Mangel an Unterkünften - In Berlin beginnt die Zeit der Flüchtlingslager

Fr 29.09.23 | 08:04 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Eine Luftaufnahme der Leichtbauhallen auf dem ehemaligen Flughafengelände in Tegel. Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
Audio: rbb24 Inforadio | 27.09.2023 | Sebastian Schöbel | Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Bis zu 8.000 weitere Unterkunftsplätze für Geflüchtete will Berlin bis Jahresende schaffen. Massenunterkünfte wie in Tegel sind längst Realität. Vor allem SPD-Sozialsenatorin Kiziltepe stellt das politisch auf die Probe. Von Sebastian Schöbel

Die Idee, zum Weltkindertag die jüngsten Bewohner von Berlins Flüchtlingsunterkünften zu Wort kommen zu lassen, war sicherlich gut gemeint. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) interviewte einige von ihnen und stellte die Videos am 20. September auf Facebook ein.

Auch vom elf Jahre alten Mahmoud, der aus Syrien geflohen ist und inzwischen seit fünf Jahren mit seiner Familie in einer modularen Unterkunft in Berlin lebt. Wie "das Leben im Container" so sei, sollte er erzählen. Mahmoud zeigte auf die Decke, wo ein Riss zu sehen war. "Nicht so gut, dort kommen Tropfen rein." Für die Zukunft wünsche er sich, "dass wir ein Haus kriegen".

Gut eine Woche später, bei einer Aussprache zur Lage der Geflüchteten im Abgeordnetenhaus, erinnert sich Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt noch genau an dieses Video. "Ich konnte es gar nicht teilen", sagt der SPD-Politiker, der in Berlin zurzeit hauptverantwortlich für die Beschaffung von Flüchtlingsunterkünften ist. "Weil es beschämend ist."

Flughafen Tegel wird zur Massenunterkunft

Dabei haben es Mahmoud und seine Familie im Container mit Loch noch gut: Tausende Geflüchtete leben in Berlin zurzeit in Massenunterkünften, schlafen auf Pritschen, und wohnen mit minimaler Privatsphäre zwischen dünnen Zeltbahnen oder Trennwänden. Die Kapazitäten der Unterkünfte sind längst ausgeschöpft, neue müssen eilig geschaffen werden: Zuletzt erhöhte der Senat sein Ziel von weiteren 5.000 Plätzen bis Jahresende auf 8.000 Plätze, in Erwartung deutlich steigender Flüchtlingszahlen.

Die langgestreckten Leichtbauhallen in Tegel sind längst das Symbol der aktuellen Krise geworden: Berlin baut keine temporären Übernachtungsplätze für Geflüchtete und Asylbewerber, sondern dauerhafte Flüchtlingslager, die immer größer werden. Nicht nur in Tegel, sondern auch in Tempelhof, wo bald 600 weitere Plätze in einem Hangar eingerichtet werden sollen.

Dezentrale Unterbringung funktioniert nur ungenügend

Zwar betont Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) im Integrationsausschuss des Abgeordnetenhauses, sie selbst strebe die „dezentrale Unterbringung“ der Menschen an. Ihr Koalitionspartner CDU sieht das bekanntlich anders: "Wir werden nicht um weitere Großunterkünfte herumkommen", sagte jüngst Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner. Und Kiziltepe räumt auch ein, dass ihr Plan der vielen kleinen Unterkünfte statt großer Massenlager immer wieder am lokalen Widerstand in den Bezirken scheitert. In ihrem ehemaligen Kreuzberger Bundestagswahlkreis zum Beispiel sei dadurch eine Unterkunft mit vielen hundert Plätzen verhindert worden. Es ist kein Einzelfall.

