Problem Lehrermangel - Warum immer weniger Studierende ihr Lehramtsstudium beenden

Es ist ein bundesweites Problem: Lehrermangel. Allein Berlin braucht jedes Jahr mehr als 2.000 Nachwuchslehrkräfte. Doch in Berlin und ebenso in Brandenburg schließen längst nicht genügend ihr Studium ab. Woran liegt das? Von Kirsten Buchmann
Mathestunde einer zweiten Klasse an der Grundschule am Wilhelmsberg in Hohenschönhausen. Vor dem Whiteboard steht Paul. Er ist Lehramtsstudent und unterrichtet die Kinder als Klassenleiter – eine Doppelbelastung. Doch er will beides durchziehen, die Klassenlehrerrolle und das Studium. Zugleich sieht er die Hürden, weshalb es viele ohne Abschluss aufgeben.
Die Studierenden müssten in ihren Fächern Inhalte auf einem Niveau lernen, an dem viele scheiterten, so Paul: "So ist allein der Mathestoff für uns Grundschullehrer sehr herausfordernd. Es ist die Frage, ob das wirklich so nötig ist." Wenn sie in ihrem Fachstudium die Prüfungen nicht schafften, wechselten viele das Fach oder hörten auf. Als Probleme für Lehramtsstudierende sieht Paul volle Hörsäle und zu wenige Betreuer.
Spagat im Studium
Leon Erhorn vom AStA der Universität der Künste fordert Prüfungsfreiversuche auch über die Corona-Zeit hinaus, "sonst bedeutet es das Ende, wenn jemand drei Mal durchgefallen ist." Ihm selbst sei als Lehramtsstudent schon im ersten Semester klar gewesen, dass er sein Studium nicht in der Regelstudienzeit absolvieren kann. Dass seine Fächer an verschiedenen Orten angesiedelt sind, ist für ihn ein Spagat: Musik studiert er in Charlottenburg, Geografie dagegen in Adlershof, was lange Fahrtwege bedeutet.
Zu theoretisch sei das Studium, sagen andere. Und dann im dritten Semester des Masterstudiums, also fast erst am Ende – das Praxissemester an der Schule. Marie kritisiert: "Da fühlen sich viele überfordert, weil sie in der Uni nicht das lernen, was sie anwenden können. Man weiß nicht: Wie soll ich auf einen Konflikt reagieren, wie kann ich das umsetzen, welche Methode würde vielleicht passen." Wenn das im Studium mehr Gewicht hätte, würden mehr das Studium erfolgreich absolvieren, ist sie überzeugt.
Verwaltung stresst
Tommy wiederum, der schon bereits seit seinem vierten Semester parallel an der Grundschule unterrichtet, muss nur noch eine Seminararbeit abgeben. Doch er überlegt gerade, den Beruf zu wechseln. Als Klassenleiter macht ihm zu schaffen: "Die Verwaltung stresst, die Bürokratie, der Realitätsschock."
Dass zu wenige Lehramtsstudierende an der Universität bis zum Abschluss durchhalten, betrifft nicht allein Berlin. Sondern das Problem wird dadurch verschärft, dass in Deutschland insgesamt die Zahl der Lehramtsabsolventen von 2018 bis 2020 um knapp 13 Prozent sank. Das geht aus Zahlen der Kultusministerkonferenz (KMK) hervor. Am höchsten war der Einbruch in dieser Zeit demnach in Hamburg und im Saarland. In Brandenburg stieg die Zahl der Lehramtsabsolventen zwar zunächst, ging dann aber im Jahr 2020 zurück.
In Berlin bestanden im Jahr 2018 laut den KMK-Daten mehr als 900 Studierende ihre Lehramtsprüfungen. Im vergangenen Jahr lag die vorläufige Zahl der Wissenschaftsverwaltung zufolge knapp darunter. Dagegen ist es das Ziel, gut doppelt so viele auszubilden. Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) räumt ein: "Es ist noch ein weiter Weg von den 900 zu den 2.000 geplanten, für die Plätze zur Verfügung stünden. Ich denke, es braucht einfach Zeit."
Durststrecke von mehreren Jahren
Es sei aber schon viel investiert worden, etwa in Tutorien oder neue Professuren. Sie sei mit den Hochschulen ständig im Gespräch, größere Anstrengungen bei der Lehrerbildung zu machen, etwa durch weitere Studiengänge für Quereinsteiger. Ulrike Gote verweist auf die bevorstehenden Hochschulvertragsverhandlungen, da werde sie das Lehramtsstudium ganz oben auf die Agenda setzen und die Hochschulen auffordern, deutlich aktiver zu werden.
Auf die Frage, ob sie auch um die von Studierenden angesprochenen vollen Hörsäle und die zu wenigen Betreuer angehen will, lautet ihre Antwort: "Wenn das so ist, muss man daran arbeiten." Auf der anderen Seite gebe es in manchen Bereichen zu wenige Bewerberinnen und Bewerber oder es würden zu wenige zugelassen, "auch hier sprechen wir mit den Hochschulen, dass sich das ändern muss." Bis diese Veränderungen bewirken könnten, dass am Ende deutlich mehr Lehramtsabsolventen von den Hochschulen kommen, dürfte es aber noch dauern. "Ich rechne damit, dass wir insgesamt eine Durststrecke von mehreren Jahren haben werden", sagt die Wissenschaftssenatorin.
Franziska Brychcy von der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sieht momentan eine pandemiebedingte Delle bei den Absolventenzahlen. Zugleich will sie die Hochschulen stärker in die Pflicht nehmen, die zugesagten Lehramtsabsolventen pro Jahr zu erreichen. Mit Anreizen und Sanktionen will sie vorgehen. Sie blickt dabei auf das Zehn-Millionen-Euro-Programm für die Lehrerbildung an den Hochschulen: "Das würde eben bedeuten, dass diese Mittel nicht zur Verfügung gestellt werden können, wenn die Zielzahlen nicht erreicht werden."
Praxissemester flexibler handhaben
Um den Studierenden das Praxissemester zu erleichtern, könnte man darüber nachdenken, so Brychcy, dieses zu vergüten oder Stipendien dafür zu vergeben. Eine weitere Idee kommt von der Leiterin der Schule am Wilhelmsberg, Jana Reiter, die dringend auf ausgebildete Lehrkräfte wartet. Sie findet, wer schon während des Studiums unterrichtet, sollte nicht kurz vor dessen Ende ein Praxissemester absolvieren müssen: "Gerade Studentinnen und Studenten, die schon viele Jahre an der Schule gearbeitet haben, haben einfach mal Praxis. Hier würden wir uns als Schule wünschen, dass man flexiblere Lösungen findet, auch im Interesse der Studentinnen und Studenten."
Der CDU-Abgeordnete Martin Pätzold ist ebenfalls der Meinung, wer schon während des Studiums vor der Klasse steht, müsse sich dies beim Praxissemester stärker anrechnen lassen können: "Jeder Lehrer, den wir früher dazu bekommen, vollumfänglich an der Schule tätig zu sein, muss das Interesse des Landes Berlin sein."
So früh wie möglich will der Lehramtsstudent Paul fertig werden, der in der Schule am Wilhelmsberg unterrichtet. Sein Plan ist, 2024 sein Studium abzuschließen und sein Referendariat zu beginnen.
Sendung: Inforadio, 01.04.2022, 07:35 Uhr