Interview | Mainz-Sportvorstand Christian Heidel - "Mit Sandro kann man auch mal feiern, wie es sich gehört"

Fr 10.03.23 | 17:10 Uhr | Von Lukas Witte
Mainz-Sportvorstand Christian Heidel (Quelle: picture alliance / Neis / Eibner-Pressefoto)
Bild: picture alliance / Neis / Eibner-Pressefoto

Der Mainzer Sportvorstand Christian Heidel kennt Sandro Schwarz, seit der heutige Hertha-Coach als Jugendspieler begann. Nun treffen sie in der Bundesliga aufeinander. Ein Gespräch über Trainerstars, ein lustiges Treffen auf Mallorca - und eine besondere Entscheidung.

rbb|24: Herr Heidel, Mainz 05 steht nach 23 Spieltagen auf Platz sieben: Wie ist Ihre Laune beim Blick auf die Tabelle?

Christian Heidel: Wir hatten ganz, ganz sicher schon schlechtere Zeiten und Tage. Deswegen ist die Laune natürlich gut. Ich bin vor allem sehr glücklich darüber, dass wir sehr gut in die Rückrunde gestartet sind, weil keiner wusste, wie man mit einer so langen Pause umgeht. Wir haben sie ja auch etwas speziell gestaltet und waren zweimal im Trainingslager. Das hat bei uns alles funktioniert. Wir haben gut angefangen, sind richtig gut drauf - und hoffen, dass wir das fortsetzen können.

Zur Person

In der vergangenen Saison haben Sie als Achter auch schon in der oberen Tabellenhälfte abgeschlossen. Warum läuft es seit der vergangenen Spielzeit so gut?

Man muss fairerweise sagen, dass es nicht nur in den letzten beiden Jahren so war. Wir haben im Dezember 2020 einen riesigen Cut gemacht. Da haben wir vielleicht auch die eine oder andere ganz gute Entscheidung getroffen. Wir waren vorher Letzter und dann in der Rückrunden-Tabelle Vierter oder Fünfter - also auf internationalem Niveau.

Wir hatten dann einfach das Glück, dass wir diesen Lauf in die nächste Saison rüberbringen konnten. Wir waren dann mit Platz acht fast im europäischen Wettbewerb. Das haben wir mit einem Spiel gegen Köln vergeigt. Auch jetzt haben wir es wieder geschafft, stabil zu bleiben. Das war die Hauptaufgabe, als wir vor zweieinhalb Jahren angefangen haben: Den Verein an sich, aber auch die sportliche Leistung zu stabilisieren. Das ist uns allen gemeinsam - und da beziehe ich die Spieler mit ein - ganz gut gelungen.

Welche Rolle hat dabei der Trainer Bo Svensson gespielt?

Wer mich kennt und ein bisschen meine Historie verfolgt, der weiß, dass ich immer einen Grundsatz habe: Der Allerwichtigste in einem Fußballverein ist der Trainer. Hast du einen guten Trainer, hast du die Möglichkeit, aus einer mittelmäßigen Mannschaft eine gute Mannschaft zu machen. Hast du einen Trainer, der nicht so passt, dann kannst du auch aus einer guten Mannschaft eine schlechte machen. Wir haben das große Glück, dass wir mit Bo Svensson vor zweieinhalb Jahren einen Trainer nach Mainz gebracht haben, der einfach perfekt zu diesem Klub und gut zu dieser Mannschaft gepasst hat. Wir konnten sehr schnell sehr viel verändern. Da sieht man - wir haben personell ja gar nicht so viel verändert - was ein Trainer eben ausmachen kann. Bo spielt da sicherlich die ganz elementare Rolle.

Ihr nächster Gegner ist Hertha BSC. Auch deren Trainer ist für Sie auch kein Unbekannter. Freuen Sie sich auf das Wiedersehen mit Sandro Schwarz - und wie steht es um den Kontakt mit ihm?

Ich freue mich immer, wenn ich Sandro sehe. Wir unterhalten oder schreiben uns nicht jeden Tag, aber wenn etwas Besonderes anliegt, sprechen wir miteinander. Damit meine ich auch gar nicht das Spiel, aber ich glaube - und das muss Sandro auch selber beantworten – dass er sich gerne mit mir austauscht, wenn er eine Entscheidung zu treffen hat. Wir haben uns hier und da auch mal getroffen. Auch mit Marco Rose, mit dem er ja eng befreundet ist. Wir haben auf Mallorca einen ganzen Tag zusammengesessen. Es kommen halt sehr viele Trainer aus Mainz.

Und Sandro ist ein ganz besonderer Fall, weil er auch in Mainz geboren ist. Ich bin auch in Mainz geboren. Er war 16 Jahre bei Mainz 05. Ich war schon dabei, als er als Jugendspieler nach Mainz kam. Wir haben eine sehr, sehr lange Zeit gemeinsam verbracht und ich freue mich immer, wenn es Sandro gut geht und ich ihn treffe.

Wie haben Sie ihn damals als Jugendspieler erlebt. War Ihnen schon klar, dass er mal Trainer werden könnte?

