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Quelle: IMAGO / kolbert-press

Hertha-Kapitän Toni Leistner

"Wir wollen das Ding auf jeden Fall ziehen, das sind wir den Fans schuldig"

Hertha BSC steht erstmals seit acht Jahren im Viertelfinale des DFB-Pokals. Vor dem Duell mit dem 1. FC Kaiserslautern spricht Kapitän Toni Leistner im Interview über eine späte Premiere, den Gegner aus der Pfalz, Kay Bernsteins Erbe und Fabian Reese.

rbb|24: Im Mai 2022 sorgte Kevin Kampl für Schlagzeilen, als er nach dem Pokalsieg mit RB Leipzig öffentlichkeitswirksam eine Dose des hauseigenen Energydrinks in die Trophäe goss. Jetzt stehen Sie mit Hertha BSC im Viertelfinale und dürfen träumen: Was würden Sie im Falle eines Pokalsiegs aus dem Pott trinken, Herr Leistner?

Toni Leistner: Erstmal können wir froh sein, dass dieses Jahr kein Red Bull reingegossen wird (lacht). Ansonsten ist alles Träumerei, es ist noch so lange hin, bis man den Pokal überhaupt in die Höhe recken könnte. Wenn ich mir etwas aussuchen könnte, wäre es Bier.

Am Mittwoch (20:45 Uhr, live im Sportschau-Audiostream) empfängt Ihre Mannschaft den 1. FC Kaiserslautern im Viertelfinale des DFB-Pokals. Im fortgeschrittenen Fußballer-Alter von 33 Jahren stehen Sie nochmal vor einer Premiere. Ist Ihnen das bewusst?

Dass ich zum ersten Mal im Viertelfinale stehe?

Genau. Ist eine besondere Aufregung spürbar?

Das Achtelfinale gegen Hamburg war schon eine Premiere für mich. Weiter als in die zweite Runde bin ich davor noch nie gekommen. Es ist etwas Schönes, vor ausverkauftem Haus zu spielen, eine gewisse Grundnervosität hat man immer, das macht den Sport aus. Ich denke aber nicht, dass mich das negativ beeinflusst. Ich habe schon einiges mitgemacht, in Dortmund habe ich schon mal vor 80.000 Zuschauern im Pokal gespielt (im Oktober 2016, damals noch im Trikot von Union Berlin; Anm. d. Red.).

Hertha vor Pokal-Viertelfinale

Einfach nur weiterkommen

Nach emotional auswringenden Wochen steht das vorläufige Saison-Highlight an: Das Pokal-Viertelfinale gegen Kaiserslautern im vollen Olympiastadion. Doch von einem Spektakel ist nicht auszugehen - genauso wenig wie von einem beeindruckten Gegner.

Alle Herthaner eint der Traum vom Pokalfinale im eigenen Stadion. Zum ersten Mal seit der Saison 2015/16 steht die "Alte Dame" wieder im Viertelfinale. Am Mittwochabend wird im Westend wieder das Flutlicht angehen, das Olympiastadion ist ausverkauft. Die Motivation dürfte also von allein kommen. Wie ist die Stimmung im Team - unmittelbar vor diesem großen Spiel?

Es sind außergewöhnliche Voraussetzungen. Ich glaube, dass wir Kays Tod als Team relativ gut verkraftet haben. Es war sein großer Traum, ins Pokalfinale einzuziehen – wir können daraus also auch positive Kraft ziehen. Die Stimmung im Team ist trotz der Niederlage am Samstag absolut positiv. Wir wollen das Ding auf jeden Fall ziehen, das sind wir den Fans schuldig - sie machen uns die Hütte voll.

Sie sprechen es an: Vor genau zwei Wochen ist Kay Bernstein überraschend verstorben. Die letzten anderthalb Jahre seines Lebens hat er als Präsident bei Hertha BSC gewirkt. Sie persönlich haben ihn im letzten halben Jahr kennen und schätzen gelernt. Was hinterlässt Bernstein bei Hertha BSC?

