#Wiegehtesuns? | Studentin aus der Ukraine - "Es ist nicht immer leicht, neue Kontakte zu knüpfen"

Fr 30.12.22 | 11:15 Uhr
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Kateryna Buzdizhan. (Quelle: rbb/Lana Oryshchyn)
Bild: rbb/Lana Oryshchyn

Viele ukrainische Studierende, die wegen des Krieges aus ihrer Heimat geflohen sind, wollen ihr Studium hier fortsetzen. Ein Hochschulsystem in einem fremden Land bringt aber auch neue Probleme und Herausforderungen mit sich. Ein Gesprächsprotokoll.

In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht - persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Der andauernde Krieg und die Stromausfälle infolge der russischen Angriffe auf die Infrastruktur machen für ukrainische Studierende, die nach Deutschland geflohen sind, das Fernstudium an Unis in ihrer Heimat inzwischen fast unmöglich. In Berlin und Brandenburg bestehen mehrere Möglichkeiten für ukrainische Geflüchtete zu studieren. Ein Englisch- oder Deutsch-Sprachnachweis sind die Zulassungsvoraussetzung.

Kateryna Buzdizhan ist gerade in das erste Semester ihres Bachelorstudiums Business Administration an der Hochschule für Wirtschaft und Recht gestartet. Sie hat bereits ein Jahr an der Taras Shevchenko Universität in Kyjiw studiert – im Fernstudium.

Als ich nach Berlin gekommen bin, habe ich ein Programm für ein Gaststudium für Geflüchtete gefunden und mich schnell beworben. Während des Programms musste ich weiter an meiner ukrainischen Uni online studieren, denn für eine Bewerbung an deutschen Hochschulen brauchen ukrainische Studieninteressierte einen Nachweis über ein abgeschlossenes Studienjahr an einer Hochschule in der Ukraine.

Zum Glück konnte ich mein erstes Studienjahr erfolgreich abschließen. Dann gab es zwar noch Probleme bei der Übermittlung meiner Bewerbungsunterlagen an die deutsche Uni. Aber als ich eine E-Mail mit der Bestätigung meines Studienplatzes bekommen habe, war ich sehr aufgeregt und erleichtert: Der ganze Bewerbungsstress ist endlich vorbei.

Das deutsche Hochschulsystem funktioniert im Vergleich zu dem ukrainischen anders. An meiner ukrainischen Universität haben wir kein elektronisches System, um Kurse zu buchen, oft auch keine studentische E-Mail-Adresse. Für das erste Studienjahr bekommen wir immer einen festgelegten Studienplan. Erst später im Studium bekommt man die Möglichkeit, zusätzliche Kurse zu wählen.

Hier wird man aufgefordert, seinen eigenen Studienplan zu erstellen. Aber leider bekommt man nicht immer einen Platz in dem gewählten Kurs. Ich studiere Business Administration, wo es Fächer einerseits auf Deutsch, andererseits auf Englisch gibt. Ich habe nur Kurse auf Englisch gewählt, weil mein Deutsch für das Studium nicht ausreicht. Aber leider konnte ich mich am Ende nur für zwei englischsprachige Kurse anmelden.

Einmal habe ich ein Seminar auf Deutsch besucht, um zu sehen, ob ich etwas verstehen kann. Es war schwieriger, als ich dachte. Wir arbeiteten in kleinen Gruppen. Dabei lernte ich zahlreiche Studierende aus meinem Programm kennen. Sie halfen mir, meine Antworten für den Professor zu übersetzen, weil er kein Englisch konnte. Es war anstrengend, dennoch eine gute Erfahrung. Es motiviert mich, weiter Deutsch zu lernen.

Ich bin sehr glücklich, weil ich die Möglichkeit hatte, einige Seminare für dieses Semester schon abzuschließen. Ich hatte in der Ukraine die gleichen Fächer und meine erworbenen ECTS-Punkte wurden in Deutschland angerechnet. [Das European Credit Transfer System macht Studienleistungen international vergleichbar; Anm. d. Red.] Jetzt habe ich auch mehr Zeit, um einen intensiven Deutsch-Sprachkurs zu besuchen.

Es gibt unzählige positive Aspekte im Studium an einer deutschen Hochschule, die zeigen, dass ich die richtige Entscheidung für mich getroffen habe. Es gefällt mir, dass hier alle Professoren praktische Erfahrungen haben. Wenn man eine Frage stellt, können sie ausführlich aus ihren eigenen Erfahrungen in der freien Wirtschaft erzählen und zeigen, wie die Realität funktioniert. In der Ukraine ist das leider nicht immer der Fall. Außerdem sind die Professoren sehr offen und hilfsbereit. Es gibt auch verschiedene Beratungsangebote, wie zum Beispiel ein Schreibzentrum, wo man Unterstützung beim akademischen Schreiben bekommt.

Ich bin allein in Berlin, deshalb ist es sehr wichtig für mich, neue Kontakte zu knüpfen. Das ist nicht immer leicht, weil die Mehrheit der Mitstudierenden aus Berlin kommt. Sie haben hier schon ihren Freundeskreis und sind nicht immer offen für neue Bekanntschaften.

Ich bemerke auch viele Unterschiede zwischen deutschen und ukrainischen Studierenden. Die Maidan-Revolution, die Pandemie und jetzt der Krieg haben uns stark beeinträchtigt, und ich denke, es ist für uns kompliziert, wieder "normale" Studierende zu werden. In allen Fächern treffe ich unterschiedliche Studierende, deshalb muss ich mich oft kurz vorstellen. Dann ist die erste Frage "Woher kommst du?". Wenn ich antworte, dass ich aus der Ukraine komme, dann sind unsere weiteren Gespräche oft nur über den Krieg. Sie enden deshalb schnell, ohne positives Gefühl. So ist es schwer, andere Themen zu finden und Freundschaften zu schließen.

Ich mache mir oft Gedanken darüber, was ich nach dem Studium machen will. Gerade ist mein Ziel, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen, denn ich verstehe, wie wichtig das ist, nicht nur für mein Studium, sondern auch für die Jobsuche. Englisch allein reicht hier nicht aus.

Ich sehe Berlin als eine große Stadt der Möglichkeiten. Hier gibt es viele internationale Firmen und Unternehmen, und ich würde hier gerne arbeiten und Erfahrung sammeln. Die praktischen Erfahrungen und Kenntnisse, die ich hier in Deutschland erwerben möchte, würde ich dann gern bald in der Ukraine einsetzen. Wie viele andere junge Ukrainer, die jetzt im Ausland studieren, will ich bald beim Wiederaufbau meines Landes helfen.

Gesprächsprotokoll: Lana Oryshchyn

1 Kommentar

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  1. 1.

    Zwei Sanktionen würden Russland wirklich schaden:
    1. Aus Swift rauswerfen
    2. Aus dem WorldWideWeb rauswerfen
    Alles andere ist eigentlich nur Makulatur.

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