Kiziltepes Staatssekretär Bozkurt fügt hinzu: Dass man in Tegel nun auf lange Sicht die Großunterkunft plant und sogar ausbaut, habe auch „mit einer Selbstlüge aufgeräumt“ auf. Das Zentrum dort wie bislang immer nur für weitere drei Monate zu verlängern, in der Hoffnung, bessere Alternativen zu finden, sei ein Fehler gewesen. Die Realität passe nun mal nicht zu Idealvorstellungen, so Bozkurt. Diese Realität wird sein, dass in Tegel möglicherweise bald bis zu 7.000 Menschen leben werden, über viele Monate.

Stimmung in Tegel kippt

Was das für die Menschen dort bedeutet, zeigt sich in Tegel schon jetzt: Die Zahl der Konflikte nimmt zu. "Wir haben täglich Angriffe mit Messern und Scheren, nicht nur der Geflüchteten untereinander, sondern auch Bedrohungen der Mitarbeiter vor Ort", berichtet Susanne Hähner-Clausing, die für das LAF die Projektleitung im Ankunftszentrum macht. Aus der anfänglichen Unzufriedenheit über das Essen, die medizinische Versorgung und die langen Wartezeiten auf eine bessere Unterkunft sind gewalttätige Auseinandersetzungen und Vorwürfe gegen das Personal geworden. Jüngst klagten mehr als 100 ukrainische Frauen in einem Brandbrief über die Sicherheitsleute in Tegel: Beleidigungen, Belästigungen, Willkür, Gewalt – auch gegen Kinder.

Die Opposition macht dafür auch Kiziltepe und den schwarz-roten Senat verantwortlich. Elif Eralp, die migrationspolitische Sprecherin der Linken, spricht von "katastrophalen Zuständen". Jian Omar, Sprecher für Flüchtlingspolitik bei den Grünen, wirft Kiziltepe vor, die Massenunterkünfte, die sie selbst ablehne, jetzt sogar noch zu vergrößern. "Man kann diese Leichtbauhallen auf jeder versiegelten Stelle aufbauen", sagt Omar. Stattdessen werde alles an Orten wie Tegel konzentriert, wo das Problem in einem Hochsicherheitsbereich vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt werde.

Opposition kritisiert mangelhaften Zugang

Grüne und Linke kritisieren zudem, dass externe Hilfsorganisationen kaum Zugang zu den Menschen im Ankunftszentrum hätten. Der Aufbau von Beratungsangeboten vor Ort scheitere angeblich am Veto des Deutschen Roten Kreuzes, das in Tegel die Unterkunft führt. "Es kann nicht sein, dass das DRK völlig freies Spiel hat, wie mit der Situation dort umgegangen wird", sagt Eralp.

Der Vertrag mit dem DRK sei allerdings noch unter ihrer Amtsvorgängerin Katja Kipping von den Linken geschlossen worden, wehrt sich Kiziltepe. Er laufe zum Jahresende aus und soll dann neu verhandelt werden, mit Verbesserungen wie mehr Zugang für Initiativen und Hilfsorganisationen. Zuvor soll es ein Markterkundungsverfahren geben, um mögliche alternative Betreiber zu finden. Besonders viel Hoffnung hat man in der Verwaltung aber offenbar nicht. "Ich bin skeptisch, dass es die gibt", räumt Sozialstaatssekretär Bozkurt ein.

Das Wort "alternativlos" will in der Sozialverwaltung niemand in den Mund nehmen, wenn es um Großunterkünfte geht. Jedenfalls nicht öffentlich. Dass sie es aktuell in Berlin sind, hat man aber längst eingesehen. Die Hoffnung ist, große Leichtbauhallen möglichst schnell durch die wohnlicheren Modularen Unterkünfte zu ersetzen. Selbst wenn es dann hier und da reinregnet.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.09.2023, 02:00 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

91 Kommentare

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  1. 91.

    "Glücklicherweise macht sich die Regierung inzwischen zumindest Gedanken darüber, wie man diese Menschen schnellstmöglich auf dem Arbeitsmarkt unterbringen kann."
    Das ist aber auch überfällig, wer hier ist soll auch arbeiten, egal ob er später zurückgeführt wird oder nicht.
    Endlich mal eine sachliche Diskussion ohne das übliche Rechts/Links bla bla einiger Foristen.
    Vielen Dank dafür!

