Kritik an Senatsverwaltung - Rund 60 Prozent des Personals bei Kindernotdienst krank gemeldet

Di 04.07.23 | 18:34 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Archivbild: Kindernotdienst in der Gitschiner Straße in Berlin Kreuzberg. (Quelle: imago images/Schoening)
Video: rbb|24 Abendschau | 04.07.2023 | Agnes Sundermeyer | Bild: imago images/Schoening

Mitarbeiter des Berliner Kindernotdienstens klagen über die dortigen Zustände. Die Bildungsverwaltung will die Situation vor Ort verbessern, übt aber auch Kritik am Verhalten der Beschäftigten. Von Sebastian Schöbel

Im Streit über die angespannte Situation beim Berliner Kindernotdienst hat die Bildungsverwaltung Gesprächsbereitschaft signalisiert. Familienstaatssekretär Falko Liecke (CDU) versprach am Rande einer Demonstration von Berliner Sozialarbeitern am Dienstag, dass er am geplanten Jugendhilfegipfel im Oktober teilnehmen werde. Dort soll es dann unter anderem auch über den Kindernotdienst gehen.

Zugleich übte Liecke aber auch Kritik an den Mitarbeitenden des Kindernotdienstes. "Wenn 28 Kolleginnen und Kollegen auf einmal krank sind, stelle ich mir die Frage, ob das so in Ordnung ist." Das sind mehr als 60 Prozent der Beschäftigten. Liecke bestätigte damit Angaben, die der rbb aus den Reihen des Kindernotdienstes erhalten hatte.

Kindernotdienst-Demo in Berlin Mitte. (Quelle: rbb)
Jugendstaatssekretär Falko Liecke im Gespräch mit den Demonstrierenden. | Bild: rbb

Mitarbeiter prangern Zustände an

Die Bildungsverwaltung habe den Kindernotdienst bereits unterstützt, so der CDU-Politiker, mit mehr Personal auch aus den eigenen Reihen. Für die Betreuung der Kinder habe man einen freien Träger gewonnen. Zudem seien zusätzliche Plätze in einer weiteren Außenstelle geplant, und auch die Leitung sei neu aufgestellt worden. Mit 45 Stellen sei der Kindernotdienst gut aufgestellt, so Liecke. "Wenn alle zur Arbeit kommen würden, hätten wir kein Problem."

Beschäftigte des Berliner Kindernotdienstes demonstrierten am Dienstagmorgen gemeinsam mit rund 400 Mitarbeitenden der Jugendämter und freien Träger für eine Verbesserung der Bedingungen. Auslöser war ein Brandbrief der Mitarbeitenden im Kindernotdienst, in dem sie von unhaltbaren Zuständen wegen fehlender Betreuung berichteten.

Zum Teil komme es zu heftiger Gewalt zwischen den Kindern, die aus schwierigsten Verhältnissen in die Obhut das Staates genommen wurden. "Wir können Kinder nicht sicher unterbringen", sagte ein Mitarbeiter des Dienstes, der anonym bleiben will, dem rbb. "Es gab eine Situation, die eskaliert ist: Kinder haben sich Steine von der Straße gesucht, um die Einrichtung zu demolieren und nach Betreuern und anderen Kindern zu werfen." Das sei ein Ausdruck von Verzweiflung, so der Mitarbeiter, weil die Kinder nicht angemessen betreut werden können.

"Maßnahmen der Senatsverwaltung haben nicht geholfen"

Die Lage habe sich zuletzt noch einmal verschlechtert, nachdem die Bildungsverwaltung die Beratungsstelle aus dem Kindernotdienst herausgetrennt und verlegt habe. Dadurch sei das Team gespalten worden, sagte ein weiterer Mitarbeiter dem rbb, der ebenfalls anonym bleiben will. Dabei habe gerade die Beratung noch gut funktioniert. "Die Maßnahmen der Senatsverwaltung haben nicht dafür gesorgt, dass die Kinder versorgt wurden."

