Hertha mit Dardai in Frankfurt - "Der Einzige, der verlieren kann, bin ich"
Pal Dardai muss angeschlagene Hertha-Spieler aufbauen und am besten gleich punkten bei Eintracht Frankfurt, dem Bundesliga-Team der Stunde. Sein Rezept: Die Mannschaft loben, Lockerheit demonstrieren - und sich selbst in die Schusslinie stellen. Von Dennis Wiese
Er ist wieder da: Pal Dardai. Mit 286 Spielen Herthas Rekordkicker in der Bundesliga. Der Mittelfeldkämpfer stieg mit Hertha einst ins Oberhaus auf, prägte die erfolgreichste Zeit des Clubs um die Jahrtausendwende: Siege in der Champions League gegen den FC Chelsea und den AC Mailand inklusive.
2010 machte Dardai sein letztes Bundesligaspiel in Blau-Weiß, trainierte erfolgreich den Nachwuchs des Vereins, ehe er im Februar 2015 für den entlassenen Jos Luhukay einsprang. Auch Dardais erster Job als Profitrainer wurde wieder ein Erfolg: Zunächst gelang die wichtige Mission Klassenerhalt. Dann sorgte der Ungar für die lang ersehnte Konstanz auf Herthas Trainerbank, führte die Mannschaft innerhalb von viereinhalb Jahren zwei Mal in die Top 10. Dann hatte man sich auseinandergelebt, man war "müde geworden", wie Dardai bei seiner erneuten Vorstellung sagte. Hertha wollte hoch hinaus, ist in den anderthalb Jahren ohne Dardai aber krachend gescheitert.
Kein Kommentar zu einer möglichen Punkteklausel
Nun soll eine der prägenden Hertha-Figuren der letzten 25 Jahre den Scherbenhaufen zusammenkehren und daraus eine Mannschaft machen, die in der Bundesliga bleibt und auch das Potential abruft, das viele in ihr sehen. Wie der "Kicker" berichtet, soll Dardai eine Punkteklausel im Vertrag haben. Nur wenn Dardai im Schnitt rund 1,5 Punkte pro Spiel holt (das wären bis Saisonende 24 Punkte), solle sich der Vertrag über das Saisonende hinaus verlängern. Als Dardai auf der Pressekonferenz am Donnerstag danach gefragt wurde, unterbrach Sportdirektor Arne Friedrich und ruderte zurück. Der Vertrag mit Dardai sei bis 2022 angeschlossen worden. Zu Vertragsdetails wolle man sich nicht äußern.
Das Personal
Er werde mit sehr vielen Angreifern spielen, verkündete Pal Dardai bei der Pressekonferenz am Donnerstagmittag. Anders als in seiner ersten Amtszeit als Hertha-Trainer (2015 bis 2019) habe er jetzt sehr viel offensive Qualität in der Mannschaft - die wolle er auch ausleben. Gegen ebenso angriffslustige Frankfurter wolle er auf offenes Umschaltspiel setzen, warum nicht 5:4 oder 6:5 gewinnen, so Dardai mit einem breiten Grinsen.
Wieviel Risiko der Trainer bei seinem erneuten Hertha-Debut gehen will, wird sich wohl erst am Samstagnachmittag (30.01., 15.30 Uhr) in Frankfurt zeigen.
Es fehlen: Dedryck Boyata (Fußverletzung) und Javairo Dilrosun (Knieverletzung).
Die Form
Die Form führte vor wenigen Tagen dazu, dass Trainer Bruno Labbadia und Manager Michael Preetz ihre Jobs verloren. Sieben Mal spielte Hertha zuletzt gegen Mannschaften, die in der Tabelle schlechter oder (Freiburg und Bremen) einen Platz besser dastanden - nur eines dieser Spiele konnte Hertha gewinnen. Gegen Hoffenheim (0:3) und Werder (1:4) setzte es zudem zwei heftige Heimpleiten innerhalb weniger Tage.
