Versorgung von Ukrainern - "Wir haben Sorge vor dem Winter, dass da nochmal was auf uns zukommt"

Mi 24.08.22 | 07:25 Uhr | Von Sylvia Tiegs
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Am Hauptbahnhof ist für Flüchtlinge aus der Ukraine eine Hilfseinrichtung aufgebaut. (Quelle: dpa/Christophe Gateau)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 24.08.2022 | Konstanze Schirmer | Bild: dpa/Christophe Gateau

Seit einem halben Jahr führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Zahlreiche Menschen sind seitdem geflohen, auch nach Berlin und Brandenburg. Bei der Versorgung haben Hilfsorganisationen hier zwar Routine gewonnen - doch ruhig wie zurzeit muss es nicht bleiben. Von Sylvia Tiegs

Der Augustwind weht trockene Blätter über den Parkplatz am ZOB. Das Aufnahmezentrum für Ukraine-Flüchtlinge am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin-Charlottenburg liegt ruhig in der Mittagssonne. Aber das ist nur eine Scheinruhe. Es kommen zwar längst nicht mehr 1.000 Flüchtlinge am Tag hier an wie zu Beginn des Krieges in der Ukraine - seit ein paar Wochen sind es nur noch bis zu 250 Menschen täglich -, aber auch sie müssen versorgt werden.

Der Malteser Hilfsdienst organisiert das Ankunftszentrum im ZOB und hält Snacks und Getränke, Toiletten und medizinische Versorgung bereit. Rund um die Uhr. Wie es den Ankommenden geht, hängt vom Abfahrtsort ab, sagt Jörn Rösner von der Einsatzleitung: "Wenn die Leute aus dem Kriegsgebiet – sprich aus dem Donbass – kommen, sieht man, dass sie einfach kaputt, ausgezehrt sind. Wenn welche aus Kiew kommen, dann kommen sie geplant. Sie bringen Sachen mit, haben ein, zwei Koffer dabei."

Noch immer kämen vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen, Ankunftszeit sei meist in den frühen Morgenstunden. Im Ankunftszentrum erhalten sie etwas zu essen und zu trinken und werden, wenn nötig, medizinisch erstversorgt. Für Kinder gibt es eine Spielecke, die Kleinsten sollen Ablenkung finden nach der oft strapaziösen Flucht.

Jörn Rösner, Malteser im August 2022 im Ankunfszentrum am ZOB in Berlin. (Quelle: rbb/Sylvia Tiegs)
Jörn Rösner vom Malteser Hilfsdienst | Bild: rbb/Sylvia Tiegs

Offizielle Flüchtlingszahlen nicht voll belastbar

Wie viele Menschen genau aus der Ukraine bisher nach Berlin und Brandenburg geflüchtet sind, ist nicht klar zu sagen. Das machen Abfragen von rbb|24 bei den jeweiligen Behörden deutlich. Die Senatsverwaltung für Inneres weist etwa darauf hin, dass Geflüchtete, die einen Berlin-Bezug nachweisen konnten - Familie, Unterkunft oder einen Arbeitsplatz -, in der offiziellen Flüchtlingsstatistik oft gar nicht auftauchen.

So viel aber steht amtlich fest: Zwischen Mitte März und Mitte August haben rund 77.000 aus der Ukraine Geflüchtete einen Aufenthaltstitel in Berlin beantragt. Die Berliner Sozialämter haben rund 56.000 Menschen finanzielle Leistungen gewährt.

Nach Brandenburg sind seit Kriegsbeginn laut Ausländerzentralregister insgesamt rund 30.000 Menschen aus der Ukraine eingereist. Wie in Berlin, so kommen auch hier privat Untergekommene "obendrauf" - wie viele das sind, vermag niemand wirklich zu sagen. Auch nicht, wie viele von den rund 30.000 jetzt noch in Brandenburg sind.

Das Innenministerium in Potsdam weist auch darauf hin, dass etliche Ausländerbehörden Flüchtlinge noch "manuell" registrieren. Mit anderen Worten: Es liegt nicht alles digital vor.

