Deutschlandachter vor der WM - Das Ende einer Ruder-Ära?

Sa 10.09.22 | 11:10 Uhr | Von Jonas Schützeberg
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Deustchlandachter rudert bei EM in München
Bild: dpa/Sven Hoppe

Nach dem EM-Debakel von München muss sich der junge Deutschland-Achter bei den WM in einer Woche beweisen. Mit dabei sind ein Berliner und ein Potsdamer - eng verbunden und doch weit voneinander entfernt. Von Jonas Schützeberg

Noch ist es dunkel, aber sein Wecker hat schon um 6:30 Uhr geklingelt. Müde und in Sportklamotten läuft Mattes Schönherr (Ruder-Club Potsdam) zum Frühstück. Viel Zeit bleibt dem 22-Jährigen nicht, bald geht es aufs Wasser. Es wird ein langer Tag, denn vier Trainingseinheiten stehen auf dem Plan, unter der Sonne Italiens, das Alpen-Panorama in der Ferne. In Corgeno, nahe Mailand, holt sich die deutsche Ruder-Nationalmannschaft den Feinschliff für die Weltmeisterschaften Ende September.

Schönherr ist zurück im deutschen Paradeboot, nach einem Rippen-Ödem und der Gefahr eines drohenden Ermüdungsbruches musste er einige Woche aussetzen: "Ich möchte kein Störfaktor sein und versuche mich schnell wieder im Boot anzupassen. Zum Glück habe ich keine Schmerzen mehr und die Rippen halten."

Schulbank anstatt Ruder-WM

Zur gleichen Zeit sitzt Olaf Roggensack (Ruder-Club Tegel) in Kienbaum (Grünheide) schon längst auf der Schulbank. Der Berliner und der Potsdamer sind gemeinsam Deutschlands bester Zweier und eigentlich gesetzt für den Achter. Sie sind sich so nah, wie sonst wohl nur ihren Lebenspartnern, denn viele Stunden am Tag trennen sie im Boot nur 1,4 Meter voneinander. Aktuell sind es aber 837.200,0 Meter.

Bei der WM wird Roggensack nur mental anwesend sein, er hat die Saison vorzeitig beendet. Der 25-Jährige befindet sich im Abschlussjahrgang der Bundespolizei, wurde für die Welttitelkämpfe nicht freigestellt, weil er lernen muss. Beim historischen Debakel für den DRV war der Berliner noch dabei, Platz Vier gab es für den Achter bei den Europameisterschaften in München.

Nicht einfach für Roggensack, der im vergangenen Jahr noch Olympisches Silber gewonnen hatte: "Wir waren schon sehr enttäuscht, vor allem weil wir im Finale so schlecht gerudert sind. Es ist eine komplett neue Situation, auch für mich. Wir haben einen langen Weg vor uns, der dauert bis Olympia, die nächste große Hürde wird die Quali sein."

Radikaler Umbruch im Deutschlandachter

Der Achter hat einen radikalen Umbruch erlebt. Aus dem Olympiaboot sind nur drei Sportler übriggeblieben. Die Mannschaft hat sich stark verjüngt, ist zudem physisch schwächer aufgestellt als die alte. Nach überraschend gutem Saison-Start und Platz Drei beim Weltcup-Finale auf dem Göttersee in Luzern, war die EM ein Tiefpunkt.

Wieder einmal überragten die Briten, dominierten in vielen Bootsklassen. "Andere Länder haben ganz andere Strukturen. Bei den Briten zum Beispiel gibt es eine viel bessere Förderung an den Hochschulen. Da gibt es eine Masse an Athleten, die nachdrücken. Die haben so etwas wie einen Überschuss und wir eher einen Personalmangel, um den Achter voll zu kriegen", erklärt Roggensack.

"Ich habe mich ziemlich machtlos gefühlt"

Nur eine EM-Medaille hat der DRV in den olympischen Bootsklassen gewonnen, ein Abwärtstrend, der sich schon seit Jahren andeutete. Es war ein historsch schlechtes Ergebnis, das viel öffentliche Kritik, auch von Seiten der eigenen Sportler mit sich geführt hatte." Wir nehmen die Bedenken der Athleten ernst. Der Fokus muss jetzt auf der sportlichen Entwickllung liegen. Wir schauen, was wir kurzfristig optimieren können", beschreibt Sportdirektor Mario Woldt.

Mattes Schönherr hat die Titelkämpfe im August von der Tribüne aus verfolgt: "Ich wollte die Jungs unterstützen, auch wenn ich nicht rudern konnte. Es war schon hart, ich habe mich ziemlich machtlos gefühlt. Das Schlimmste war nach dem Rennen in die enttäuschten Gesichter zu schauen."