"Ich bin kein Zauberer", sagte Neu-Trainer Pal Dardai bei seiner Vorstellung am Dienstag. Und doch soll der Trainerwechsel den dringend benötigten Impuls bringen. Nach den ersten Eindrücken gab es am Donnerstag nur lobende Worte: Sportdirektor Friedrich, der sehr nah an der Mannschaft dran sei, verspürt eine "Aufbruchstimmung", es gehe "ein Ruck durch die Mannschaft". Auch Dardai zeigt sich überaus angetan: Nichts von dem, was er über die Mannschaft gelesen habe, würde zutreffen: "Die Stärke der Mannschaft ist die Arbeitsmoral. Alle sind motiviert."
Selbst der zuletzt aussortierte Dodi Lukebakio präsentiere sich in Bestform, so Dardai: "Ich habe gehört er ist faul, er will dies nicht machen, das nicht machen. Er läuft so schnell wie ein Känguru. Gestern habe ich ihn sogar im Kraftraum gesehen."
Eins wird klar: Dardai will seinen angeschlagenen Spielern den Druck nehmen, setzt auf Lockerheit. Und stellt sich selbst der Verantwortung: "Der Einzige, der verlieren kann, bin ich - imagemäßig. Das ist meine Sache, mein Stress. Die anderen sollen einfach funktionieren und ihre Individualität für das Team reinschmeißen."
Der Gegner
Fünf Spiele, dreizehn Punkte. Mit Blick auf die Formtabelle, also die Rangliste der vergangenen Partien, steht Eintracht Frankfurt in der Bundesliga ganz oben. Die Hessen haben Ruhe bewahrt, als sie in der Hinrunde zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember kein einziges Spiel gewinnen konnten. Das zahlt sich jetzt aus.
Zudem schlagen die Neuzugänge mal wieder ein: Stürmer André Silva kam für verschwindend geringe drei Millionen Euro vom AC Mailand, mischt nun mit bislang vierzehn Toren die Liga auf. Der frühere Nationalspieler Amin Younes, vom SSC Neapel ausgeliehen, belebt spürbar das Mittelfeld, und dann ist da noch Luka Jovic. Der kam vor dreieinhalb Jahren von Benfica Lissabon, traf in zwei Jahren für Frankfurt insgesamt 39 Mal und wurde dann, mit 40 Millionen Euro Gewinn, an Real Madrid verkauft. Weil Jovic sich dort nicht durchsetzen konnte, liehen die Frankfurter ihn Mitte Januar wieder aus. Bilanz seitdem: drei Spiele, drei Tore.
Es sind Transfers wie diese, die Frankfurts Manager Fredi Bobic seit Jahren erfolgreich abwickelt. Deshalb soll Bobic auch auf Herthas Wunschliste für einen Nachfolger von Ex-Manager Michael Preetz ganz oben stehen. Zudem hat Bobic einst mit Pal Dardai und dem jetzigen Sportdirektor Arne Friedrich zusammen für Hertha gespielt.
Die Aussichten
Vor ziemlich genau sechs Jahren, Anfang Februar 2015, übernahm Dardai schon einmal die akut abstiegsbedrohten Hertha-Profis. Im ersten Spiel gelang damals ein 2:0-Erfolg in Mainz. Nach 70 Minuten, so berichtete er heute, hätte er sich zu Manager Michael Preetz umgedreht und gefragt: "Was habt ihr mit der Mannschaft gemacht? Die können nicht mehr laufen." Kondition, Kraft, Kampf waren in der Folge immer Stärken der Dardai-Mannschaft. Geholfen habe ihm immer das gute Gefühl einer langen, intensiven Saisonvorbereitung.
Deshalb habe Dardai seiner Familie eigentlich versprochen, keine Trainerjobs in der laufenden Saison mehr anzunehmen. Für seine Hertha machte er nun eine Ausnahme. Im Jahr 2015 führte Dardai Hertha einst von Tabellenplatz siebzehn auf Rang 13.
Sendung: rbbUm6, 28.01.2021, 18 Uhr