Umweltgerechtigkeits-Atlas des Senats - In diesen Berliner Kiezen sind die Umweltbelastungen am größten

Fr 05.08.22 | 17:30 Uhr | Von Anne Kohlick und Götz Gringmuth-Dallmer
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Blick auf Berlin-Charlottenburg. (Quelle: dpa/P.Zinken)
Audio: rbb Kulturradio | 04.08.2022 | Interview mit Jan Thomsen | Bild: dpa/P.Zinken

Wo die Luft schlecht ist, der Lärm auch nachts nicht aufhört und Grünflächen fehlen - da leben in Berlin häufig ärmere Menschen. Der neue Umweltgerechtigkeits-Atlas des Senats zeigt, in welchen Kiezen gleich mehrere schädliche Faktoren wirken. Von Anne Kohlick und Götz Gringmuth-Dallmer

Alles kommt zusammen an der Glasower Straße in Neukölln: Eingezwängt zwischen Stadtautobahn und Ringbahngleisen liegt hier ein Kiez, in dem Schadstoffe die Luft belasten, die Hitze sich im Sommer staut, weil kaum Platz für Luftzirkulation bleibt zwischen der dichten Bebauung. Grünflächen fehlen, der Verkehrslärm bleibt auch nachts auf einem bedenklichen Level, was Herz-Kreislauf-Erkrankungen wahrscheinlicher macht.

Die Menschen, die unter diesen mehrfachen Umweltbelastungen leiden, haben weniger Geld als der Berliner Durchschnitt. Den sozialen Status des Kiezes stuft der Senat als "sehr niedrig" ein: Rund zwölf Prozent der Menschen hier sind arbeitslos, Transferleistungen bekommen rund 24 Prozent der Gesamtbevölkerung. 56 Prozent der Kinder wachsen in Familien auf, die Transferleistungen beziehen.

Umweltschutz: "eine brennende Frage der Gerechtigkeit"

Gesundheitsschädliche Umwelteinflüsse häufen sich in Berlin besonders in Wohngebieten ärmerer Menschen. Damit ist der Kiez um die Glasower Straße in Neukölln kein Einzelfall, wie der neue Umweltgerechtigkeits-Atlas des Berliner Senats zeigt [berlin.de]. Die Studie betrachtet vier negative Umweltfaktoren, die Körper und Geist belasten: Lärm, schlechte Luft, Mangel an Grünflächen und ein ungünstiges Mikroklima im Kiez, das zum Beispiel im Sommer zu Hitzeballung führt. Außerdem zeigen die Daten, wie hoch die soziale Benachteiligung in den einzelnen Kiezen ist.

Diese Belastungen visualisiert der Atlas im geografischen Zusammenhang mit dem sozialen Status der Berliner Kieze - der Senat spricht dabei von Planungsräumen. In 542 davon wird die Stadt für statistische Erhebungen unterteilt. Wir greifen die Planungsräume in unseren interaktiven Karten auf. Wenn Sie herausfinden wollen, in welchem Planungsraum Ihre Adresse liegt, ist das hier möglich [statistik-berlin-brandenburg.de].

Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) betont, der Umweltgerechtigkeits-Atlas zeige, "dass Umweltschutz nach wie vor eine brennende Frage der Gerechtigkeit ist". In Berlin seien Menschen mit niedrigem sozialen Status besonders häufig hohen Umweltbelastungen ausgesetzt. "Sie leben in Kiezen mit viel Verkehr und wenig Grün. Wir müssen es schaffen, die Lebensqualität gerade in diesen mehrfach belasteten Gebieten zu erhöhen."

Bevölkerungsdichte und Umweltbelastungen hängen zusammen

Die Karten des Atlas zeigen, dass sich schädliche Umwelteinflüsse besonders in den dicht besiedelten Innenstadtgebieten häufen. 28 Planungsräume weisen gleichzeitig eine hohe Belastung bei mindestens drei Faktoren auf. Zwei Drittel dieser hoch belasteten Kieze liegen innerhalb des S-Bahn-Rings. In diesen Gebieten leben zwölf Prozent der Berlinerinnen und Berliner.