Auch der zweite Mitarbeiter berichtet von gewaltsamen Übergriffen durch Kinder, die nicht entsprechend ihrer Bedarfe betreut würden. Oft würden Kinder deutlich länger als die vorgesehenen drei Tage in der Obhut des Kindernotdienstes bleiben, manche monatelang, weil die Vermittlung an soziale Träger nicht gelinge. "Den müssen wir beim emotionalen und physischen Verfall zusehen, das kann ich als Fachkraft nicht verantworten."

Sendung: rbb24 Inforadio, 04.07.2023, 18:18 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

27 Kommentare

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  1. 27.

    Sie können sich beim Kindernotdienst oder in einer anderen sozialen Einrichtung melden und dort den bedürftigen Kindern helfend zur Seite stehen. Nicht nur einen Tag, eine Woche, einen Monat... Motivierte, belastbare Arbeitskräfte mit guten Fachkenntnissen, werden dringend benötigt.
    Nach einem Jahr Arbeit im sozialen Brennpunkt, geben Sie uns bitte Ihre Zwischenbilanz bekannt und viele praxisorientierte Vorschläge zur Verbesserung der Arbeits-Situation.
    DANKE

  2. 26.

    Kinderheim ist große Stress für Kinder und Betreuer. Kinder müssen weggenommen werden nur in schweren Fällen. Wie ich erfahren habe es wurden schon mehrere Kinder von ukrainischen Flüchtlingen weggenommen. Aus meiner Sicht war das in meisten Fällen keine Notwendigkeit.

  3. 25.

    Da sollte sich der Herr Liecke aber bitte zurückhalten. Es ist ungeheuerlich unverschämt den Mitarbeitern quasi zu unterstellen, dass sie gar nicht krank sind sondern nur keinen Bock haben. Was bildet er sich eigentlich ein?

  4. 24.

    Meine Tochter war seit gut 20 Jahren im Kita Bereich tätig und zum Schluss in einer Integration Kinder Betreuung, Kinder aus vielen Ländern und allen Schichten.
    Was ich sagen möchte: Meine Tochter ist ernsthaft krank geworden, völlig ausgebrannt! Nach der gesundheitlichen Maßnahme wird sie eine Umschulung angehen.

  5. 23.

    Erinnert mich an diese Beiträge von heute zur Verwahrung in forens. Psychiatrie:
    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/07/massregelvollzug-berlin-reinickendorf-psychiatrie-klinik-krankenhaus.html

    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/07/massregelvollzug-berlin-interview-forensische-psychiatrie.html

  6. 22.

    Wie lange ist die Überlastung bekannt? Soweit ich es in der Presse verfolgen konnte bestand die Überlastung schon zu Zeiten von R2G. Nur wurde dort wohl aus lauter Desinteresse nichts gemacht um den Notstand zu beheben. Also schieben Sie nicht alles auf den neuen Senat um von den Verfehlungen von R2G abzulenken. Fast alle Probleme die jetzt hochploppen haben ihren Ursprung in der Regierungszeit von R2G und wurden dort teilweise noch verschärft (s hierzu auch den Bericht über die Zustände im Maßregelvollzug)

  7. 21.

    Als ehem. Sozialarb. des JA T-K in Rente, kann ich nur feststellen, dass sich nichts zum Positiven geändert hat an der Personalsit. des Kindernotdienstes, was ebenfalls die Lage in den stationären Jugendhilfeeininrichten wider spiegelt. Somit ist die Verweildauer der Kinder im KND nachvollziehbar, die Koll*innen total überfordert mit den "bunt" zusammengewürfelten, äußerst schwierigen und immer jünger werdenden Kid's, die somit nicht individuell betreut werden können trotz hohen Bedarfs. Auch diese Kinder sind unsere Zukunft!! Somit Brandbrief, Demo's völlige Berechtigung!!! Der KND darf nicht Drehtür in der stat. JUg.-hilfe bleiben, geht nur mit entspr. Personalbeding./Arbeitsbedingungen, mit Beratungsintegration für Mitarb., Eltern, Kinder vor Ort. War mir oft eine große Unterstützung bei Weitervermittlung der Kid's in Einrichtungen - für sie oft "ein Zuhause" für kommende Jahre.
    Senat !!! Nehmt endlich die Probleme ernst!!!!!
    Grüße an alle im KND - Durchhalten!!!!