Vom Bahnhof zum früheren Flughafen Tegel

Ob die Menschen mit dem Zug am Berliner Hauptbahnhof ankommen oder mit dem Bus am Zentralen Omnibusbahnhof: Beide Orte sind nur Durchgangsstation. Wer nicht gleich zu Freunden oder Verwandten weiterfahren kann, wird per Shuttle nach Tegel gebracht – ins dortige "Ankunftszentrum".

Auf dem Gelände des früheren Flughafens werden die Menschen registriert. Das machen Mitarbeiter:innen des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten in einem großen weißen Zelt auf dem Vorfeld des früheren Flughafens. Die Markierungen für die Flugzeuge und Versorgungswagen sind noch am Boden zu sehen. Aber hier geht es nicht mehr um An- oder Abflüge, sondern um die Frage: Dürfen die Menschen in Berlin bleiben, oder müssen sie in ein anderes Bundesland weiterreisen?

Die Klärung braucht etwas Zeit, die Geflüchteten dürfen deshalb im umgebauten Flughafen übernachten. Gerade dauere es etwas länger, sagt Betriebsleiterin Kleo Tümmler vom Deutschen Roten Kreuz (DRK): "Wir sind eigentlich darauf ausgerichtet, dass wir die Menschen hier nur eine, maximal zwei Nächte unterbringen. Aktuell bleiben die Flüchtlinge aber drei bis vier Nächte bei uns."

Gründe dafür seien Engpässe bei der Unterbringung in Berlin und Probleme bei der Weiterleitung in andere Bundesländer.

Wer das Ankunftszentrum in diesen Tagen besucht, hat allerdings nicht den Eindruck, dass es zu voll oder zu eng ist. Auf den langen Gängen des ehemaligen Flughafens laufen Kinder fröhlich um die Wette, Erwachsene sitzen an langen Holztischen und essen. Die Stimmung ist gedämpft, aber nicht angespannt.

Ankunfszentrum Rollfeld TXL im August 2022. (Quelle: rbb/Sylvia Tiegs)"Ankunftszentrum" auf dem früheren Flughafen in Tegel

Zwischen Routine und Mitgefühl

Die Aufnahme und Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge läuft sechs Monate nach Kriegsbeginn deutlich geordneter als zu Anfang, das Chaos der ersten Wochen scheint vorbei. Die Hilfsorganisationen bestätigen das. "Wir haben eine gewisse Routine entwickelt, wir können die Lage hier im Moment gut handhaben", sagt Kleo Tümmler vom DRK im Ankunftszentrum Tegel.

Das bestätigt Jörn Rösner von den Maltesern am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin: "Auch mit Hilfe des Senats und des Krisenstabs sind wir hier mittlerweile ein gut eingefahrenes Team." Rösner betont aber gleichzeitig, dass die Malteser nach wie vor rund um die Uhr gebraucht würden. "Wenn hier 60, 70 Leute gleichzeitig aus dem Bus steigen, haben wir richtig zu tun."

Nach wie vor kämen Menschen an, deren Schicksale die Helfer bewegten: Verletzte, Verzweifelte, Erschöpfte. Ähnlich geht es den Teams in Tegel: "Niemand geht hier raus und nimmt nicht jeden Tag eine kleine Geschichte mit", sagt Betriebsleiterin Kleo Tümmler.

Auf die kommenden Monate schaut sie etwas bang: "Wir haben alle Sorge vor dem Winter, dass da nochmal was auf uns zukommt. Weil die Menschen aufgrund der zerstörten Infrastruktur einfach in der Ukraine nicht mehr leben können."

Deshalb läuft in den Ankunftszentren am ZOB und in Tegel alles erstmal so weiter – mit dem Hintergedanken, jederzeit wieder aufzustocken. Der Malteser Hilfsdienst sucht aktuell dringend neue Mitarbeiter, vor allem Dolmetscher für Russisch und Ukrainisch.

Sendung: rbb24 Abendschau, 24.08.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Sylvia Tiegs

16 Kommentare

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  1. 16.

