Interview | Unions Kaderentwicklung - "Seit dem Aufstieg gab es nie den ganz großen Stilbruch"

Sa 06.05.23 | 07:52 Uhr
Unions Geschäftsführer Profifußball Oliver Ruhnert (Quelle: IMAGO/Matthias Koch)
Bild: IMAGO/Matthias Koch

Schafft es der 1. FC Union in die Champions League, wartet auch auf Manager Oliver Ruhnert eine große Herausforderung. Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt über die Kaderentwicklung, die Königsklassen-Konkurrenz - und Lehren aus der Isco-Posse.

rbb|24: Herr Marquardt, auf 126,1 Millionen taxiert "transfermarkt.de" den Marktwert des 1. FC Union. Das ist eine Verdreifachung im Vergleich zur ersten Bundesliga-Saison vor vier Jahren.

Philipp Marquardt: Ja, da hat sich wirklich ein bisschen was getan.

Was genau?

Union hat sich seit dem Aufstieg in der Bundesliga etabliert. Es haben sich nicht nur die Spieler entwickelt, sondern auch die Zahlen. Das sieht man am Etat für die Lizenzspieler-Abteilung, der zuletzt Saison für Saison um rund zehn Millionen auf aktuell 52 Millionen gestiegen ist - und das zeigt eben auch dieser Kaderwert. Trotzdem sind die 126,1 Millionen im Vergleich immer noch nicht üppig. Union ist ohne Frage der Über-Performer der Liga. Mit dem Kaderwert findet sich Union auf Rang zehn wieder, in der Tabelle sind sie Dritter - also sieben Plätze besser. Diesen Sprung kann so kein anderer Verein vorweisen. Das ist schon sehr beeindruckend.

Transfermarkt.de-Redakteur Philipp Marquardt (Quelle: transfermarkt.de)
Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt. | Bild: transfermarkt.de

In der Champions League wäre die Konkurrenz noch einmal eine andere.

Ich habe mir die aktuellen Kader der laufenden Champions-League-Saison angeschaut. Da würde sich Union - beim Blick auf den Marktwert - sehr weit hinten einsortieren: auf Platz 25 der 32 Teilnehmer, knapp hinter dem FC Brügge und vor den Glasgow Rangers. Das ist trotzdem nicht schlecht, schließlich darf man nicht vergessen, dass Union Debütant in diesem Wettbewerb wäre. Klar ist aber: Union wird personell etwas tun müssen.

Bahnt sich schon etwas Konkretes an?

Das heißeste Gerücht ist momentan Alex Kral von Schalke 04. Eigentlich ist es schon mehr als nur ein Gerücht. Er hat sich bei Schalke 04 bewiesen. Er ist ein zentral-defensiver Mittelfeldspieler und soll aktuell 1,2 Millionen Euro verdienen, bei Union dürfte es ein bisschen mehr werden. Auch für den Sturm werden einige Namen gehandelt, unter anderem Marvin Ducksch von Bremen, bei dem noch nicht ganz klar ist, ob er gehen oder bei Werder bleiben wird, oder auch David Kownacki von Fortuna Düsseldorf.

Auch der Name Sergino Dest - derzeit vom FC Barcelona an den AC Mailand ausgeliehen - war zwischenzeitlich zu lesen.

Ja, einer für die rechte Seite. Das halte ich nicht für ganz wahrscheinlich. Aber wenn man mal drei, vier Jahre zurückdenkt: Was ist schon wahrscheinlich gewesen bei Union Berlin? Die Brötchen, die man backt, sind ein bisschen größer geworden.

Wenn Union in der Champions League nicht untergehen will, ist es auch sinnvoll, drei, vier Spieler zu holen, an denen sich das Team orientieren und sich weiterentwickeln kann - ohne aber das Gefüge zu sprengen.

Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt

Auch großen Namen hat der Klub sich zumindest schon angenähert. Der geplatzte Isco-Deal war das Top-Thema der vergangenen Transferperiode.

Bei der Personalie darf man auch nicht vergessen, dass Isco zwar ein großer Name ist, der aber auch aus bestimmten Gründen zu diesem Zeitpunkt verfügbar war. Hätten bei ihm noch andere Vereine ernst gemacht, wäre es für Union sicher schwierig geworden, den Transfer überhaupt so weit voranzutreiben. Am Ende ging es um die Finanzen und der Verein hat für sich - das fand ich bemerkenswert - eine klare Grenze gezogen. Allerdings: Auch das Spieler-Management gab zu verstehen, dass gewisse Zusagen nicht eingehalten worden sein sollen.

