"Klimaneutral 2030" in Berlin - Welche Folgen ein erfolgreicher Klima-Volksentscheid hätte - und welche nicht

Mo 20.03.23 | 13:32 Uhr | Von Ute Schuhmacher
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Symbolbild:Rauch aus dem Heizkraftwerk Lichtenberg mischt sich mit den Wolken über dem blauen Himmel.(Quelle:dpa/A.Riedl)
Audio: rbb24 Inforadio | 20.03.2023 | Interview Oliver Wiedmann, Verein Mehr Demokratie Berlin-Brandenburg | Bild: dpa/A.Riedl

Am Sonntag ist der Tag der Wahrheit für den Klima-Volksentscheid. Gut 2,4 Millionen Berliner dürfen entscheiden, ob Berlin bis 2030 klimaneutral sein soll. Nicht zu schaffen, sagt der Senat. Zieht das Argument? Von Ute Schuhmacher

Berlin dürfte in sieben Jahren nur noch fünf Prozent der Treibhausgase ausstoßen, die die Stadt 1990 noch produzierte. Eine Riesenaufgabe wäre es, das zu erreichen, das räumt auch die Initiative "Klimaneustart Berlin" ein. Der Berliner Senat hält es in seiner offiziellen Stellungnahme nicht nur für eine Riesenaufgabe. Er erklärt dieses Ziel für nicht erreichbar. Das ist eines der Hauptargumente des rot-grün-roten Senats gegen den Klima-Volksentscheid.

Was aber würde passieren, wenn der Volksentscheid erfolgreich wäre, das Land Berlin es nicht schaffte, bis 2030 klimaneutral zu sein? Die Antwort auf die Frage ist nach Einschätzung des Verwaltungsrechtlers Christian Pestalozza schlicht: "Das Gesetz sieht nicht vor, dass dann irgendwelche Sanktionen gegenüber den politisch Verantwortlichen ergriffen werden. Das wird nicht geregelt."

Bei Verstoß keine Sanktionen vorgesehen

Dabei hatten die Initiatoren des Klima-Volksentscheids durchaus über Sanktionen nachgedacht. Denn in der Begründung zu ihrem Volksentscheid-Gesetz schreiben sie, dass sie den Berliner Senat auffordern, Sanktionen zu erlassen. Warum aber haben sie nicht selbst Sanktionen in den Gesetzestext geschrieben, den sie ja ohnehin ausgearbeitet haben und über den am Sonntag abgestimmt wird?

Stefan Zimmer, Sprecher der Initiative "Klimaneustart Berlin", erklärt das mit dem Faktor Zeit: "So einen rechtlich wirksamen Sanktionsmechanismus in ein Gesetz zu formulieren, ist nicht ganz trivial und die Vorlaufzeiten beim Volksentscheid sind sehr lang." Es hätte also deutlich länger gedauert, bis die Kampagne zum Klima-Volksentscheid hätte starten können. Das habe die Initiative vermeiden wollen und sich deshalb im Frühjahr 2021 dafür entschieden, die Frage der Sanktionen dem Senat aufzutragen.

So einen rechtlich wirksamen Sanktionsmechanismus in ein Gesetz zu formulieren, ist nicht ganz trivial und die Vorlaufzeiten beim Volksentscheid sind sehr lang.

Stefan Zimmer, Sprecher der Initiative Klimaneustart Berlin

Über die Art der Sanktionen nachgedacht hätte die Initiative "Klimaneustart Berlin" aber schon, sagt ihr Sprecher. Denkbar und wünschenswert wären aus Initiativensicht Sofortprogramme für die Bereiche, in denen die Ziele nicht eingehalten werden. Will heißen: Wenn die Ziele beim Verkehr erreicht wären, die Gebäude in der Stadt aber weiter zu viel Klimagase produzieren, müsste es Sofortprogramme für den Gebäudesektor geben, um hier schneller voranzukommen.

Ob der Senat im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids solche Sanktionen erließe oder überhaupt welche, ist völlig offen. Denn alles was nicht in Gesetzesform da steht, tritt nicht unmittelbar in Kraft. Auch wenn der Volksentscheid erfolgreich wäre.

Hauptargument des Senats entkräftet?

Wenn es denn aber so ist, dass es keine Sanktionen gäbe, ist dann nicht das Hauptargument des Senats gegen den Volksentscheid entkräftet? Das Hauptargument lautet: Es ist nicht möglich, dass Berlin bis 2030 klimaneutral ist und deshalb sollte der Gesetzentwurf abgelehnt werden. Wenn aber gar keine Sanktionen drohen: Wo ist dann das Problem?