Extrem viel. Er hat einen neuen Weg, den "Berliner Weg" ausgerufen, der vorsieht, viele eigene Talente zu fördern, sie auch mal ins kalte Wasser zu werfen - was der Trainer auch macht. Außerdem ist es ihm gelungen, Mannschaft und Fans, den gesamten Verein, wieder zu einen. Als wir zu Saisonbeginn die ersten Spiele verloren haben, standen die Fans hinter uns, weil sie wussten, wie groß der Umbruch im Sommer war und dass wir uns erstmal finden mussten. Wir haben eine passable Hinrunde gespielt und sind im Pokal noch dabei. Im Verein ist Ruhe eingekehrt, der vorgegebene Weg ist machbar, ehrlich und demütig - und jetzt liegt es an uns, ihn weiterzugehen.

Und jetzt muss Hertha BSC nach Bernsteins Tod in den Fußball-Alltag zurückfinden. Das fällt sicher nicht leicht.

Es tut immer noch extrem weh. Manchmal fährt man an seinem Parkplatz vorbei, auf dem kein Auto mehr steht. In diesen Situationen denkt man immer daran, dass Kay fast jeden Tag da war, was für einen ehrenamtlichen Präsidenten nicht selbstverständlich ist. Es gibt Situationen, an die man immer wieder denkt. Nach den Spielen war Kay in der Kabine und hat mit uns abgeklatscht. Nichtsdestotrotz lenkt das Training ab, die Familie zu Hause lenkt ab. Das Leben geht weiter, so blöd das auch klingt. Er hätte sich nicht gewünscht, dass wir aufgeben und alles in die Tonne drücken.

Der 1. FC Kaiserslautern kommt mit Rückenwind nach Berlin, hat in der Liga zuletzt 4:1 gegen Schalke gewonnen. Top-Torjäger Ragnar Ache ist wieder fit und hat gegen Gelsenkirchen doppelt genetzt. Im Dezember, beim letzten Aufeinandertreffen mit Hertha in der Liga, fehlte er verletzungsbedingt. Inwiefern sind die Eindrücke aus dem Spiel auf dem Betzenberg, das Ihre Mannschaft mit 2:1 gewann, in Vorbereitung auf das Viertelfinale überhaupt relevant?

Kaiserslautern wird - im Vergleich zum Spiel in der Hinrunde - auf zwei oder drei Positionen Veränderungen vornehmen. Ache ist eine ihrer Schlüsselfiguren: Er ist extrem kopfballstark, physisch stark, ein klarer Unterschiedsspieler in der 2. Liga. Es ist vor allem an Kempfi (Marc Oliver Kempf; Anm. d. Red.) und mir, ihn in Schach zu halten. Sie haben aber auch noch auf anderen Positionen Qualität. Wir werden es nur als Mannschaft hinbekommen. Wenn wir unsere Leistung aber von der ersten Minute an auf den Platz bekommen, wird es für sie schwer, uns zu schlagen.

Durch das Unentschieden gegen Düsseldorf und die Niederlage in Wiesbaden zum Start in die zweite Saisonhälfte wird der Rückstand auf die Tabellenspitze immer größer, der direkte Wiederaufstieg immer unwahrscheinlicher. Wie bewerten Sie den bisherigen Saisonverlauf – und wie ist diese Spielzeit noch zu retten?

Also erstmal haben wir gegen diese beiden Gegner schon mal einen Punkt mehr als in der Hinrunde geholt (lacht). Aber natürlich haben wir uns mehr erhofft. Gegen Düsseldorf war es mental eine schwierige Aufgabe. Es sind noch 15 Spiele zu spielen, die Liga ist sehr ausgeglichen. Kiel ist mit zwei Niederlagen in die Rückrunde gestartet, Hamburg hat am Wochenende verloren. Der Abstand ist groß, wir versuchen aber jedes Spiel positiv zu bestreiten. Wir sind (bis zur Niederlage in Wiesbaden; Anm. d. Red.) auch zehn Spiele in Folge ungeschlagen geblieben – und ich denke, dass so eine Serie nochmal möglich ist. Wenn dann noch ein paar Siege mehr dabei sind, können wir oben nochmal anklopfen.

