Unterbringung Geflüchteter in Berlin - "Wir sind nicht am Limit, aber wir müssen uns besser organisieren"

Di 28.02.23 | 06:28 Uhr | Von Sylvia Tiegs
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Symbolbild: Flüchtlinge warten auf weitere Verteilung an die Flüchtlingsunterkünfte (Quelle: IMAGO/rolf kremming)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.02.2023 | Sylvia Tiegs | Bild: IMAGO/rolf kremming

Berlin und Brandenburg rechnen auch dieses Jahr mit zehntausenden Flüchtlingen. Die, die hierbleiben, werden Wohnungen, Kita- und Schulplätze brauchen. Doch all das ist knapp. Bürger und Politiker fragen sich: Ist das noch zu schaffen oder sind wir am Limit? Von Sylvia Tiegs

  • 2022 hat das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) 95.000 Geflüchtete erfasst und erstversorgt – so viele wie niemals zuvor
  • Ende vergangenen Jahres gab es 30.000 Unterkunftsplätze für Geflüchtete in Berlin – auch das ein Rekord
  • Brandenburg hat 2022 fast 39.000 Flüchtlinge aufgenommen und rechnet für dieses Jahr mit rund 26.000 Geflüchteten

Früher checkten im Hotel "Adrema" in Berlin-Moabit Touristen ein. Heute sind es Flüchtlinge. In der großen Eingangshalle befindet sich immer noch die Rezeption, hier werden Neuankömmlinge registriert und bekommen dann Handtücher, Bettwäsche und Hygieneartikel. Damit sie starten können in der "Erstunterkunft".

Rund 300 Menschen leben aktuell im "Adrema", die meisten stammen aus dem arabischen Raum, dem Iran und der Republik Moldau. Anwohner aus dem Moabiter Kiez haben für sie gespendet, vor allem Kleidung und Spielzeug. An Nächstenliebe mangele es nicht, sagt Einrichtungsleiter Clemens Müller: "Die Leute haben ein großes Bedürfnis zu helfen, wenn sie können. Das merken wir immer wieder, und das ist sehr schön."

Lange Verfahren erschweren Prozess

Schön fand man beim Unionhilfswerk auch, dass man das frühere Hotel mit seinen 130 voll möblierten Zimmern überhaupt bekam. Die Verwalterin - die OfficeFirst Real Estate aus Frankfurt/Main - überließ es dem Sozialträger mietfrei, bis 31. Juli. Ein Glücksfall, erinnert sich Kathrin Weidemeier, Geschäftsführerin beim Unionhilfswerk und für die Moabiter Unterkunft mit zuständig.

Eingang zum Hotel in Berlin, wo Geflüchtete untergebracht sind (Quelle: rbb/Sylvia Tiegs)Etwa 300 Menschen leben in dem Hotel

Kein Glücksfall war aus ihrer Sicht das Tempo, mit dem das Gebäude belegt werden konnte: Im März 2022 habe man das Hotel dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) angeboten. Doch erst "nach einem Verwaltungsakt sondergleichen", so Weidemeier, habe der erste Bewohner einziehen können. Das war Ende Oktober, volle sieben Monate später: "Da ist noch deutlich Luft nach oben".

Die derzeitige Leiterin des LAF, Staatssekretärin Wenke Christoph (Linke), weist die Kritik zurück. Zwar gebe es an der Stelle einen Flaschenhals, aber dieser habe nichts mit den Entscheidungsstrukturen des LAF zu tun. Vielmehr damit, dass konkrete Anmietungsvorlagen in den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses müssten: "Das Parlament will mitentscheiden, welche Objekte das Land Berlin anmietet", so Christoph im Interview mit dem rbb. Trotzdem schaue man sich im LAF die Prozesse derzeit nochmal an, um mit den Trägern gut zusammenzuarbeiten.

Engpässe bei Wohnung und Bildung

Eine flottere Verwaltung – das wünscht sich auch Holger Spöhr vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin für die Flüchtlingsarbeit. Einen der größten Engpässe sieht der Referent für Migration aber noch woanders: im Mangel an bezahlbarem Wohnraum. "Ein Großteil der geflüchteten Menschen dürfte längst in Wohnungen wohnen, findet aber keine". Dadurch würden die Erstunterkünfte nicht frei. Der Flaschenhals sei hier der Wohnungsmarkt, und nicht der Mangel an Unterkünften.

Ein weiteres Limit sieht Migrationsreferent Spöhr auch bei Kita- und Schulplätzen in Berlin: "Seit Jahren wissen wir, dass wir für die ganze Stadt zu wenige Lehrkräfte und Erzieher:innen haben. Durch die vielen Flüchtlinge sehen wir das Problem jetzt wie durch ein Brennglas."

Tatsächlich suchen aktuell allein rund 1.600 Kinder von Migranten einen Schulplatz in der Hauptstadt. Bezirke und Senat streiten allerdings darum, wie hier schnell Abhilfe zu schaffen ist.

