Interview | Ramy Raychouni, gekrönter Torjäger aus Berlin - "Wenn ich mit 17, 18 Jahren den Kopf von heute gehabt hätte, wäre ich Profi"

Mo 26.06.23 | 18:34 Uhr
Ramy Raychouni sitzt im Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark (imago images/Sebastian Wells)
Bild: imago images/Sebastian Wells

Ramy Raychouni hat für den SC Gatow 55 Saisontore erzielt und wurde damit "Torschützenkönig für alle". Was das mit der speziellen Taktik seines Trainers zu tun hat und wieso die Karriere anders hätte verlaufen können, aber trotzdem alles gut ist.

rbb|24: Ramy Raychouni, herzlichen Glückwunsch zur "Torjägerkanone für alle". Die wird jeweils bundesweit für eine ganze Spielklasse verliehen, was in Ihrem Fall bedeutet: Von allen Achtliga-Fußballern in ganz Deutschland hat in der vergangenen Saison niemand mehr Tore erzielt als Sie. Von den 104 Saisontoren Ihres Klubs SC Gatow gehen dabei 55 auf Ihr Konto. Läuft die Mannschaft bald als SC Raychouni auf?

Ramy Raychouni: Nein, so ein Quatsch. Ich habe ja nicht den Ball von unserem Torwart übernommen und bin dann über den ganzen Platz gerannt. Dazu gehört die ganze Mannschaft, dazu gehört die Taktik vom Trainer. Das muss auf mich zugeschnitten sein, damit ich auf solche Werte komme.

Natürlich loben Sie den Trainer. Er sitzt schließlich neben Ihnen.

Raychouni lacht: Ich habe auch schon in Interviews ohne ihn so gesprochen.

Dann soll uns der Trainer einmal erklären, wie diese auf Sie zugeschnittene Taktik aussieht.

Axel Vogel: Ramy ist so schnell, der nimmt auf fünfzehn Metern jedem Spieler drei, vier Meter ab. Deshalb haben bei uns zehn Spieler den Auftrag, diesen einen Freigeist zu unterstützen. Und wenn einer aus dem Mittelfeld einen Ball hinter die Kette chipt, dann ist es vorbei.

Das typische Ramy-Tor, wie sieht das aus?

Raychouni: Entweder lege ich mir den Ball mit dem rechten Fuß am Gegner vorbei und schieße ihn dann mit links ins kurze oder lange Ecke. Oder ich bekomme den schon angesprochenen Chipball. Am besten von Kadir [Kadir Erdil; Anm. d. Red.], unserem Sechser und Kapitän.

Sind die besonders sanft oder woher rührt die Vorliebe?

Das ist ein Magier am Ball, einer wie Busquets [Spaniens Weltmeister Sergio Busquets; Anm. d. Red.]. Mit ihm habe ich auch früher schon bei Tennis Borussia zusammengespielt. Wir müssen nicht miteinander reden. Der sieht schon, wann und wo ich ein Eins-gegen-Eins mit einem Verteidiger hätte. Und dann chippt er den Ball hinter die Kette.

Und Sie laufen allen davon.

Meistens lasse ich den Verteidigern vorher ein, zwei Meter, weil ich weiß, dass ich die denen wieder ablaufe.

Klingt nach einer Traum-Kombi für einen Trainer.

Vogel: Wenn Ramy die Technik von Kadir hätte und Kadir die Geschwindigkeit von Ramy, dann wären beide Bundesliga-Spieler.

Das Internet lügt bekanntlich nie. Dort heißt es, Ramys Spitzname laute "CR7", so wie der von Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo. Was sagt der Trainer? Sind Ähnlichkeiten vorhanden?

Ronaldo ist auch beidfüssig, auch kopfballstark und trotz seiner Allüren ist er sehr mannschaftsdienlich. Selbst wenn er vor dem Tor nicht abspielen würde. Auf dem Niveau, auf dem Ramy sich bewegt, ist der Spitzname bestimmt berechtigt.

Nach 55 Saison-Treffern ist man doch sicher auch fast so umworben wie CR7.

Raychouni: Am Ende des Tages ist es nur achte Liga. Bei allem Respekt. Aber wer Tore schießt, bekommt Angebote. So ist das Fußballgeschäft. Und vom Namen her ist der SC Gatow der kleinste Verein, bei dem ich je war. Aber hier fühle ich mich einfach wohl. Ich hätte jetzt Möglichkeiten, gutes Geld zu verdienen. Aber nicht immer ist Geld das, was glücklich macht. Das macht so einen Spaß hier. Ich komme gerne zum Training. Meine Tochter spielt hier auf dem Spielplatz. Meine Frau kommt zu den Spielen. Ich bin hier wunschlos glücklich.

Sie haben für Hertha 03 Zehlendorf in der Junioren-Bundesliga gespielt, wurden in die Berlin-Auswahl und zu DFB-Lehrgängen eingeladen. Später waren sie für Tennis Borussia, den SV Babelsberg 03 aktiv und wurden von der Nationalmannschaft des Libanon eingeladen, auch wenn es zu keinem Einsatz kam. Warum hat es mit der Profi-Karriere nicht geklappt?

Wenn ich mit 17, 18 Jahren den Kopf von heute gehabt hätte, wäre ich zu einhundert Prozent Profi geworden. Vielleicht nicht in der Bundesliga oder auf Champions-League-Niveau. Aber dritte Liga, vielleicht zweite Liga.

"Kopf" klingt wenig greifbar.

Ich wollte nicht Weltfußballer werden. Aber mein Kopf war damals nicht kompatibel mit den Anforderungen an eine Profi-Karriere. Ich war nicht bereit, das Maximum aus mir herauszuholen, habe mir von Trainern, die mir hätten weiterhelfen können, nichts sagen lassen.

Ich spiele für einen Freund.

Ramy Raychouni über seinen Trainer Axel Vogel

Bei Ihrem jetzigen Trainer ist das anders?

Er hat mir auch mit tausend anderen Sachen geholfen. Ich spiele für einen Freund. Er ist ein Kumpel für die ganze Mannschaft.

Sie wirken auch nicht wirklich bedrückt, den Traum vom Profi nicht leben zu können.

Mir geht's gut. Einfach nur Ramy sein, einfach nur glücklich sein und genießen, was ich habe. Und nicht immer drüber nachdenken, was noch sein könnte.

Auf der Haben-Seite steht nun auch eine echte Torjäger-Kanone. Inklusive großer Verleihung im Rahmen eines Länderspiels im September. Darf der Trainer mitkommen?

Ich weiß noch nicht genau, wie das abläuft. Natürlich nehme ich erstmal meine Frau mit. Aber irgendwie kriegen wir das mit dem Ticket für den Trainer schon hin.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde geführt von Ilja Behnisch.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.06.2023, 19:15 Uhr

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