Teilwiederholung der Bundestagswahl - Ein "gespenstischer" Wahlkampf geht zu Ende
Es ist eine etwas bizarre Abstimmung. In einem Berliner Bezirk – Pankow – dürfen fast alle nochmal an die Urnen. In anderen dagegen fast niemand. Trotzdem geht es um was bei dieser Teilwiederholungswahl zum Bundestag in Berlin. Von Angela Ulrich
Robert Habeck muss auf der Bühne des Colosseum-Kinos in Berlin-Pankow selbst ein bisschen grinsen. Und sich gleich verbessern. Von einem "Mini-Bundestagswahlkampf, den wir hier gerade in Berlin üben", hat der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister gesprochen – und dafür Lacher, vereinzelt aber auch Buh-Rufe aus dem Publikum geerntet. Habeck korrigiert lächelnd: "Es ist ein Riesen-Wahlkampf für Berlin und Pankow, und für Stefan Gelbhaar, der räumt das Ding ab."
Kurz vor der Teilwiederholung der Bundestagswahl am Sonntag in Berlin haben die Grünen sich zu ihrem "Wahlkampfhöhepunkt" in einem Kinosaal versammelt. Tiefe grüne Plüsch-Sessel, Gratis-Popcorn, rund drei Viertel der 525 Sitze sind besetzt. Der Vizekanzler zieht – und auch der Wunsch der Grünen, sich nochmal Mut zuzusprechen. Habeck beschwört Zusammenhalt, und dass es um Dialog und Problemlösungen gehe. Und darum, "dieses Land stabil in der Demokratie zu halten" – dafür stehen die Grünen, sagt Habeck, und erntet langen Applaus.
Kein Selbstläufer für den Grünen Stefan Gelbhaar
Für den Direktkandidaten der Grünen in Pankow, Stefan Gelbhaar, könnte es trotzdem knapp werden. Gelbhaar hatte 2021 das Direktmandat dort gewonnen, mit einem Vorsprung von nur gut 7.000 Stimmen vor Klaus Mindrup von der SPD. Weil der Bundestrend in den Meinungsumfragen gerade für die CDU spricht, könnte auch die Dritte im Bunde, Manuela Anders-Granitzki, noch eine Rolle spielen.
Rund 200.000 Pankowerinnen und Pankower sind nochmal an die Urnen gerufen, das sind 85 Prozent der Wahlberechtigten. Gelbhaar hat zuletzt bei Wind und Regen Wahlkampf gemacht in Pankow, Flyer mit seinem Konterfei verteilt, versucht, mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Er schaut nicht gerade begeistert auf den kommenden Sonntag: "Okay, es gibt Konkurrenz, ich kann es mir nicht aussuchen, also kämpfe ich um jede Stimme."
Ähnlich geht es SPD-Herausforderer Klaus Mindrup. Acht Jahre saß der 59-Jährige für Pankow im Bundestag, 2021 flog er raus. Und jetzt hat er mit dem schlechten Ruf der SPD zu kämpfen. "Schade, dass die SPD so tief gesunken ist", sagt ein Pankower mit Bart und Pudelmütze, als Mindrup ihm einen Flyer in die Hand drücken will. Immer habe er die SPD gewählt – jetzt nicht mehr. Auch von anderen hört Mindrup viel Kritik am Kanzler, an der Ampel-Regierung. "Ihr müsst wieder Arbeiter-Partei werden", fordert ein Mann. Mindrup ist trotzdem optimistisch: "Bei den gültigen Wahlbezirken in Pankow, die ja nicht wiederholt werden, habe ich fast doppelt so viele Stimmen wie meine Mitbewerber. Und die Stimmung ist gut. Ich habe gute Chancen."
Wahlkampf mit Gummibärchen und Gratis-Pommes
Auch Monika Grütters macht Wahlkampf. Im eisigen Wind von Reinickendorf sollen Schoko-Lollis und Gummibärchen helfen. Die ehemalige CDU-Kulturstaatsministerin im Bundestag hatte ihr Direktmandat dort 2021 noch knapper gewonnen als der Grüne Gelbhaar seines in Pankow, mit nur rund 1.800 Stimmen Vorsprung vor Torsten Einstmann von der SPD. Zwar spricht diesmal der Bundestrend eher wieder für Grütters, aber sie ist vorsichtig. Nennt den Wahlkampf "gespenstisch" – auch, weil man so viel erklären müsse. "Zum Beispiel, dass die Bundesregierung im Amt bleibt, auch wenn viele jetzt wieder oder zum ersten Mal CDU wählen." Die Leute zu mobilisieren sei eine echte Herausforderung.