    Ihr Kommentar entlarvt unsere Luxusprobleme. In Deutschland leben zu viele Jammerlappen. Nur weil es nicht mehr ganz so kuschelig warm in der Wohnung ist, brechen sich die feinen Damen und Herren einen Zacken aus der Krone. Und wer "exorbitante Preise" sehen will, sollte man mal einen Blick in die Türkei werfen: DAS sind exorbitante Preise! Jahrzentelang konnten wir - auch dank billigem russischen Gas - wie die Made im Speck leben. Nun müssen wir uns alle ein bisschen einschränken, und alle tun so, als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Es gab Entlastungspakete und weitere werden folgen. Was denn noch? Reicht das immer noch nicht? Ich war weitsichtig und habe mir etwas von dem Ersparten zurückgelegt. So dramatisch ist das alles nicht. Lieber einen etwas teureren Einkauf bezahlen und die Heizung runterdrehen, als auf der Flucht vor Russlands Bomben sein zu müssen!

  2. 15.

    Dieses andere Land ist unweit von uns entfernt. Seine Lage könnte auch in Zukunft unsere sein, wenn wir Putin einfach gewähren lassen. Übrigens, Alters- sowie Kinderarmut in einem friedlichen Sozialstaat auf eine Stufe zu stellen mit Menschen (darunter auch Kinder), die von Bomben zerfetzt oder von Soldaten gefoltert und vergewaltigt werden, nur weil ein irrer Präsident meint, er könne einfach die Zeit zurückdrehen und ein großrussisches Reich rechtmäßig "zurückerobern", ist an Zynismus, Pietät- und Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten.

  3. 14.

    Ja, aber nicht mitten in Europa, das bereits zwei verheerende Weltkriege hinter sich hat, und lediglich zwei Flugstunden von Deutschland entfernt. Ist schon ein gewaltiger Unterschied, oder?

  4. 13.

    Sich einzuschränken, bedeutet nicht, dass man etwas verkaufen muss. Den Wasserstrahl nicht auf volle Stärke drehen, das Wasser etwas kühler einstellen, die Heizung nicht volle Pulle laufen lassen, Energiesparbirnen einsetzen - wie Sie sehen, muss niemand frieren oder im Dunkeln sitzen. Der Ukraine-Konflikt geht uns alle sehr wohl etwas an, denn Putin wird, so er denn Erfolg hat, nicht mit der Ukraine aufhören, sondern dann geht es erst so richtig los. Wollen Sie mir weismachen, dass es Ihnen egal wäre, wenn ein Terrorstaat mit größenwahnsinnigem Machthaber und Atombomben direkt vor Polen steht? Oder wenn er vor deutschen Grenzen aufmarschiert, nachdem er auch Polen "entnazifiziert" hat? Spätestens wenn die ersten russischen Bomben auf Ihren SUV und Ihr Haus fallen, dürfte auch Ihnen klar sein, dass uns dieser Konflikt alle betrifft. Putin reibt sich die Hände über Menschen wie Sie, die ihm auf den Leim gehen und ihm voll in die Karten spielen. DARÜBER sollte jeder mal nachdenken!

  5. 12.

    Und in Deutschland gibt's viel Altersarmut und Kinderarmut. Auch ist die finanzielle Lage vieler behinderter Menschen schlecht.

    Vielleicht sind unsere Probleme erstmal wichtiger als die Lage in anderen Ländern.

  6. 11.

    Und nun? Krieg gibt's oft auf der Welt.

    China nimmt immer mehr russisches Öl ab. Auch Gas findet auf dem Weltmarkt reißenden Absatz.

    Dem russischen Staat entsteht keinerlei schaden, wenn andere Länder Öl und Gas abnehmen

  7. 10.

    Und nun? Soll ich jetzt mein Haus und mein SUV verkaufen? Es gibt auch woanders auf der Welt Krieg, nur dafür interessiert sich niemand. Bis Anfang dieses Jahres hat sich im übrigen niemand für die Ukraine interessiert, darüber sollte jeder mal nachdenken!

  8. 9.
    Antwort auf [Lothar/Charlottenburg] vom 24.08.2022 um 12:35

    In der Ukraine fallen Bomben . Menschen werden schwer verletzt, Männer, Kinder, Frauen. "Exorbitante Preise " und "Im Dunkeln sitzen " dürften wohl lapidare Angelegenheiten eines Wohlstandssystems sein.