Oft sind die betroffenen Planungsräume gepägt von einem hohen Grad an Versiegelung, was den sogenannten "Hitzeinsel-Effekt" im Sommer verstärkt. Viel Verkehr und eine hohe Bevölkerungsdichte kommen in diesen Kiezen zusammen: In über 80 Prozent der stark belasteten Quartiere leben mehr als 10.000 Menschen auf einem Quadratkilometer zusammen.

Die Hitze erzeugt ein Flimmern über der Straße in Berlin. (Quelle: dpa/C.Soeder)An Hauptverkehrsstraßen ist die Belastung der Luft etwa mit Stickstoffdioxid stark erhöht.

Am Stadtrand sind die Umweltbelastungen geringer

Die Kieze, in denen es besser aussieht, liegen häufig außerhalb des S-Bahn-Rings und haben eine geringere Bevölkerungsdichte: Hier leben weniger als 10.000 Personen auf einem Quadratkilometer. Stadtweit sind es 377 Planungsräume, die wenn dann nur in einem Faktor eine erhöhte Umweltbelastung aufweisen. In diesen wenig belasteten Kiezen leben rund zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner.

Auffällig ist auch hier der Zusammenhang zum sozialen Status: Menschen mit höherem Einkommen leben nur sehr selten in mehrfach belasteten Kiezen. Planungsräume mit dreifacher Umweltbelastung haben zu 97 Prozent keinen hohen Sozialstatus. Dagegen hat ein Viertel der Planungsräume ohne Umweltbelastung einen hohen Sozialstatus.

Treptow-Köpenick hat das meiste Grün und die beste Luft

So weist zum Beispiel Steglitz-Zehlendorf relativ niedrige Umweltbelastungen auf und liegt damit weit unter dem Berlin-Schnitt. Dazu passt, dass der Bezirk im Berlin-Vergleich die niedrigsten Anteile an Arbeitslosen und Transfer-Beziehenden hat und somit den höchsten sozialen Status. Den Menschen hier stehen auch überdurchschnittlich viele öffentliche Grünflächen zur Verfügung.

Noch mehr Parks gibt es nur in Treptow-Köpenick, wo der soziale Status ebenfalls vergleichsweise hoch ist. Die vielen Grünflächen wirken sich auch positiv auf die Luftqualität im Bezirk aus, die berlinweit die beste ist. Allerdings hat die Inbetriebnahme des BER die Lärmbelastung im Bezirk erhöht: 26 der 43 Planungsräume in Treptow-Köpenick sind davon stark betroffen und damit 58 Prozent der Bevölkerung im Bezirk. In keinem anderen Bezirk ist die Lärmbelastung größer.

Eine junge Frau traegt schwarze Kopfhoerer, waehrend sie an einer Ampel wartet. (Quelle: dpa/W.Steinberg)Wer dauerhaftem Lärm ausgesetzt ist, hat ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Schwedenstraße von allen fünf Belastungen betroffen

In den Bezirken Neukölln und Mitte liegen die am stärksten belasteten Kieze Berlins: Neben der Glasower Straße südlich der Ringbahn ist auch die Schwedenstraße im Wedding nördlich des S-Bahn-Rings von allen fünf Belastungsfaktoren betroffen: sehr niedriger sozialer Status, schlechte Luft, viel Lärm, wenig Grün, Hitzeballung im Sommer.

Im ganzen Bezirk Mitte fehlen Grünflächen: Nirgendwo in Berlin gibt es so wenige Parks wie hier - dementsprechend schlecht ist auch die Luft und das Mikroklima ist durch die vielen versiegelten Flächen ungünstig. Hinzukommt, dass Mitte und noch einmal mehr Neukölln Spitzenreiter bei der sozialen Belastung sind: Indikatoren für Armutsgefährdung wie Arbeitslosigkeit und der Anteil der Transferleistungsbezug sind hier am höchsten.

Wie Lärm, Hitze und schlechte Luft die Gesundheit belasten

Die vier negativen Umwelteinflüsse, die der Atlas untersucht, wirken sich auf die Gesundheit aus: Chronischer Lärmstess mit nächtlicher Dauerbelastung über 55 Dezibel erhöht das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Fehlen Grünflächen, mangelt es damit an Orten für Erholung und Bewegung, die ein gesunder Körper braucht. Hitze beansprucht das körpereigene Kühlsystem und kann insbesondere bei älteren Menschen zu Kopfschmerzen und Erschöpfung führen. Luftschadstoffe, die zum Beispiel von Autoabgasen verursacht werden, können unter anderem zu Erkrankungen der Atemwege führen.

