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Quelle: imago images/S.Gudath

"MeckAach" in Charlottenburg-Wilmersdorf

Ein Haus in Wilmersdorf zeigt, wie paradox das Vorkaufsrecht aktuell ist

Will ein Bezirk das Vorkaufsrecht nutzen, muss die Immobilie einen erhöhten Sanierungsbedarf haben. Doch ein aktueller Fall zeigt, dass niemand die Kosten dafür tragen kann und will. So wird das Gesetz zum Schutz vor Verdrängung wirkungslos. Von Jenny Barke und Linh Tran

Das Mietshaus in der Mecklenburgische Ecke Aachener Straße in Berlin-Wilmersdorf ist "von außen pfui und von innen hui", so beschreiben es die etwa 60 hier lebenden Mieterinnen und Mieter. Will heißen: Von dem Eckhaus bröckelt zwar sichtbar der Putz und die Fassade ist brüchig, doch die Hausgemeinschaft im Inneren hält zusammen.

Die vergangenen drei Monate haben sie nochmal näher rücken lassen. Gemeinsam veranstalten sie Demonstrationen, stehen im engen Austausch mit dem Bezirk, wälzen Gesetzestexte. Vor drei Monaten hat ein privater Investor ihr Haus gekauft. Er könnte das Haus teuer sanieren und modernisieren, befürchten sie. Denn die Immobilienfirma des Investors habe in der Vergangenheit oftmals aufgekaufte Objekte luxussaniert.

Vor den damit verbundenen Mietsteigerungen haben sie Angst, denn viele Bewohner haben nur geringe Einkommen oder Renten. Neuen Wohnraum würden wohl nur die wenigsten im Bezirk finden, denn Charlottenburg-Wilmersdorf hat die höchsten Mieten in Berlin.

Deshalb hoffen sie auf das Vorkaufsrecht des Bezirks. Doch das wird in seiner jetzigen Form scheitern, künftig wohl auch oft anderswo. Das Beispiel zeigt, warum.

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Die Bewohner:innen

Emil Schubart ist in Berlin geboren und nur fünf Minuten mit dem Rad entfernt aufgewachsen. Seit fünf Jahren wohnt der 25-Jährige in der "MeckAach", wie das Haus von seinen Bewohnern liebevoll genannt wird, in einer 3er-WG. Für ihn sei das ein ganz besonderes Haus. Nicht nur, weil er hier in seine erste eigene Wohnung gezogen ist, sondern weil die Hausgemeinschaft zusammenhalte, sagt Schubart.

Er erzählt von einem freundlichen Miteinander, von gemeinsamen Abenden im Hof und von Bewohner:innen, die schon viel länger dort leben als er. "Ein super Beispiel ist Jörg, der seit über 40 Jahren hier wohnt". Er sei damals in eine Wohnung gezogen, die kein Waschbecken, keine Badewanne, keine Dusche hatte und hätte dann alles selbst eingebaut.

Unter den 60 Mieterinnen und Mietern sind einige, die ihr ganzes Leben in dem Haus wohnen. Einige sind chronisch krank oder schwerbehindert, andere als Studierende oder Rentner Geringverdiener. Auch eine Kiezkneipe, ein Imbiss und eine Firma mieten Räumlichkeiten in dem Objekt.

"In den letzten vier Jahren hat sicher drei- oder viermal der Eigentümer gewechselt und es wurde schon davor nicht viel gemacht am Haus", erzählt Schubart. Schon vorher war nach Angaben der Bewohner die Verwaltung schwierig.

Doch daran waren die Mieterinnen und Mieter gewohnt. "Die damaligen Eigentümer haben gerne Handwerker einziehen lassen", erzählt Emil Schubart. Nur so sei etwa die Sanierung der Hausflure zustande gekommen. "Alle Gewerke des Hauses haben sich zusammengesetzt, die haben keinerlei Stunden in Rechnung gestellt, sondern nur die Materialkosten."

Erstmals seit Urteil 2021

Bezirk Neukölln übt Vorkaufsrecht für Haus in der Weichselstraße aus

Der Käufer

Seit August bangen die 60 Bewohner:innen des Hauses um ihr Zuhause. Der gesamte Gebäudekomplex soll verkauft werden. Der Käufer ist Ronny Pifko, Mitbegründer der "BlueRock Group", ein Schweizer Immobilienunternehmen. Er habe das Objekt als Privatperson erworben, wie er auf rbb-Anfrage mitteilt. Auch am Grundstück Seestraße 110 in Wedding hat er Interesse angemeldet – ebenfalls ein Objekt, das unter das Vorkaufsrecht der Bezirke fällt.

Die "BlueRock Group" sei ein Unternehmen, dessen Geschäft es sei, Häuser so zu sanieren, dass die Miete erhöht wird, sagt Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Berliner Linksfraktion. Offiziell ist das Haus noch nicht in Pifkos Besitz, die Frist für das Vorkaufsrecht verstreicht jedoch am Mittwoch. Die Chancen, dass es noch greift, sehen schlecht aus.