Sandro hat sich ein bisschen von anderen Spielern abgehoben. Er war sehr ehrgeizig. Er ist seinen Weg gegangen und hatte immer einen klaren Fokus auf dieses Geschäft als Ganzes. Was bei mir immer in Erinnerung haften geblieben ist: Wir sind 2004 in die Bundesliga aufgestiegen, waren aber zwischendurch schon ziemlich abgeschlagen. Irgendwann habe ich den Jungs gesagt: Wenn wir es noch schaffen sollten - wir hatten fünf, sechs Punkte Rückstand - verspreche ich jedem Spieler, egal ob Stamm- oder Auswechselspieler, gesund oder verletzt, dass er mit in die Bundesliga darf, weil das für Mainz etwas ganz Außergewöhnliches ist.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in Essen das gleiche verdient hat wie in Mainz. Das war ihm völlig egal. Es ging ihm um seinen sportlichen Weg.

Christian Heidel, Sportvorstand bei Mainz 05

Das haben alle in Anspruch genommen, außer einer: Sandro. Er war in der Aufstiegssaison nicht mehr unumstrittener Stammspieler. Und es war ja klar: Nach dem Aufstieg wird es noch ein bisschen schwieriger, weil wir den einen oder anderen Spieler dazuholen. Sandro hat dann für sich beschlossen, zu Rot-Weiss Essen zu wechseln, weil er dort für sich sportlich eine bessere Chance gesehen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in Essen das gleiche verdient hat wie in Mainz. Das war ihm völlig egal. Es ging ihm um seinen sportlichen Weg. Ich habe sogar noch versucht, ihn zu überreden, weil er auch als Typ für uns in der Mannschaft wichtig war. Aber das ist mir nicht gelungen. Er ist dann den Weg in die 2. Liga gegangen. Da hatte ich viel Achtung vor.

Marco Rose und Sandro Schwarz haben eine Zeit lang auch zusammen in einer WG gelebt. Da soll es ab und zu auch mal ein bisschen wilder zugegangen sein. Waren Sie da mal zu Gast?

Nee, aber so alt bin ich ja auch noch nicht - und die anderen sowieso nicht. Als wir uns auf Mallorca getroffen haben, war es auch lustig. Da haben wir nicht nur Fachgespräche geführt. Dafür kennen wir uns alle einfach schon viel zu lange. Zu allen Trainern, die mal aus Mainz in die große Welt gegangen sind, habe ich eigentlich noch prima Kontakt. Sandro ist kein Typ von Traurigkeit. Mit dem kann man auch mal feiern, wie es sich gehört. Mit ihm kann man auch viel, viel lachen und wenn Rosi (Marco Rose, Trainer von RB Leipzig, Anm. d. Red.) und am Ende noch Kloppo (Jürgen Klopp, Trainer von Liverpool, Anm. d. Red.) dabei sind, dann wird es immer richtig lustig. Das macht immer viel Spaß, wenn wir uns sehen.

Christian Heidel mit Jürgen Klopp und Sandro Schwarz (Quelle: IMAGO / Sämmer)Christian Heidel (im Anzug) bei den Mainzer Aufstiegsfeierlichkeiten 2004 mit Jürgen Klopp (ganz links) und Sandro Schwarz (ganz rechts).

Wie schätzen Sie seine Trainerqualitäten bei Hertha ein: Wird er es Mainz schwer machen?

Das befürchte ich, leider. Ich weiß, dass Sandro ein sehr, sehr guter Trainer ist. Ich habe ihn ja damals auch zurückgeholt, als er mit dem 1. FC Eschborn in der Hessenliga Meister wurde, um die U19 zu übernehmen. Der Jugendbereich ist bei Mainz etwas ganz Wichtiges. Wir holen keinen Trainer für die U19 aus irgendwelchen Sympathien heraus. Da wollen wir einen haben, der Qualität hat. Dann hat er die zweite Mannschaft übernommen und später die Profis. Das ist sicherlich ein Beispiel für die Mainzer Trainerphilosophie. Er ist ehrgeizig ohne Ende, hat ein sehr großes Fachwissen und dazu ist er ein guter Typ. Das wird man - auch wenn es in Berlin hier und da ein bisschen holprig läuft - ganz sicher noch merken. Ich hoffe, wir werden es am Samstag nicht ganz so spüren. Aber ich weiß, dass es eine enge Nummer wird.

Sie haben es angesprochen: Es ist nicht nur Sandro Schwarz, sondern es sind auch Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, Marco Rose … Mainz scheint eine ganz gute Trainerschmiede zu sein. Woher kommt das?

Das werde ich sehr oft gefragt. Ich würde gerne die Antwort geben, die die Trainer unisono geben. Wir haben uns in Mainz sicherlich ein bisschen auf die Fahnen geschrieben, dass Erfahrung nicht ganz so wichtig ist. Ich schaue mir die Trainer an, versuche ein Gefühl für ihre Qualitäten als Coach und das Profil als Mensch zu bekommen, um herauszufinden: Kann das ein Trainer für Mainz sein? Wir haben sicherlich auch Trainern eine Chance gegeben, die noch gar nicht wussten, dass sie Trainer sind. Jürgen Klopp hat in der Woche zuvor noch als rechter Außenverteidiger bei uns gespielt und war dann Trainer ohne jeglichen Trainerschein. Das Allerwichtigste ist aber - das sagen zumindest die Trainer immer -, dass man in Mainz man selbst bleiben kann.

