Wahlchaos in Berlin - Wahlleiter sieht mögliche Probleme nach Urteil zu Wahlwiederholung

Fr 14.10.22 | 14:50 Uhr
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Wahlhelfer und Wahlhelferinnen zählen in einem Wahllokal Stimmzettel für die Bundestagswahl. (Quelle: dpa/Sebastian Gollnow)
Audio: rbb24 Inforadio | 14.10.2022 | O-Ton Landeswahlleiter Bröchler | Bild: dpa/Sebastian Gollnow

Für eine mögliche erneute Wahl in Berlin wird bereits Papier organisiert, auch Wahlhelfer werden wieder gebraucht. Der neue Wahlleiter sieht hier allerdings Probleme auf sich zukommen - vor allem, wenn diesmal alle Bürger im Wahllokal wählen können sollen.

Berlins neuer Wahlleiter Stephan Bröchler hat an den Verfassungsgerichtshof appelliert, bei seinem anstehenden Urteil über die Gültigkeit der letzten Wahl Augenmaß walten zu lassen. Sollte das Gericht wie bereits angedeutet tatsächlich anordnen, dass wirklich allen Wählern eine Präsenzwahl im Wahllokal unter zumutbaren Bedingungen ermöglicht werden müsse, werde das erheblichen Mehraufwand und organisatorische Probleme zur Folge haben, sagte Bröchler am Freitag bei seiner ersten Pressekonferenz nach seinem Amtsantritt am 1. Oktober.

"Das zu organisieren, wäre eine kaum lösbare Aufgabe. Ich bitte das Gericht, sich das genau zu überlegen", so Bröchler. Er wolle dazu auch einen Brief an den Verfassungsgerichtshof schreiben. Gleichwohl werde er das am 16. November erwartete Urteil "1:1" umsetzen.

Viele Briefwähler wahrscheinlich

Bröchler verwies darauf, dass bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 26. September 2021 bei einer Wahlbeteiligung von rund 75 Prozent etwa 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen per Brief abgegeben hätten. Die Annahme, dass 100 Prozent der Wahlberechtigten ins Wahllokal kommen, sei aus seiner Sicht unrealistisch.

Diese Erfahrung gelte im Übrigen bundesweit und werde bei der Vorbereitung von Wahlen berücksichtigt. Sollte das Gericht hier nun eine neue Linie vorgeben, würden in Berlin mehr Wahllokale, mehr Wahlurnen und deutlich mehr Wahlhelfer benötigt als bisher, so Bröchler.

Bröchler fordert höhere Entschädigung

Laut Innenverwaltung soll schon vor der Gerichtsentscheidung damit begonnen werden, Wahlhelfende zu rekrutieren. Wahlleiter Stephan Bröchler forderte am Freitag eine höhere Entschädigung für Wahlhelfer. Die aktuellen Regelungen zum sogenannten Erfrischungsgeld seien nicht mehr zeitgemäß. Eine Erhöhung mindestens auf die doppelte bisherige Summe sei schon aus Gründen der Wertschätzung für die wichtige Arbeit der Wahlhelfer nötig, sagte Bröchler am Freitag bei seiner ersten Pressekonferenz nach seinem Amtsantritt. Aktuell bekommen Wahlhelfer und Wahlhelferinnen im Urnenwahllokal in der Regel 60 Euro "Erfrischungsgeld". Erfüllen sie zusätzliche Aufgaben etwa im Wahlvorstand, kann sich diese Summe erhöhen. Beschäftigte des öffentlichen Dienstes können wählen zwischen der ganzen Summe oder einer reduzierten Summe bei gleichzeitigem Freizeitausgleich. Innensenatorin Iris Spranger kündigte an, Bröchlers Forderung nach Verbesserungen für Wahlhelfer zu prüfen.

Ausschreibung für Wahlzettel-Papier begonnen

Bereits jetzt läuft auch eine europaweite Ausschreibung für das nötige Papier, auf dem die Wahlscheine gedruckt werden können und für eine Druckerei. Egal welche Druckerei diesmal den Zuschlag zum Drucken der Wahlscheine bekommt - die Innenverwaltung kündigt an, Kontrollen durchführen zu wollen, um etwaige Fehler der Druckerei rechtzeitig vor der Wahl zu erkennen.