Öffentlich hatte es dennoch Possen-Charakter. Wenn nun womöglich häufiger solche Namen gehandelt werden: Was kann Union aus dem Fall Isco lernen?

Vielleicht ist es cleverer zu versuchen, eine solche Thematik etwas kleiner zu halten. Andererseits ist es so: Wenn jemand wie Isco bei den Köpenickern aufschlägt, dann bleibt das nicht unentdeckt. Wenn man bedenkt, dass Union trotz des Hickhacks sportlich einfach weitergemacht hat, als wäre nichts gewesen, ist das auch ein Fingerzeig: Man hat zwar Lust auf solche Namen, wenn man das Gefühl hat, dass er einem weiterhelfen kann. Aber man geht als Verein auch weiter seinen Weg und zieht sein Ding durch, wenn es nicht passt. Insofern hatte es mehrere Lerneffekte.

Ist es eine logische Entwicklung, dass zeitnah Spieler der Kategorie Isco oder eben Dest tatsächlich im Stadion An der Alten Försterei spielen?

Union sollte nicht zu sehr von dem Weg abweichen, den es bisher geht. Bisher gab es seit dem Aufstieg in die erste Liga nie den ganz großen Stilbruch. Das Konzept mit vornehmlich ablösefreien Leistungsträgern, die ihre Klasse nachgewiesen haben, hat funktioniert. Man wird also nicht komplett von dieser Strategie abgehen. Aber wenn Union in der Champions League nicht untergehen will, ist es auch sinnvoll, drei, vier Spieler zu holen, an denen sich das Team orientieren und sich weiterentwickeln kann - ohne aber das Gefüge zu sprengen.

Ein Wandel ist ja in der Arbeit von Manager Oliver Ruhnert auch jetzt schon zu erkennen. Grob umrissen: Früher lotste er - wie Sie beschrieben haben - vornehmlich Zweitliga-Schnäppchen zum 1. FC Union, es folgten europäisch aufstrebende Spieler wie Danilho Doekhi und nun kam im Winter Josip Juranovic von Celtic Glasgow mit sechs Champions-League-Auftritten in der ersten Saison-Hälfte.

Ja, der Transfer von Josip Juranovic ist in meinen Augen auch ein Signal für die nächste Wechselperiode. Er hat 8,5 Millionen gekostet und ich bin mir sehr sicher, dass wir im Sommer eine ähnliche Ablöse oder aber eine neue Rekordsumme sehen werden. Was man dabei nicht vergessen darf: Union hat zwar in dieser Saison 25 Millionen für Neuzugänge ausgegeben und damit so viel wie nie zuvor, aber auf der anderen Seite auch 31 eingenommen. Dieses Nullsummenspiel hat der Klub zuletzt immer gut hinbekommen. Vor der kommenden Saison dürfte es nun ein größeres Transferminus geben.

Je höher es geht, desto herausfordernder wird auch die Kaderplanung.

Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt

Aber eben - so es denn mit der Champions-League-Qualifikation klappt - auch die Aussicht auf ordentliche Prämien.

Genau, Union kann sich das besser leisten. Allein für die Teilnahme an der Champions-League-Gruppenphase gab es in dieser Saison 15,64 Millionen. Das wird in der kommenden ähnlich sein, tendenziell gibt es sogar noch ein paar Euro mehr. Pro Sieg kommen noch einmal 2,8 Millionen dazu, bei einem Punktgewinn 930.000. Das ist deutlich mehr, als Union in der Europa League kassiert hat. Da gab es 3,63 Millionen Startgeld.

Reibt sich Oliver Ruhnert da die Hände oder hat das einen Haken?

Je höher es geht, desto herausfordernder wird auch die Kaderplanung. Union Berlin ist kein unbeschriebenes Blatt mehr. Der Rahmen ist noch überschaubarer als bei Topklubs. Union ist - und das zeigt das Beispiel Alex Kral – aber mittlerweile in der Lage, mehr Gehalt bieten zu können als Schalke. Wenn man fünf Jahre zurückblättert, hätte man sich diese Konstellation niemals ausmalen können. Berater und Co. wissen aber eben auch, dass Union andere Möglichkeiten zur Verfügung hat - wenn auch bei Weitem nicht so groß wie die der möglichen Gegner in der Champions League. Das Kader-Puzzle wird also so schwer wie immer.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Johannes Mohren, rbb Sport.

Sendung: rbb24, 06.05.2023, 18 Uhr

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