Entwurf eines Zwischenberichts - Expertenkommission hält Vergesellschaftung von Grundstücken für rechtlich möglich

Fr 09.12.22 | 10:44 Uhr
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Archivbild:Transparent zur Vergesellschaftung Transparent zur Vergesellschaftung am 15.07.2022.(Quelle:imago images/S.Steinach)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.12.2022 | Sebastian Schöbel | Bild: imago images/S.Steinach

Aus der Expertenkommission zur Umsetzung des Volksentscheids "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" ist der Entwurf eines Zwischenberichts nach außen gedrungen, der den Befürwortern Vorschub geben dürfte. Noch sind aber viele Fragen offen.

  • Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin könnte rechtlich möglich sein.
  • Im Entwurf eines Zwischenberichts stehen keine finalen Schlüsse.
  • Es gibt viele offene Fragen, die Kommission soll noch bis zum Sommer tagen.

Eine Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin könnte rechtlich möglich sein. Das geht aus dem Entwurf eines Zwischenberichts der Expertenkommission zur Umsetzung des Volksentscheids "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" hervor. Das Papier liegt dem rbb vor.

Allerdings erklärte die Kommission in Reaktion auf die Veröffentlichung dieses Papiers, es handle sich dabei lediglich um "Auszüge eines Vorentwurfs", der von der Kommission in keiner Weise legitimiert sei. Der offizielle Zwischenbericht soll am kommenden Donnerstag vorgestellt werden.

Noch keine finalen Schlüsse

Auftrag der Experten ist es, die rechtlichen Voraussetzungen für Vergesellschaftungen abzuwägen. In diesen nun dem rbb vorliegenden Papieren ziehen sie keine finalen Schlüsse. Die Expertenkommission soll voraussichtlich noch bis kommenden Sommer tagen und - wie aus dem Entwurf hervorgeht - sind bis dahin noch viele Fragen offen.

Zusammengesetzt wurde die Kommission von den Senatsparteien als Antwort auf den erfolgreichen Volksentscheid der Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen". Die meisten der 13 Rechtsexperten lehren an Universitäten, auch ein Bundesverfassungsrichter ist dabei. Über den Entwurf des Zwischenberichtes hatte zuerst die "Berliner Morgenpost" berichtet. Nun wird darüber spekuliert, wie das Dokument an die Öffentlichkeit gelangte. Zuvor hatte die Initiative mehrfach Kritik an der Kommission geübt wegen mangelnder Transparenz.

Rückenwind für Befürworter von Vergesellschaftung

Klar ist, dass der Entwurf den Befürwortern von Vergesellschaftungen Rückenwind geben dürfte, allen voran den Berliner Linken kurz vor ihrem Parteitag am Freitag. Die Spitze der SPD, die CDU und die FDP hingegen sind gegen Vergesellschaftungen von Immobilienkonzernen. Auch ihnen könnte der Leak dienen, um weiter gegen das Vorhaben zu mobilisieren.

CDU und FDP äußern Kritik

Aus der Opposition im Beriner Abgeordnetenhaus kamen kritische Reaktionen. "Berlins Wohnungsproblem lässt sich nicht mit Enteignungen lösen, sondern mit Mieterschutz und Neubau", sagte der Sprecher für Bauen und Wohnen der Berliner CDU-Fraktion, Dirk Stettnert. Jeder wisse, dass die Milliardenkosten nicht darstellbar seien - erst recht nicht in Zeiten von Energiekrise und Inflation. "Selbst wenn diese Enteignungsfantasien irgendwie bezahlbar und rechtens wären, würden die Mieten nicht sinken sondern weiter steigen", ergänzte Stettner: "Diese ganze Diskussion ist kein Mieterschutz sondern Mietertäuschung." Giffey müsse endlich einen Schlussstrich ziehen, forderte der CDU-Politiker. Enteignung schaffe keine neuen Wohnungen.

Auch Björn Jotzo, Sprecher für Stadtentwicklung und Mieten der FDP-Fraktion, äußerte Kritik: Zentrale Versprechen der Initiatoren hätten sich als Luftschlösser erwiesen. "Es wird weder eine Senkung von Mieten geben, noch ist eine Finanzierung zu Nahe-Nullzinsen möglich", ergänzte der FDP-Politiker. "Unabhängig davon wäre es desaströs für den Berliner Wohnungsmarkt, zweistellige Milliardenbeträge für den Rückkauf maroder Bestände zu verschwenden, deren Mieten ohnehin zu den niedrigsten in der Stadt gehören."

Im Detail argumentieren die Rechtsexperten, dass die Vergesellschaftung von Grund und Boden der sogenannten "konkurrierenden Gesetzgebung" unterliegt. Das heißt Länder, in dem Fall Berlin, können ein Gesetz zur Vergesellschaftung verabschieden, solange der Bund nicht von seiner eigenen Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Aus Sicht der Experten hat der Bund das bislang nicht getan. Auch die Mietpreisbremse reiche nicht aus, um zu argumentieren, dass der Bund bereits aktiv geworden ist, um steigende Mieten einzudämmen.