  9. 8.

    >"Verantwortlich ist dafür die Energie - und Preisentwicklung."
    Und überhaupt diese vielen ganzen Sondervorschriften von wegen energetisch wertvoll, 3 Notausgänge, Umweltverträglichkeit (für ein Haus auf ner Sandwiese!!!) usw... Selbst unsere kommunale Wohnungsgesellschaft schafft es nicht bei Neubauten auf eigenem Grund diese Neuwohnungen zu einem Quadratmeterpreis unter 10 EUR anzubieten, dass die sich zumindest über Jahrzehnte rentieren - ohne exorbitanten Gewinnaufschlag wie bei Immobilienkonzernen. Bei diesen Preisen geht kein Hartz 4 Amt mit und für die wenigen noch günstigen Wohnungen unter 8 EUR kalt konkurrieren eben alle mit wenig Geld. Das birgt auch sozialen Unmut z.B. gegenüber Flüchtlingen. Von den steigenden Nebenkosten reden wir mal gar nicht erst.

  10. 7.

    Das ist doch kein Wunder. Seit 2015 sind nach D 6 Mio Zugewanderten. Der Wohnungsbau hingegen stagniert oder geht zurück. Verantwortlich ist dafür die Energie - und Preisentwicklung.

  11. 6.

    Wenn ich die Überschrift lese, dann denke ich wer in diesem Land keine Sorgen vor dem Winter hat?

  12. 5.

    "...doch ruhig wie zurzeit muss es nicht bleiben."
    Das denke ich auch. Im Winter werden sicher noch viele Kälteflüchtlinge hinzukommen. In den Kriegsgebieten ist die Infrastruktur so kaputt, dass an eine warme Hütte nicht zu denken ist.
    Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass die Ukrainer sehr landestreu sind. Sie helfen sich erstmal selbst, kommen bei Verwandten unter oder in einer Notunterkunft im noch freien Teil der Ukraine. Einige Tausend werden sicher kommen, aber nicht 100 Tausende oder Millionen. Letztlich ist es auch strategisch besser, die Leute dort im Land zu unterstützen, solange es irgend geht.

  13. 4.

    Wenn ihnen das so unverständlich ist, dann reden sie doch mal mit dieser ukrainischen Familie und lassen sich erklären wie solch scheinbar widersprüchliche Dinge zusammengehen. Sich mit Eindrücken vom "Hörensagen" abfinden, führen schnell zu Vorurteilen, Halbwahrheiten.

  14. 3.

    Was ich nicht so richtig verstehe ist! Ich kenne mehrere Familien die Ukrainer aufgenommen haben, da fährt die Tochter für 3 Wochen nach Hause um Freunde zu besuchen, die Mutter, zwei Monate später für 4 Wochen um den Garten winterfest zu machen . Wie geht das?? Bekannte wollten sie ,eine Familie mit einem Kind in eine Unterkunft bringen. Seit 5 Monate lebt die Familie bei ihnen im Haus . Geht nicht ,sie sollen für diese Familie eine Wohnung suchen.

  15. 2.

    Es gibt syrische Familien mit Fluchterfahrung, die leben bereits seit 7 Jahren in einer Unterkunft und finden keine Wohnung. Andere Familien leben mit 6 Personen in einer kleinen 2 Zimmerwohnung, weil es keine bezahlbare größere Wohnung gibt. Das ist auch traumatisierend. Hat man darüber eventuell nachgedacht? Diese einseitig kommunizierte Politik, ist wirklich für alle nicht mehr nachvollziehbar.

  16. 1.

    @rbb24: Soweit ich weiß, werden die Hilfsorganisationen in Tegel und ZOB durch Freiwillige unterstützt. Die gewissermaßen unter Vertrag bei den Hilfsorganisationen sind (nicht als eigenständige Initiative wie nach wie vor am HBF). Könntet ihr das bitte auch recherchieren? Ich fände wichtig zu wissen, in welchem Umfang das immer noch erfolgt und auch erforderlich ist. Und wie die Hilfsorganisationen dieses Freiwilligenengagement bewerten nach monatelanger enger Zusammenarbeit mit ihnen. Danke!

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