Auf diese Fragen antwortet die Berliner Senatorin für Klimaschutz, Bettina Jarasch (Grüne) zweigeteilt: Sie nehme als zuständige Senatorin das Gesetz ernst und frage sich, wie sie es umsetzen könne. Und da sei ihr Haus eben zu dem Schluss gekommen: "Mit den Möglichkeiten, die wir zur Zeit haben, schaffen wir es bis 2030 nicht." An dieser Stelle müsste die Aussage der Umweltsenatorin eigentlich zu Ende sein, ist sie aber nicht.

Jarasch fügt inzwischen an diese Aussage noch an, dass das Gesetz keine Sanktionen nach sich zöge, aber "natürlich den politischen Druck deutlich erhöhen würde". Und deswegen hält sie den Volksentscheid politisch für sinnvoll. Sie will deshalb für den Klima-Volksentscheid stimmen, auch wenn sie ihn in ihrer Rolle als Senatorin als nicht erreichbar abgelehnt hat. Das gewisse Spannungsfeld zwischen den beiden Positionen lässt sie so stehen.

Volksentscheid-Gesetz ein zahnloser Tiger?

Wenn es nun aber keine Sanktionen gibt, ist das Klima-Volksentscheid-Gesetz damit nicht von vornherein ein zahnloser Tiger? Nein, sagt der Verwaltungsrechtler Christian Pestalozza. Denn viele Gesetze in Deutschland seien nicht mit Sanktionen verbunden und würden trotzdem ihre Wirkung entfalten.

Außerdem könnten Bürger klagen, wenn das Gesetz nicht eingehalten würde. Das Bundesverfassungsgericht hatte unlängst mit einer Entscheidung gezeigt, dass der Klimawandel durchaus Rechte von Menschen verletzen kann [tagesschau.de].

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.03.2023, 11:00 Uhr

Beitrag von Ute Schuhmacher

130 Kommentare

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  1. 130.

    Ich glaube auch nicht an die Klimarettung durch 9€ Ticket und Tempolimit, dadurch wird sogar Radfahren zur Arbeit über 2 Kilometer unattraktiv. Füllt die Zuge und macht sie unattraktiv. Noch fahren viele Züge mit Diesel und wenn mit Ökostrom, dann nur auf dem Papier, im Extremfall mit norwegischen ökozertifizierten Zertifikaten von Firmen denen das Label egal ist. Noch gilt, solange wir nicht genug Ökostrom produzieren ist jede zusätzlich verbrauchte Kilowattstunde zu 100% fossil.

  2. 129.

    Was passiert, wenn Benzin und Diesel etwas teurer werden, hat man ja diesen Frühling und Sommer gesehen. Benzinpreisbremse und 9€ Deutschland-Ticket beides kontrapunktiv. 2.5 bis 3€ pro Liter und eine Abschaffung der Entfernungspauschale sind notwendig. Nur so werden Länder wie Brandenburg in die Lage versetzt den öffentlichen Nahverkehr würdig aufzubauen. Warum sollen Leute die so außerhalb des funktionierenden billig Leben dazu gebracht werden Ortsnähe Jobs anzunehmen. In Berlin bringt die Entfernungspauschale nichts. Die Abgewanderten erwarten das Sie weiterhin, obwohl sie in Berlin keine Steuern mehr zahlen, trotzdem von der Infrastruktur zu profitieren und Brandenburg gehen die Steuerermäßigungen verloren. Schluß mit demTeufelskreis.

  3. 128.

    Aus der heutigen Vereinbarung zwischen China und Russland: „Bis 2030 solle die Gaslieferung auf fast hundert Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen. Zudem würden hundert Millionen Tonnen Flüssiggas geliefert, aber auch Kohle und atomarer Brennstoff.“
    Aber am Berlin rettet die Welt vor dem Klimawandel.

  4. 127.

    Ja, aber bereits die allererste Stimme zählt, eine Enthaltung bringt gar nichts, die Stimmabgabe möglichst vieler Wähler spiegelt am Schluss das Abbild des tatsächlichen Wählerwillens der Berliner am ehesten wider, abseits von Quoren und anderen statistischen Verbiegungen, JEDE Stimme zählt

  5. 126.

    Ich glaube auch, das ist die sicherste Variante. Internes SPS Papier: "Der Klimaschutzrat – viel Macht, keine demokratische Legitimierung". „Im Rahmen des vorgelegten Gesetzesentwurf kommt dieser Paragraph (6)einem Ermächtigungsparagraphen gleich, denn die Demokratie wird in Verbindung mit §14 ausgehebelt.“
    Leute, geht zur Abstimmung und stimmt massenhaft mit NEIN!

  6. 124.
    Antwort auf [Josch] vom 21.03.2023 um 13:24

    Gilt das auch für AFD Parteispenden und inoffizielle Werbekampagnen für die AFD aus der Schweiz?

  7. 123.

    https://www.golem.de/news/treibstoffe-die-suche-nach-dem-e-fuels-phantom-2303-172725-3.html

    Das Gespenst der EFuels....keiner hat sie gesehen, aber wenn man nur feste glaubt...