Ich habe hier nie versucht, aus einem Jürgen Klopp einen Abklatsch mit meinen Ideen zu machen. Das war auch bei Thomas Tuchel völlig überflüssig, der ja schon seine Qualitäten als Trainer unter Beweis gestellt hatte, wenn auch im Nachwuchsbereich. Wir haben uns von Anfang an auf die Fahne geschrieben, uns nicht einzumischen. Da sie einfach große Trainertalente waren, sind sie dann auch zu Toptrainern geworden.

Ein Jürgen Klopp sollte ein Jürgen Klopp werden, ein Thomas Tuchel ein Thomas Tuchel, ein Marco Rose ein Marco Rose und ein Sandro Schwarz ein Sandro Schwarz. Natürlich sind wir in Mainz auch ein bisschen stolz, dass die beiden Erstgenannten die Champions League gewonnen haben und Welttrainer des Jahres wurden. Die Anfänge waren hier in Mainz und wir gehen auch weiterhin keinen Millimeter von unserer Philosophie, was Trainer angeht, ab. Wenn man heute Bo Svensson fragt, wie sich seine Arbeit hier in Mainz anfühlt, wird er antworten: Hier kann sich Bo Svensson entwickeln und auch Fehler machen. Ich bin sicher - er ist schon ein sehr, sehr guter Trainer - dass er sich zu einem Toptrainer weiterentwickeln wird. Was er eigentlich schon ist, muss man zugeben.

Für Sandro Schwarz und die Hertha wird es eng. Sie brauchen Punkte. Mit Schalke steckt noch ein Verein im Abstiegskampf drin, den Sie ganz gut kennen. Wie bewerten Sie denn gerade den Abstiegskampf in der Bundesliga?

Hätte mir das einer vor sechs Wochen gesagt, dass das alles so offen wird, hätte ich es nicht geglaubt. Schalke ist momentan gefühlt der einzige Klub, der sich leicht im Aufwind befindet. Das kann natürlich zu einer Situation führen, dass man sich in einen Flow reinspielt. Ich glaube, die haben ein Gegentor in der gesamten Rückrunde bekommen. Das ist schon sehr außergewöhnlich, weil das zuvor ein Problem war. Da hat der neue Trainer Thomas Reis einen sehr, sehr guten Job gemacht. Ich kann mir inzwischen durchaus vorstellen, dass Schalke die Klasse hält.

Von der Qualität her, bin ich mir sicher, dass Hertha eine ganz gute Chance hat, die Klasse zu halten.

Christian Heidel, Sportvorstand bei Mainz 05

Auf der anderen Seite gibt es Vereine, die von oben nach unten abrutschen. Wenn ich zum Beispiel an Hoffenheim denke, die zwölf oder dreizehn Spiele nicht mehr gewonnen haben - da muss man vorsichtig sein. Das kann alles nochmal neu durchgewürfelt werden. Hertha ist so ein bisschen mittendrin. Die gewinnen mal und verlieren mal. Aber von der Qualität her, bin ich mir sicher, dass Hertha eine ganz gute Chance hat, die Klasse zu halten. Ich glaube, dass sie die Punkte am Samstag nicht so unbedingt brauchen. Das wird auch so reichen, selbst wenn wir in Berlin punkten können. Insgesamt - so würde ich es einschätzen - wird es bis zum letzten Spieltag ein ganz spannender Abstiegskampf, aus dem wir uns hoffentlich verabschiedet haben.

Sie könnten sich vielleicht sogar eher noch nach oben zum europäischen Wettbewerb orientieren. Die Qualifikation ist durchaus möglich. Ist das ein kleines Ziel?

Wir wissen schon, was Platz sieben oder Platz sechs in der Bundesliga bedeutet. Ich werde immer wieder gefragt: Wollt ihr euch jetzt nicht neue Ziele setzen? Ich bin jetzt fast 32 Jahre dabei. Mir hat bisher noch keiner erklären können, dass wir einen einzigen Punkt mehr holen, wenn ich mit einem Schild durch die Stadt laufe: "Wir wollen nach Europa". Unsere Spieler kennen die Tabelle und wollen diese Siegesserie fortsetzen. Am Ende gucken wir, was dabei rauskommt.

Unser Ziel ist immer, in der Bundesliga zu bleiben. Das ist einfach Mainz 05. Wir wissen, wie schwierig das ist und nachdem wir das geschafft haben, werden wir uns eventuell um andere Tabellenregionen bemühen. Aber elf Spieltage vor Ende hausieren zu gehen und zu sagen: "Mainz will nach Europa", davon halte ich einfach nichts. Wir wollen in Berlin gewinnen. Das ist das Ziel und dann schauen wir weiter.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Lukas Witte, rbb Sport.

Sendung: rbb Sport, 10.03.2023, 18 Uhr

Beitrag von Lukas Witte

Nächster Artikel