In keinem der Berliner Planungsräume gelingt es übrigens bislang, die Luft so sauber zu halten, dass die Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Bezug auf Feinstaub und Stickstoffdioxid - in Höhe von fünf beziehungsweise zehn Mikrogramm pro Kubikmeter - eingehalten werden. Immerhin hat der Luftreinhalteplan mit Maßnahmen wie Tempo 30 an höher belasteten Hauptverkehrsstraßen und einem Durchfahrverbot für Dieselfahrzeuge bis einschließlich Euro-5-Norm die Luftqualität soweit verbessert, dass Berlin 2020 erstmalig alle gesetzlich festgelegten Grenzwerte eingehalten hat. Dazu hat allerdings auch das geringere Verkehrsaufkommen während der Corona-Lockdowns beigetragen.

Hilfsmittel für die Politik: Wo ist akuter Handlungsbedarf?

Der Senat hat 2019 zum ersten Mal einen Umweltgerechtigkeits-Atlas für Berlin erarbeitet. Bundesweit sei die Stadt damit die erste Metropole, die so eine Studie durchgeführt habe, heißt es von der Senatsumweltverwaltung. Die Karten und Daten, die jetzt zum ersten Mal aktualisiert wurden, sollen 2023/24 wieder erneuert werden.

Die Herausgeber des Atlas betonen, das Konzept der Umweltgerechtigkeit sei ein wichtiges Hilfsmittel, um zu lokalisieren, wo für die Politik besonderer Handlungsbedarf besteht - um die Lage zu verbessern für Menschen, die sozial benachteiligt sind und zusätzlich unter gesundheitsschädlichen Umwelteinflüssen leiden. Der Senat hat sich zum Ziel gesetzt, die Zahl dieser mehrfachbelasteten Kieze zu reduzieren.

Sendung: rbb Kultur, 04.08.2022, 09:10 Uhr

Beitrag von Anne Kohlick und Götz Gringmuth-Dallmer

49 Kommentare

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  1. 49.

    Sie habe sich doch selbst beantwortet, dass es sich immer um Durchschnittswerte in eine bestimmten Gebiet handelt.
    Charlottenburg gehört nun mal zu den lauten Innenstadtbezirken mit schlechter Luftqualität. Ich habe da auch mal gewohnt, da ist es auch im Innenhof laut, weil direkt hinterm Haus die S-Bahn quietscht. Übrigens auch nachts, das ist das entscheidende Kriterium bei der Lärmbelastung. Nur tagsüber laut ist nicht so schlimm.

  2. 48.

    Es ist nur doof, dass zum Beispiel der Molkenmarkt kleinteilig und altmodischer Blockrandbebauung zugebaut werden soll. Das blockt an der Stelle die Luftscheise. Zudem wird der Verkehr um enge 90 Grad Kurven gequetscht werden, was zu mehr Lärm und Abgasen führen wird. Also schlecht für Luft und Lärm. Stattdessen hätte dort ein kleiner Park geholfen.

    Auch an der Jannowitzbrücke soll es ein Hochhaus direkt am Eingang zur S-Bahn geben, dass die Luft-/Windachse Heinrich-Heine-Str./Schillingstr. unterbrechen wird - im Sommer kann so keine Kühlung durch die Spree in Richtung Kino International wehen.

    Insgesamt ein super Artikel und toll aufbereitet.

  3. 46.

    Tja, keine Ahnung aus welcher Gegend die kamen. Aber dies soll die beiden so sehr beschäftigt haben, das sie sich gegenseitig Löcher in Bauch fragten. Daher der Bauchnabel. ;-)

  4. 45.

    Was hat sozialer Wohnungsbau mit vorhandenen Wohnraum in Privatbesitz zu tun?
    Ihre tatsächliche Kenntnis Von GG und Rechtsstaat ist gleich null, das zeigen Ihre Kommentare immer wieder.
    Ich habe nichts erklärt, sondern nur konstantiert.

