Bauernproteste digital - Zügellose WhatsApp-Wut

Sa 13.01.24 | 09:20 Uhr | Von Max Ulrich
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Symbolbild: Finger tippt auf Bildschirm mit App Symbolen von Messenger-Diensten. (Quelle: dpa/Valentin Wolf)
Bild: dpa/Valentin Wolf

Die Brandenburger Bauern organisieren ihre Proteste auch bei WhatsApp. Die Gruppe von "Land schafft Verbindung" steht jedem offen. Auch unser Reporter Max Ulrich ist beigetreten und bekam neben Infos zu den Protesten auch Verschwörungen und rechte Memes. Von Max Ulrich

Julia hat einen Platten am Traktor und kann nicht mit zu Sternfahrt. Michael sucht noch jemanden, der die Auffahrt Bernau Süd Richtung Berlin blockiert. Sarah teilt eine Petition zum Rücktritt der Ampelregierung, Andreas einen Link zur ZDF-Mediathek, ZickeZacke will "keine GEZ zahlen", Und ein vermeintlich russischer LKW-Fahrer kündigt an, dass seine Landsleute per LKW auf dem Weg nach Deutschland sind.

Ich wollte als Reporter eigentlich nur herausfinden, an welchen Autobahnauffahrten die Bauernblockaden sind, und bin in der öffentlichen WhatsApp-Gruppe "Autobahnblockaden 2024" beigetreten.

Die Blockaden habe ich mit Hilfe der Gruppe gefunden. Aber auch tiefe Einblick in die Gemütslage der Protestierenden.

Blockierte Auffahrten, Rush-Hour in der WhatsApp-Gruppe

Der zweite Protesttag. Andre eröffnet den Chat: "Ein Freund von mir arbeitet in einem Bundesministerium in Berlin und hat direkten Kontakt mit der Ministerin und Staatssekretärin. Er sagt, die lachen sie sich kaputt über die Demos." Marcus antwortet "Das wird denen noch vergehen!" sieben Daumen nach oben. "Wer zuletzt lacht, lacht am besten" ergänzt Denny. Nochmal sieben Daumen.

"Bevor hier kein Hals im Strang hängt, ändert sich eh nichts... Der Deutsche ist leider noch zu genügsam, um eine Revolution zu starten. Etwas anzumelden ist eigentlich schon grundverkehrt", schreibt ein namenloser User. "Bevor keine Zähne fliegen, werden sie weiter über uns lachen" ein anderer.

Ich rufe Roland Straßberger vom Verein "Land schafft Verbindung" an. Er organisiert die Proteste in Brandenburg und hat zu diesem Zweck auch die WhatsApp-Gruppe erstellt. Er kann als einziger Admin der Gruppe Nachrichten löschen und Benutzer entfernen.

Screenshots aus einem öffentlichen Chat. (Quelle: rbb)Auszüge aus der WhatsApp-Gruppe.

"Ich versuche natürlich die Gruppe zu kontrollieren. Alles was rechtsradikal ist, schmeiß ich raus. Aber ich kann nicht pausenlos da reingucken, weil ich auch noch einen anderen Beruf habe." Straßberger sagt, er bräuchte eigentlich jemanden, der hauptberuflich jeden Post liest und kontrolliert. Und tatsächlich. Straßberger löscht einige extreme Posts, auch die "Hals im Strang"-Nachricht. Er selbst beteiligt sich aber nicht an der Diskussion in der Gruppe und moderiert sie auch nicht.

Schwarzweißrote Reichsflaggen unerwünscht

Eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge erscheint im WhatsApp-Chat. Ein rechtsextremes Erkennungszeichen. "Wäre echt gut, wenn die Fahne da nicht im Bild wäre" schreibt Marcus und kriegt prompt zwei Daumen nach oben. Er schiebt hinterher "Wir sollten tunlichst vermeiden, uns von Gegnern der Demokratie vereinnahmen zu lassen." Mehr Daumen.

Mit Nazisymbolen wollen einige hier tatsächlich nichts zu tun haben. Aber man kann sie in einer offenen Gruppe nicht verhindern.

Fast sekündlich vibriert mein Handy. Traktoren, Demoaufrufe, Fotos von Kinderbüchern und Links zu verschwörungstheoretischen Seiten. Es folgt ein kurzer Auszug aus dieser digitalen Anarchie.

