Energie, Arbeitsplätze, Verkehr - Der Berliner Volksentscheid und seine möglichen Folgen für Brandenburg

Sa 25.03.23 | 08:18 Uhr | Von Christoph Hölscher
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Symbolbild: Stau in Berlin (Quelle: dpa/Michael Sohn)
Audio: Radio Fritz | 24.03.2023 | Christin Huchel | Bild: dpa/Michael Sohn

Berlin soll in sieben Jahren klimaneutral sein, fordert der Volksentscheid am Sonntag. Wissenschaftler erkennen in solch einem Ziel einen Jobmotor - auch für Brandenburg. So einige Politiker im benachbarten Bundesland zeigen sich skeptisch. Von Christoph Hölscher

Muss Brandenburg die Bundeshauptstadt mit Strom und Wärme versorgen, wenn diese bis 2030 klimaneutral werden will? Dürfen Pendler aus der Mark dann nicht mehr mit dem Auto nach Berlin fahren? Über den Volksentscheid "Berlin 2030 klimaneutral" dürfen nur die rund 2,5 Millionen Wahlberechtigen in Berlin abstimmen. Trotzdem kann das Ergebnis auch massive Auswirkungen für Brandenburg haben. Jan Redmann, der CDU-Fraktionschef im Brandenburger Landtag, möchte den Volksentscheid darum am liebsten in die Kategorie "Ulk" einordnen, wie er sagt.

Da Berlin sich nicht selbst mit klimafreundlich produzierter Energie versorgen könne, solle Strom und Gas künftig wohl aus dem Nachbarland kommen: "Dann wird der Tesla im Prenzlauer Berg eben mit dem Braunkohlestrom aus Jänschwalde geladen", stichelt Redmann über die Berliner Klimaambitionen. Das nütze am Ende niemandem etwas. Brandenburg werde jedenfalls "nicht mehr Windräder aufstellen, nur weil die Berliner jetzt irgendwelche Blütenträume haben", sagt Redmann, der zum neuen CDU-Landesvorsitzenden gewählt werden möchte.

Berlin kann allein nicht klimaneutral werden, weil für eine Eigenversorgung mit erneuerbaren Energien die Flächen fehlen.

Johan Lilliestam, Professor für Energiepolitik an der Uni Potsdam

Berlin fehlt die Fläche

Tatsächlich sitzen Berlin und Brandenburg bei der Energieversorgung zusammen. Über das europäische Verbundnetz fließt schon jetzt Strom aus Brandenburg nach Berlin. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich daran nichts ändern wird, wenn Berlin klimaneutral wird. Rechenmodelle sehen vor, dass die Stadt auch künftig höchstens 50 Prozent ihres Energiebedarfs selbst produzieren kann.

Johan Lilliestam, Professor für Energiepolitik an der Uni Potsdam, sagt, er finde es zwar wichtig die erneuerbaren Energien schnell auszubauen. Er glaube aber nicht, dass Berlin die Energiewende bis 2030 schaffen könne - erst recht nicht ohne Brandenburg: "Berlin kann allein nicht klimaneutral werden, weil für eine Eigenversorgung mit erneuerbaren Energien die Flächen fehlen." Es gebe dort einfach nicht genug Platz für Windräder oder Solaranlagen. Berlin wäre also vermutlich darauf angewiesen, dass der dann zusätzlich benötigte Ökostrom aus Brandenburg käme.

Brandenburger Politiker zeigen sich skeptisch

Ob das klappt, scheint aber zweifelhaft. Zwar plant auch Brandenburg, klimaneutral zu werden, aber deutlich später. Der CDU-Politiker Redmann betont, dass für Brandenburgs Energiewende ein "klarer Fahrplan" gelte: "Der geht bis 2045. Ob die Berliner da irgendwas beschließen oder nicht, interessiert Brandenburg nicht."