Deustchlandachter rudert bei EM in München
Bild: dpa/Bildfunk

"Im Achter hast du immer Druck, das ist historisch so"

In der Lombardei ist mittlerweile Mittagspause, es gibt Pasta für die Männer aus dem Achter, im kleinen italienischen Restaurant mit den typisch rot-weiß karrierten Tischdecken. Die Stimmung im Team sei gut, mittlerweile, sagt Schönherr: "Wir versuchen die EM abzuhaken, aber es bleibt natürlich eine gewisse Unsicherheit. Im Achter hast du immer Druck, das ist historisch so. In der neuen Besetzung wissen wir erst bei der WM, wo wir stehen, aber wir haben Bock."

Elf Boote bilden das Starterfeld bei der WM. Es wird eine schwierige Aufgabe für den deutschen Achter, denn neben Roggensack fehlt auch Leistungsträger Laurits Follert, ebenfalls Bundespolizist. Die junge Mannschaft verliert also zwei ihrer besten Athleten, gibt sich aber kämpferisch, meint Schönherr: "Wir bangen nicht um die Finalteilnahme, aber die Jahre in dem der Achter die Zuschauer mit Erfolgen am Band verwöhnt hat, sind vielleicht vorbei. Wir müssen erstmal Erfahrungen sammeln, eine neue Mannschaft aufbauen, das ist langfristig wichtig." Das letzte Mal war der Achter bei der WM 2003 ohne Medaille geblieben.

Finale Aufarbeitung nach den Weltmeisterschaften

Es wird der nächste Härtetest für den Verband. Zudem ist die Mannschaft stark ausgedünnt, der Disziplin-Bereich "Frauen Riemen" fehlt coronabedingt komplett, auch bei den Männern gibt es Ausfälle. "Die Vorbereitung lief unter diesen Umständen ganz gut. Wir wollen uns als einheitliche Mannschaft präsentieren und nicht mit hängenden Köpfen antreten. Die WM soll ein Sprungbrett für das nächste Jahr werden", formuliert es Woldt etwas zurückhaltend.

Sicherlich befindet sich der Verband im Umbruch, weit mehr als die Hälfte der Olympiamannschaft hat aufgehört oder befindet sich im Pausenjahr, ähnlich ist es bei den erfolgreichen Nationen Großbritannien, Niederlande oder Neuseeland auch. Diese Erklärung zählt nur bedingt. Nach der WM wird neu gerechnet und auch im deutschen Ruderverband wird es dann einiges zu Klären geben, um an die alten Erfolge wieder anzuknüpfen.

"Wenn wir ins Finale kommen, ist vieles möglich"

Dann will auch Olaf Roggensack wieder im Boot sitzen, nach acht Stunden Schulbank endet für ihn der Tag auf dem Ruder-Ergometer, sein wohl engster Begleiter in den nächsten Monaten, neben den Büchern. Fast zeitgleich steigt Mattes Schönherr in der italienischem Abendsonne aus dem Boot, sie haben an diesem Tag den nächsten kleinen Schritt mit dem Achter gemacht, dem noch viele folgen sollen.

Wenn es nach dem Potsdamer geht, bietet sich vielleicht schon bald die erste Möglichkeit der Ergebniskorrektur: "Ich glaube, wenn wir es in Racice ins WM-Finale schaffen, ist mit ein wenig Glück viel möglich, vieleicht auch das Podest. Wenn du von vorn herein sagst, du willst Fünfter werden, dann wirst du am Ende auch nicht besser sein als Platz Fünf."

Sendung: Inforadio, 08.09.22, 15:00 Uhr

Beitrag von Jonas Schützeberg

4 Kommentare

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  1. 4.

    @ Anne
    Vielleicht sollten Sie doch mal erläutern, was Sie mit Raistaurant meinen. Der Duden kennt es nicht. Hat es mit dem Rudersport zu tun? Sie verzichten auf weitere Kommentare, warum?

  2. 3.

    Undenkbar, dass z.B. bei der Fussball-WM Leistungsträger wegen beruflicher Prüfungen und Nichtfreistellung ihrer Ausbildungsbetriebe fehlten. Aber Berufe braucht es da ja auch nicht, im Gegensatz zu „ Randsportarten“. Deren Sportler müssen schon zusehen, wie sie ihr Leben finanzieren können. Es erstaunt mich eher mit wie viel Idealismus sich junge Menschen schinden, von Erwartungen unter Druck gesetzt werden und gleichzeitig um ihr Auskommen bangen müssen. Hochachtung! Auch wenn sie nicht siegen

  3. 2.

    Raistaurant
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  4. 1.

    In anderen Sportarten nur z.B.genannt, Kanu oder Bahnradsport, gingen Stars, aber die Erfolge blieben. Vielleicht sollten die Ruderfunktionäre mal mit deren Trainern sprechen. Die Bahnradsportler sind sogar noch besser geworden.

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