Ricarda Langs Aussehen, 72 Geschlechter und "die Medien"

In einem kurzen Video des Nachrichtensenders Phoenix sieht man eine Pressekonferenz der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang. Sie spricht sich gegen eine völlige Rücknahme der Subventionskürzungen aus, nicht gerade Musik in den Ohren der Bauern. Doch um Inhalte geht es jetzt nicht. In der Gruppe wird sich über das Aussehen der Politikerin lustig gemacht. Garniert mit vor Lachen weinenden Emojis und Bildern von Elefanten.

Es geht weiter mit "Grüne Ideologie", eine vermeintliche Diskussion über "72 Geschlechter" in Deutschland und die mangelnde Unterstützung an der A20, Autobahnauffahrt Neukloster. Alles wird mit vielen Emojis und Ausrufezeichen in der Gruppe besprochen.

Ein Meme zeigt Traktoren vor dem Brandenburger Tor. Durch eine Brille betrachtet, auf der "ARD und ZDF" steht, wird aus der Szene ein Fackelmarsch der SA durch das hakenkreuzbehangene Brandenburger Tor. Das geht dann wohl in meine Richtung. Wir Medien würden die Bauern als Nazis brandmarken, diesen Vorwurf höre ich am Montag auch bei der Bauern-Demo vor der Brandenburger Staatskanzlei.

Trolle in der Bauernwelt

"Ich möchte die Menschen nicht in ihrem Diskussionseifer unterbrechen. Das ist eine freie Diskussion und ich will meinen Standpunkt niemandem oktroyieren." sagt Straßberger. Er erlebt die Stimmung bei den Bauern als "angespannt, eifrig, zornig und motiviert." Und er sorgt sich, dass rechte Trolle die aufgeheizte Stimmung ausnutzen. Auch in seiner WhatsApp-Gruppe.

"Ich finde es schade, dass dort auch andere Sachen geschrieben werden, dass WhatsApp-Gruppen missbraucht werden. Die rechten Trolle sollen in ihrer Welt leben und nicht in unserer."

Und deswegen macht Straßberger die WhatsApp-Welt der Bauern drei Minuten nach unserem Telefonat einfach zu und schließt die WhatsApp-Gruppe. Nur vier Tage hat sie existiert. Damit schließt sich ein Raum in dem es neben Wut und Fake-News auch Applaus gab für die gelungenen Blockaden, Danksagungen für Pizza- und Kaffeelieferungen an den Autobahnauffahrten, Hilfsangebote, Solidarität, Durchhaltewillen und Diskussionen.

Jetzt müssen die Bauern dafür eine neue Gruppe finden. Die Trolle werden ihnen wohl folgen.

Beitrag von Max Ulrich

84 Kommentare

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  1. 84.

    Glauben Sie, das wird noch was? "unsere Politiker mal die Frage stellen wo die Wut her kommt. " Zeit war ja schon zur genüge.

  2. 83.

    Wer heute eine offene Gruppe in Telegram oder WhatsApp erstellt, diese aber nicht konsequent moderiert,bietet mit jeder neuen Gruppe den Rechten ein Einfallstor für Propaganda.
    Das ist traurig,aber leider Realität.
    Da immer weniger reflektiert wird,was dort zu finden ist, ist dumpfes Nachplappern von Informationen an der Tagesordnung und damit leider auch die Verbreitung von rechtsradikalem Gedankengut.
    Nachdenken ist leider nicht gefragt..
    oder inzwischen, mangels Bildung, auch unmöglich..

  3. 82.

    Rechte Trolle kapern viele soziale Netzwerke ohne dass deren Betreiber ernsthaft etwas dagegen unternehmen wollen.

  4. 81.

    Es scheint schon wieder so: Jung vs. alt, Arm vs. Reich, Stadt vs. Land...
    Die Bauern wollen für ihre Arbeit bezahlt werden und keine 4 Tagewoche! Und wenn man diese Bezahlung als Subvention bezeichnet, dann ist das schon aus moralischen Gründen fraglich. Weil suggeriert wird, für das Nichtstun gibt es Geld. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Für das gleiche Geld soll immer mehr „abgeliefert“ werden.