Wieder eine Einheit: Mannschaft und Fans von Hertha BSC. | Quelle: IMAGO / Matthias Koch

Insbesondere defensiv hat Hertha zuletzt keine guten Leistungen gezeigt. Düsseldorf und Wiesbaden wurden durch teils grobe, individuelle Fehler und schlechtes Stellungsspiel regelrecht zum Toreschießen eingeladen. Wie schlimm sind die Kopfschmerzen, die das Ihnen - als Kapitän und Abwehrchef - bereitet?

Es wurmt mich natürlich am meisten, dass wir in den beiden Spielen fünf Gegentore gefressen haben. Es waren aber eben auch individuelle Fehler und Kontertore dabei. Wir hatten auch Möglichkeiten, in die Zweikämpfe zu kommen und mal ein taktisches Foul zu ziehen. Das sind Dinge, die wir angesprochen haben und unbedingt abstellen müssen. Die zweite Liga ist kein Zuckerschlecken, jeder nicht geführte Zweikampf wird bestraft.

Fabian Reese konnte krankheitsbedingt seit Mitte Dezember kein Pflichtspiel mehr bestreiten. Es ist alarmierend, wie abhängig Ihre Mannschaft von ihm - einem Flügelspieler - zu sein scheint. Wird das intern schonungslos thematisiert?

Auf jeden Fall. Den Jungs, die in die Bresche springen müssen, haben wir auch gesagt, dass jetzt ihre Chance da ist, sich zu beweisen. Gegen Düsseldorf haben wir das ordentlich gemacht, gegen tief stehende Gegner wie Wiesbaden oder Osnabrück ist es uns nicht so gut gelungen. Da braucht man individuelle Klasse wie Fabi sie an den Tag legt. Technisch ist das, was er macht, vielleicht nicht immer hochversiert, er bringt aber so eine Physis mit, dass er gefühlt immer mit dem ersten Schritt am Gegner vorbeikommt. Er ist robust in den Zweikämpfen, hat ein gutes Abschlussspiel. Er gibt Vorlagen, egal ob mit rechts oder links. Ich glaube, er hat mehr als die Hälfte der Tore von Haris Tabakovic vorbereitet. Da erkennt man schon eine Abhängigkeit.

1:3-Niederlage in Wiesbaden

Hertha BSC wird den Aufstieg abhaken müssen

Das 1:3 von Hertha BSC bei Wehen Wiesbaden hat offenbart, dass die Berliner trotz ihrer individuellen Klasse weiterhin große Probleme haben. Probleme, die in dieser Saison wohl nicht mehr gelöst werden können. Von Marc Schwitzky

Die gute Nachricht ist: Reese steht vor seinem Comeback. Die schlechte: Am Mittwoch ist wohl allenfalls ein Kurzeinsatz realistisch. Was stimmt Sie dennoch zuversichtlich? Wie kann die Mannschaft seine Abwesenheit besser kompensieren?

Florian Niederlechner kommt zurück in den Kader (nachdem er in der Liga zuletzt gesperrt fehlte; Anm. d. Red.), das gibt uns in der Offensive eine Option mehr. Vor allem zum Ende der Hinrunde hat er gezeigt, wie torgefährlich er ist. Und mit Aymen Barkok haben wir einen Spieler dazubekommen, der neue Attribute in unser Team bringt. Er kann das Spiel von hinten nach vorne tragen. Das wird uns auch guttun.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.

Beitrag von Anton Fahl

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