Eindrücke aus Hinrunde und Testspiel - Worauf es für Hertha BSC im Trainingslager in Spanien ankommen wird
Hertha BSC kann mit der abgelaufenen Hinrunde zufrieden sein. Und doch haben sich Defizite im Berliner Spiel gezeigt. Auch das Testspiel gegen Drittligist Aue am Samstag offenbarte einige Aufgaben für das Trainerteam für das kommende Trainingslager. Von Marc Schwitzky
25 Punkte, Tabellenplatz sieben, seit sieben Ligaspielen ungeschlagen und dazu die Chance auf das Pokal-Halbfinale – Fußball-Zweitligist Hertha BSC hat nach zuvor äußert dramatischen wie chaotischen Monaten viel auf der Haben-Seite. Der Absteiger kann also durchaus zufrieden mit seiner abgelaufenen Hinrunde sein. "Wir sind für die Ausgangslage im Sommer im Plan", erklärte Sportdirektor Benjamin Weber der "B.Z." kurz vor dem Jahreswechsel. "Inzwischen haben wir Tuchfühlung nach oben, das lässt uns alle Chancen für die Rückrunde."
Mit "Chancen" ist sicherlich die Möglichkeit gemeint, doch noch ein Wörtchen im Aufstiegsrennen mitzureden. Derzeit trennen die "alte Dame" sechs Punkte vom Relegationsrang und acht Zähler von Platz zwei. Um noch im Aufstiegskampf mitzumischen, wird sich Hertha in einigen spielerischen Aspekten verbessern müssen – das zeigte auch das Testspiel gegen Erzgebirge Aue am Samstagnachmittag.
An diesem Sonntag reist Hertha ins Trainingslager nach Alicante. In Spanien wird der Hauptstadtklub noch zwei weitere Testspiele absolvieren. Die Chance für das Trainerteam um Pal Dardai, an entscheidenden Aspekten für die Rückrunde zu arbeiten.
Hertha muss offensiv variabler werden
Herthas Abhängigkeit von Flügelstürmer Fabian Reese ist gut dokumentiert und vielfach ausgeführt. 40 Prozent der Berliner Angriffe laufen über Reeses linke Seite, mit vier Toren und sieben Vorlagen ist der er an einem Drittel der Hertha-Tore direkt beteiligt. Schon länger ist klar, dass die Blau-Weißen im Angriffsspiel variabler und unabhängiger von Reeses individueller Klasse werden müssen. Nun wird Trainer Pal Dardai nahezu dazu gezwungen, denn Reese wird aufgrund der Folgen eines Infekts noch länger ausfallen und nicht mit ins Trainingslager reisen.
Im Testspiel gegen Aue probierte sich Herthas Trainer deshalb an einer Systemumstellung. Erstmals in dieser Saison sah man die Berliner einer Formation mit Dreierkette, im 3-4-1-2 sollten Michal Karbownik und Jonjoe Kenny als sogenannte "Schienenspieler" die Außenbahnen beackern. Im Zentrum wurden Pascal Klemens und Andreas Bouchalakis von Bilal Hussein auf der Spielmacher-Position unterstützt. Eine grundsätzlich neue Herangehensweise im Vergleich zum zuletzt praktizierten 4-4-1-1.
Die Probleme bleiben
Aber auch im neuen System offenbarten sich eklatante spielerische Defizite. Wie schon in der Hinrunde mangelte es Hertha gegen Aue an Präsenz im Zentrum und Genauigkeit im Kombinationsspiel. Klemens, Bouchalakis und Hussein taten sich schwer, die Spielkontrolle an sich zu reißen und den Ball sauber laufen zu lassen – auch wenn die überaus miesen Platzverhältnisse im Amateurstadion sicherlich dazu beitrugen. Zwar wurde es immer dann gefährlich, wenn Kenny und Karbownik durch Seitenverlagerung freigespielt wurden, doch von diesen Szenen produzierte Hertha zu wenig. Im ersten Durchgang des Testspiels verzeichneten die Hauptstädter nahezu keinerlei Torraumszenen.
Hertha wird im Trainingslager intensiv an seinem Übergangsspiel in die gegnerische Hälfte arbeiten müssen, denn ohne Reeses Läufe mit Ball fehlt es an Werkzeugen, um sich oberhalb der Mittellinie festzusetzen. Hierfür muss an Passschärfe, Freilaufverhalten und dem Mut, auch mal ins Dribbling zu gehen und den Ball ein paar Meter zu tragen, gearbeitet werden. Das größte Problem ist die fehlende Dynamik der Zentrumsspieler. Durch besseres Nachrückverhalten kann beispielsweise mehr Druck im letzten Drittel entwickelt und Tempodefizite etwas verschleiert werden.
Aufbauspiel und Verhalten nach Führungen
Der Test gegen Aue bewies erneut, dass es Trainer Dardai gelungen ist, seine Mannschaft gegen den Ball zu stabilisieren. Hertha agiert defensiv souverän, daran änderte auch die Systemumstellung nichts – beim 2:0-Sieg über den Drittligisten hielten die Blau-Weißen einmal mehr die Null. Allerdings blieb auch eine Schwäche der Abwehr aus der Hinrunde: das Aufbauspiel.
Zwar spielte Marton Dardai als zentraler Innenverteidiger ein paar sehenswerte Steckpässe, abseits dessen gelang es Hertha aber kaum, den Gegner durch eine intelligente und variable Spieleröffnung zu fordern. Auch hier mangelt es an der Ruhe am Ball und dem engagierten Anbieten der Mitspieler. Oftmals ist der Hertha-Spieler im Ballbesitz kaum zu beneiden, da ihm attraktive Anspielstationen fehlen – so auch in der ersten Halbzeit gegen die Erzgebirgler.
Etwas, das in der Hinserie fortlaufend ein Problem war, gegen Aue aber besser funktionierte, ist Herthas Spielweise nach Führungen. Zu oft gaben die Berliner nach eigenen Toren passiv ihre Spielkontrolle für vermeintliche defensive Sicherheit ab, um so die Partie noch aus der Hand zu geben. Gegen Aue aber agierten die Hausherren nach dem 1:0-Treffer weiter zielstrebig und legten das 2:0 wenig später nach. Eine Lehre, die in Alicante weiter gefestigt werden sollte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hertha sich in Alicante vor allem auf das Spiel mit Ball konzentrieren sollte. Dabei werden nicht nur Trainingseinheiten helfen, sondern auch die Rückkehr von Palko Dardai und Jeremy Dudziak - ihre Integration ins Team wird eine weitere Aufgabe in Spanien sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.01.2024, 10:15 Uhr