  8. 20.

    Ihre Ansicht klingt, oberflächlich betrachtet, plausibel. Aber Sie vergessen, dass es gerade im sozialen Bereich die Arbeit mit Kindern sehr stark psychisch belastend ist. Normalerweise wechselt (sollte!)das Personal ca. alle zwei Jahre. Die meisten die in diesem Bereich der Verwaltung arbeiten, tun dieses aus sozialem Bewusstsein. Bei andauernder sachlicher, fachlicher und psychischer Überforderung werden Menschen krank!

  9. 19.

    Hier geht es um verwaltungstechnische Fragen wie kurzfristige Personalaufstockung per Abordnung zum Beispiel. Dieser Krankenstand ist ja nicht seit fünf Jahren permanent existent. Dann sollten auch genug Mittel für die Umsetzung einer rechtskonformen Arbeit in diesem so sensiblen Bereich der sozialen Förderung und Teilhabe (auch für Kinder ein Grundrecht) bereit gestellt werden. Die Aufstellung des Haushaltsplans läuft gerade. Fazit die SenatorInnen könnten, natürlich nur die sachlich zuständigen, innerhalb kürzester Zeit die Probleme lösen.

  10. 18.

    Hier geht es nicht um Augenmaß sondern Grundrechte der Kinder. Der neue Senat ist übrigens nicht für Abordnungen und Versetzungen (um temporäre Arbeitsüberlastung entgegen zu wirken) verantwortlich, sondern die Serviceeinheit der zuständigen Personalabteilung. Die per Anweisung aus der Senatsverwaltung für Inneres per (kurzer) Dienstanweisung tätig wird, dazu reicht eine E-Mail. Also So, so der Wahlkampf ist vorbei und verantwortliches Regieren sieht anders aus.

  11. 17.

    Offensichtlich ist man nicht an einem guten Fortkommen von Kindern und Personal interessiert.
    Ich kann den Mitarbeitern nur raten, sich eine neue Dienststelle, vielleicht in einem anderen Bundesland, einem anderen Land, zu suchen und sich nicht der gewünschten Brasilianisierung der deutschen Gesellschaft in den Weg zu stellen.

  12. 16.

    Sozialarbeiter*innen im Kinderschutz sind die letzten, die ihre Bedürfnisse über die der Kinder stellen. Und wenn sie nicht mehr arbeiten können, weil die Bedingungen sie krank machen, dann müssen sie die Konsequenzen ziehen. Anders findet die Jugendhilfe oft kein Gehör…Jobwechsel ist nicht die Lösung, da der Job nicht das Problem ist, sondern die Bedingungen.

  13. 15.

    Lesen Sie mal die übrigen Kommentare. Da finden Sie ziemlich eingängige Erklärungen für den hohen Krankenstand. Wer in Berlin im sozialen Bereich arbeitet und das mit Empathie und Verstand, der ist sehr gefährdet, zu erkranken. Aber das verstehen leider nur diejenigen, die damit zu tun haben. Denn diejenigen sind es, die die schlimmen Situationen, die sie mit Kindern erleben, die deren fürchterlichen Schicksale erfahren, allein gelassen werden. Wenn dann noch im eigenen Leben "Baustellen" auftauchen, was ja normal ist, brennt die Seele irgendwann auf ganz kleiner Flamme.

  14. 14.

