Sozialreform der Ampel-Koalition - Bundeskabinett gibt grünes Licht für Einführung des Bürgergelds

Mi 14.09.22 | 17:17 Uhr
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Symbolbild: Ein Mann hält einen Geldbeutel (Quelle: IMAGO/Michael Bihlmayer)
Audio: rbb24 Inforadio | Mi 14.09.22 | Bild: IMAGO/Michael Bihlmayer

Hartz IV soll schon bald der Vergangenheit angehören. Begleitet von Kritik aus der Wirtschaft und von Sozialverbänden beschließt die Bundesregierung das Bürgergeld, erhöht die Leistungen und will den Umgang mit den Betroffenen verbessern.

Das Bundeskabinett hat die wichtigste Sozialreform der Ampel-Koalition auf den Weg gebracht. Es billigte am Mittwoch in Berlin den Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die Einführung des Bürgergelds zum Beginn des kommenden Jahres. Es soll die bisherigen Hartz-IV-Leistungen ablösen.

Der Regelsatz für einen Erwachsenen wird von 449 Euro auf 502 Euro im Monat steigen. Ehe- und Lebenspartner oder -partnerinnen erhalten im nächsten Jahr knapp 50 Euro, Kinder zwischen 33 und 44 Euro mehr. Künftig soll bei der Berechnung die Inflation im Vorhinein und nicht erst im Nachhinein berücksichtigt werden.

Kritik aus Wirtschaft und von Sozialverbänden

Das Bürgergeld ist eine Antwort der Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf die jahrzehntelangen Proteste gegen das Hartz-IV-System. Aus der Wirtschaft kommt Kritik, die Leistungen seien zu hoch und verringerten die Motivation zur Arbeitsaufnahme. Sozialverbände hatten im Vorfeld der Reform hingegen höhere Sätze von rund 650 Euro gefordert und auf die Inflation verwiesen, die die geplante Erhöhung bereits auffresse.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, warnte die Wirtschaft davor, Bürgergeld-Empfänger gegen Niedriglöhner auszuspielen. Die Erhöhung der Leistungen um 50 Euro sei für Menschen in der Grundsicherung ein überfälliger Inflationsausgleich. Wenn jetzt Stimmen aus der Wirtschaft laut würden, dass mit dem Bürgergeld Nicht-Arbeiten attraktiv werde, könne sie nur entgegnen: "Wir brauchen höhere Löhne im Niedriglohnsektor", sagte Bentele. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte die Reform hingegen als "arbeitsmarktpolitisch fatale Wegmarke" bezeichnet. Mit dem Bürgergeld würden keine Brücken ins Arbeitsleben, sondern in das Sozialtransfersystem geschlagen, kritisierte er.

Rund fünf Millionen beziehen Grundsicherungsleistungen

Arbeitsminister Heil wies die Kritik zurück. Künftig werde nicht weniger, sondern mehr dafür getan, Menschen wieder dauerhaft in Arbeit zu bringen, erklärte er. Hilfebedürftigkeit könne jede und jeden treffen. Die Menschen müssten sich auf den Staat verlassen können. "Mit der Einführung des Bürgergelds setzen wir ein starkes Signal für Sicherheit und Respekt", sagte der SPD-Politiker. Der Gesetzentwurf geht nun zur Beratung in den Bundestag.

Rund fünf Millionen Menschen beziehen Grundsicherungsleistungen, darunter mehr als eine Million Kinder unter 15 Jahren. Künftig sollen die Jobcenter seltener Sanktionen verhängen und stärker unterstützend tätig werden. Der bisherige Vermittlungsvorrang wird abgeschafft. Langzeitarbeitslose würden damit künftig nicht jeden Job annehmen müssen, wenn sie stattdessen durch eine Weiterbildung längerfristig bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Mehr Schutz für Empfängerinnen und Empfänger

Im ersten halben Jahr soll es zudem keine Sanktionen für die Bürgergeld-Bezieher geben. Anschließend kann das Bürgergeld bei Pflichtverletzungen um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Die früheren schärferen Sanktionen für Unter-25-Jährige werden abgeschafft. In Hinblick auf die Bürgergeld-Reform hat die Koalition die Sanktionen bereits weitgehend ausgesetzt. Zudem hatte das Bundesverfassungsgericht 2019 Leistungskürzungen von mehr als 30 Prozent für unzulässig erklärt.