Viele strittige Punkte

Die Kommission argumentiert mit Artikel 15 des Grundgesetzes. Demnach ist es möglich, Grund und Boden zu vergesellschaften, wenn gleichzeitig eine Entschädigung geregelt wird und Grund und Boden in Gemeineigentum umgewandelt werden. Einige der Experten berufen sich darüber hinaus auf Artikel 20 des Grundgesetzes, wonach der Staat eine gewisse Verantwortung hat, sozial zu handeln.

Allerdings geht aus dem Entwurf auch hervor, dass die Experten sich längst nicht bei allen Punkten einig sind. So gibt es etwa unterschiedliche Ansichten, wie genau die Höhe der Entschädigung für Immobilienkonzerne festgelegt werden sollte. Die Frage sei noch "recht offen". Klar sei lediglich, dass das Land Berlin nicht zwingend den Preis auf dem freien Markt zahlen müsse.

Frage der Verhältnismäßigkeit

Offen ist vor allem auch die Frage, ob die Berliner Verfassung die Ermächtigung nach Artikel 15 des Grundgesetzes überhaupt nutzen kann. Laut Entwurf vertritt ein Mitglied der Kommission nämlich die Auffassung, dass die Berliner Verfassung entsprechende Eingriffe nicht vorsehe und damit Vergesellschaftungen ausschließe. Andere Kommissionsmitglieder sehen das Gegenteil als erwiesen. Hier besteht also noch Diskussionsbedarf.

Die Experten mahnen zudem an, dass sich die Unternehmen selbst wohl nicht aufs Grundgesetz berufen könnten: Ihr Recht, Geschäfte mit Immobilie zu machen, sei nicht wichtiger als das Recht des Staates, Grundstücke fürs Allgemeinwohl zu sichern. Allerdings müsse wohl geprüft werden, ob der Eingriff verhältnismäßig ist – und auch da gibt es durchaus wieder Differenzen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 9.12.2022, 6:00 Uhr

84 Kommentare

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  1. 84.

    Der Frage, wieviele Steuereinahmen Autofahrer:innen dem Staat einbringen und welche Kosten sie auf der anderen Seite verursachen, sind wir in diesem Beitrag nachgegangen: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2020/09/berlin-fragen-antworten-fahrrad-steuer-radweg.html Ein kurzer Ausschnitt daraus: „Die Einnahmen allein könnten die gesellschaftlichen Kosten des motorisierten Verkehrs aber bei Weitem nicht begleichen.“

  2. 83.

    Die Zahlen sind pro 1000 Einwohner, so hatte 2021beispielsweise Neu Köln 221. Mitte 203. und dagegen Pankow 87 und Steglitz Zehlendorf 73, übrigens hat Pankow die meisten Einwohner.

  3. 82.

    Die privaten Autofahrer spülen zig Milliarden jährlich in die Staatskasse, und finanzieren damit auch den allgemeine Infrastruktur des Last - und Personenverkehrs auf den Straßen.
    Für bedürftige Mieter gibt es aus Steuergeldern finanziertes Wohngeld, und für Grundsicherungsbezieher wird die Miete + Nebenkosten aus den Steuergeldern bezahlt.

  4. 81.

    Das wird wohl u. a. daran liegen, dass in den Innenbezirken die Besiedelung einfach dichter ist und dort mehr 'Mietskasernen', in den historisch gewachsenen Arbeiterbezirken, als in den ruhiger gelegenen Aussenbezirken zu finden sind. Eine Durchmischung muss man lokal betrachten und nicht auf Gesamtberlin hochrechnen.

  5. 80.

    Ach schade, das sie immer nur blödeln wollen, das ist nämlich ein selten dummer Vergleich. Ich darf also die A 100 zu Fuß benutzen?

    Warum werden Autofahrer weiterhin mit Milliarden an Steuergeldern verhätschelt, Mieter gehen aber leer aus? Was ist wichtiger? Weiterhin die Stadt vollstopfen oder bezahlbarer Wohnraum?

  6. 79.

    Das wusste ich nicht, danke für die Information.

    Das ist wirklich eine ungesunde Mischung, das Verhältnis scheint nicht ausgewogen.

  7. 78.

    Auch Sie dürfen die A100 benutzen. Wie würden Sie und Martina reagieren, wenn die Allgemeinheit Ihr Badezimmer benutzen möchte?

  8. 77.

    @
    Hans A Plast
    Einfach mal googlen. Steht alles da,macht bei den Enteignern nur ein wenig Mühe.

  9. 76.

