Tausende Plätze benötigt - Wie Berliner Senat und Bezirke um Flüchtlingsunterkünfte ringen

Mo 02.10.23 | 17:22 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Archivbild: Flüchtlingsunterkünfte, Berlin-Tempelhof. (Quelle: imago images/J. Held)
Video: rbb24 Abendschau | 02.10.2023 | Material: Franziska Hoppen | Bild: imago images/J. Held

Wo sollen die vielen tausend Geflüchteten in Berlin unterkommen? Der Senat erweitert die Massenunterkünfte in Tegel und Tempelhof - und mahnt die Bezirke zu mehr Kooperation. Die aber wehren sich. Von Sebastian Schöbel

Es klang fast ein wenig resigniert, als die Berliner Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe jüngst im Abgeordnetenhaus zur Unterbringung von Geflüchteten Rede und Antwort stehen musste. "Im Moment geht es nicht anders", rechtfertigte die SPD-Politikerin den Ausbau der Standorte in Tegel und Tempelhof zu regelrechten Flüchtlingslagern.

"Ohne Erweiterung der Großunterkünfte geht es nicht." Zwar konnte das Landesamt für Flüchtlinge (LAF) am Montag vermelden, dass berlinweit bereits 1.100 weitere Plätze in Hotels oder Hostels angemietet werden konnten. Doch allein das Ukraine-Ankunftszentrum hat schon mehr als dreimal so viele Plätze vor allem in Leichtbauhallen geschaffen - und könnte bis Jahresende um nochmal 3.000 Plätze wachsen.

Kiziltepe unzufrieden

Es war das Eingeständnis, dass die dezentrale Unterbringung der vielen Geflüchteten auf alle Berliner Bezirke derzeit nicht so klappt, wie Kiziltepe es sich wünscht. Ihr Mittel der Wahl sind Modulare Unterkünfte, kurz "MUF", vollwertige Häuser in Schnellbauweise also. Auch für Leichtbauhallen, die deutlich schneller errichtet sind, müssen erstmal Standorte gefunden werden. Doch dafür brauche sie die Kooperation der Bezirke, so Kiziltepe. "Und immer wenn es um den Bau von Modularen Unterkünften ging, gab es Widerstände." Von aufgebrachten Anwohnern bis zu widerspenstigen Bezirksämtern: Kiziltepe wurde zuletzt nicht müde zu mahnen, dass alle Bezirke die Last der Flüchtlingsunterbringung schultern müssten.

Wir wissen besser, wo die Situation vor Ort schwierig ist, wo sie zu kippen droht, wo die Infrastruktur nicht ausreicht.

Cordelia Koch, Bezirksbürgermeisterin Pankow

Friedrichshain-Kreuzberg verteidigt sich

Tatsächlich kommen aktuell mehr als die Hälfte aller Geflüchteten laut LAF in nur vier Bezirken unter: Lichtenberg, Tempelhof-Schöneberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow. Am Ende dieser Liste steht: Friedrichshain-Kreuzberg. Den schwarzen Peter zuschieben lassen will sich der dortige Bezirksstadtrat für Soziales, Oliver Nöll (Linke), aber nicht: "Zunächst mal sind wir der kleinste Berliner Bezirk und hoch verdichtet. Das heißt hier stehen Flächen und Immobilien nicht unbegrenzt zur Verfügung." Trotzdem habe man - anders als das LAF behaupte - bereits Kapazitäten für bis zu 2.500 Menschen geschaffen. "Wir haben unter anderem eine Unterkunft hier im Bezirk mit einem Betreiber, wo wir 650 Geflüchtete aus der Ukraine betreuen. Und wir haben weitere Einrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von der Senatsverwaltung für Bildung im Bezirk."

Konflikten gehe man auch nicht aus dem Weg, so Nöll. "Wir haben vor kurzem eine große Einrichtung am Warschauer Platz eröffnet, die durchaus umstritten war." Gemeint ist die Unterkunft in Nachbarschaft eines Clubs, der sich Sorgen über Konflikte zwischen Geflüchteten und Partygängern der LGBTQ-Community machte. Die Betreiber wurden von der Ankündigung überrumpelt, es gab eine öffentliche Debatte - doch im Rathaus blieb man bei der Entscheidung. Man kooperiere mit dem Senat, so Nöll, eine Situation wie in der Flüchtlingskrise 2015 gebe es deswegen jetzt auch nicht. "Wir haben keine Turnhallen belegt, wir haben derzeit alle anderen Möglichkeiten genutzt und auch unser Bezirk steht da bereit, seinen Beitrag zu leisten."