  8. 122.

    Die Nein-Stimmen bekommen erst bei einer "Wahl-"Beteiligung von über 50% Relevanz.

  9. 121.

    Sind wir zwischenzeitlich eigentlich alle verrückt geworden !!!

    Deutschland imitiert ca 2 % der CO2 Emissionen der Welt, mit fallender Tendenz - China ca 30% der CO2 Emissionen mit steigender Tendenz. Ohne China, Indien und Russland werden wir gar nichts erreichen !!

    Am Ende werden wir in Deutschland verarmen, da wir unsere Industrie aus dem Land gedrängt haben und das Klima wird sich dennoch in die falsche Richtung geändert haben. Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen geht einfach technisch nicht!!!!!. Auch eine pseudoreligiöse Ökodenkweise wird daran nichts ändern.

  10. 120.

    Es gibt schon Möglichkeiten, beim auswärts gekauften, aber in Berlin verbrauchten Sprit für Klimaneutralität zu sorgen. Die Erzeugung von E-Fuels in der gleichen Menge ist nur eine Möglichkeit dazu.

  11. 119.

    Der entscheidende Satzteil ist: ""Mit den Möglichkeiten, die wir zur Zeit haben, ..."
    Ein Bundesland hat nur begrenzte Möglichkeiten. Das Land wird deshalb durch den Volksentscheid auch dazu verpflichtet, für zusätzliche Handlungsmöglichkeiten in den Bundesgesetzen einzustehen.
    Dabei kann es sich um Länder-Öffnungsklauseln handeln, die einzelnen Bundesländern ein schnelleres Vorankommen ermöglichen, z.B. mit nur im eigenen Bundesland gültigen ordnungsrechtlichen Instrumenten.

  12. 118.

    Sie erinnern mich an die frühchristlichen Eremiten, die vor lauter Heiligkeit nicht gesehen haben, dass die Menschen nicht alle aus freiem Willen edel und gut sind. Auch eine Art Arroganz. Manchmal benötigt es halt klare Regeln, damit die Gemeinschaft funktioniert bzw. im Falle der Klimakrise überhaupt stabil überleben kann. Eigentlich eine konservative Denkweise.

  13. 117.

    Na denn mal raus mit der Sprache. Wer finanziert das denn zu welchem finsteren Zweck? Sollen mal wieder Kinder unterirdisch ausgesaugt werden von Echsen?
    Stellen wir uns spaßeshalber und vergleichsweise mal folgende Schlagzeile vor: "Deutsches Milliardärsehepaar aus New York finanziert Berliner Volksentscheid zur Sanierung aller Berliner Schulen und Kindergärten mit 120 Mio. Euro".... Wo bitte ist das Problem??? Wenn dieser fiktive VE erfolgreich ist, würde das Land Berlin verpflichtet, alle Berliner Schulen und Kitas vollständig zu sanieren und finanziell im Landeshaushalt zu priorisieren. Etwas GUTES wurde also von dem Ehepaar finanziert. Wo ist also das Problem beim Thema Klimagerechtigkeit und Klimaneutralität? Werden wir dadurch alle sterben?

  14. 116.

    Die "5 Milliarden" sind nur eine Ankündigung, eine Nebelkerze. Glauben Sie wirklich daran? Und wenn die Ziele des Volksentscheids so problematisch sind, warum existiert dann jetzt schon ein entsprechendes Gesetz, nur mit dem Datum 2045 statt 2030? Es könnte natürlich sein, dass das 2045-er Gesetz auch nur eine Beruhigungspille war. Kann ja keiner wirklich nachprüfen.

  15. 115.

    Sie: "Nur fehlt es mir an [...] totalitärer Gesinnung,"
    -> Wow. Ne Spur größer ging es nicht? Sehr abgewägte und reflektierte Aussage Herr Doktor!

  16. 114.

    "ich stelle also nochmal die Frage; Ihr wolt mit dem Kapitalismus Klimaschutz betreiben ??? das ist ein Lachnummer ???"

    Bekannt ist dass im Sozialismus Klimaschutz ja bestens funktioniert hat. Diese Sehnsucht nach linker Diktatur wird nichts bessern.

  17. 112.

    Die EU ist mit rund 10% nur der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen.

    Und pro Person, sieht die deutsche Statistik auch nicht gut aus, da macht suf andere zeigen wenig Sinn. Auch Historisch ist der deutsche/europäische Beitrag erheblich größer.

  18. 111.

    hmmm...wenn der Volksentscheid angenommen wird, werde ich einfach in Brandenburg tanken. Dann wird das CO2 vom Benzin ja nicht in Berlin verrechnet.
    Und private Reisen, das haben wir von den Klimaklebern gelernt, sind ja ohnehin CO2-neutral.

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