Wahlchaos in Berlin - Wahlleiter sieht mögliche Probleme nach Urteil zu Wahlwiederholung
Für eine mögliche erneute Wahl in Berlin wird bereits Papier organisiert, auch Wahlhelfer werden wieder gebraucht. Der neue Wahlleiter sieht hier allerdings Probleme auf sich zukommen - vor allem, wenn diesmal alle Bürger im Wahllokal wählen können sollen.
Berlins neuer Wahlleiter Stephan Bröchler hat an den Verfassungsgerichtshof appelliert, bei seinem anstehenden Urteil über die Gültigkeit der letzten Wahl Augenmaß walten zu lassen. Sollte das Gericht wie bereits angedeutet tatsächlich anordnen, dass wirklich allen Wählern eine Präsenzwahl im Wahllokal unter zumutbaren Bedingungen ermöglicht werden müsse, werde das erheblichen Mehraufwand und organisatorische Probleme zur Folge haben, sagte Bröchler am Freitag bei seiner ersten Pressekonferenz nach seinem Amtsantritt am 1. Oktober.
"Das zu organisieren, wäre eine kaum lösbare Aufgabe. Ich bitte das Gericht, sich das genau zu überlegen", so Bröchler. Er wolle dazu auch einen Brief an den Verfassungsgerichtshof schreiben. Gleichwohl werde er das am 16. November erwartete Urteil "1:1" umsetzen.
Viele Briefwähler wahrscheinlich
Bröchler verwies darauf, dass bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 26. September 2021 bei einer Wahlbeteiligung von rund 75 Prozent etwa 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen per Brief abgegeben hätten. Die Annahme, dass 100 Prozent der Wahlberechtigten ins Wahllokal kommen, sei aus seiner Sicht unrealistisch.
Diese Erfahrung gelte im Übrigen bundesweit und werde bei der Vorbereitung von Wahlen berücksichtigt. Sollte das Gericht hier nun eine neue Linie vorgeben, würden in Berlin mehr Wahllokale, mehr Wahlurnen und deutlich mehr Wahlhelfer benötigt als bisher, so Bröchler.
Bröchler fordert höhere Entschädigung
Laut Innenverwaltung soll schon vor der Gerichtsentscheidung damit begonnen werden, Wahlhelfende zu rekrutieren. Wahlleiter Stephan Bröchler forderte am Freitag eine höhere Entschädigung für Wahlhelfer. Die aktuellen Regelungen zum sogenannten Erfrischungsgeld seien nicht mehr zeitgemäß. Eine Erhöhung mindestens auf die doppelte bisherige Summe sei schon aus Gründen der Wertschätzung für die wichtige Arbeit der Wahlhelfer nötig, sagte Bröchler am Freitag bei seiner ersten Pressekonferenz nach seinem Amtsantritt. Aktuell bekommen Wahlhelfer und Wahlhelferinnen im Urnenwahllokal in der Regel 60 Euro "Erfrischungsgeld". Erfüllen sie zusätzliche Aufgaben etwa im Wahlvorstand, kann sich diese Summe erhöhen. Beschäftigte des öffentlichen Dienstes können wählen zwischen der ganzen Summe oder einer reduzierten Summe bei gleichzeitigem Freizeitausgleich. Innensenatorin Iris Spranger kündigte an, Bröchlers Forderung nach Verbesserungen für Wahlhelfer zu prüfen.
Ausschreibung für Wahlzettel-Papier begonnen
Bereits jetzt läuft auch eine europaweite Ausschreibung für das nötige Papier, auf dem die Wahlscheine gedruckt werden können und für eine Druckerei. Egal welche Druckerei diesmal den Zuschlag zum Drucken der Wahlscheine bekommt - die Innenverwaltung kündigt an, Kontrollen durchführen zu wollen, um etwaige Fehler der Druckerei rechtzeitig vor der Wahl zu erkennen.
Gericht: Jeder muss vor Ort wählen können
Am 28. September hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof bei einer mündlichen Verhandlung über Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl sehr deutlich eine komplette Wiederholung in Betracht gezogen. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl habe es viele schwere Wahlfehler gegeben, so Gerichtspräsidentin Ludgera Selting.
Die Wahl müsse von der Landeswahlleitung so organisiert werden, dass jeder Wahlberechtigte am Wahltag die Möglichkeit habe, eine vollständige und gültige Stimme unter zumutbaren Bedingungen in Präsenz abzugeben, sagte sie weiter. Sollte das Gericht in seinem Urteil am 16. November die Wahl für ungültig erklären, müsste die Wiederholungswahl bis Mitte Februar stattfinden.
Gericht zieht komplette Wiederholung in Betracht
Nach Angaben der Innenverwaltung wird die 90-Tage-Frist, innerhalb derer gewählt werden muss, voll ausgeschöpft. Als Grund nannte Sabine Beikler, die Sprecherin von Berlins Innensenatorin, die Wahlvorbereitungen. Normalerweise werde eine Wahl ein Jahr lang vorbereitet, sagte sie dem rbb. Wenn das Landesverfassungsgericht am 16. November entscheidet, dass die Wahl wiederholt werden muss, wäre der letztmögliche Sonntag vor Ablauf der 90-Tage-Frist der 12. Februar 2023.
Die wahrscheinliche Wahl im Februar sei eine Wiederholungs-Wahl, keine Neuwahl, stellte Bröchler auch klar. Das heisst, es können auch keine neuen Kandidatinnen und Kandidaten auf die Listen geschrieben werden. Wer verstorben ist oder aus Berlin weggezogen, der wird nicht durch neue Kandidaten ersetzt, sondern auf dem Wahlzettel gestrichen. Gute Nachrichten allerdings für die, die seit dem 26. September 2021 volljährig geworden sind. Weil das Wahlregister alle sechs Monate aktualisiert werden muss, werden sie bei der möglichen Wiederholungswahl ihre Stimme abgeben dürfen.
Bröchler zufolge hätte eine Entscheidung für eine Wahlwiederholung unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit von Senat und Abgeordnetenhaus. "Ich denke, dass es dann Zurückhaltung geben wird und keine politischen Grundsatzentscheidungen mehr gefällt werden", sagte Bröchler am Freitag. Als konkretes Beispiel für solche Grundsatzentscheidungen nannte er Verfassungsänderungen, wie sie etwa zu der von Rot-Grün-Rot und FDP angedachten Senkung des Wahlalters nötig wären.
Generell könnten das am 26. September 2021 gewählte Parlament und der Senat aber weiterarbeiten, so Bröchler. Das betreffe nach seiner Einschätzung auch die Gesetzgebung.
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.10.2022, 12:00 Uhr