Widerstände auch in Pankow

Auch in Pankow, wo prozentual die meisten Geflüchteten unterkommen, gab es schon Widerstand: Zum Beispiel als sich Anwohner gegen einen Neubau von Unterkunftsplätzen im Schlosspark wehrten, weil dafür Bäume gefällt werden müssen. Pankows Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch hält politische Verteilungsdebatten allerdings für wenig hilfreich. "Es ist definitiv keine Einbahnstraße, die Bezirke machen mit", so die Grünen-Politikerin. Aber in den Bezirksämtern fordere man Mitsprache und eine Anerkennung der eigenen Expertise. "Wir wissen besser, wo die Situation vor Ort vielleicht ein bisschen schwierig ist, wo sie zu kippen droht, wo die Infrastruktur nicht ausreicht."

Auch Willkommensklassen sind Streitpunkt

Bei der Bildung zum Beispiel. Und hier wünscht sich Koch wiederum mehr Kooperationsbereitschaft vom Senat. Zum Beispiel für die Willkommensklasse, die Pankow auf Initiative der Bezirksstadträtin Dominique Krössin (Linke) in einer Volkshochschule eingerichtet hat. Knapp 40 Flüchtlingskinder im Alter zwischen 12 und 16 Jahren werden hier an vier Tagen in der Woche beschult. Das Geld dafür, 70.000 Euro, musste Pankow selbst aufbringen, weil die Klassen laut Senatsbildungsverwaltung zu weit weg von einer Unterkunft seien.

Geld, das der Bezirk eigentlich nicht habe und nun aus anderen Etats geholt werden müsse. "Wir haben keine Wahl", sagt Koch. "Die Realität ist so, dass wir nicht genügend Schulräume haben, nicht genügend Möglichkeiten, die den Kriterien entsprechen." Das aber sei überall so, teilweise sehen Kinder in Geflüchtetenunterkünften viele Monate oder manchmal gar Jahre keine Schule von innen. "Wir wollen diese Kriterien sinnvoll und flexibel auslegen im Sinne der Kinder", so Koch, "damit sie etwas lernen können und hier auch wirklich ankommen".

Platzmangel, Geldsorgen und der Spagat zwischen schnellen Lösungen und akzeptabler Qualität: Die Unterbringung der Geflüchteten, sie bleibt eine Herausforderung für Senat und Bezirke.

Sendung: rbb24 Abendschau, 02.10.23, 19:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

88 Kommentare

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  1. 88.

    ganz langsam scheint sich der Wind zu drehen:

    " Maßnahmen zur Begrenzung des Zuzugs von Geflüchteten und Einschränkungen von Sozialleistungen. ( ARD )

  2. 87.

    Wenn Berlin die abgelehnten und kriminellen Asylanten konsequent abschieben würde, wäre Platz und die Akzeptanz bei den Bürgern geschaffen.

  3. 86.

    " Frage ist doch, weshalb Flüchtlinge hierher kommen, "

    das ist keine Frage sondern sonnenklar

  4. 85.

    Musk genießt genau die gleichen Rechte, wie alle anderen auch. Es ist völlig egal, ob er prominent ist. Andere Prominente mischen sich doch auch ständig ein. Darüber beschweren Sie sich nur deshalb nicht, weil die die Ihrer Meinung nach richtige Meinung vertreten.

  5. 84.

    Es tut mir wirklich leid, aber mich machen die meisten Kommentare hier einfach nur noch traurig. Ich bitte Sie alle nochmal darüber nachzudenken, dass das Menschen sind die flüchten, keine Ware oder seelenlose Objekte. Natürlich gibt es riesige Probleme, aber ich finde diverse Aussagen bisweilen kalt bis zynisch. Für heute reicht mir die Power der Stimmung. Ich habe es versucht und wünsche Ihnen trotzdem alle einen schönen Feiertag, Ende und off.

  6. 83.

    "Und ich dachte in einer Demokratie herrscht Meinungsfreiheit?
    Sorry aber Sie, ich und viele andere äußern sich hier immer wieder zu Themen, warum soll ein Prominenter nicht seine Meinung sagen?"
    Weil dieser Prominente eben nicht Sie und ich ist und genau weiß, was er damit tut, wieviel Macht und Einfluß er damit auslöst, bis hin zu Aussagen, welche Partei man denn wählen solle. Geben Sie doch bitte mal "Elon Musk" als Suche ein und dann schauen Sie mal nach, wie die Presse auf seine Aussagen so reagiert hat. Sie werden staunen.