Die Abgeordnete Grütters ist zwar deutlich bekannter als Torsten Einstmann – der rechnet sich aber trotzdem Chancen aus: "Wenn ich der Underdog wäre, hätte es beim letzten Mal nicht nur 1.800 Stimmen Unterschied gegeben", sagt der SPD-Mann selbstbewusst. Er sei immerhin aus Reinickendorf – Grütters nicht.
Beim CDU-Wahlkampfabschluss am Wittenbergplatz gibt es Gratis-Pommes und Currywurst für alle, die sich einen türkisfarbenen CDU-Schal umbinden. Generalsekretär Carsten Linnemann von der Bundes-CDU ist gekommen, der Regierende Bürgermeister auch. Ein weißbärtiger Mann schimpft über die Regierung, sowohl im Bund, als auch im Land. Kai Wegner hat hingegen eine "gute Stimmung" im Wahlkampf ausgemacht, und betont, dass die Wahl auch "eine Chance" sei für Berlinerinnen und Berliner, "deutlich zu machen, wie wichtig Demokratie ist. Und dass wir Rechtsextremen keinen Platz geben wollen".
AfD hat in der ganzen Stadt plakatiert
Die AfD hat bei dieser Teil-Wiederholungswahl besonders umfangreich plakatiert, und dazu teilweise alte Plakate von 2021 wieder hervorgeholt. Häufig würden welche abgerissen, beklagt AfD-Kandidat Götz Frömming, als er in Französisch-Buchholz unterwegs ist. Ein Autofahrer fährt hupend an Frömming vorbei. "Das war Zustimmung, das sehe ich am Kennzeichen aus Brandenburg", sagt der und grinst. Von Gegenwind für die AfD nach den Enthüllungen um das Treffen mit Rechtsextremen in Potsdam will Frömming nichts spüren: "Das spielt erstaunlicherweise im Straßenwahlkampf keine große Rolle. Ich glaube viele Bürger durchschauen dieses Staatsschauspiel sehr gut", erklärt der AfD-Politiker, und meint damit die Großdemonstrationen gegen Rechtsextreme und die AfD.
Linken-Parteichef Maximilian Schirmer ist währenddessen in Pankow im Haustürwahlkampf unterwegs. Teilweise machen Bewohner gar nicht erst auf, wenn sie hören, für welche Partei Schirmer unterwegs ist. Trotzdem sieht er eine Chance in diesem Wahlkampf: "Das ist eine Möglichkeit, Verantwortung für die Demokratie zu übernehmen. Zu einem Zeitpunkt, wo in Geheimtreffen antidemokratische Kräfte konspirativ gucken, wie sie an der Demokratie das Beil anlegen können, müssen jetzt alle Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen."
Götz Frömming von der AfD muss, wie Politiker anderer Parteien auch, um seinen Wiedereinzug in den Bundestag fürchten. Wenn die Wahlbeteiligung bei dieser Teil-Wiederholungswahl deutlich niedriger wäre als 2021, würde Berlin mit weniger Abgeordneten als bisher im Bundestag präsent sein. Derzeit sind es 29. Ihre Briefwahlunterlagen haben jedenfalls weniger Bürgerinnen und Bürger beantragt als 2021: aktuell rund 27 Prozent, verglichen mit 35 Prozent damals.
Landeswahlleiter und Bezirke sind gerüstet
Auch für Kandidierende anderer Parteien auf den hinteren Listenplätzen könnte es eng werden: beispielsweise für Grünen-Landeschefin Nina Stahr, die frühere SPD-Staatssekretärin Ana-Maria Trasnea oder den Linken Pascal Meiser. Auch die Berliner CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein könnte rausfallen, gibt sich aber beim Wahlkampfabschluss am Wittenbergplatz optimistisch: "Ich habe eine gute Stimmung auf der Straße ausgemacht", sagt sie – und ein gewisses Risiko gebe es für Politiker eben immer, das Mandat zu verlieren.
Geht zur Wahl! – das ist der Appell von Berlins Landeswahlleiter. Denn auch, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag nicht ändern werden, für das Gewicht Berlins im Bund sei eine gute Wahlbeteiligung eben wichtig, sagt Stephan Bröchler unermüdlich. Außerdem könne so das Wahldebakel von 2021 "geheilt" werden. Der Landeswahlleiter und auch die Bezirke sind jedenfalls gut gerüstet: Ausreichend Wahlhelfende sind am Start, und genug Stimmzettel vorrätig.