Interview | ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt - "Eigentlich hat das Regelwerk damals nicht ausgereicht, um Pechstein zu sperren"

Mo 22.05.23 | 06:08 Uhr
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Claudia Pechstein bei den Eisschnellauf Championships in Thialf (imago images/ANP)
Video: rbb|24 | 23.05.2023 | Dennis Wiese | Bild: imago images/ANP

Sie ist eine der erfolgreichsten Athletinnen der Sportgeschichte: Claudia Pechstein. Die Berliner Eisschnelläuferin wurde nie positiv getestet - und gilt doch als Dopingsünderin. ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt erklärt, was ihre Geschichte so spektakulär macht.

Die zweite Staffel des Podcasts "Geheimsache Doping" hören Sie ab dem 22. Mai in der ARD-Audiothek.

rbb|24: Herr Seppelt, der Podcast "Geheimsache Doping" geht in die zweite Staffel. Was macht den Fall um Claudia Pechstein so spannend, dass die Leute wieder einschalten sollten?

Hajo Seppelt: Dieser Fall war hochkomplex und auch hochemotional. Er hat die Geister in Deutschland geschieden. War nun Claudia Pechstein eine Betrügerin oder war sie Opfer eines schlechten, eines unzureichenden Doping-Kontrollsystems? Das ist alles unglaublich groß gewesen. Es war einer der spektakulärsten Doping-Verdachtsfälle der letzten Jahre, auch international betrachtet. Und deswegen haben wir es für richtig empfunden, uns diesem Fall mal richtig ausführlich zu widmen. Übrigens nicht nur dem Fall selbst, sondern auch der Person Claudia Pechstein und ihrem Umfeld.

Claudia Pechstein ist 2009 aufgrund eines erhöhten Blutwerts gesperrt worden. Es gab aber keinen positiven Test. Und eigentlich heißt es da doch "Im Zweifel für den Angeklagten", oder?

Ganz so einfach ist das alles nicht. Denn ein positiver Test ist das eine. Es gibt aber auch auffällige Blutwerte, die zu Sanktionen führen können, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es eigentlich keine andere Erklärung als Doping dafür gibt. Allerdings ist es im Fall Claudia Pechstein ein bisschen komplizierter. Denn es gab damals Regelwerke des Internationalen Eislauf Verbandes und auch der Welt Anti Doping Agentur. Die waren noch nicht so richtig aufeinander abgestimmt. Die Blutwerte von Pechstein waren auffällig, allerdings heißt das nicht automatisch, dass sie auch gedopt gewesen ist. Trotzdem hat der Weltverband sie damals gesperrt. Pechstein ist dagegen durch alle Instanzen vorgegangen, hat am Ende aber verloren.

Der Gang durch die Instanzen war beispiellos. Da kannte sie weder Freund noch Feind.

Hajo Seppelt über den Rechtsstreit

Dieser Gang durch die Instanzen war allerdings beispiellos. Da kannte sie weder Freund noch Feind. Und wenn man unschuldig ist, ist das eine nachvollziehbare Verhaltensweise. Bis heute steht die Frage im Raum, ob sie am Ende zu Recht oder zu Unrecht gesperrt worden ist. Mit etwas Abstand würde ich heute sagen, dass zum damaligen Zeitpunkt das Regelwerk eigentlich nicht ausgereicht hat, um Pechstein zu sperren. Das hat aber nichts damit zu tun, ob ich sie grundsätzlich für eine glaubwürdige Athletin halte. Das steht auf einem ganz anderen Blatt

Pechstein argumentierte, ihre hohen Blutwerte seien auf eine vererbte Blutkrankheit zurückzuführen. Warum hielt der Weltverband trotzdem an der Sperre fest?

Es war damals so, dass die Sperre zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem nicht genügend Belege für diese vermeintliche oder tatsächliche existierende Blutkrankheit vorgelegt werden konnten. Und deswegen kann man nicht automatisch sagen, dass Claudia Pechstein aufgrund der vorliegenden Situation ganz sicher unschuldig war. Auf der anderen Seite hätte man sie trotzdem nicht sperren sollen, wenn es eine andere Erklärungsmöglichkeit als Doping für die Blutwerte geben könnte. Man hat es trotzdem getan und deswegen ist Claudia Pechstein durch die Instanzen gegangen. Aber zum Zeitpunkt der Entscheidung hatte sie die nötigen Belege noch nicht vorgelegt. Die kamen dann erst später. Aber selbst dann hat es nicht dazu ausgereicht, sie aus dieser Schlinge zu befreien.

