Analyse | Sieg gegen Wolfsburg - Warum der Union-Höhenflug weitergeht

Mo 19.09.22 | 08:04 Uhr | Von Till Oppermann
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Sheraldo Becker von Union Berlin jubelt nach einem Tor (Quelle: imago-images/Michael Teager)
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Video: rbb24 | 18.09.2022 | Christian Dexne | Bild: picture alliance/dpa | Andreas Gora

Der 1. FC Union hat in der Bundesliga gewonnen – schon wieder. Bei der Startelf-Rückkehr des ehemals krebskranken Timo Baumgartl bewies die Mannschaft von Urs Fischer, dass sie eine der besten der Liga ist. Von Till Oppermann

Nur zur zeitlichen Einordnung: Als der 1. FC Union Berlin sein letztes Bundesligaspiel verloren hat, galt im Einzelhandel noch Maskenpflicht. Am 19. März setzte es in München eine 0:4-Niederlage, in der Startelf stand Timo Baumgartl. Auch am Sonntag, fast auf den Tag genau ein halbes Jahr danach, verteidigte Baumgartl in der Startelf. Seit dem Spiel in München bekam der 26-Jährige Hodenkrebs diagnostiziert, besiegte die Krankheit und kämpfte sich zurück in die Bundesliga. "Man kann mit Glaube und Kampf zurückkommen und sein altes Leben wiederbekommen", sagt Baumgartl.

Mit Glaube und Kampf erklären viele Beobachter auch den Höhenflug von Baumgartls Mannschaft, die nach dem 2:0-Sieg gegen Wolfsburg nun bereits den zweiten Spieltag nacheinander als Spitzenreiter beendete. "Es ist schwer in Worte zu fassen, was gerade passiert", schwärmte Baumgartl, dessen Startelfcomeback im Stadion nicht nur von den Fans sondern auch von seiner Freundin, seiner Familie und den behandelnden Ärzten gefeiert wurde. Trainer Urs Fischer versuchte es dennoch: "Was die Mannschaft da gezeigt hat, auch aus läuferischer Sicht, war außergewöhnlich." Drei Tage nach dem anstrengenden Auswärtsspiel in Braga liefen Fischers Spieler über 122 Kilometer.

Spielstarke Unioner kombinieren viel

Diese Zahl wird im Kontext noch beeindruckender, denn die Unioner waren mit durchschnittlich 118 Kilometern pro Spiel bereits vor der Partie die laufstärkste Truppe der Liga - haben also ihren eigenen Bestwert noch getoppt.

Dabei hatten es die Eisernen mit Wolfsburg mit einem Gegner zu tun, der versuchte, Union ein Spiel aufzuzwingen, das der Mannschaft von Urs Fischer eigentlich so gar nicht liegt. Der VfL zog sich tief in die eigene Hälfte zurück und überlies dem 1. FC Union den Ball und damit den Zwang, ein Kombinationsspiel gegen aufzuziehen. Trotzdem habe das Team Lösungen gefunden, lobte Fischer. "Die Mannschaft ist ruhig geblieben, das war eine reife Leistung."

Passquote von über 80 Prozent

Schon nach 40 Sekunden kam Janik Haberer nach einem Diagonalball von Trimmel zum Abschluss. Aber als die Chancen im restlichen Verlauf des ersten Durchgangs etwas rarer gesät waren, spielten die Köpenicker geduldig und nach Plan. Für Union-Verhältnisse ist eine Passquote von über 80 Prozent sehr hoch. Dieser verbesserte Wert hängt insbesondere mit Andras Schäfer zusammen, der sich immer mehr zum Stammspieler entwickelt.