  2. 90.

    Es gibt eine Super-Medizin gegen alle Probleme : Sondervermögen bilden ! Alles mit Geld zu pflastern.

  3. 89.

    Ich habe meine Bedenken,
    Länder die im Krieg sind, sollen sich im Zelt verstehen und miteinander auskommen?
    Denke, das das nicht funktioniert.

  4. 88.

    Sie haben recht. Ich habe einige Dinge nicht erwähnt. Beispielsweise medizinische Betreuung. Wenn ein Ort ein ausreichendes medizinisches Angebot für seine Einwohner hat, dann reicht es auch für einige zusätzliche Migranten. Das ist derzeit aber häufig nicht der Fall und nicht etwa den Migranten zuzuschreiben. Ähnlich ist es mit Sozialarbeitern, Kitas, Bildungseinrichtungen jeder Art, Mitarbeitern in Jobcentern oder Wohnraum. Alles, was derzeit fehlt, fehlt nicht wegen der Migranten, sondern wird durch sie nur verstärkt. Glücklicherweise macht sich die Regierung inzwischen zumindest Gedanken darüber, wie man diese Menschen schnellstmöglich auf dem Arbeitsmarkt unterbringen kann. Denn derzeit sind tausende arbeitswillige Migranten zum Nichtstun verdonnert und das, obwohl überall Arbeitskräfte - und nicht nur ausgewiesene Fachkräfte - fehlen. Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen dauert mitunter Jahre. Statt Erfahrungen zu nutzen, wird rundum betreut und Integration verhindert.

  5. 87.

    Morning, und danke für ihre Antwort.
    Ich denke mal es fehlt aber noch einiges in ihrer Aufzählung:
    zusätzliche Sicherungsumzäunung, erhöhter Bedarf an Security, Verlegung von Energiezufuhr, erhöhter Bedarf an med. Versorgung und Betreuungspersonal. Das sind alles zusätzliche Kosten die den Gemeinden entstehen.......und die rufen jetzt schon um Hilfe wegen Finanznot......von der momentanen Stimmung im Land ganz zu schweigen.

  6. 86.

    " Aber Wohncontainer könnte man sicher auch einzeln oder in Minigruppen auf kleineren Freiflächen aufstellen "

    ja könnte man , wäre aber angesichts der großen Anzahl nur ein Tropfen auf den Stein

    " Notfalls auf Parkplätzen vor Einkaufszentren " ist hier an meinem Wohnort geschenen , jetzt sitzen vor dem Supermarkt bettelnde Menschen , trotz Bügergeld etc

  7. 85.

    Höcke allein ist nicht die AFD. Es gibt auf kommunaler Ebene AFDler mit denen man durchaus pragmatisch zusammenarbeiten kann. Das wird in ein paar Jahren sowieso passieren. Man erinnere sich, wie und mit welchen Mitteln man damals die PDS und Gysi bekämpft hat. Ich ärgere mich nur immer über d. Gleichung AFD-Wähler=Nazi. Das ist definitiv Unsinn, und auch nicht belegbar.

  8. 84.

    Ich nehme mal an, dass Sie meiner Feststellung nicht widersprechen wollten. Aber Wohncontainer könnte man sicher auch einzeln oder in Minigruppen auf kleineren Freiflächen aufstellen oder z.B. auf Campingplätzen, die im Winter weniger genutzt werden - vorausgesetzt eine Verkehrsanbindung an den nächsten Ort ist vorhanden. Bei letzterem gibt es zumindest bereits sanitäre Anlagen. Und der Kontakt zu Dauercampern könnte auch hilfreich sein. Kleinere Migrantengruppen werden meist als weniger bedrohlich wahrgenommen. Und wenn die Saison beginnt, würden 3-4 Container sicher auch nicht stören. Vielleicht wäre bis dahin sogar schon die Situation geklärt. Kleinere freie Flächen in der Stadt sollten sich auch finden lassen. Notfalls auf Parkplätzen vor Einkaufszentren. Jedenfalls besser da, wo Kontaktmöglichkeiten zu Einheimischen bestehen, als wie jetzt total abgeschottet.