  7. 82.

    Sehr gut kommentiert. Alle Länder haben eine Lösung nur Deutschland nicht aber dafür wohl ein unerschöpflichen Geldsegen für alle die es bis hierher geschafft haben.


  8. 79.

    Gegenantwort: Deutschland glaubt auch der EU/Welt seit der Ampelregierung das Leben erklären zu müssen - ungefragt natürlich. Elon hat sich aber mit dem Thema beschäftigt was die italienische Staatsanwaltschaft gerade vorbereitet.
    Da gibt es eindeutige Beweise das „Seenotrettun“ einen Deal mit Schleppern macht die wiederum den IS finanzieren. Grünes Außenministerium wiederum finanziert SeaWatch/Seenotrettung. Man hat nicht die Absicht den Zustrom zu verhindern sondern fördert diesen.

  9. 77.

    Eine Lösung kann ich daraus nicht ablesen. "Dauereinwohner Ds" werden fast alle, die kommen, da liegt das Problem. "aus Notlagen zu uns gelangen" – das "fast alle werden Dauereinwohner" untergräbt die Hilfsbereitschaft dafür und auch die Gesetze, die dafür gemacht wurden: humanitäre Hilfe/Asyl – bis die Notsituation beendet ist, dann müssen sie zurück und dort aufbauen (gern mit Hilfe), damit andere in akuter Not kommen und gut aufgefangen werden können.

    zu: "Wir müssen mit Zuwanderung leben und denen, die aus Notlagen zu uns gelangen mit Menschlichkeit einladend begegnen. Kein Dauereinwohner Deutschlands möchte mit den Flüchtlingen tauschen"

  10. 76.

    Was ist eigentlich, wenn nun alles ausgeschöpft sein wird? Müssen wir dann zwangsweise Menschen aufnehmen, damit es denen hier so richtig gut gefällt?

  11. 75.

    „ Dank Zensus und Grundsteuererklärungen sind Wohnraumseserven auf den Quadratmeter genau bekannt. “
    Zensus war 2011 … das ist natürlich alles unverändert geblieben.
    Grundsteuererklärung wird vom Eigentümer gemacht… wer z.B. in der Eigentumswohnung noch wohnt wird nicht angegeben.

  12. 73.

    Zurückschicken, Problem gelöst.

  13. 72.

    "anscheinend extrem schwierig, eine Lösung dafür zu finden" – nochmals: TüV+Ablegeerlaubnis für Boote wäre ein Weg. Kein Flugzeug darf einfach so abheben, schrottreif, überfüllt, identitätslose Passagiere ("keine Ausweise").

    Hier sollten die polit. Verantwortlichen Gesetze schaffen oder anwenden. Ein solches Boot, das aufgegriffen wird, wird dann ganz ordnungsgemäß zurückgeschleppt, die Schleuser/Besitzer entsprechend sanktioniert.

  14. 71.

    Wollen Sie zwangsumsiedeln? Hoffentlich nicht. Wohnraum als Wirtschafts-Spielball, das ist das Problem. Sonst würden die Menschen teils öfter umziehen, ihren sich ändernden Lebensbedingungen angepasst. Geht aber nicht mehr, zu teuer. Bravo!

    Bitte "nach oben" schauen, wie die Dinge eingerichtet werden, und nicht nach links o. rechts o. unten treten. Dann können wir auch friedlich und gemeinsam wieder Wege finden.

  15. 70.

    Nein, nicht immer mehr Menschen für immer mehr alte Menschen, nur um ein System zu erhalten, das mit Überalterung nicht funktioniert: das Rentensystem. Es muss grundlegend erneuert werden, saniert, nicht renoviert! Ein anderes System!

    Bzgl. Zuzug heißt es auch seitens der Politik: die WIRTSCHAFT verlange sie, aha.

  16. 69.

    "Wann wacht ihr auf und merkt"
    Ach Mensch, ich habe auf den falschen Kommentator Bezug genommen, oh Mist, ich muss irgendwie verrutscht sein, sorry [Fred], der Inhalt ist von dem Kommentar von [Eric], es tut mir sehr leid.

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