  5. 80.

    Das alles Bio ist braucht und sagt auch gar keiner.

    Bei nur 30% der Fläche Landwirtschaft zum menschlichen Verzehr ist genug Luft nach oben für die Weltbevölkerung.

  6. 79.

    Andere Thesen sagen eben, dass man NUR mit ökologischer Landwirtschaft langfristig alle Menschen auf der Welt ernähren kann - weil Düngung und Pflanzenschutz nur mit nachhaltigen Mitteln auf Dauer funktionieren können. Klingt für mich logisch. Ein viel wichtigerer Hebel bzgl der Ernährung der Welt ist aus meiner Sicht die Reduzierung des Fleischkonsums in den reichen Ländern, weil für 1 kg Fleisch 3 bis 7 kg pflanzliche Nahrung investiert werden müssen. Ein weiterer Hebel wäre die viel gezieltere Vermeidung des Wegwerfens von Lebensmitteln.

  7. 78.

    Auch wenn ich grundsätzlich Fan von Nachhaltigkeit bin und langfristig fossile Energieträger falsch finde, halte ich Diesel in der Landwirtschaft bisher für nicht ersetzbar - egal ob in einer ökologischen oder in einer konventionellen Landwirtschaft. Wie der Diesel finanziert wird, ist dann nochmal eine andere Frage, an der die aktuelle Debatte sich ja entzündet. Aber leider wird er in absehbarer Zukunft m.E. noch gebraucht.

  8. 77.

    Ich sehe, Sie kennen sich aus;-). Ich musste gerade herzhaft lachen. Sie schreiben etwas über ein hochkomplexes Finanzprodukt, welches Sie nicht verstehen und von dem nicht einmal alle Politiker wissen, warum es überhaupt eingeführt wurde. Leider reichen 1.000 Zeichen nicht aus, es Ihnen zu erklären. Ich empfehle Ihnen daher zu einem Berater oder einer Beraterin Ihres Vertrauens zu gehen und sich „Licht ans Fahrrad“ machen zu lassen. Dann werden Sie sehen, dass Riester nicht für jeden passt, aber für viele. Und da ist es alles, aber sicher kein Rohrkrepierer. Und Sie wissen, wieviel ich daran verdiene, wenn ich Riester vermittele, jahrelang in der Stornohaftung bin und den Vertrag dazu noch jahrelang betreue? Sie wissen auch, dass aufgrund der ausbleibenden Reformen, die lange gefordert werden, nur noch sehr wenige Versicherer Riester anbieten? Nein, Sie wissen nichts. Sie bocken nur. Das erkenne ich an Ihrem Beitrag.

  9. 76.

    Nervös werden wahrscheinlich nur Sie in Ihrer Blase, wenn vielleicht einer eine andere Meinung hat. Eine ohne Hass und Hetze und mit Vernunft.

  10. 75.

    Wenn Sie eine klare Meinung behalten wollen, einfach mal den überflüssigen Müll abschalten und im echten Leben klar und verantwortungsvoll denken und argumentieren. Das Netz raubt Lebenszeit und ödet jedes freie Denken in den Innenräumen der Blasen ein wie in Sekten. Jeder will immer mehr vom eigenen Denken von anderen bestätigt wissen und oft ohne Hinterfragen und Verstehen und dann der Entzug, wenn man mal nicht die eigene Meinung wie ein Echo hört, furchtbar, gell.

  11. 74.

    "weil wir als Gesellschaft Teile der Natur besonders schützen und bewahren wollen, dann müssen wir diese Einschränkungen auch mit Subventionen ausgleichen"
    Gut aber warum wird dann das Verbrennen von Diesel subventioniert und warum bestehen die Landwirte so sehr darauf?
    Diesel verbrennen steht ja diametral zu "Teile der Natur besonders schützen und bewahren". Warum sollte man das also subventionieren?
    Hochwertige landwirtschaftliche Produkte, Hilfen bei Einsatz umweltfreundlicherer oder energiesparender Technologien. Es gibt so viele Möglichkeiten der Landwirtschaft unter die Arme zu greifen. Aber billiges Diesel zum verbrennen fordern ist absolut nicht mehr zeitgemäß.

  12. 73.

    Prima, dass es die sozialen Netzwerke gibt, damit nicht nur einer die Deutungshoheit missbraucht.

