung: F*ck Berlin, ARD-Mediathek

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