Es gibt unabhängig von dem Fall Claudia Pechstein noch einen weiteren sehr spannenden Verdachtsfall, der sogenannte Fall Erfurt. Was hat es damit genau auf sich?

Das ist die zweite Geschichte, mit der sich der Podcast beschäftigt. Dabei ging es um Blut-Behandlungen bei einem Arzt in Erfurt. Und das interessante ist, dass sich die gesamte Fachwelt erst einig gewesen war, dass es sich offensichtlich um Doping gehandelt hat. Und dann gab es ein halbes Jahr später einen plötzlichen Richtungswechsel. Man hat gesagt, dass diese Methode zwar verboten sei, aber das Verbot zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war. Das geschah dann erst ein Jahr später. Und das war insofern auch ein spektakulärer Fall, weil Claudia Pechstein mit unserer Berichterstattung dazu nicht zufrieden gewesen ist und uns fortan attackiert hat.

Der Fall Pechstein ist immer noch nicht abgeschlossen. 14 Jahre und acht größere Gerichtsverfahren liegen hinter uns. Wie geht es für sie jetzt weiter?

Nun, sie will ja nach wie vor ihr Recht haben. Es geht um Schadensersatzforderungen und das Doping-Kontrollsystem im Ganzen, das ja auf dem Prüfstand steht. Es ist auch ein Verdienst Claudia Pechsteins, dass sie das System herausgefordert hat. Sie hat viele Fragen gestellt. Und zwar genau die richtigen, um das Doping-Kontrollsystem einem Belastungstest in juristischer Hinsicht zu unterziehen. Allerdings waren diese Versuche bisher erfolglos. Das Kontrollsystem in seiner bisherigen Form ist bestätigt worden. Auf einem anderen Blatt steht, ob man ihr Schadenersatz zusprechen kann oder nicht. Und da sind noch nicht alle Messen gelesen.

Sie hat viele Fragen gestellt. Und zwar genau die richtigen, um das Doping-Kontrollsystem einem Belastungstest in juristischer Hinsicht zu unterziehen.

Hajo Seppelt über die Auswirkungen des Falls

Inwiefern haben Sie denn mit der Seite Pechstein sprechen können? Kommt Claudia Pechstein im Podcast auch zu Wort?

Claudia Pechstein ist natürlich in diesem Podcast zu hören, aber nicht etwa in Gesprächen, die wir mit ihr geführt haben. Wir haben sie angefragt und um ein Interview gebeten. Sie hat allerdings abgelehnt und sagt nach wie vor, dass sie Interviews mit uns - speziell mit mir - nicht führen möchte. Für sie ist klar: Die Schuldigen an der ganzen Misere sind unter anderem Journalisten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Max Zobel, rbb Sport.

Sendung: rbb24, 23.05.2023, 21:45 Uhr

14 Kommentare

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  1. 14.

    Also warum hat man Claudia Pechstein nicht einfach für einen größeren Zeitraum in ein kontrolliertes Trainingscamp gesteckt und ihre Blutwerte getrackt?
    Entweder wären die Blutmarker dauerhaft erhöht oder nicht.

  2. 13.

    Also warum hat man Claudia Pechstein nicht einfach für einen größeren Zeitraum in ein Trainingscamp gesteckt und ihre Blutwerte getrackt?
    Dann hätte man ganz einfach feststellen können, ob die Marker dauerhaft erhöht sind oder nicht.
    Mir ist ehrlich gesagt nicht klar, was da jahrelang für ein Eiertanz getrieben wurde.

  3. 12.

    Sie und ihr Umfeld hat halt mehr gemacht als einfach nur nicht mit Journalisten reden. Wenn Sie den Podcast gehört hätten, wüssten Sie, dass Pechsteins Lebensgefährte (ein ehemaliger NVA-Elitesoldat) Journalisten bedroht hat.

  4. 11.

    Traurig ist, dass der Journalist nach wie vor keine Entschuldigung für seine Vorverurteilung findet.
    Schreibt zwar ja wenn die Beweislage von Anfang an so gewesen wäre, dann wäre alles nicht so gekommen und sie wäre nicht gesperrt worden.
    Aber anscheinend gab/gibt es diese Beweise - eine Entschuldigung ist aber nicht angesagt. Statt dessen immer noch hinter vorgehaltener Hand naja wer weiß wie die Wahrheit wirklich ist...

    Ehrlich es wundert sie, dass Frau Pechstein nicht mir ihnen reden will? Ich würde es auch nicht tun.