Auch Benjamin Raschke, Fraktionschef der Bündnisgrünen im Potsdamer Landtag, äußert sich eher zurückhaltend: Die Diskussion über Klimaschutz sei wichtig und beide Länder müssten sich da auch gegenseitig helfen. Wie die Berliner den Volksentscheid im Fall der Fälle dann aber umsetzen wollten, müsse "die Politik in Berlin entscheiden".

Nur noch emissionsfrei nach Berlin - und mehr Bahnverbindungen

Doch auch im Bereich Verkehr könnten die Entscheidungen aus Berlin Brandenburgerinnen und Brandenburger direkt betreffen. Der Klimaforscher Felix Creutzig von der TU Berlin glaubt zwar auch nicht daran, dass Berlin bis 2030 klimaneutral werden kann, wie er sagt. Aber würde man das Ziel ernst nehmen, dann brauche es "radikale Maßnahmen": So müsse wohl die ganze Stadt zu einer emissionsfreien Zone erklärt werden. Das hieße, die rund 150.000 Pendler aus Brandenburg dürften dann vermutlich nur noch mit Elektroautos nach Berlin fahren - oder müssten auf Bus und Bahn umsteigen.

Creutzer sieht in diesem Fall Bedarf für ganz neue Verkehrsmittel, zum Beispiel für elektrisch angetriebene Sammeltaxis, sagt er. Auch stillgelegte Bahnverbindungen mit dem Speckgürtel wie die ehemalige Stammbahn von Potsdam über Kleinmachnow nach Berlin müssten reaktiviert werden. Für Handwerker oder Lieferanten aus Brandenburg fordert Creutzer "Umstellungshilfen" für die Anschaffung von Elektrofahrzeugen.

BTU-Professor: Klimaschutz auch ein möglicher Jobmotor für Brandenburg

Gerade für Handwerker und kleine Unternehmen in Brandenburg würde der Volksentscheid aber auch Chancen bieten, sagt Bernd Hirschl, Professor für Energiemanagement an der BTU Cottbus-Senftenberg. Wenn Berlin beim Kampf gegen die Folgen des Klimawandels aufs Tempo drücke, könne das einen regelrechten Wirtschaftsboom in der Mark auslösen. In kürzester Zeit müssten dann Hunderttausende Gebäude energetisch saniert, Wärmepumpen eingebaut und Solaranlagen auf Dächer montiert werden, sagt Hirschl. Das bedeute Aufträge und Arbeit für Unternehmen und Fachkräfte aus Brandenburg.

Sendung: Radio Fritz, 24.03.2023, 19:31 Uhr

Beitrag von Christoph Hölscher

129 Kommentare

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  1. 129.

    D hat 83 Mio Einwohner, CN hat ca. 1,5 Mrd Einwohner - Umrechnungsfaktor bevölkerungsbezogener Emission also rund 18. 30% / 18 sind knapp 2%. Also hat auf den einzelnen Bürger bezogen über den Daumen D den gleichen Anteil wie CN.

  2. 128.

    Die Unternehmen und Fachkräfte in Brandenburg haben definitiv auch ohne diesen Volksentscheid genug Arbeit und Aufträge.

  3. 127.

    Wollen wir alles nicht. Wir wollen dass die Hipster-Regierung dahin zurückgehen tut wo sie herkommt - zu Mami und Papi. Lasst uns in B/Brb in Ruhe.

  4. 126.

    Falsch! Der Volksentscheid sieht vor, dass die Mietsteigerungen aufgrund von Sanierungen vom Land Berlin übernommen werden. Den Initiatoren ist es sehr wichtig, dass die Umsetzung sozial verträglich ist. Stichwort Klimagerechtigkeit!

  5. 125.

    Doch, dieser schon: Beim Enteignen-Volksentscheid handele es sich lediglich um einen "Volksentscheid über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs", wogegen hier direkt die Gesetzesänderung beschmieren wird. Großer Unterschied!

  6. 124.

    Beim Enteignen-Volksentscheid handele es sich lediglich um einen "Volksentscheid über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs", wogegen hier direkt die Gesetzesänderung beschmieren wird. Großer Unterschied!