Gericht: Jeder muss vor Ort wählen können

Am 28. September hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof bei einer mündlichen Verhandlung über Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl sehr deutlich eine komplette Wiederholung in Betracht gezogen. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl habe es viele schwere Wahlfehler gegeben, so Gerichtspräsidentin Ludgera Selting.

Die Wahl müsse von der Landeswahlleitung so organisiert werden, dass jeder Wahlberechtigte am Wahltag die Möglichkeit habe, eine vollständige und gültige Stimme unter zumutbaren Bedingungen in Präsenz abzugeben, sagte sie weiter. Sollte das Gericht in seinem Urteil am 16. November die Wahl für ungültig erklären, müsste die Wiederholungswahl bis Mitte Februar stattfinden.

Gericht zieht komplette Wiederholung in Betracht

Nach Angaben der Innenverwaltung wird die 90-Tage-Frist, innerhalb derer gewählt werden muss, voll ausgeschöpft. Als Grund nannte Sabine Beikler, die Sprecherin von Berlins Innensenatorin, die Wahlvorbereitungen. Normalerweise werde eine Wahl ein Jahr lang vorbereitet, sagte sie dem rbb. Wenn das Landesverfassungsgericht am 16. November entscheidet, dass die Wahl wiederholt werden muss, wäre der letztmögliche Sonntag vor Ablauf der 90-Tage-Frist der 12. Februar 2023.

Die wahrscheinliche Wahl im Februar sei eine Wiederholungs-Wahl, keine Neuwahl, stellte Bröchler auch klar. Das heisst, es können auch keine neuen Kandidatinnen und Kandidaten auf die Listen geschrieben werden. Wer verstorben ist oder aus Berlin weggezogen, der wird nicht durch neue Kandidaten ersetzt, sondern auf dem Wahlzettel gestrichen. Gute Nachrichten allerdings für die, die seit dem 26. September 2021 volljährig geworden sind. Weil das Wahlregister alle sechs Monate aktualisiert werden muss, werden sie bei der möglichen Wiederholungswahl ihre Stimme abgeben dürfen.

Bröchler zufolge hätte eine Entscheidung für eine Wahlwiederholung unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit von Senat und Abgeordnetenhaus. "Ich denke, dass es dann Zurückhaltung geben wird und keine politischen Grundsatzentscheidungen mehr gefällt werden", sagte Bröchler am Freitag. Als konkretes Beispiel für solche Grundsatzentscheidungen nannte er Verfassungsänderungen, wie sie etwa zu der von Rot-Grün-Rot und FDP angedachten Senkung des Wahlalters nötig wären.

Generell könnten das am 26. September 2021 gewählte Parlament und der Senat aber weiterarbeiten, so Bröchler. Das betreffe nach seiner Einschätzung auch die Gesetzgebung.

Sendung: rbb24 Inforadio, 14.10.2022, 12:00 Uhr

66 Kommentare

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  1. 66.

    Nach der Wende wurde Belin erst recht bezuschusst, und wird es heute noch, beispielsweise durch Länderausgleich..
    Das Polen oder Tschechien niedrigeren BIP haben als Deutschland spielt hier keine Rolle, da es um prozentualen Vergleich der jeweiligen Hauptstädte zum jeweiligen Landesdurchschnitt geht.
    Wie gesagt es gibt in der ganzen EU keine Hauptstadt, die nur den Landesdurchschnitt erwitschaftet, und darüberhinaus von anderen Regionen einen Finanzausgleich benötigt um über die Runden zu kommen.

    Das mit den riesigen Unterschieden der Bevölkerung jenseits der Hauptstadt ist nur Quatsch, da Tschechien ein modernes Industrieland ist, und die Industrie konzentriert sich nicht in Prag, sondern ist im ganzen Land verteilt.

  2. 65.