Forderung nach besserer Organisation

Wäre es da nicht besser zu sagen: in der jetzigen Lage ist Berlin am Limit, mehr Flüchtlinge aufnehmen geht erstmal nicht? Migrationsreferent Spöhr vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin meint: nein. Seine Begründung: Alle Studien besagten, Deutschland brauche Zuwanderung. "Je schneller die Menschen hier arbeiten und partizipieren dürfen, desto besser ist es für alle."

Berlin komme ohnehin nicht daran vorbei, seine Verwaltung zu verbessern und viel mehr Wohnungen zu bauen, mehr Schul- und Kitaplätze zu schaffen. Das sei für alle Berliner und Berlinerinnen wichtig, nicht nur – aber auch – für die Flüchtlinge: "Wir sind nicht am Limit, aber wir müssen uns besser organisieren", lautet das Fazit des Migrationsfachmanns.

Unionhilfswerk-Geschäftsführerin Weidemeier dagegen macht vor allem der Mangel an Bildungsangeboten mittlerweile echte Sorgen. Der allgemeine Run von Berliner Eltern auf Plätze in Kindertagesstätten sei auch bei ihrem Träger inzwischen so groß, dass sie sich frage, wo da zusätzlich noch die Kinder von Geflüchteten unterkommen sollen: "Wie soll da Integration gelingen?" Eine Antwort auf diese Frage hat sie derzeit nicht.

Sendung: Wir müssen reden, 28.02.2023, 20:15 Uhr

Beitrag von Sylvia Tiegs

128 Kommentare

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  1. 128.

    Auch wenn es Ihnen nicht in den Kram passt: jeder Heimbetreiber kann den Heimvertrag mit einer Frist von 3 Monaten kündigen.

    Das Alter oder die Erkrankung ist egal. Ebenso müssen sich weder Heim, noch Heimbetreiber oder Kommune um eine andere Unterkunft kümmern.

    Das in Heimen Kündigungen ausgesprochen werden, passiert gar nicht so selten

  2. 127.

    Sie geben also zu, dass mit Gewinn gearbeitet und auch erwirtschaftet wird. Also keine reine naive Nächstenliebe !

  3. 126.

    Ihre Absicht mir Wort in den Mund zu legen beweist dass sie keine Argumente haben.

    "Würden Hilfsorganisationen rein defizitär arbeiten könnten sie ihre Arbeit nicht lange machen." Ist das deutlich genug?

  4. 125.

    Das heißt also, dass Sie nicht naiv sind und daran glauben, dass die ganzen Kirchen und Hilfsorganisationen nur aus reiner Nächstenliebe handeln.

  5. 124.

    Wir sind weit über dem Limit, wenn ich mir das gesamte Land mal so anschaue. Unorganisiert sowieso.

  6. 121.

    Sie haben aus linker Sicht vollkommen recht und gut erkannt : " Wer glaubt, die Kirchen und Hilfsorganisationen handelten aus reiner Nächstenliebe, der ist schlicht naiv. "

  7. 120.

    "Lörrach nicht mitbekommen? Ist leider kein Unsinn, wie Sie unterstellen. "

    Das war ja klar, dass sie die Fake News von ganz weit rechts aufgreifen und wiederholen. Die Häuser waren ohnehin zum Abriß vorgesehen und past zu dem zweiten rechtsextremen Narrativ welches sie hier verbreiten.

    "Wer glaubt, die Kirchen und Hilfsorganisationen handelten aus reiner Nächstenliebe, der ist schlicht naiv. "
    Würden Hilfsorganisationen rein defizitär arbeiten könnten sie ihre Arbeit nicht lange machen.

    https://www.zdf.de/nachrichten/politik/loerrach-fluechtlinge-wohnung-100.html

  8. 119.

    "Lörrach nicht mitbekommen? Ist leider kein Unsinn, wie Sie unterstellen. "

    Das war ja klar, dass sie die Fake News von ganz weit rechts aufgreifen und wiederholen. Die Häuser waren ohnehin zum Abriß vorgesehen und past zu dem zweiten rechtsextremen Narrativ welches sie hier verbreiten.

    "Wer glaubt, die Kirchen und Hilfsorganisationen handelten aus reiner Nächstenliebe, der ist schlicht naiv. "
    Würden Hilfsorganisationen rein defizitär arbeiten könnten sie ihre Arbeit nicht lange machen.

    https://www.zdf.de/nachrichten/politik/loerrach-fluechtlinge-wohnung-100.html

  9. 118.

    "Eine Art Gentrifizierung an den Stadtrand?" Wenn der Dieb "haltet den Dieb" schreit, spät. dann wird es absurd.

    "Da es Angebote für die Mieter geben solle, erwarte er, dass förmliche Kündigungen für die Wohnungen aus den 1950er-Jahren gar nicht nötig seien, sagte der Rathauschef. Es war geplant gewesen, die Wohnungen wegen ihres Zustandes in den kommenden Jahren abzureißen und neu zu bauen. Laut Nostadt sind Kündigungen aus "berechtigtem öffentlichen Interesse" durchaus möglich."