  13. 72.

    Dafür gibt es ja genügend Vorschriften, was ja auch richtig ist. Allein aus Kostengründen sind Bauern schon daran interessiert, Pflanzenschutzmittel so sparsam wie möglich einzusetzen. Aber wenn die Ernte gerettet werden muss, dann bleibt denen nichts anderes übrig. Mit Bio-Landwirtschaft ist die Bevölkerung weltweit leider nicht zu ernähren. Wir alle sind damit verwöhnt, immer genügend Lebensmittel zur Verfügung zu haben und keinen Hunger mehr leiden zu müssen. Das fällt alles nicht vom Himmel und wenn Landwirte Einschränkungen hinnehmen müssen, weil wir als Gesellschaft Teile der Natur besonders schützen und bewahren wollen, dann müssen wir diese Einschränkungen auch mit Subventionen ausgleichen, wenn unsere Landwirtschaft langfristig überleben und die Versorgung sichern soll.

  14. 71.

    Natürlich, weil die Versicherer mit den Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes rechnen, ist die Riesterrente auch so extrem ertragreich, nicht. Ohne die Steuerzuschüsse ist dieser Rohrkrepierer ein dickes Minusgeschäft. Aber als Versicherungsmakler leben Sie natürlich gut davon.

  15. 70.

    Es gab die letzten Tage ja auch durchaus die Stimmen der Bsuern, die sich nicht beteiligen an den Protesten. Direktvermarkter, Bioladen, Kleinbauern, Milchbauern,...war einiges dabei, nur keine Großindustriellen....

    Der Milchbauer sagte zb klar, dass es ihm zu schaffen macht, er bringt die Milch zu Molkerei und bekommt hinterher gesagt wieviel Cent er pro Liter bekommt.

    Das ist schon krass unfair, da versagt die Marktwirtschaft. Der wünschte sich zb, dass der Staat langfristige Verträge vorschreibt mit festen Preisen. Wäre das nicht eigentlich Aufgabe eines Milchbauernverbandes? Statt für Subventionen zu demonstrieren?

  16. 69.

    Die Amigo cSU hat oft genug bewiesen, dass es denen nicht um kleine Landwirte geht, das sind bezahlte Lobbyisten der Lebensmittelindustrie. Das fing schon unter Strauss an. Wer hat der DDR noch ein paar weitere Jahre und ein paar Miilirden beschert? Was gab es für seine Amigos dafür zum Ausgleich? Unter anderem billiges Schweinefleisch zum Schaden der eigenen Bauern.

    Den Vogel aber hat Klöckner mit ihren Werbeauftritt als Lobbyistin von Nestle abgeschossen, so frech hat sich nicht mal ein cSU Minister getraut öffentlich zu zeigen auf wessen Gehaltsliste er steht.

    Da hatte man noch soviel "Anstand" das zu vertuschen.

  17. 67.
    Antwort auf [Wossi ] vom 13.01.2024 um 20:07

    Auch wegen diverser Trittbrettfahrer ist es wirklich gar nicht so leicht zu erkennen, was die protestierenden Bauern konkret wollen. Meines Erachtens fordern sie jedoch nach wie vor hauptsächlich die Beibehaltung der Steuer-Rückerstattung auf Agrardiesel. Das kann man schon als Subvention bezeichnen, ohne dass dies eine Wertung darstellt. - Interessanter Weise aber scheinen die protestierenden Bauern eben genau keine gerechtere Bezahlung durch ihre Abnehmer zu fordern, sondern wollen, dass potenzielle Defizite fiskalisch ausgeglichen werden. - Auch scheinen sie keine Hilfen für eine naturnähere und tierfreundlichere Landwirtschaft zu fordern. Vielmehr wollen sie offenbar eine Reduzierung von entsprechenden Auflagen erreichen. Seltsam.

  18. 66.

    Wenn wenn die staatlichen Verlautbarungen nicht mehr beachtet werden und sich private Chatgruppen bilden, werden gewisse Kreise nervös. Mal sehen, was den fraglichen Personen noch einfällt, bevor die ersten Landtagswahlkämpfe beginnen. Nicht dass in Sachsen, Brandenburg und Thüringen plötzlich das Internet ausfällt.

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