    Da sind Sie wieder Alle versammelt: die, die sich für Neuwahlen aussprechen und die Truppe, die die als "Befürworter von GRUNDGESETZWIDRIGEN Neuwahlen" diffamieren.
    Nun, um deren kruden Gedankenwelt zu verstehen, sind Wahlen, die Wahlen in der Dritten Welt in nicht nachstehen, demokratisch. Dann frage ich mich ehrlich was für ein Demokratieverständnis hat ein solcher Personenkreis? Und, ist dass nicht auch der, der sofort aufschreit, wenn es woanders bei Wahlen undemokratisch abgeht?
    Was für eine Ansammlung von scheinheiligen Parteisoldaten und Meinungsdiktatoren.
    Gerd Glaudino - alles gut in der Stadt, dank der Grünen, der SPD, der viermal umbenannten SED und dem Länderfinanzausgleich. Und mit "ideologisch verblendet"-Aussagen sollten gerade Sie vorsichtig sein. Von Ihnen ist eine solche Aussage lächerlich.

  3. 64.

    "Ergo, Berlin als Hauptstadt erreich gerade mal 100% von budesrepublikanischen Durchschnitt, und die anderen 2 Hauptstädte mehr als das Doppelte, und das sagt doch ALLES aus. "

    Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich. Während in der alten BRD Berlin isoliert war und deswegen bezuschusst wurde blieb das nach der Wende schlagartig aus. In Polen und in Tschechien ist der Unterschied zwischen Land und den wenigen Großstädten riesig weil die Landbevölkerung immer noch wesentlich ärmer ist.

    Der Vergleich hinkt nicht nur, er ist einfach falsch.

  4. 63.

    "Ergo, Berlin als Hauptstadt erreich gerade mal 100% von budesrepublikanischen Durchschnitt, und die anderen 2 Hauptstädte mehr als das Doppelte, und das sagt doch ALLES aus. "

    Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich. Während in der alten BRD Berlin isoliert war und deswegen bezuschusst wurde blieb das nach der Wende schlagartig aus. In Polen und in Tschechien ist der Unterschied zwischen Land und den wenigen Großstädten riesig weil die Landbevölkerung immer noch wesentlich ärmer ist.

    Der Vergleich hinkt nicht nur, er ist einfach falsch.

  5. 62.

    Wer 2022 noch von SED und SED-Linken fabuliert ist entweder rechtsextrem oder hat lange nicht mehr in einen Kalender geguckt. Die SED-Linken sitzen nämlich in allen Parteien aber am wenigsten in der Partei "DIE LINKE".

    "Die Linke entstand am 16. Juni 2007 durch Verschmelzung der SPD-Abspaltung WASG und der Linkspartei PDS. "

    Das ist also eher die sPD vor dem Rechtsrutsch unter Schmidt und noch schlimmer Schröder. Bei denen wurde das sozialdemokratische ganz klein geschrieben.

  6. 60.

    Hier kommt man mir Daten und Studien zwischen 1970 und 2020 was Berlin betrift nicht weiter, so eine Statistik ist eigentlich unbrauchbar. Für heutige Asusage wo Berlin heute in Bundesdeutschen Vergleich, und in Vergleich zu anderen Haupstädten steh, da gibt es durchaus brauchbare Daten.

    Jetzt ein Vergleich dieser 3 Städte was die Wirtschaftskraft, zu der landeseigener Wirtschaftkraft betrifft :
    Warschau 221%
    Prag 211%
    Berlin 101%

    Ergo, Berlin als Hauptstadt erreich gerade mal 100% von budesrepublikanischen Durchschnitt, und die anderen 2 Hauptstädte mehr als das Doppelte, und das sagt doch ALLES aus.
    Übrigens, es gibt keine Hauptstadt, die lediglich 100% des jewiligen landesweiten BIP erreicht, nur Berlin..

  7. 59.

    Es ist doch gut, dass jeder hier seine eigene Meinung vertreten kann nicht wahr?

  8. 58.

    Ihr Wort in Gottes Ohr !!
    Das sehe ich genauso wie Sie.
    Es muss endlich vorbei sein mit dieser Koalition.

  9. 57.

    Zitat: "Fast 20 Jahre die SPD, wirtschaftlicher und sozialer Abstieg, dank der Steigbügelhalter von den Grünen und den SED-Linken."

    Immer wieder schön, diese gefühlten 'Wahrheiten' ideologisch Verblendeter zu lesen. Dumm nur, also für "Fatima" und Konsorten, wenn man diese mit zwei drei Klicks widerlegen kann.