  7. 123.

    Schon jetzt zahlen Brandenburger die höchsten Netzentgelte, wir haben die Solaranlagen+Windräder vor der Nase und bezahlen das auch noch! Dann weg mit dem Lagerhallenparks rings um die Stadt auf Bbg Flächen.LKW- Kolonnen wälzen sich jeden Morgen in die Stadt. Darauf können wir auch gut verzichten.

  8. 122.

    Ich habe vor kurzem einen Bericht über die Kohleförderung in der Mongolei gesehen. Dort würde ich mit Ja stimmen. Tausende Tonnen werden dort täglich gefördert und nach China exportiert und verbrannt.
    Die Klimaneutralität ist Utopie. Und Mongolei ist nicht das einzige Land.

  9. 120.

    Wenn jeder zweite Berliner gleichzeitig einen Wasserkocher betreiben kann ist genug Kabelquerschnitt vorhanden. Mehr braucht man nicht um die typische Fahrleistung nachzuladen.

  10. 119.

    Berlin war schon immer Arm, aber sexy. Eine Großstadt klimaneutral kann nur dann funktionieren, wenn Hilfe aus dem Flächenstaaten kommt ohne Kohle Strom aus Brandenburg und Finanzhilfen aus Bayern bleibt das Berliner Ziel mit Sicherheit eine Utopie.

  11. 118.

    Haben unser grünen Superhirne schon mal dran gedacht, wie sie die für den Ladestrom benötigten Kabelquerschnitte der Ladesäulen in das berliner Straßennetz integrieren ? Dazu müßte Berlin in den nächsten Jahren zu einen einzigen Kabelgraben werden.
    "Grünzeug eben, was in der Natur grün ist, ist zumeist unreif.
    Also ihre Letzten der Generation, buddeln, nicht kleben.

  12. 117.

    Wenn das so entsschieden wird, dann muss Berlin zuerst unnötigen Energieverbrauch reduzieren.
    Als erstes alle Clubs schliessen, abreissen und Bäume pflanzen. Wenn dadurch weniger Tourinsten kommen, können auch die Autobahnen und Flughäfen rückgebaut werden.

  13. 116.

    … und haben Sie auch die Produktion und Entsorgung des Teslas eingerechnet? Wahrscheinlich nicht. Typisch grüne Ideologie.

  14. 115.

    Wenn Sie jedes Jahr ein paar hundert Quadratkilometer aufforsten, bekommen Sie vielleicht Deutschlands CO2 gespeichert. Die Bäume dürfen Sie dann aber natürlich nicht fällen, oder zumindest das Holz nicht verrotten lassen. Irgendwann wird der Platz dann knapp. Aber ist ja auch schön, so ein weltweiter Wald. Gab es ja mal bevor es so viele Menschen gab. Da war das Klima auch besser.

  15. 114.

    Wie viele Volksentscheide haben wir schon in Berlin, die nicht umgesetzt wurden? Tegel ist zu, Wohnungskonzerne machen weiter wie gehabt und nun sollen wir für ein Gesetz stimmen, das nicht realisiert werden kann. Egal was die Auszählung der Stimmen ergeben wird- der Schaden wird groß sein. Berlin kann einfach nicht mit demokratischen Regularien umgehen.

  16. 113.

    Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.

    Wärmepumpen sind oft keine Alternative.

    Gott sei Dank ist ein Volksentscheid in Deutschland nicht bindend

    Schade um die Steuergelder

  17. 110.

    Unsinn. Das Berlin klimaneutral wird, ändert weltweit gesehen nichts.

    Der VE ist Unsinn und kostet unnötig Geld. Bindend ist er eh nicht

    Klimaschutz macht nur Sinn, wenn alle Staaten gleichzeitig und mit den gleichen Mitteln anfangen.

    Deutschland prescht vor und zerstört nebenbeu noch die Wirtschaft

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