  5. 44.

    "Kann man eben nicht, die Zeiten sind vorbei, willkommen in der BRD, einem Rechtsstaat mit Grundgesetz etc.. "

    1. Müssen ausgerechnet SIE mir das erklären wollen.
    2. Warum kein sozialer Wohnungsbau wo besonders viel Platz ist.
    3. Was hat das mit Rechtsstaat und dem GG zu tun, von denen sie eher rudimentäre Kenntnisse haben?

  6. 43.

    Die Friedenauer Viertel haben laut Karte eine schlechte Grünflächenversorgung. Interessant, dass das quantitativ das ggü. anderen Vierteln wohl so ist, aber qualitativ sind die Grünflächen hier sehr sehr gut und einladend zum Verweilen.

  7. 41.

    Psst es macht einen Unterschied ob zugereiste die Stadt besiedeln oder von Gentrifizierer, Spekulanten aus der ganzen Welt überrannt werden.

  8. 40.

    Glaube "Niklas" meint so eher die Ursprünge. Also die Germanen, dann die Völkerwanderung und die Slawen ... ach - selbst lesen: https://berlingeschichte.de/bms/bmstxt99/9901prob.htm
    Interessanter ist aber die Namensfindung für Cölln und Berlin. Soll auf das slawische "kol" für Pfahl und "berlo" für Sumpf zurückgehen. Ob die damals schon geahnt haben .... nee, das führt zu weit. So und Spandowe (slawisch ähnlich Zusammenfluß) hat den bunten Haufen von jenseits des großen Flusses seit 1920 am Hacken. Fazit: War schon immer ein bunter Haufen.

  9. 39.

    Kann man eben nicht, die Zeiten sind vorbei, willkommen in der BRD, einem Rechtsstaat mit Grundgesetz etc..

  10. 37.

    *psssst* nur mal so unter uns. Wissen sie vom wem Berlin - Cölln gegründet worden ist? Von Zugereisten! Nein! Doch! Oh!

    Beachtlich ist vor allem ihr Kommentar, der vor dummen Vorurteilen nur so strotzt.

  11. 36.

    "Man muss ja gar nicht alles zupflastern. Jede andere Stadt der Welt würde auf den Platzmangel mit höher Bauen reagieren. In Berlin geht das freilich nicht. Dabei würde nur eine Etage mehr im Durchschnitt locker für 15 bis 20 % mehr Wohnraum sorgen können. "

    Sie haben vollkommen recht, vor allem in Villengegenden wie Kladow/Gatow, Dahlem, Frohnau, Grunewald und Karlshorst liegt noch viel verschwendeter Wohnraum brach. Dort konnte man ohne Probleme und sofort mit der Aufstockung beginnen.

  12. 35.

    Es ist schon beachtlich, dass gerade bei dem, vom Grünen-Klientel beliebten Prenzlauer Berg, in Zugereistensprache "Prenzelberg" genannt, die Luft dreckig und am Lautesten ist.
    Trotz Fahrradstraße, Lastenfahrrädern, BIO-Läden und woken Gutmenschen. Oder gerade deshalb?

  13. 33.

    Haben wir ein GLÜCK, in der Gropiusstadt zu wohnen
    die Grüne Stadt von Berlin

  14. 32.

    „Ups macht dies nun auch mich zu einem Rassisten? Nö! denn es ist mein Heimatkiez!“

    Nein, Sie schildern ja objektiv Ihre subjektive Wahrnehmung.

    Von daher ist das nicht grenzwertig und Sie sind kein Rassist, egal was andere Ihnen andichten möchten.

    Viele denken wie Sie, Italien wählt so.

  15. 31.

    Na, da hilft wohl nur "bauen, bauen, bauen", und weiter verdichten, oder? Und wem das nicht gefällt, der soll halt aufs Land ziehen. Oder?

  16. 30.

    Man muss ja gar nicht alles zupflastern. Jede andere Stadt der Welt würde auf den Platzmangel mit höher Bauen reagieren. In Berlin geht das freilich nicht. Dabei würde nur eine Etage mehr im Durchschnitt locker für 15 bis 20 % mehr Wohnraum sorgen können.

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