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5010/umfrage/entwicklung-des-bruttoinlandsprodukts-von-berlin-seit-1970/#:~:text=Das%20Bruttoinlandsprodukt%20von%20Berlin%20betrug,einhergehenden%20Shutdown%20der%20Wirtschaft%20begr%C3%BCndet.

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/256211/umfrage/verfuegbares-einkommen-privater-haushalte-je-einwohner-in-berlin/

  10. 56.

    Sollte es Neuwahlen geben, scheinen die Zeiten von Schummel-Franzi vorbei.
    (Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/berlin-giffey-103.html)
    Dann bliebe nur noch zu verhindern, dass die Kollaboration aus SPD, Grünen und SED und Wähler ein "wechselndes Bäumchen" zu verkaufen.
    Fast 20 Jahre die SPD, wirtschaftlicher und sozialer Abstieg, dank der Steigbügelhalter von den Grünen und den SED-Linken.
    Das gild es bei Neuwahlen zu verhindern. Für eine Zukuft für Berlin, Für den Handwerker, dem Mittelstand, für den Industriestandort Berlin, für alle Bürger und nicht nur Klientelpolitik.

  11. 55.

    Dann sollten sie nochmal nachlesen was appelieren heißt. Beispiel: Sie appellieren an die Regierung, möglichst schnell zu handeln. Damit beeinflußt man also eine Entscheidung? Das ist erst recht keine Drohung.

    Aber die Befürworter von grundgesetzwidrigen Neuwahlen lassen nichts aus um noch so aberwitzige Ausreden zu erfinden. Nur stichhaltige Begründungen für komplette Neuwahlen konnte ich bis heute nicht finden.

  12. 54.

    Einige typisches Verhalten der Absicherung. Äußern von Bedenken, damit man hinterher das Gericht als Schuldigen anprangern kann für alles was falschen laufen könnte.

  13. 53.

    „ Berlins neuer Wahlleiter Stephan Bröchler hat an den Verfassungsgerichtshof appelliert, bei seinem anstehenden Urteil über die Gültigkeit der letzten Wahl Augenmaß walten zu lassen. Sollte das Gericht wie bereits angedeutet tatsächlich anordnen, dass wirklich allen Wählern eine Präsenzwahl im Wahllokal unter zumutbaren Bedingungen ermöglicht werden müsse, werde das erheblichen Mehraufwand und organisatorische Probleme zur Folge haben, sagte Bröchler am Freitag bei seiner ersten Pressekonferenz nach seinem Amtsantritt am 1. Oktober.“

    Das ist Beeinflussung pur. Auf gut Deutsch könnte man es auch als Drohung, mindestens als Warnung auffassen. Oder schon mal als „ich hab es ja vorher gesagt“, für den Fall, dass die Neuwahlen wieder nicht gut ablaufen

  14. 52.

    "Will Herr Bröchler das Gericht durch seine "BEDENKEN" in seiner Entscheidungsfindung beeinflussen ???"

    Sehe ich nicht so, bisher waren es eher die Wahlverlierer die das Gericht beeinflussen wollen.

  15. 51.

    Ist das nicht sein Job Probleme für einen ordnungsgemäßen Wahlgang zu lösen? Ich glaube ja. Wenn er das nicht gewerkstelligen kann, dann ist er vielleicht Fehl am Platz für dieses Amt.

  16. 50.

    Haben Sie Belege für Ihre krude Theorie. Selten sowas xx gehört

  17. 49.

    Alle Achtung, das trauen sie der AFD zu? Vielleicht haben die auch den Ausbau des Kanzleramts für 777 Millionen schon im voraus geplant falls sie dort mal einziehen sollten. :-( Ironie off

  18. 48.

    Falsche Einstellung lieber Wahlleiter. Hier geht es nicht um eine Kosten Nutzen Analyse sondern um Grundrechte. Wer den Aufwand von Wahlen ins Spiel bringt, sollte überlegen, ob er den richtigen Job hat.

  19. 47.

    Ich frage mich, wie ein Gericht frei und neutral entscheiden soll, wenn permanent Forderungen in der Presse laut werden. Richter sind doch auch nur Menschen. Ich bezweifle, dass hier noch ein unbefangen Ergebnis zustande kommt.

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