Bauernproteste digital - Zügellose WhatsApp-Wut
Die Brandenburger Bauern organisieren ihre Proteste auch bei WhatsApp. Die Gruppe von "Land schafft Verbindung" steht jedem offen. Auch unser Reporter Max Ulrich ist beigetreten und bekam neben Infos zu den Protesten auch Verschwörungen und rechte Memes. Von Max Ulrich
Julia hat einen Platten am Traktor und kann nicht mit zu Sternfahrt. Michael sucht noch jemanden, der die Auffahrt Bernau Süd Richtung Berlin blockiert. Sarah teilt eine Petition zum Rücktritt der Ampelregierung, Andreas einen Link zur ZDF-Mediathek, ZickeZacke will "keine GEZ zahlen", Und ein vermeintlich russischer LKW-Fahrer kündigt an, dass seine Landsleute per LKW auf dem Weg nach Deutschland sind.
Ich wollte als Reporter eigentlich nur herausfinden, an welchen Autobahnauffahrten die Bauernblockaden sind, und bin in der öffentlichen WhatsApp-Gruppe "Autobahnblockaden 2024" beigetreten.
Die Blockaden habe ich mit Hilfe der Gruppe gefunden. Aber auch tiefe Einblick in die Gemütslage der Protestierenden.
Blockierte Auffahrten, Rush-Hour in der WhatsApp-Gruppe
Der zweite Protesttag. Andre eröffnet den Chat: "Ein Freund von mir arbeitet in einem Bundesministerium in Berlin und hat direkten Kontakt mit der Ministerin und Staatssekretärin. Er sagt, die lachen sie sich kaputt über die Demos." Marcus antwortet "Das wird denen noch vergehen!" sieben Daumen nach oben. "Wer zuletzt lacht, lacht am besten" ergänzt Denny. Nochmal sieben Daumen.
"Bevor hier kein Hals im Strang hängt, ändert sich eh nichts... Der Deutsche ist leider noch zu genügsam, um eine Revolution zu starten. Etwas anzumelden ist eigentlich schon grundverkehrt", schreibt ein namenloser User. "Bevor keine Zähne fliegen, werden sie weiter über uns lachen" ein anderer.
Ich rufe Roland Straßberger vom Verein "Land schafft Verbindung" an. Er organisiert die Proteste in Brandenburg und hat zu diesem Zweck auch die WhatsApp-Gruppe erstellt. Er kann als einziger Admin der Gruppe Nachrichten löschen und Benutzer entfernen.
"Ich versuche natürlich die Gruppe zu kontrollieren. Alles was rechtsradikal ist, schmeiß ich raus. Aber ich kann nicht pausenlos da reingucken, weil ich auch noch einen anderen Beruf habe." Straßberger sagt, er bräuchte eigentlich jemanden, der hauptberuflich jeden Post liest und kontrolliert. Und tatsächlich. Straßberger löscht einige extreme Posts, auch die "Hals im Strang"-Nachricht. Er selbst beteiligt sich aber nicht an der Diskussion in der Gruppe und moderiert sie auch nicht.
Schwarzweißrote Reichsflaggen unerwünscht
Eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge erscheint im WhatsApp-Chat. Ein rechtsextremes Erkennungszeichen. "Wäre echt gut, wenn die Fahne da nicht im Bild wäre" schreibt Marcus und kriegt prompt zwei Daumen nach oben. Er schiebt hinterher "Wir sollten tunlichst vermeiden, uns von Gegnern der Demokratie vereinnahmen zu lassen." Mehr Daumen.
Mit Nazisymbolen wollen einige hier tatsächlich nichts zu tun haben. Aber man kann sie in einer offenen Gruppe nicht verhindern.
Fast sekündlich vibriert mein Handy. Traktoren, Demoaufrufe, Fotos von Kinderbüchern und Links zu verschwörungstheoretischen Seiten. Es folgt ein kurzer Auszug aus dieser digitalen Anarchie.
Ricarda Langs Aussehen, 72 Geschlechter und "die Medien"
In einem kurzen Video des Nachrichtensenders Phoenix sieht man eine Pressekonferenz der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang. Sie spricht sich gegen eine völlige Rücknahme der Subventionskürzungen aus, nicht gerade Musik in den Ohren der Bauern. Doch um Inhalte geht es jetzt nicht. In der Gruppe wird sich über das Aussehen der Politikerin lustig gemacht. Garniert mit vor Lachen weinenden Emojis und Bildern von Elefanten.
Es geht weiter mit "Grüne Ideologie", eine vermeintliche Diskussion über "72 Geschlechter" in Deutschland und die mangelnde Unterstützung an der A20, Autobahnauffahrt Neukloster. Alles wird mit vielen Emojis und Ausrufezeichen in der Gruppe besprochen.
Ein Meme zeigt Traktoren vor dem Brandenburger Tor. Durch eine Brille betrachtet, auf der "ARD und ZDF" steht, wird aus der Szene ein Fackelmarsch der SA durch das hakenkreuzbehangene Brandenburger Tor. Das geht dann wohl in meine Richtung. Wir Medien würden die Bauern als Nazis brandmarken, diesen Vorwurf höre ich am Montag auch bei der Bauern-Demo vor der Brandenburger Staatskanzlei.
Trolle in der Bauernwelt
"Ich möchte die Menschen nicht in ihrem Diskussionseifer unterbrechen. Das ist eine freie Diskussion und ich will meinen Standpunkt niemandem oktroyieren." sagt Straßberger. Er erlebt die Stimmung bei den Bauern als "angespannt, eifrig, zornig und motiviert." Und er sorgt sich, dass rechte Trolle die aufgeheizte Stimmung ausnutzen. Auch in seiner WhatsApp-Gruppe.
"Ich finde es schade, dass dort auch andere Sachen geschrieben werden, dass WhatsApp-Gruppen missbraucht werden. Die rechten Trolle sollen in ihrer Welt leben und nicht in unserer."
Und deswegen macht Straßberger die WhatsApp-Welt der Bauern drei Minuten nach unserem Telefonat einfach zu und schließt die WhatsApp-Gruppe. Nur vier Tage hat sie existiert. Damit schließt sich ein Raum in dem es neben Wut und Fake-News auch Applaus gab für die gelungenen Blockaden, Danksagungen für Pizza- und Kaffeelieferungen an den Autobahnauffahrten, Hilfsangebote, Solidarität, Durchhaltewillen und Diskussionen.
Jetzt müssen die Bauern dafür eine neue Gruppe finden. Die Trolle werden ihnen wohl folgen.