  5. 10.

    Man sollte nicht von sich auf Andere schließen und schon gar nicht verallgemeinern. Ich bin Frau Pechstein für ihren Einsatz dankbar und ich denke, damit bin ich nicht allein. Sie zeigt was gehen kann - auch in der zweiten Lebenshälfte. Wer sie als "Looser" bezeichnet, sollte erstmal den Hintern von der Couch bekommen und auch nur annähernd "liefern".

  6. 9.

    Die Art und Weise wie damals über sie berichtet wurde war in weiten Strecken unanständig. Das die Frau keine Lust hat mit den selben Journalisten zu sprechen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Was soll sie von einem solchen Gespräch denn auch erwarten? Eine faire Behandlung? Was er von ihr hält, bzw. seine Ansicht zum Doping, klang doch sogar in diesem Gespräch glasklar durch. Was für eine andere Erwartung sollte Frau Pechstein denn haben, als das man sie hier wieder angeht, obwohl (und das ist ja genau ihr jahrelanger Kampf) kein Doping nachgewiesen wurde?!

  7. 8.

    Sicher ist nicht alles KORREKT GELAUFEN.wie im Profisport Üblich.Geld und Manipulieren sind Einnahmen ohne Rechenschaft.Aber Liebe Claudia.. Hör endlich auf.Du tust dier keinen Gefallen als Looser mit 50 .von der Bildfläche,sang und klanglos zu Verschwinden.Du hast deinen Respekt,deinen Stolz.Verspiel es nicht.In dieser Gesellschaft gibt es keine Dankbarkeit.Nur für Politische Versager.

  8. 6.

    Für Claudia Pechstein galt also nicht, die sonst übliche, Unschuldsvermutung, ganz im Gegenteil seitens der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten wurde geradezu eine "Hatz" auf sie durchgeführt. Fürchterlich!

  9. 5.

    Nein, nicht Osten. Viel "einfacher". Die "alten, weißen Oberen" des Sports hatten entschieden und schließlich kann nicht sein, was nicht sein darf, sich Irren zum Beispiel. Der CAS (Internationaler Sportgerichtshof) ist schließlich unantastbar, meinte auch der BGH. Zumindest war er das solange, bis das BVerfg diesem Unantastbarkeitsanspruch 2022 eine Abfuhr erteilte. Dazu auch die BRAK:
    https://www.brak.de/newsroom/news/claudia-pechstein-darf-vor-deutschen-gerichten-klagen/ und ein Bericht bei Panorama
    https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/pechstein-bundesverfassungsgericht-doping-100.html

  10. 4.

    Eigentlich bin ich kein Freund von Hajo Seppelt, aber er sagt nun endlich, dass im Fall Pechstein, warum auch immer, nicht rechtskonform umgegangen wurde. Ihre Karriere wurde auf dem Höhepunkt abgebrochen. Mit beispielloser Sturheit wurden alle Einwände abgeschmettert. Diese tolle Sportlerin kompensiert das nun über unglaubliche Leistungen im für Sportler hohen Alter. Sie hat sich längst selbst rehabilitiert, vor allem in den Augen aller Freunde der Gerechtigkeit gegenüber sturen Betonköpfen und gewissenlosen Sportfunktionären. Der entgangene Erfolg und der viele Ärger in juristischen Auseinandersetzungen verdient eine angemessene Wiedergutmachung, ideell und materiell.

  11. 3.

    Mit Hajo Seppel sollte man auch nicht reden aufgrund seiner Vergangenheit und Geschichte. Er gehört auch zu denjenigen, die Claudia Pechstein vorverurteilt haben. In Sachen recherche hätte ich mir auch gewünschten, dass er detaillierter zu den Doping Praktiken an der Sporthochschule Köln schreibt oder das Bekannte Doping anderer Nationen. Das bleibt er relativ schuldig.

  12. 2.

    "Und deswegen kann man nicht automatisch sagen, dass Claudia Pechstein aufgrund der vorliegenden Situation ganz sicher unschuldig war." Ich dachte immer, die Schuld müsse für eine Verurteilung ganz sicher erwiesen sein. Vermutlich weil Sie aus dem Osten ist, war eine Ausnahme davon in Ordnung.

  13. 1.

    Ich hätte den kleinen Satz ja fast überlesen: "zum Zeitpunkt der Entscheidung hatte sie die nötigen Belege noch nicht vorgelegt. Die kamen dann erst später."
    Pechstein also unschuldig. Nur dieses eine Wörtchen wird nicht geäußert.

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