  9. 83.

    meine Frage hat noch niemand beantworten können, warum immer noch Menschen in Deutschland freiwilig einreisen, wenn Deutschland angeblich sooooooooooo schlecht dastehen soll.

  10. 82.

    "der AFD Wähler mit Nazis gleichsetzt" Der Vergleich drängt sich schon dadurch auf, dass Höcke Faschist genannt weden darf und die afd in Thpringen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht

  11. 81.

    Noch mehr geht nicht.

  12. 80.

    Man kann doch nur so viele aufnehmen, wie man Platz hat.
    Es macht für niemanden Sinn, die Menschen zu stapeln. Wenn ein "Haus" voll ist, muss ich zum nächsten. Wird Zeit, dass mal jemand verkündet, hier ist erstmal voll, geht woanders hin.
    Woanders wird man nicht so versorgt, aber so toll ist es hier ja auch nicht, wie man liest.

  13. 79.

    Exakt verstanden. Deshalb lassen wir jetzt die passenden Wohnungen vom Himmel regnen (nur nicht aufs Tempelhofer Feld), Erzieher und Lehrer backen wir uns im Pizzaofen, Krankenpfleger und Ärzte schiessen wie Pilze aus dem Boden, das nötige Geld wächst ohnehin an Bäumen und kaum später wird die Erde wieder zur Scheibe. Man muss es ja nur wollen.

  14. 78.

    "Diese Art von Massenunterkünften fördert zudem die Bildung von Parallelgesellschaften, mit denen sich später wieder alle auseinandersetzen müssen."
    Na dann machen sie doch mal Alternativvorschläge wie und wo sie die vielen Migranten unterbringen und versorgen möchten? Haben sie vielleicht noch Platz ?

  15. 77.

    Wer sind den nun die Verantwortlichen ? Werden sie zur Rechenschaft gezogen oder was soll nun passieren ? 2015 sollte sich doch nicht wieder holen. Heute hat bei NTV sich doch tatsächlich jemand getraut und gefragt, was denn die letzten 7-8 Jahre unternommen worden ist ? Nur eine Antwort hat er nicht gegeben, dafür große Augen gemacht !

  16. 76.

    und der ehemalige 100% Parteivorsitzende der SPD Schulz hat sogar festgestellt, dass jeder mehr Wert ist als Gold. Nun wundern sich alle, das ihnen die Wähler weglaufen. Aber sie machen unbeirrt weiter und beschimpfen lieber die anderen als Verursacher der Katstrophe.

  17. 75.

    Wahrscheinlich. Besagte KGE ist ja immer noch der Meinung , daß diese Menschen in ein paar Jahren unsere Rente zahlen werden (die es dann so oder so nicht mehr geben wird).

  18. 74.

    Volle Zustimmung. Diese Art von Massenunterkünften fördert zudem die Bildung von Parallelgesellschaften, mit denen sich später wieder alle auseinandersetzen müssen.

  19. 73.

    Die Welt ist nun mal kein Ponyhof und wenn keine Unterkünfte dezentral zur Verfügung stehen, dann bleibt realistisch nun mal nur noch der Aufbau solcher Unterkünfte, auch wenn das für niemanden besonders toll ist, nicht für die Flüchtlinge und auch nicht für die Anwohner. Alternativ kann der Senat ja auch Personen bei Ihnen zuhause zwangseinquartieren, wenn Sie die Situation für so untragbar halten. Man kann nun mal nicht mehr einfordern, als da ist.

  20. 72.

    Was Angela Merkel wohl heute dazu sagen würde? Vielleicht das wir wieder Menschen geschenkt bekommen wie KGE das mal sagte?

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