    Hat also nichts mit Gentrifizierung zu tun. Dazu gab es hier in Berlin ein Beispiel. Man hat eine Behelfswohnungsiedlung komplett abgerissen und darauf ein Teil der Wasserstadt zu bauen. Die Bewohner konnten später bevorzugt in die neuen Wohnungen einziehen.

    https://kiezsiemensstadtdotnet.wordpress.com/2017/02/09/mau-mau-siedlung-haselhorst/

  10. 117.

    Lörrach nicht mitbekommen? Ist leider kein Unsinn, wie Sie unterstellen.
    Derart fragwürdiges und wahrscheinlich sogar rechtswidriges Handeln ist mit Sicherheit nicht geeignet für eine friedliche Integration sondern spaltet gerade in den nicht vom Luxus verwöhnten Kreisen die Gesellschaft. Das wird auch mit kruden Ausreden der Verantwortlichen nicht besser. Der Schaden ist längst angerichtet.

  11. 116.

    Ist leider so. Wer glaubt, die Kirchen und Hilfsorganisationen handelten aus reiner Nächstenliebe, der ist schlicht naiv. Das ist längst zum knallharten Geschäftsmodell geworden, bei dem auch innerhalb der Hilfsorganisationen die Geschäftsfelder gegeneinander ausgespielt werden. Ja nach dem, was mehr Profit abwirft.
    Aktuelles Beispiel hier in Berlin, auch wenn hier nicht direkt Flüchtlinge und Mieter gegeneinander ausgepielt werden, weil die Sachlage etwas komplexer ist: https://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article244011471/Wohnraum-fuer-Fluechtlinge-Aufregung-um-Ende-von-Pflegewohnheim-in-Berlin.html Es geht mir bei dem Beispiel eher um das harte Profitdenken auch in kirchlichen Einrichtungen. Die Unterbringung von Menschen, egal ob Asylunterkünfte, Alten- oder Pflegeheime, zum Teil auch Krankenhäuser ist ein lukratives Einnahmemodell. Das ist nicht grundsätzlich verwerflich, aber es erklärt so maches Handeln und Fordern.

  12. 115.

    Ergänzung zu Kirchen: …, die den Staat insoweit missachten, indem sie "Kirchenasyl" anbieten, für ausreisepflichtige Menschen. Die nach sechs Monaten in Dtl. dann automat. in ein Asylverfahren kommen. Und dann untergebracht werden müssen. Wo sich der Kreis schließt.

  13. 114.

    Hier wurde niemand abgegriffen. Die Demonstranten wollten nur diskutieren und der OB hat gekniffen.

  14. 113.

    @Eric,
    letztlich ist es doch egal, in welcher Zeitung das stand. Fakt ist doch letztlich, dass der Götzenverein aus Gewinnstreben alte Menschen raus wirft.
    Lörrach lässt grüßen.
    Wie auch andere Gemeinden.
    So wird es nichts mit einem von Oben verordneten Sozialen Frieden.
    Und von Kirchen christliche Nächstenliebe zu erwarten, ist genauso absurd, wie der durch sie verbreitete Götzenglaube. Siehe den Umgang mit Schutzbefohlen, sexuelle Übergriffe an Kindern, Jugendliche und Frauen. Jetzt eben an alten Menschen, die noch an das Gute glaubten.

  15. 112.

    nicht „die Bevölkerung“ radikalisiert sich, sondern eine kriminelle Gruppe gewalttätiger Greifswalder Bürger hat den gewählten Bürgermeister angegriffen. Das ist ist nicht naturförmig, wie Sie hier weißmachen (waschen?) wollen. Es ist absichtliches Handeln von Personen, die ihre politischen Ansichten mit Gewalt durchsetzen wollen. Und hoffentlich dafür mit der gebotenen Härte des Rechtsstaates bestraft werden. Die wehrhafte Demokratie….

  16. 111.

    "Das ist lediglich ihr Wunschdenken." - Das haben die Kommunisten 89 auch gesagt...

  17. 110.

    Besserwisser:
    "Antwort auf [Swen] vom 28.02.2023 um 17:40
    "Von dem städtischen Unternehmen Wohnbau Lörrach sollen Mieterinnen und Mietern modernere und bezahlbare Wohnraumangebote unterbreitet werden. "
    Das ist aber kein Argument.
    Raus an den Stadtrand soll es gehen, raus aus den gewohnten Strukturen und dem sozialen Umfeld."

    Wo haben Sie denn diesen Unsinn her???
    Schauen Sie sich die Maischberger-Sendung vom Dienstag an. Dort wird alles ganz genau erklärt!

  18. 109.

    Kalle:
    "Antwort auf [Swen] vom 28.02.2023 um 17:06
    Waren Sie nicht für Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen?
    Die WG (öffentlich) schmeißen die Mieter ja jetzt offensichtlich schnell aus den angestammten Wohnungen!"

    Wo haben Sie denn diesen Unsinn her?

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