Zu den Änderungen zählt auch, dass Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergelds in den ersten beiden Jahren mehr Schutz genießen als frühere Hartz IV-Empfänger. Ihre Wohnung wird weiterbezahlt und Ersparnisse bis 60.000 Euro werden zunächst geschont. Diese Regeln wurden bereits während der Corona-Pandemie eingeführt.

Der Deutsche Städtetag reagierte skeptisch. Die Jobcenter müssten für zwei Jahre jegliche Wohnkosten akzeptieren, kritisierte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Das sei zu lange und müsse noch geändert werden. Das Bürgergeld stelle die richtigen Weichen, es müsse aber auch die Balance zwischen Förderung und Fordern erhalten bleiben, mahnte der Chef des Kommunalverbands.

Das neue Bürgergeld (Quelle: rbb|24)

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.09.22, 19:30 Uhr

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137 Kommentare

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  1. 137.

    Ich bin fassungslos, während die Mittelschicht immer mehr geschröpft wird & kaum noch weiß, wie sie über den Monat kommt, wird Faulheit noch belohnt. Nicht falsch verstehen, es gibt viele die arbeiten wollen, meiner Meinung leider nru ein Bruchteil. Ein Bekannter mit drei Jobs weiß nicht, wie er die zus. Kosten für Nahrung und Energie bezahlen soll. Sein O-Ton: da geht's mir am Ende mit Sozialleistungen besser. Bezahlte Wohnung inkl. Energie, Monatsticket, Kostenloses Schulessen seiner Kinder, Sportverein-Gutscheine, keine GEZ, etc. dabei spart er sich die 14h Arbeit/ Tag. Es ist doch was ganz gewaltig faul in diesem Staate, was Löhne und Sozialleistungen angeht.

  2. 136.

    Das war Antwort auf Beitrag # 110 von F:Dachs.
    Ich bitte erst entsprechend alles durchlesen, und dann antworten.

    Übrigens, wie immer,ihre Anwort angriffslustig vorgetragen, ohne........

  3. 135.

    Gerade habe ich ein Schreiben meines Stromanbieters erhalten:
    Es erfolgt eine Erhöhung von bisher 24 Cent pro KWh auf 54 Cent! Als Begründung wird angegeben, Deutschland müsse sehr viel Strom an Frankreich abgeben. Ist das jetzt der Grund für das Bürgergeld?

  4. 134.

    "Jetzt kann ich erahnen, warum es in Berlin so viele Grundsicherungempfänger gibt, hier ist zu lesen, man kann sich frei entscheiden zwischen arbeiten gehen oder auf Kosten der Arbeitenden zu leben,"

    Da das so oft verwechselt wird hier mal eine ganz einfache Erklärung für schlichte Gemüter:

    1. man kann sich nicht frei entscheiden.

    2. leistungslos auf Kosten der arbeitenden Bevökerung leben z.B. Aktionäre und private Vermieter.

    Nichts zu danken, ich helfe ja gerne.

  5. 133.

    Diese Prozentzahl bezieht sich nicht auf die Unwilligkeit ein Arbeisverhältnis einzugehen, weil diese Zahl eigentlich nicht ermittelbar ist, aber, bei Langzeitarbeitslosen wird es nicht selten vorkommen, dass man ein Vorstellungsgespräch so gestaltet, dass der potenzielle Arbeitgeber abstand nimmt.

  6. 132.

    Werter@ Bernd
    Sie liegen falsch. Bitte informieren Sie sich doch gründlich bevor Sie versuchen mir Lügen vorzuwerfen.
    Wenn jemand aus Krankheit seinen Job nicht mehr machen wird er krankgeschrieben und nach längerer Zeit bittet die KK um eine Überprüfung der Arbeitsfähigkeit und erst dann geht es zum Gutachter der KK. Und wenn festgestellt wird das derjenige nicht mehr als 2 Stunden und nich wie Sie schreiben 3 Stunden arbeiten ist er für den Arbeitsmarkt nicht mehr tragbar und bekommt EU Rente. Für mich ist dieses Thema jetzt beendet.
    Immerhin geht es um die Sozialreform der Ampelregierung und nicht darum ob Sie Recht haben oder nicht.
    Wünsche eine schöne Restwoche und bleiben Sie gesund.

  7. 131.