    Ich glaube, den meisten ist nicht klar, wie belastend und erschreckend es ist, ausgerechnet Kinder so zu erleben. Gleichgültig gegenüber anderen, hinterhältig, nur noch den eigenen Willen durchsetzen wollend, hassend, gewalttätig. Und manchmal kann keine gute Behandlung mehr helfen. Das können sich Außenstehende einfach nicht vorstellen.
    Junge Kinder, die manchmal innerlich - man verzeihe mir das Wort - so zerstört sind, dass man weiß, dass man schon jetzt nicht mehr wirklich helfen kann. Und denen, die mit ihm zu tun haben werden, schlimme Erfahrungen bevorstehen. Wenn beispielsweise kleine Kinder im Winter im Unterhemd auf den Balkon ausgesperrt werden, während Eltern auf Tour sind und Nachbarn die Polizei rufen müssen, dann ist das nur die Spitze dessen, was diese Kinder erleben mussten. Da entwickelt sich kein gesundes soziales Bewusstsein. Da braucht es Menschen, die nicht nur sie, auch sich dann beim Umgang im Notdienst - auch seelisch- unterstützen. Wenn das wegbricht….

  15. 13.

    Was heißt hier "Job wechseln" in Berlin fehlen 100erte ,Sozialarbeiter/innen. Sie könnten locker wechseln und es sich leichter machen, aber versuchen zu "überleben" um für die Kinder da zu sein. Es bewirbt sich keiner mehr auf diese Stellen. Arbeit in dem Bereich ist wie ein Himmelfahrtskommando. Fakt ist, dass in Berlin der Kinderschutz in weiten Bereichen nicht mehr ausreichend gewährleistet ist. Und das liegt NICHT an den paar Leuten, die sich noch die Arbeit in den Notdiensten antun obwohl sie anderswo weniger Belastung hätten.

  16. 12.

    Ja, ja nur das der halbe Senat aus der abgewählten SPD nebst abgewählten Personal besteht.

  17. 11.

    Es spielt überhaupt keine Rolle ob die Kolleg*innen vom Notdienst tatsächlich krank oder aus Protest nicht bei der Arbeit sind: Fakt ist, dass sie kaputt gespielt sind, weil zu wenige Schultern eine enorme Last zu tragen hatten und nun auch noch strafversetzt und auseinandergerissen wurden. Das scheint schon politisch so gewollt und wurde auch so kommuniziert. Öffentliches Sprechverbot wurde erteilt und das Team aufgelöst. Da liegt es nahe, dass Menschen spätestens daran verzweifeln und persönliche Konsequenzen ziehen.
    In jedem Fall leiden die Kinder, aber die waren und sind den politisch Verantwortlichen ohnehin egal, sonst würden Maßnahmen und Gelder gegen Kinderarmut, Wohnungsnot und Bildungsdefizite gestreut werden. Es geht eben nicht darum, dies oder jenes Leid abzuschaffen, sondern Profite und Wachstum für den Standort zu organisieren. Das wird in den kommenden Jahren noch zu katastrophaleren Zuständen in der Jugendhilfe führen als bisher je angenommen.

  18. 10.

    Absolute Frechheit, den Kolleginnen und Kollegen eine Teilschuld zu geben. Wenn so viele krank sind, liegt das vielleicht an den miesen Arbeitsbedingungen. Aber Kinder haben halt keine finanzkräftige Lobby...

  19. 9.

    "Wenn 28 Kolleginnen und Kollegen auf einmal krank sind, stelle ich mir die Frage, ob das so in Ordnung ist."
    Die Frage stelle ich mir aber auch. Ihre eigenen Bedürfnisse scheinen bei weitem über denen der Kinder zu liegen.
    Dann sollen sie mal lieber den Job wechseln.

  20. 8.

    Ich bin absolut kein CDU Wähler, aber ja:
    Laut Berichterstattung vom rbb sind die Probleme langjährig verschleppt.
    Alles was mit Kinder/ Soziales zu tun hat, steht auf tönernen Füßen.

    Stichpunkt Arche Berlin: Wieviel Geld zum Beispiel gibt der Senat da hinein?....
    Eine absolut notwendige soziale Einrichtung für Berlin.

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