Eishockey-Profi Lukas Reichel - Mit den Blackhawks in der Achterbahn

Sa 04.02.23 | 11:25 Uhr | Von Heiko Oldörp
Lukas Reichel in einem Spiel der Chicaco Blackhawks. Quelle: imago images/USA TODAY Network
Audio: rbb24 Inforadio | 03.02.23 | 10:15 Uhr | Heiko Oldörp | Bild: imago images/USA TODAY Network

Lukas Reichel gilt als großes Eishockeytalent. Aber bei den Chicago Blackhawks hat er sich noch nicht etabliert. Reichel pendelt zwischen Farmteam und NHL. Doch sein Durchbruch scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Von Heiko Oldörp

Wenn Lukas Reichel auf seine ersten 16 Monate in Nordamerika schaut, ist er zufrieden. Sein Zwischenfazit sei "sehr positiv", sagt der 20-Jährige im Gespräch mit rbb|24. "Das Nordamerikanische Eishockey mit der kleineren Eisfläche ist nicht einfach am Anfang. Aber das wird immer besser und ich denke, bis jetzt läuft’s richtig gut", so Reichel.

Zwei Welten nur 140 Kilometer voneinander entfernt

Allerdings räumt er auch ein, dass sein Weg gerade in dieser Saison "wie eine Achterbahn" sei. Es geht rauf und runter. Immer wieder. Am 6. Dezember durfte der ehemalige Berliner Eisbär erstmals in dieser Spielzeit für die Chicago Blackhawks in der NHL aufs Eis. Auf genau diesen Augenblick hatte Reichel seit der Saisonvorbereitung im September hingearbeitet. Doch nach nur einer Partie wurde er von Manager Kyle Davidson wieder zu den Rockford IceHogs geschickt. Das ist das Farmteam der Blackhawks und spielt in der zweitklassigen American Hockey League AHL.

Rockford liegt rund 140 Kilometer nordwestlich von Chicago. Für ein Land mit den Dimensionen der USA ist das quasi um die Ecke. Und dennoch liegen Welten dazwischen - nicht nur sportlich. "Chicago ist top. Gutes Essen, richtig schöne Stadt, man kann dort viel machen. Rockford ist eher nicht so toll", sagt Reichel.

Ein Spieler "voller Hoffnung und Versprechen"

Zu Jahresbeginn ging es für ihn wieder nach Chicago - und somit nach oben. Patrick Kane, einer der Stars der Blackhawks, fiel verletzt aus. Reichel rückte in den NHL-Kader. Er spielte gegen Arizona, Calgary und Meister Colorado. Und er spielte "aufregend, grandios, aggressiv und selbstbewusst", schrieb das Internet-Portal "The Athletic". Ein Spieler "voller Hoffnung und Versprechen."

Beim 4:3-Heimsieg nach Verlängerung gegen Calgary schoss Reichel sein erstes NHL-Tor und bereitete zudem zwei weitere Treffer vor - unter anderem das Siegtor. "Das lief richtig gut. Ich habe jedes Spiel gezeigt, was ich drauf habe", resümiert er. Reichel war ganz oben in der Achterbahn angekommen. Nur wenige Tage später jedoch raste er wieder nach unten, musste zurück nach Rockford.

Beim Talentebasar an 17. Stelle ausgewählt

In der vergangenen Saison war das in Chicago allenfalls einen Satz wert. Zwar absolvierte Reichel da insgesamt elf NHL-Partien, fiel aber nicht sonderlich auf. Wie auch? Er war ja gerade in seinem ersten Jahr, musste sich an alles gewöhnen. Kleinere Eisfläche, andere Spielweise, komplett neue Umgebung und alles weit weg von zu Hause - sowas kann dauern. Selbst für ein solch großes Talent wie ihn, das bei der Verteilung der weltweiten Nachwuchsspieler im Oktober 2020 an 17. Stelle von den Blackhawks ausgewählt wurde. Deshalb schien die AHL für den Flügelstürmer zunächst die passendere Liga zu sein.