    Ja, Aufwand vs. Ertrag (BWL Schnupperkurs). Mal sehen was unsere Regierung in ihrer ideellen und realitätsfremden Blase noch alles so einfällt. Ich hol mir Mal Popcorn ...

  8. 130.

    "Jetzt kann ich erahnen, warum es in Berlin so viele Grundsicherungempfänger gibt, hier ist zu lesen, man kann sich frei entscheiden zwischen arbeiten gehen oder auf Kosten der Arbeitenden zu leben,"

    Da das so oft verwechselt wird hier mal eine ganz einfache Erklärung für schlichte Gemüter:

    1. man kann sich nicht frei entscheiden.

    2. leistungslos auf Kosten der arbeitenden Bevökerung leben z.B. Aktionäre und private Vermieter.

    Nichts zu danken, ich helfe ja gerne.

  9. 129.

    Da ich nicht für die Empfehlung bin, sich anstatt für das Arbeiten für die Arbeitslosigkeit zu entscheiden, bin ich der falsche Adressat für diese Frage, aber ich schätze, mit HARTZ IV kann man hierzulande gut zurechtkommen.
    In anderen EU - Ländern sieht es anders aus.

  10. 128.

    "Wäre es nicht besser diese Leute in Arbeit zu bringen bei dem Arbeitskräftemangel statt diese Leute mit Millionen von Euros zu stützen. "
    Vor allen Dingen In nichtpräkere Beschäftigung!! Es ist schlimm genug, dass ständig viel Energie verplempert wird, den Niedriglohnsektor gegen die Regelsätze auszuspielen, anstatt endlich gesellschaftliche Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Arbeit für wieder menschenwürdig bezahlt werden kann.

  11. 127.

    Ihre Aussage ist falsch. Bei einer vollen EU Rente darf man bis zu 15 Stunden pro Woche arbeiten.

    Ehrenamt ist generell anrechnungsfrei

    Hier mal ein Link dazu
    https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Rente/Allgemeine-Informationen/Rentenarten-und-Leistungen/Erwerbsminderungsrente/erwerbsminderungsrente_node.html

  12. 126.

    Da hat man Ihnen was falsches gesagt. Wenn volle EU Rente bewilligt ist, darf max 15 Stunden pro Woche hinzuverdient werden. Ehrenämter und Tätigkeit in einer wfbm sind anrechnungsfrei.

    Es gibt sehr viele EU Rentner, die eine angemeldete Tätigkeit von bis zu 15 Stunden pro Woche ausüben.

    Ich habe als Richter am SG sehr viel mit diesem Thema zutun.

  13. 125.

    Zum Glück habe ich keine Kinder, dann wird das Kindergeld auch nicht angerechnet. Adieu Arbeotsmarkt, Hallo Freizeit, Danke Bürgergeld!

  14. 124.

    Wieso in der Rente bekomme ich doch weiterhin finanzielle Unterstützung vom Staat, also warum sich kaputt machen?

  15. 123.

    Ja, ich denke schon. Aber jetzt macht es überhaupt keinen Sinn mehr ab Januar 2023 für mich als Geringverdiener zur Arbeit zu gehen, weil ich gerade mal 470 Euro mehr bekomme, das sind bei 160 Monatsarbeitsstunden nicht mal 3 EUR zusätzlich pro Stunde. Da lohnt sich Zuhause bleiben dann ab Januar doch mehr.

  16. 122.

    Und sie halten den HARTZ-IV-Regelsatz oder das Bürgergeld für ein auskömmliches, erstrebenswertes Einkommen??

  17. 121.

    Ich beziehe aufgrund schwerer Erkrankung unbefristete EU-Rente.
    Nach Angabe der Rentenversicherung darf ich auch nichtmal ein Ehrenamt ausüben.
    Jede Tätigkeit führt zum Verlust der Rente.

  18. 120.

    Warum kommen dann die Mitarbeiter der Jobcenter ihrer Verpflichtung nicht nach?

  19. 119.

    Toska, auch hier liegen Sie falsch. Die Beurteilung ob volle oder teilweise Erwerbsminderung vorliegt, ist nicht Aufgabe der Krankenkasse sondern der Rentenversicherung im Rahmen eines Antrags auf EU Rente

  20. 118.

    Das ist falsch. Volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn man weniger als 3 Stunden auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten kann

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