Wenn Union nicht den bekannten Weg mit langen Bällen in die Spitze ging, versuchte es die Mannschaft, mit Seitenverlagerungen eine Überzahl zu schaffen und dann die Linie entlangzuspielen. In der Mitte spielte Schäfer, der immer wieder mit klugen Ablagen Räume für seine Mitglieder suchte und dessen direktes Spiel viele der Flügelwechsel erst erlaubte. Auf diese Art wurde auch das 1:0 eingeleitet, auch wenn es in dieser Szene Haberer war, der verlagerte und den Raum für einen Steilpass auf Becker öffnete.

"17 Punkte finde ich nach sieben Spielen wirklich außerordentlich"

Beide – also Haberer und Schäfer – wurden von Fischer ausgewechselt. Die Wechselentscheidungen seien ihm nicht leichtgefallen, klagte Fischer scherzhaft, denn jeder Spieler hätte es verdient, zu spielen. Unions großer Kader erweist sich in englischen Wochen als Segen. Für Haberer kam beispielsweise Seguin, der bis dato erst sechs Union-Minuten in der Bundesliga sammeln konnte und trotzdem per Heber mit seinem zweiten Ballkontakt das anspruchsvolle 2:0 durch Becker vorbereitete.

Hatte Union noch in der letzten Saison nach Europapokalspielen etwa in Stuttgart und Köln sichere Siege in den letzten Minuten aus der Hand gegeben, ist sie in diesem Jahr kaum zu überwinden, wenn sie erstmal führt. Die Eisernen stellen die beste Abwehr der Liga. Ganz war er zwar nie weg, wie der emotionale Empfang seiner Mannschaftskollegen und der Fans bewies, doch Baumgartl ist nun wieder dauerhaft Teil dieser Defensive. Mit dem spielstarken Leite wurde die Mannschaft auf dieser Position in der Sommerpause signifikant verstärkt. Neuzugänge wie Haberer und Seguin sowie der neue Mittelstürmer Jordan Siebacheu belegen das auch für die anderen Positionen.

Trotz des geringen Budgets stellt Union eine der besten deutschen Fußballmannschaften der Liga. Während die Fans erneut halb ironisch von der deutschen Meisterschaft träumten, sagte Fischer: "Die 17 Punkte finde ich nach sieben Spielen wirklich außerordentlich". Die Saisonziele will Fischer weiter nicht nach oben korrigieren. "Sechs Wochen, 13 Spiele: Da wird es Phasen geben, in denen es nicht so gut läuft."

Sendung: rbb24, 18.09.2022, 21:45 Uhr

Beitrag von Till Oppermann

7 Kommentare

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  1. 7.

    Davon der dauerhafte Bundesliga-Abstiegsaspirant nur träumen.
    Wo Hunderte von Millionen eines "windigen Investoren" (Der Spiegel, Nr.38) vèrbrannt werden, zeigt das andere Berlin, dass es auch mit einem "geringen Budgets" gelingt, die Bundesliga-Tabelle anzuführen.

  2. 6.

    Es wird alles gut werden.

  3. 5.

    Wunderbar!

  4. 4.

    ...ich freue mich seeeeehr für dieses Team. Wenn sie so geerdet bleiben, kommen noch einige Pünktchen hinzu. Auch in Europa werden sie dazulernen. Der Trainer ist überragend und die Mannschaft folgt ihm und setzt es super um. Weiter so! Toi, toi, toi...

  5. 2.

    Union war in der Oberliga ein Mitbewerber meines HFC Chemie, darum viel nach der Wende und meines Umzugs ins Brandenburgische auf die Hertha! Und allen Umständen zum Trotz wird sich das auch nicht ändern. Aber Union macht einen tollen Job für das freie Berlin. Und ich spreche von Heute. Die Erfinder des Weihnachtssingen
    haben eine erfrischende Gelassenheit. Und egal ob Spieler gehen und kommen Union bleibt so wie es heißt ! Eine Union, Glückwunsch.

  6. 1.

    Auch wenn es mir schwer fällt , aber man muß schon sagen , Union spielt bisher eine augezeichnete Hinrunde ... Respekt !!!

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