Als Manager Davidson den Deutschen Mitte Januar jedoch erneut zurückstufte, hatte er das Gefühl, seine Entscheidung begründen zu müssen. Und deshalb berief er eine Medienrunde ein. Zwar war Kane wieder genesen - und natürlich spielt ein Mann seines Kalibers dann auch sofort wieder. Aber Reichel, so die mediale Wahrnehmung, hatte eben auch alles getan, um im NHL-Kader zu bleiben.

"Unwiderlegbar bereit für die NHL"

"The Athletic" hatte ihn als "dynamischsten Stürmer während der drei Spiele ohne Kane" gesehen. Reichel sei "unwiderlegbar bereit für die NHL - und zwar jetzt und nicht bald", hieß es weiter. Und schließlich hatte Trainer Luke Richardson kurz zuvor noch betont, dass Reichel diesmal "nicht nur für einen Augenblick" bei den Blackhawks spielen werde, sondern "für längere Zeit." Und nun war er nach nur drei Partien trotzdem wieder in Rockford. Das warf Fragen auf.

Davidson hob die "Langzeit-Vision" des Trainers und des Vereins hervor. Man möchte "das Beste für unsere Spieler und die Organisation", betonte der Manager. Und wenn das dann eben heiße, dass Reichel in Rockford spiele und dort Spiele gewinne, weil das nach Meinung der Verantwortlichen nun mal das Beste für ihn sei, nun, dann werde das eben so gemacht, erklärte Davidson.

Ein Mann inmitten von Jungs

Reichel hebt hervor, dass er "in Rockford mehr Eiszeit" bekomme. Allerdings fragt "The Athletic": "Sind 20 Minuten in der AHL besser, als 14 Minuten in der NHL?" Reichels Rockford-Bilanz liest sich gut. 42 Spiele, 16 Tore, 26 Vorlagen. Er erzielt also im Schnitt einen Punkt pro Partie. Allerdings wirkt er oft unterfordert, spiele wie "ein Mann inmitten von Jungs".

Manchmal sei es "schon hart", immer wieder in die AHL geschickt zu werden, sagt er. Aber man müsse einfach positiv bleiben. Reichel weiß, dass er gewisse Dinge nicht beeinflussen kann - zum Beispiel, was der Verein mit ihm vorhabe. Er weiß aber natürlich auch, dass es jede gute Aktion, jedes gute Spiel, jedes wichtige Tor Manager Davidson schwerer macht, der Öffentlichkeit zu erklären, warum er sein deutsches Talent nicht in der NHL einsetzt, sondern in der AHL.

Blackhawks im Umbruch

Zumal die Blackhawks im Ligakeller stecken. Sie sind Vorletzte. Von 48 Partien wurden nur 15 gewonnen. Die Playoffs, so viel steht jetzt schon fest, werden sie nicht erreichen. Zwischen 2010 und 2015 waren sie das Nonplusultra der Liga. Sechs Jahre, drei Meisterschaften. Doch die einstigen Superstars, Jonathan Toews und Patrick Kane, sind in die Jahre gekommen, andere Leistungsträger der Meistermannschaften längst weg oder sogar in der Eishockey-Rente. Deshalb befindet sich Chicago im Umbruch.

Die Vereins-Philosophie ist es, Spieler zu entwickeln. Und es hat den Anschein, als würde Chicago dabei mit seinen Talenten lieber einen Schritt weniger machen, als einen zu viel. Lukas Reichel weiß, dass er geduldig sein muss. Ihm ist aber auch klar, dass er zur neuen Blackhawks-Generation zählt. "Die haben einen Plan mit mir, schauen halt in die Zukunft." In der Achterbahn geht es nach jedem Ab wieder hinauf. Manchmal gibt es auf dem Weg dorthin noch eine gerade Strecke mit einigen Kurven. Doch der nächste Anstieg kommt - garantiert. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Sendung: rbb24 Inforadio, 03.02.23, 10:15 Uhr

Beitrag von Heiko Oldörp

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