Milieuschutzgebiet und Vorkaufsrecht der "MeckAach"

Erst im März dieses Jahres wurde das Areal um den "Brabanter Platz", in dem das betroffene Eckhaus steht, als soziales Erhaltungsgebiet eingestuft und gehört damit zu einem von zwei Milieuschutz-Gebieten in Charlottenburg-Wilmersdorf, die 2023 hinzugekommen sind [berlin.de]

Milieuschutz-Gebiete sollen unter anderem dafür sorgen, dass die Zusammensetzung der Nachbarschaft erhalten wird und Menschen nicht verdrängt werden. Genau aus diesem Grund greift hier das gesetzliche Vorkaufsrecht der Bezirke: Sie können innerhalb einer Frist von drei Monaten das Vorkaufsrecht ausüben.

Das CDU-geführte Stadtentwicklungsamt Charlottenburg-Wilmersdorf bringt das Vorkaufsrecht für die "MeckAach" auch voran, die Bezirksverordnetenversammlung unterstützt das Anliegen am 19. Oktober [berlin.de].

Nach Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Vorkaufsrecht wurde 2022 in Berlin nicht mehr angewendet

Vorkaufsrecht seit 2021 erschwert

Das Vorkaufsrecht hätte durchaus erfolgreich wahrgenommen werden können, auch wenn die Bedingungen inzwischen erschwert sind. Denn seit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom November 2021 muss ein Haus für das Vorkaufsrecht einen erhöhten Sanierungsbedarf haben. Im gesamten vorigen Jahr wurde das Vorkaufsrecht in Berlin unter anderem deshalb nicht angewendet. Im September 2023 wurde erstmals seit langem wieder ein Haus per Vorkaufsrecht gesichert, in der Neuköllner Weichselstraße.

Doch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts macht es schwer, das Vorkaufsrecht in Berlin noch anzuwenden. Denn nur noch wenige Häuser zeigen überhaupt den notwendigen erhöhten Sanierungsbedarf auf. "Problemimmobilien" müssten es sein.

Und selbst wenn eine Immobilie ins Raster fällt, ist das Vorkaufsrecht noch nicht gesichert. Im Fall des Objekts in der Mecklenburgische/Aachener Straße ist das Haus begutachtet und der Sanierungsbedarf als hoch eingeschätzt worden. Der Bezirk hat das Recht des Vorkaufs, kann aber selbst die Kosten des Kaufs nicht decken. Deshalb braucht er nun einen Dritten, dem er die Immobilie verkaufen kann. In Frage kommt dafür zum Beispiel eine der sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder eine private Stiftung.

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Das Paradoxon

Interessiert zeigte sich die landeseigene Wohnungsgesellschaft Gesobau. 6,5 Millionen Euro soll der Kauf kosten. Hinzu kommen jedoch die durch den erhöhten Sanierungsbedarf entstehenden Kosten. Der Senat könnte dafür Zuschüsse gewähren, 4,5 Millionen Euro hätte die Gesobau dafür benötigt. Doch der Senat erteilt der Bitte um Zuschuss eine Absage: zu teuer.

Ein Sprecher der Senatsverwaltung für Finanzen antwortet auf Anfrage von rbb|24, dass der erforderliche Zuschuss aufgrund des hohen Kaufpreises und der nötigen Sanierungskosten die Zuschussgrenzen "in so erheblichen Maße" überschreite und das wirtschaftlich nicht gegeben sei. "Der erforderliche Zuschussbedarf lag in diesem Fall bei rund 67 Prozent des Kaufpreises", heißt es weiter.

Genau diese Widersprüchlichkeit lässt die Hausgemeinschaft Meckenburgische 89/Aachener Straße 1 verzweifeln. "Wir brauchen einen hohen Sanierungsbedarf, um es überhaupt juristisch möglich zu machen. Und jetzt wird argumentiert mit den hohen Kosten, dass es nicht möglich ist", so Schubart.

Senat hat kaum Geld für Vorkaufsrechte

In der Fragestunde der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses Mitte November macht Bausenator Christian Gaebler (SPD) zudem deutlich, dass er für die Deckung der Sanierungskosten künftiger Vorkaufsprojekte die Bezirke in der Veranwortung sieht, also "Auflagen für Instandsetzung und Sanierung für ordentliche Wohnverhältnisse geltend zu machen und dann auch durchzusetzen." Beim Fall der Immobilie "MeckAacH", so Gaebler weiter, gehe es inzwischen ganz grundsätzlich um die Frage, ob der Staat "für die Unterlassung privater Eigentümer in Haftung genommen wird und das Ganze dann ausgleichen soll mit Steuergeldern".