    In Berlin ist die Situation die, dass eine deutliche Mehrheit von den 560 000 Grundsicherungsempgängern in den Innenbezirken wohnt, und in den Außenbezirken, Spandau ausgenommen, bei weitem die wenigsten.
    Also, von einer "gesunden Durchmischung" kann keine rede sein, und das sollte sich laut RRG- Regierung ändern.

  10. 75.

    @Ralph Neuert
    Einfach mal googlen. Beim Senat ist es einfach, bei den Enteignern wird es kniffliger. Aber man findet alle. Es ist kein Geheimklub. Wenn ich das mit 90 finde, müssten Sie das auch schaffen.

  11. 74.

    „Fangen wir aber doch zeitgleich damit an, den arbeitenden Sozialmietern anzubieten, die eigene Wohnung staatsfinanziert zu erwerben.“

    Kommentar 57.

    Nehmen Sie hierzu mal bitte Stellung.

  12. 73.

    „Renditeerwartungen ihrer Eigner verpflichtet,“

    Also Lebensversicherungskunden, Aktionären, Bausparkunden, Fondskunden, Rentenversicherungen, etc..

    Mieter gehören natürlich nie dazu, oder?

  13. 72.

    Nun bleibt die Frage, aus wem sich die "Expertenkommission" zusammen gesetzt hat.
    In jüngster Zeit fiel ein Schwall von "Experten" über uns her, die zu Allem und Jedes ihre "Expertenmeinung" in die Welt posaunten. Gefragt und ungefragt und je nach Parteizugehörigkeit.
    Dass das der viermal umbenannten SED in die Hände spielt, liegt an ihren pathologischen Enteignugsfantasien, die dieser Partei in den Genen steckt.

  14. 71.

    Dass soziale Interessen zugunsten von Gewinnmaximierung auf der Strecke bleiben ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Und bisher hat der Staat bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, dem adäquat zu begegnen. In Enteignung sehe ich ein Mittel zu verhindern, dass es nicht wie in Paris, London und co. läuft, wo die Armut in die Randbezirke gedrängt wird und die Innenstadt für den Normalsterblichen unbezahlbar wird...

  15. 70.

    „Die DDR hatte mit Sozialismus so viel zu tun, wie der Kapitalismus mit sozialer Gerechtigkeit...“

    Richtig, empirisch belegt ist, die DDR war das kapitalistische Machtzentrum Europas.

  16. 69.

    Tja, dann hätten diese Leute leider besser kaufen sollen.

    Unter Anstrengung, ich verstehe Sie richtig, meinen Sie ja Arbeit.

    Ihre Unterstellung, es wären Asoziale, geht fehl.

    Diese Leute haben im Nachgang betrachtet einfach einen Fehler begangen.

    Dafür haben sie aber auch ohne den Druck, lebenslang verschuldet leben zu müssen, nicht gehabt.

    Das ist einfach, hart und nachvollziehbar.

    Entscheide ich mich für den Job des Künstlers, ist klar, dass es wirtschaftlich i. d. R. ein rumkrebsen bleibt.

    Das ist der Allgemeinheit aber nicht vorzuwerfen.

    Der Künstler hätte nicht Künstler werden müssen.

    Übrigens haben auch in Berlin viele, Sie nennen Sie „Asoziale“ in den letzten Jahren mit wenig Einkommen ihr Eigenheim gekauft.

    Es ging, immer. Leute, die das Gegenteil behaupten, wissen wenig in dieser Sache.

    Der Dunning-Kruger-Effekt
    https://www.humanresourcesmanager.de/content/der-dunning-kruger-effekt-was-ist-das/

  17. 68.

    Private Unternehmen sind dem Gewinninteresse und den Renditeerwartungen ihrer Eigner verpflichtet, nicht der Allgemeinheit.

  18. 67.

    „gibt genug Leute, die sich ihr Leben lang angestrengt haben und am Ende aus ihrer Wohnung fliegen, damit ein privater Investor nochmal Profit erzielen kann“
    Wieviel müssen es sein, dass enteignet werden muss?
    Ihr Argument ist nichts wert, weil Sie nicht quantifizieren: „Genug“ ist das Gleiche als wenn ein anderer behautet: Diese Fälle des „Fliegens“ gibt es nicht.

  19. 66.

    Bitte informieren Sie sich über die wirklichen Kostentreiber bei Mieten und die Rolle des Staates dabei mittels Auflagen. Erst dann ist eine sachliche Diskussion weiter möglich.

  20. 65.

    "Waren die gesellschaftlichen Systeme in der DDR bzw. in der Sowjetunion wirklich im Sinne der Definition (z.B. von Karl Marx) sozialistisch bzw. schon kommunistisch? " Nach meiner Meinung: Nein. Die DDR sah sich eigentlich erst im Stadium der Diktatur des Proletariats als Vorstufe zum Sozialismus.

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