Dabei waren für Vorkäufe im Landeshaushalt eigentlich 70 Millionen Euro vorgesehen. Doch die sind nicht mehr verfügbar. Laut der Senatsverwaltung für Finanzen sollen 20,1 Millionen Euro bereits für Vorkaufsrechte ausgezahlt worden sein. Ausgegeben wahrscheinlich allein für die Immobilie in der Neuköllner Weichselstraße, da es sich um den einzigen erfolgreichen Vorkauf seit dem 2021er Urteil handelt. Die restlichen rund 49,9 Mio Euro seien bereits durch andere baurechtliche Finanzierungszusagen gebunden, teilt die Senatsverwaltung für Finanzen mit.

Karin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten von den Grünen, geht davon aus, dass das Geld zweckentfremdet wurde. "Es wäre genug Geld dagewesen, aber der Senat hat entschieden, das Geld anderweitig auszugeben." Dabei wäre wichtig, zu kommunizieren, dass es zu keinen weiteren Vorkaufsrechtssicherungen mehr kommen werde, so Schmidberger weiter. "Mieterschutz war nicht die höchste Priorität." Dabei hatten CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag [berlin.de] verankert, dass sie Vorkaufsrechte "unter Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeit und sparsamer Haushaltsführung" ausüben würden.

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Das gescheiterte Vorkaufsrecht

Die landeseigene Gesobau, die zunächst Interesse am Objekt "MeckAach" angemeldet hatte, hat das laut eigenen Angaben am 12. Oktober "vor dem Hintergrund der massiven Sanierungskosten und damit verbunden der fehlenden Wirtschaftlichkeit" wieder abgesagt. Die Mieterinnen und Mieter hofften die vergangenen Wochen noch auf einen weiteren Interessenten. Bisher ist jedoch keiner bekannt. Schmidberger hält es für unwahrscheinlich, dass sich noch bis zur ablaufenden Frist am Mittwoch jemand meldet.

Damit würde die Immobilie an den privaten Investor übergehen. Was danach passiert, darüber kann Mieter Emil Schubart nur spekulieren. "Es gibt ja verschiedene Taktiken, die Leute aus den Häusern zu bekommen. Ob es das Verwahrlosen lassen eines Hauses ist oder eine teure Sanierung, um die Leute rauszubekommen. In unserer Vorstellungskraft ist alles möglich."

Besonders teure Luxussanierungen werden mit der Lage im Millieuschutz-Gebiet wahrscheinlich erstmal nicht bewilligt werden. Die Mieter:innen seien damit trotzdem nicht geschützt, sagt Linken-Politiker Niklas Schenker. Es gebe ausreichend Spielraum, um dennoch mit einer mietpreistreibenden Modernisierung zu verdrängen.

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Die mögliche Zukunft der Immobilie

Auch Schmidberger befürchtet, dass der neue Investor die Mieterinnen und Mieter verdrängen könnte. Denn er sei "stadtbekannt für Aufwertung". Im Moment unterliegt er zwar im Milieuschutzgebiet dem Miet- und Baurecht, doch das könnte sich ändern. "Der Käufer könnte warten, um dann später, wenn es wieder rechtlich möglich wird, das Haus in Einzeleigentum aufzuteilen und wieder abzuverkaufen", so Schmidberger.

Zum Beispiel, indem er Eigenbedarfskündigungen ausspreche. Dann gebe es zwar ein zehnjähriges Mietsmoratorium, in der Zeit dürften die Mietenden noch wohnen bleiben. Aber selbst dann könne teuer modernisiert werden. "Es gibt da einige Szenarien und wir haben da viel erlebt."

Das Vorkaufsrecht wäre für Schubart und seine Hausgemeinschaft persönlich ein wichtiger Weg gewesen, dauerhaft im Haus zu bleiben. Aber auch für ganz Berlin sind Fälle wie in der Mecklenburgische Ecke Aachener Straße von enormer Bedeutung. "Neubau allein wird unserer Meinung nach nicht das Wohnproblem entschärfen", so Schubart. "Deshalb braucht es auch Investitionen in den Bestand, gerade hier in Charlottenburg-Wilmersdorf, wo der Mietspiegel mit am höchsten ist in Berlin."

Das Kämpfen der Mieterinnen und Mieter der "MeckAach" hat sich trotz anfänglicher Hoffnungen nicht gelohnt. Offiziell Post von ihrem neuen Käufer haben sie bisher nicht bekommen. Die erreicht sie wohl auch erst, wenn er die erste Mieterhöhung fordert, vermutet Emil Schubart.

Ändert sich nichts an der Berliner Finanz- und der Gesetzlage, wird das Vorkaufsrecht bei der Immobilie in Charlottenburg-Wilmersdorf womöglich nicht das letzte Mal scheitern.

Sendung: rbb24 Inforadio, 17.11.2023, 15:00 Uhr

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Beitrag von Jenny Barke und Linh Tran

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